Sonntag, 7. Februar 2010

7. Februar 2010

Predigt zu 5. Mose 6,4-9

Liebe Gemeinde,
es war einmal ein Mensch, dem der Glaube am Herzen lag, der sich um einen ehrlichen Glauben bemühte und viel über Glaubensfragen nachdachte. Als er die Worte aus dem 5. Buch Mose las, beschäftigten sie ihn sehr. Denn genau das wollte er ja: Hören auf das, was Gott ihm zu sagen hatte, Gott lieben von ganzem Herzen, von ganzer Seele und mit seiner ganzen Kraft und seinen Glauben weitergeben an seine Kinder. Aber er hatte auch viele Fragen: Was war gemeint mit diesem „Höre Israel“ und wie konnte er richtig hören? Kann man wirklich so absolut sagen: „Der Herr, unser Gott, ist der einzige Herr“? Und auf welche Weise sollte er nun den Glauben an seine Kinder weitergeben, zumal er doch selbst so viele offene Fragen hatte?

So suchte er einen Lehrer des Glaubens auf. Dieser hatte den Ruf eines frommen Mannes von tiefer Glaubensgewissheit. Diesen fragte er: Was bedeutet das „Höre Israel“ für meinen christlichen Glauben? Der Lehrer antwortete ihm: Höre Israel heisst es, weil der Glaube vom Hören kommt. Nur wer bereit ist zu hören, nur wer seine Ohren und sein Herz öffnet, ist bereit für das Geschenk des Glaubens. Nur in ihm kann Glaubensgewissheit Wurzel schlagen. Wer immer schon über alles Bescheid weiss und andere belehren will, der ist nicht auf dem Weg des Glaubens. Hören sollen wir auf den einen Gott, der uns im Wort der Schrift begegnet. Der erste und wichtigste Schritt zum Hören ist, dass wir im Wort der Bibel lesen und versuchen seinen Geist zu erfassen. Ich meine damit keine blinde Wortgläubigkeit. Einzelne Stellen können uns durchaus unklar sein und sich erst durch andere und den Zusammenhang des Ganzen erschliessen. Aber je länger und tiefer wir uns mit der Bibel beschäftigen, desto mehr wird sich uns die Klarheit der Schrift erschliessen, wird Gott selbst uns die Klarheit der Schrift erschliessen. Aus dem Hören folgt der Gehorsam gegenüber Gottes Wort, das aufrichtige Bemühen, seinem Willen entsprechend zu leben. Denn Gott ist einzig und so unendlich viel grösser als wir, dass wir nicht das Recht haben, uns mit unserer Vernunft über ihn zu stellen. Wir sollen uns durch die Bibel in Frage stellen lassen und nicht in erster Linie die Bibel in Frage stellen. Gott ist ein Geheimnis, das wir letztlich nicht ergründen können. Darum sind wir in unserem Glauben immer wieder voller Fragen und selbst der tiefste Glaube erfasst das Geheimnis Gottes nicht ganz. Darum müssen wir immer wieder neu auf das Wort der Schrift hören und auf das, was uns andere Christinnen und Christen zu sagen haben.
„Aber“, so fragte der Ratsuchende zurück, „wie können wir denn behaupten, dass unser Gott der einzige Gott ist, wo es doch so viele Religionen und Gottesvorstellungen auf unserer Welt gibt? Und müssen wir dann die anderen von unserem Gott und unseren Gottesvorstellungen überzeugen?“ „Nicht von unseren Gottesvorstellungen sollen wir die anderen überzeugen, ja nicht einmal von unserem Gott sollen wir andere überzeugen – zumindest nicht in dem Sinne, dass wir sie zu etwas überreden. Aber wir sollen unseren Glauben glaubwürdig und ohne Scheu leben - in der Hoffnung, dass Gott durch seinen Geist den Glauben in anderen Menschen wirkt. Dass es nur einen Gott gibt, steht in der Bibel. Nach dem Zeugnis des Neuen Testaments begegnet er uns in Jesus Christus. Er allein ist der Weg, die Wahrheit und das Leben. Aber Vorsicht, unser Gott ist ein Gott des Friedens und der Liebe. Es war ein furchtbarer Irrweg in der Geschichte unseres christlichen Glaubens, den Glauben mit den Mitteln der Macht oder gar des Schwertes ausbreiten zu wollen. Denn dadurch ist nur Gewalt und Unterwerfung entstanden, aber nicht Glaube, der von Herzen kommt. Wo Menschen sich nicht zum Glauben einladen lassen, sollen wir dies respektieren und sie nicht bedrängen, aber die Einladung sind wir ihnen schuldig. Warum es die anderen Religionen und den Unglauben gibt, bleibt für uns Menschen letztlich ein unergründliches Geheimnis Gottes. Wir können nur freimütig unseren Glauben bekennen.
„Aber wie kann ich meinen Glauben meinen Kindern weitergeben?“, fragte der Ratsuchende weiter. „Indem wir ihnen unseren Glauben vorleben und davon reden. Wir können mit ihnen beten, wenn wir uns an den Tisch setzen oder wenn wir sie zu Bett bringen. Auch die biblischen Geschichten können wir ihnen erzählen, denn sie sind ein kostbarer Glaubensschatz. Wenn die Kinder älter werden und Fragen stellen, können wir ehrliche Antworten geben und uns der Diskussion von Glaubensfragen stellen. Dabei dürfen wir ruhig auch eingestehen, dass wir auf viele Fragen keine Antworten wissen. Aber wir sollten sie mitnehmen zum Gottesdienst, sie ermutigen zum Lesen der Bibel und das Gespräch nicht abbrechen lassen. Auf Zwang sollten wir dabei verzichten, aber Beharrlichkeit ist kein Fehler. Vom Ziel, sie zum Glauben zu führen, sollten wir uns nicht abbringen lassen, aber wir sollten auch akzeptieren, dass ihr Glaube vielleicht andere Ausdrucksformen findet als die, die wir gewohnt sind und ihnen dafür Raum lassen.

