Samstag, 12. Februar 2011

Predigt zu 2. Mose 3,1-10 am 13. Februar 2011

Liebe Gemeinde,
in dem wunderbaren Film Jentl von und mit Barbara Streisand sagt ein Rabbi: „Wir suchen unsere Studenten nicht nur nach den Antworten aus, die sie geben, sondern vor allem nach den FRAGEN, die sie stellen.“ Ein Satz, der wunderbar passt zu unserem heutigen Predigttext, zur Geschichte von Mose am brennenden Dornbusch. Fast möchte ich sagen: Gott sucht sich seine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter auch nicht nach ihren klugen Antworten oder ihren vorweisbaren Leistungen aus, sondern nach den Fragen, die sie stellen.
Mose stellt Fragen. Gleich drei. Warum verbrennt der Dornbusch nicht? Wer bin ich? Was ist dein Name? Er fragt nach der Welt, die er wahrnimmt, nach sich selbst und nach Gott. Und es wäre gewiss nicht wenig, wenn der heutige Predigttext auch uns zum Fragen verführen, das Fragen lehren würde. Mit drei Geschichten antwortet der Text auf die Fragen des Mose: mit der Dornbusch-Sage, mit der Berufung des Mose und mit der Offenbarung des Namens Gottes.
Aber der Reihe nach. Wer ist überhaupt dieser Mose? Wie kommt er dazu, so zu fragen?
Mose geht seiner alltäglichen Arbeit nach? Er hütet die Schafe Jitros seines Schwiegervaters. Er ist ein einfacher Hirte, der geduldig und demütig seine Pflicht tut. Und einer, der an seiner Vergangenheit zu tragen hat, denn einst in Ägypten hat er im Zorn einen Aufseher erschlagen. Er ist aber auch einer, den das Unrecht berührt, der nicht einfach zusehen kann, wenn Menschen leiden und geplagt werden.
Er treibt die Schafe über die Steppe hinaus. Vermutlich, will er im vertrauten Gebiet kein Futter für die Schafe finden kann. Aber diese kleine Bemerkung ist, denke ich, sehr wichtig. Denn Mose verlässt hier das ihm vertraute Gebiet. Er geht zu weit, überschreitet eine Grenze.
Das Gewohnte verlassen – vielleicht ist das die erste Voraussetzung, um das Fragen zu lernen. Damit meine ich nicht die äusserlich weiten Wege oder die spektakulären Erlebnisse. Mose geht ja nur ein paar Schritte über das Gewohnte hinaus. Und heute können wir tausende von Kilometern reisen ohne auch im Geringsten das Gewohnte zu verlassen. Oder wir können aus einer Arbeit, aus einer Beziehung, aus einem Umfeld ausbrechen, ohne dass wir uns selber, unsere Denkgewohnheiten, unsere Sichtweisen ernsthaft in Frage stellen, weil es ja immer nur die bösen Anderen sind, die uns das Leben schwer machen.
Das Gewohnte verlassen – oft ist das etwas, was uns in unserem Leben widerfährt, womit wir plötzlich konfrontiert werden. Es kann eine Krankheit sein, die uns aus der Bahn wirft, die uns plötzlich zwingt, unser Leben neu zu ordnen. Gerade eine Krankheit, die ja zuerst einmal als Katastrophe über die Betroffenen hereinbricht, kann für viele ein Anstoss sein, anzuhalten, sich neu zu fragen, was ihnen wichtig ist, worauf es ankommt. Sie kann dazu führen, bewusster auf die Menschen zu achten, die mich umgeben, die mir wichtig sind. Oder bewusster wahrzunehmen, an was ich mich freue, was mir kostbar ist, was ich bisher immer aufgeschoben habe. Oder einem Menschen zu sagen, wofür ich ihm dankbar bin. Oder auch neu nach Gott zu fragen, nach dem unbegreiflichen, nach dem liebenden, nach dem segnenden Gott. Nach dem, dessen Name heisst: Ich bin da.
Das Gewohnte verlassen – das bedeutet vor allem eine Veränderung unseres Blicks. Es heisst, dass wir zulassen und wahrnehmen, dass da noch mehr ist als wir gewohnt sind zu sehen. Mose geht über die Steppe hinaus und sieht einen Dornbusch, der brennt und doch nicht verbrennt.
Hinsehen, anhalten, staunen – und dann hingehen, langsam und behutsam. Das sind die nächsten Schritte des Mose. Er nimmt sich die Zeit, hinzusehen. Er geht nicht achtlos vorüber. Er tut das Ganze nicht als Einbildung oder lächerliches Schauspiel ab. Aber er stürzt sich auch nicht darauf, wie auf eine billige Sensation. Er sieht hin, hält an und staunt. Und er geht hin und fragt: Was ist das? Und vielleicht schon da: Was hat das für mich zu bedeuten?
