Mittwoch, 27. Januar 2010

Neujahrspredigt 1.1.2010

Predigt zu Jak 4,13-15

Liebe Mitchristen,

geradezu sprichwörtlich ist diese clausula jacobaei aus unserem heutigen Predigttext geworden. „So Gott will und wir leben“ - wie viele von uns es vermutlich aus der Lutherbibel in den Ohren haben - das ist der grosse Vorbehalt, der über unserem Leben steht. Wir können machen und planen, Vorsätze fassen, uns Ziele setzen und überlegen, wie wir sie erreichen. Das alles ist richtig und gut, solange wir darüber nicht vergessen, dass unser Leben nicht allein in unseren Händen liegt. Am Beginn eines neuen Jahres sagt uns der Jakobusbrief, dass wir Gott einbeziehen sollen - in unser Planen und Machen, aber auch in unsere gespannte Erwartung, was dieses Jahr wohl bringen mag - und dass wir uns von Gott erst recht unterbrechen lassen sollen, wenn wir schon gar nicht mehr viel vom neuen Jahr erwarten.

Aber was heisst das eigentlich - Gott einbeziehen in unsere Pläne? Das erste und Offensichtlichste, wenn wir auf unseren Predigttext hören, ist: Gott unterbricht unsere Allmachtsphantasien. Er sagt uns: nimm dich und deine Pläne, aber auch deine Enttäuschungen nicht so ungeheuer wichtig. Denen mit den grossen Plänen und Konzepten sagt er: es könnte alles auch noch ganz anders kommen. Bescheidenheit und Demut gehören zum menschlichen Mass. Den Resignierten aber sagt er: Wagt etwas mehr Vertrauen. Traut euch, traut Gott etwas zu. Es hängt nicht alles von eurer kleinen Kraft ab und mit Gottes Hilfe könnt ihr mit eurer kleinen Kraft viel bewirken. Beides sollen wir hören - und jedes zu seiner Zeit.

Wir können und wir dürfen für das neue Jahr Pläne schmieden, uns Ziele setzen, etwas erwarten. Das ist auf jeden Fall besser als die Haltung, dass man am besten gar nichts erwartet und die Enttäuschungen schon einprogrammiert oder die Hände in den Schoss legt und denkt, es kommt ja eh, wie es kommen muss. Damit hätten wir den grossen Vorbehalt des Jakobusbriefs völlig missverstanden. Die Frage ist nur, ob wir unsere Pläne und Ziele zum Mass aller Dinge machen. Die Frage ist, ob wir in unserem Planen und Machen nur an gute Geschäfte und Gewinne denken und stetig um uns selber Kreisen. Die Frage ist, ob wir noch Augen und Sinne haben für das Überraschende, das Ungeplante, das Notwendige, für die Bedürfnisse unserer Seele und das, was die Menschen brauchen, die uns begegnen.

Das, so glaube ich, ist die zweite Botschaft unseres Textes, die mindestens genauso wichtig ist: Gott unterbricht uns durch Menschen, die uns begegnen und die uns brauchen - und diese Unterbrechung tut uns gut, ist heilsam. Denken wir an ein Kind, das krank wird. Das kann unseren wohlorganisierten Alltag und unsere Pläne ganz schön durcheinanderbringen. Aber wie oft merken wir dann im Rückblick, dass die Krankheit verbunden war mit einem wichtigen Entwicklungsschritt, wo unser Kind die Unterbrechung und unsere Nähe und Zuwendung besonders nötig hatte. Und wir erkennen: die Unterbrechung, so störend sie auch war, ist für uns beide notwendig und heilsam gewesen. Hat es in unserem Leben noch Platz für solche Unterbrechungen? Nehmen wir uns die Zeit und sind wir achtsam genug, um zu bemerken, wo jemand uns nötig hat - in der Familie, in der Nachbarschaft, am Arbeitsplatz? Spüren wir, wann ein Mensch uns gerade jetzt braucht und nicht irgendwann dann, wenn es unsere Agenda zulässt? Übrigens kann es auch sein, dass wir selber der Mensch sind, der uns gerade am nötigsten braucht. Auch für uns selbst kann es wichtig sein, darauf zu achten, wo wir innehalten müssen, wo unsere Seele nicht mehr mitkommt, wo wir uns selbst überfordern und vergessen, was wirklich wichtig und notwendig ist für unser Leben.
Die dritte Botschaft: Gott unterbricht uns durch Gelegenheiten, die wir niemals planen können und die wir uns nicht erträumt hätten. Wir sollen über all unserem Planen nicht vergessen, dass Gott uns in unserem Leben immer wieder neue Türen auftut, neue Wege ebnet, neue Brücken baut. Die Sprache des NT, das Griechische, kennt das schöne Wort vom Kairos. Das ist nicht die ablaufende Zeit der Uhr, die erbarmungslos tickt, sondern die erfüllte Zeit, die Gelegenheit, das Fenster, dass sich auftut und wo etwas Neues entstehen kann - ohne dass wir es vorher geplant oder gezielt in die Wege geleitet hätten. Für das Neue Testament ist dieser Kairos verbunden damit, dass sich Gott uns gezeigt hat in der Geschichte Jesu Christi. Und ich bin überzeugt, dass sich Jesus Christus auch uns zeigt, wo Türen sich öffnen, Brücken und neue Wege auftauchen, Menschen uns begegnen und etwas in uns wachrufen, dass wir noch nicht entdeckt oder längst vergessen haben. Worauf es ankommt, ist, diese Gelegenheiten zu erkennen und sie auch zu ergreifen - und nicht zu vergessen, wem wir sie verdanken.

„So Gott will und wir leben“ - dieser Vorbehalt ist nicht zuletzt eine grosse Einladung, in der Gegenwart zu leben, die Gelegenheiten im Jetzt wahrzunehmen und auf die Menschen zu achten, die uns begegnen. Darum möchte ich an den Schluss meiner Predigt einen - wie ich finde - wunderbaren Satz des Mystikers Meister Eckehart setzen. Er wäre ein guter und hilfreicher Leitsatz für dieses neue Jahr:
Die wichtigste Stunde ist immer die Gegenwart, der bedeutendste Mensch ist immer der, der dir gerade gegenübersteht, das notwendigste Werk ist stets die Liebe.
(Meister Eckehart)
Amen.

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