Der Ratsuchende fand all dies höchst bedenkenswert, aber er fragte sich, ob er sich die Glaubensgewissheit dieses Lehrers zu eigen machen könne oder wolle. Und es blieb auch eine Unruhe in ihm, weil ihm der Absolutheitsanspruch dieses Glaubens Mühe machte und er sich fragte, ob die Quellen des Glaubens nicht vielfältiger und weiter seien als das Wort der Bibel. Also suchte er eine Lehrerin des Glaubens auf, die den Ruf einer offenen, liberalen Ratgeberin hatte. Auch von ihr wollte er wissen, wie er das „Höre Israel“ zu verstehen habe. „Wir Menschen“, erhielt er zur Antwort, „neigen dazu, uns Meinungen und Konzepte zurechtzulegen, mit denen wir uns die Welt erklären. Und wenn wir uns unser Weltbild einmal zurechtgelegt haben, dann nehmen wir das, was nicht in unser Weltbild passt, gar nicht mehr wahr oder verdrängen es. Wir meinen, die Welt müsste so sein, wie wir sie uns vorstellen und sie müsste für alle anderen ebenso sein, sonst sind sie im Irrtum. Das gilt auch für unsere frommen und religiösen Weltbilder. „Höre Israel“ ist eine Aufforderung an das biblische Gottesvolk und an uns, die wir durch Jesus zum Gottesvolk hinzugekommen sind, uns ständig neu einzuüben ins Hören. Hören heisst, die Dinge nicht einfach unserem Weltbild anzupassen, sondern aufmerksam und offen wahrzunehmen, was uns begegnet, empfindlich und empfindsam zu bleiben, berührbar und bereit, uns verändern zu lassen. Wenn der Glaube aus dem Hören kommt, dann ist damit gewiss auch und besonders das Hören auf die Bibel gemeint. Sie ist für uns Christinnen und Christen eine kostbare Glaubensquelle. Aber heisst es nicht in der Bibel, dass der Buchstabe tötet, der Geist aber lebendig macht. Zum Hören gehört immer auch die Frage, ob das Gehörte dem Leben dient und Frieden schafft. Nicht um Gehorsam geht es, sondern um ein Hören, das im Herzen Liebe weckt. Und es sind genauso die Erfahrungen, die wir in der Natur, die ja Gottes Schöpfung ist, machen, die uns zum Hören führen können oder menschliche Begegnungen, die Schätze der Kunst und der Literatur und auch der Reichtum der Religionen. Es gibt ja kein objektives Hören. Jedes Hören verknüpft das Gehörte mit unseren mitgebrachten Erfahrungen, Gefühlen und anderen Sinneseindrücken und so hören wir dasselbe oft sehr unterschiedlich. Glauben habe ich immer nur als je meinen Glauben. Ich kann ihn niemals zum Massstab des Glaubens der anderen machen.
„Heisst das denn“, fragte der Ratsuchende zurück, „dass die Bibel nicht die alleinige Quelle des Glaubens ist und der christliche Gott nicht der einzige Gott?“ „Ich bin zutiefst überzeugt, dass es keine Quellen des Glaubens gibt, die dem Geist der Bibel widersprechen, aber ich denke, dass die Bibel nicht unsere einzige Quelle ist. Auch die anderen Religionen bemühen sich um einen Weg zu Gott, wollen sich dem Geheimnis Gottes auf menschliche Weise annähern. Könnte es nicht sein, dass wir an einen Gott glauben, dessen Geheimnis sich die Religionen auf höchst unvollkommene Weise annähern? Aber wir können und sollen nicht mehrere Wege gleichzeitig gehen. Als Christinnen und Christen sind uns das Leben und Sterben und die Auferstehung Jesu Christi und die Befreiungsgeschichte des Volkes Israel als Weg zu Gott geschenkt. Auf diesen Weg sollen wir uns ganz und in tiefster Gewissheit verlassen. Es ist nicht zufällig unser Weg, sondern der Weg, den Gott uns gewiesen hat. Aber wir dürfen damit rechnen, dass sich das Geheimnis Gottes Menschen auch auf anderen Wegen erschliessen kann. Darum ist unserem Glauben entsprechend die Haltung der Toleranz, die den eigenen Glauben einladend und glaubwürdig lebt ohne andere bekehren zu wollen. Gott ist einzig, nicht unsere religiösen Überzeugungen, unsere Kirchen und Konfessionen.“
„Was bedeutet all dies für die religiöse Erziehung unserer Kinder?“, wollte der Ratsuchende wissen. „Können wir dann den Glauben überhaupt weitergeben.“ „Wir können den Glauben nicht weitergeben wie die Wissensbestände unserer Kultur oder eine mathematische Gleichung. Zuerst und vor allem kommt es darauf an, dass wir glaubwürdig, offen und ehrlich von unserem Glauben reden. Wir können nicht weitergeben, was wir selber nicht glauben. Auch unsere Fragen und Zweifel dürfen wir dabei nicht verbergen. Nie sollten wir uns einbilden, wir allein könnten unsere Kinder zum Glauben führen. Sie sollen auch auf andere hören. Stets müssen wir sie als eigenständige Persönlichkeiten achten und respektieren, dass sie frei sind, ihren eigenen Glaubensweg zu finden oder sogar den Weg des Glaubens zu verlassen. Die Freiheit unserer Kinder steht höher als unser Wunsch, ihnen den Glauben weiterzugeben. Schuldig sind wir ihnen aber, dass wir ihnen die Möglichkeit geben, ihren Weg zu finden, indem wir mit ihnen über Glaubensfragen reden, ihnen biblische Geschichten erzählen und mit ihnen beten – oder zumindest ihnen den Zugang zu Menschen eröffnen, bei denen sie all dies kennen lernen können. Wir sollen aber auch akzeptieren, wenn unsere Kinder im Jugendalter sich vom Glauben entfremden oder eine andere Frömmigkeit suchen als die unsere. Worauf es ankommt ist, dass wir mit ihnen im Gespräch bleiben und darauf achten, dass sie ihr Weg nicht in Abhängigkeit und Unfreiheit führt oder ihnen Schaden zufügt. Und manchmal bleibt uns nur noch, Gott zu bitten, dass er sie auf ihrem Weg begleite und bewahre. Glauben weitergeben kann nur, wer auch loslassen kann.

Einleuchtend erschien dem Ratsuchenden vieles, was diese Lehrerin zu ihm gesagt hatte. Aber wem sollte er nun folgen? Welcher Weg war der richtige? So wandte er sich an eine weithin bekannte Weisheitslehrerin. Viele lobten ihre klugen Ratschläge, aber einige nörgelten, man sei nach dem Gespräch mit ihr meist nicht klüger als zuvor. Er erzählte ihr alles, was ihm die beiden anderen gesagt hatten. „Wer hat denn nun recht“, fragte er. „Das weisst du schon“, bekam er zur Antwort. „Bedenke, was du gehört hast. Bedenke, was nur dein Ohr erreicht, was du mit deinem Verstand begriffen hast und was dein Herz berührt. Achte darauf, was in deinem Herzen Liebe weckt und Freude entstehen lässt. Erinnere dich, was dir auf deinem Weg des Glaubens Mut gemacht hat und welche Veränderungen du erlebt hast. Bedenke, was dem Frieden dient und Leben zur Entfaltung bringt. Und vergiss nicht, dass die anderen dasselbe tun, auch wenn sie am Ende vielleicht dennoch einen anderen Weg gehen. Und dann geh deinen Weg, geh ihn mit Zuversicht und Gottvertrauen, denn es ist dein Weg, den nur du so gehen kannst und auf dem Gott mit dir geht.“ Amen.

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