Und er ist achtsam! Er achtet auf die Stimme, die ihn anruft und antwortet: „Hier bin ich!“ Er achtet auf die Stimme, die ihn zurückhält, die ihn auffordert, den nötigen Abstand zu behalten. Er kann sich dieser wunderbaren Erscheinung nicht einfach bemächtigen. „Zieh deine Schuhe von deinen Füssen, denn der Ort, darauf du stehst, ist heiliges Land!“ Ein grossartiger Satz. Aufforderung zur Ehrfurcht vor dem Leben, zur Achtsamkeit gegenüber allem, was uns begegnet. Denn jeder Augenblick und jeder Ort in unserem Leben kann für uns zu einem heiligen Boden werden, jeder Mensch ein Engel, ein Bote Gottes sein. Auch Mose stösst ja mitten im Alltag seines Hirtendaseins auf diesen heiligen Boden, auf dieses Feuer, das ihn zu einem Fragenden werden lässt, den Gott brauchen kann.
So wird die Begegnung mit dem Feuer für Mose der Ort seiner Berufung. Er, der Flüchtling und Hirtenjunge, soll Gottes Volk aus der ägyptischen Sklaverei befreien. Mose winkt angesichts der grossen Aufgabe nicht einfach ab, aber er stürzt sich auch nicht aus Übermut darauf. Er fragt jetzt: Wer bin ich? Aus dem Innehalten und Staunen, aus der Achtsamkeit auf das, was uns begegnet, kann die Klarheit erwachsen, was für uns wichtig, was unsere Aufgabe, unser Weg ist – wahrscheinlich nicht für das ganze Leben, aber hier und jetzt, für die nächste Zeit, die Situation, in der wir stehen. Unsere Aufgaben mögen wohl kaum so gross und gewaltig sein wie die des Mose. Aber jede Aufgabe hat ihre eigene Würde und es kommt darauf an, dass wir sie erkennen und Klarheit gewinnen über das, was unser Weg ist. Gott will nicht von uns, dass wir Mose oder Jesus nacheifern, sondern, dass wir uns selber sind, denn gerade so kann er uns brauchen.
Gottes Antwort auf die Frage des Mose ist ein Versprechen: Ich will mit dir sein. Und weil ich mit dir bin, kannst du diesen Weg gehen. Vertrau mir, dann wirst du erfahren, dass du diesen Weg auch gehen kannst.
Aber Mose ist noch nicht zufrieden. Er hat wohl vernommen, dass der, der da mit ihm redet, der Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs ist, der Gott seiner Väter. Aber das genügt ihm nicht. Damit jedoch hört sein Fragen nicht auf. Was ist dein Name? fragt er. Die Antworten der Tradition, der Gott Abrahams und Isaaks und Jakobs, sie sind nicht wertlos, sie lassen ihn überhaupt erst weiterfragen. Aber sie genügen ihm nicht. Er will es genauer wissen. Wer bist du für mich und für meine Generation? So können wir vielleicht die Frage nach dem Namen verstehen. Bist du nur der Gott der Väter oder auch mein und unser Gott?
Und die Antwort, die Mose erhält, sie ist Rätsel und Lösung zugleich. „Ich bin, der ich sein werde. Ich-bin-da ist mein Name.“ Aber mit dieser Antwort kann Mose weitergehen. Dieser Name ist eine Verheissung, ein Versprechen. Und er zeigt auch: jede Generation, jeder Mensch muss seine eigenen Erfahrungen mit Gott machen. Die Erfahrungen der Väter und Mütter im Glauben, das Wort der Schrift, all das kann uns auf die Spur bringen, die Fragen wecken, uns in Frage stellen, aber glauben können wir nur selber, nur das Vertrauen, das Gott uns ins Herz gelegt hat, hilft uns wirklich. Die Klarheit über das, was unsere Aufgabe ist, die Begegnung mit unserem Gott, das Vertrauen, dass er mit uns geht, wohin wir auch gehen – all das kann nur bei uns selber wachsen. Da gibt es keine allgemeingültigen Antworten. Das kann uns niemand abnehmen. Aber ich bin überzeugt: helfen und ermutigen können wir uns dabei. Ohne Gemeinschaft können wir nicht leben. Aber nur wenn wir aus der Gemeinschaft heraustreten, werden wir unseren eigenen Weg finden – um dann wieder zurückzukehren und unseren Beitrag zu leisten für das Leben, das wir miteinander teilen.
Mose ist ein Fragender und ich wünsche mir, dass er auch uns zum Fragen verführt. Kein Ort, kein Ereignis in unserem Leben ist zu belanglos um nicht ein ernsthaftes Suchen und Fragen auslösen zu können. Es kommt darauf an, dass wir uns berühren lassen, offen bleiben und nicht immer alles schon vorher wissen. Der Gott aber, der uns fragen lässt, der hat einen Namen: „Ich bin da. Ich gehe mit dir. Auch auf Umwegen und Irrwegen. Auch wenn du nicht weiter weißt. Auch wenn du glücklich bist und alles wie am Schnürchen läuft, auch wenn scheinbar gar nichts mehr geht. Ich bin da. Ich lasse dich nicht im Stich.“ Amen.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen