Samstag, 14. August 2010

Predigt vom 15. August 2010 zu 1. Mose 28,10-19

Liebe Mitchristen!
Jakob schläft. Jakob schläft nicht den Schlaf des Gerechten, der nach getaner Arbeit, nach vollbrachtem Tagewerk in sein Bett sinkt, um sich von den Mühen des Tages zu erholen. Denn er hat keine Schlafstätte mehr, kein zuhause, wo er sein Haupt niederlegen könnte. Er ist ein Mensch auf der Flucht, einer, dem sein Bruder nach dem Leben trachtet.
Jakob schläft, weil er völlig erschöpft ist und einfach nicht mehr kann. Beim Morgengrauen ist er in aller Eile aufgebrochen. Den ganzen Tag ist er buchstäblich um sein Leben gelaufen und mit jeder Stunde, mit jeder Minute entfernte er sich weiter von dem Ort, der ihm gerade noch Heimat war, von der Geborgenheit an der Seite der Mutter. Sein Vater Isaak ist tot, Esau, sein Bruder, sein erbittertster Feind, weil er ihn betrogen hat, betrogen um sein Erbe, betrogen um den väterlichen Segen. Ein Gehetzter, ein Flüchtling ist er nun, der noch dazu weiss, dass er mitschuldig ist an seinem unglücklichen Schicksal.
Jakob schläft unter freiem Himmel. Verstört durch den mörderischen Konflikt mit seinem Bruder hat er nicht einmal bemerkt, wie die Nacht hereingebrochen ist. Er hat völlig vergessen sich eine Bleibe zu suchen und muss sich nun im Schutze eines Steines draussen niederlegen. Und er denkt wohl an zuhause, an den Ort den er verlassen hat, die Heimat, die er verloren hat. Er denkt an seinen Vater, den er wohl mehr respektiert als geliebt hat. Denn stets hatte sein Vater ihm den älteren Bruder vorgezogen, den Jäger und Ackerbauern. Er denkt an seinen Vater und seinen Bruder, die er betrogen und hintergangen hat. Und er denkt an Rebekka seine Mutter, die ihn stets behütet und beschützt hat wie ihren Augapfel, der er in der Küche zur Hand gegangen war und bei der er so vieles gelernt hat. Seine Mutter Rebekka war es aber auch, die ihn stets darauf getrimmt hat, hoch hinauf zu kommen, immer der Erste und Beste zu sein. Und sie hat ihn auch zu dem Betrug angestiftet, der ihn nun zum Flüchtling gemacht hat und hat ihm geholfen, den Betrug auszuführen. Nun liegt er, der so hoch hinaus wollte, erschöpft und niedergeschlagen am Boden.
Jakob schläft und im Schlaf überfällt ihn ein Traum. Und es ist kein Alptraum, der ihm den Schlaf raubt. Nein, im Traum öffnet sich ihm der Himmel und dieser Niemandsort im Lande Nirgendwo wird ihm zum heiligen Boden, zum Ort der Gegenwart Gottes. Im Traum steht ihm der Himmel offen und eine Leiter verbindet diesen Niemandsort mit dem offenen Himmel. Kein Weg nach oben ist diese Leiter. Jakob muss ihre Stufen nicht mühsam erklimmen. Er, der immer hoch hinaus wollte, erfährt in diesem Traum, dass sein Ort unten am Boden ist. Die Leiter ist von oben her auf die Erde gerichtet und Engel steigen daran auf und nieder. Nicht er muss den Weg in den Himmel gehen, sondern bekommt gewissermassen Besuch von oben.
Und im Traum steht Gott vor ihm und redet mit ihm: "Ich bin der Herr, der Gott deines Vaters Abraham und Isaaks Gott. Siehe, ich bin mit dir und will dich behüten, wo du hinziehst, und will dich wieder herbringen in dies Land. Denn ich will dich nicht verlassen, bis ich alles tue, was ich dir zugesagt habe."
Später hat man sich in Israel diese Geschichte von Generation zu Generation weitererzählt. Land und Nachkommenschaft, so erzählte man sich, habe Gott, dem Jakob verheissen. Aber entscheidend ist nicht der Inhalt der Verheissung, sondern dass hier die Geschichte einer grossen Überraschung erzählt wird. Entscheidend ist, dass Jakob, der am Boden liegt, ein gehetzter Flüchtling, im Traum die Gewissheit erhält, dass Gott bei ihm ist und in auf seinem Weg in eine ungewisse Zukunft mit seinem Segen begleitet.
Jakob erwacht. Und im Erwachen lässt er den Traum nicht einfach hinter sich. Er nimmt die Botschaft dieses Traumes mit auf den Weg, die Botschaft, dass Gott auf seinem Weg mitgeht und ihn nicht allein lässt. Bevor er weitergeht, errichtet er einen Gedenkstein. Nicht er hat einen heiligen Ort aufgesucht, sondern der Ort, an dem er erschöpft zusammengebrochen ist, dieser ganz profane Niemandsort ist ihm zu einem heiligen Ort geworden, weil er hier die Nähe, die Gegenwart Gottes erfahren hat. Der Segen, den Jakob glaubte, sich erlisten zu müssen - hier überkommt er ihn. Er, der so hoch hinaus wollte, der sich seinen Turm bauen wollte, er erfährt, dass die Himmelsleiter den Turmbau überflüssig macht und Gottes Segen ihn da erreicht, wo er es nicht erwartet - umsonst und ohne sein Zutun. Er, der nur sich selbst sah und gar wollte, dass auch Gott ihn mehr im Blick hat als irgend jemand sonst, erlebt nun, wie sein Gott sein Angesicht auf ihn richtet und "via Himmelsleiter" mit ihm redet und ihm seinen Segen und Beistand zusagt.
Mit dieser Zusage, mit dem Segen seines Gottes geht Jakob seinen Weg weiter, seinen Weg in eine unsichere und ungewisse Zukunft. Viele Jahre später wird er zurückkehren als betrogener Betrüger, dem sein Onkel Laban zuerst die falsche Frau unterjubelte und ihn dann noch um seinen Besitz bringen wollte. Er kehrt zurück mit seinen Frauen und seinen Herden, voll Sorge wegen der bevorstehenden Begegnung mit dem Bruder, den er einst betrogen hatte. Doch die Begegnung wird zur Versöhnung und so kann Jakob in seine Heimat zurückkehren. Und auf dem Heimweg sucht er wieder den Ort auf, an dem ihm einst auf der Flucht vor seinem Bruder Esau Gott erschienen war, dieser Ort, an dem er Segen erfahren hatte und der ihm zeitlebens eine Quelle der Kraft und der Gewissheit wurde.
Wo gehen wir Jakobswege? Wo machen wir Jakobserfahrungen? Errichten auch wir Denkmäler unserer Glaubens- und Segenserfahrungen? Viele sind gehetzt und gestresst von dem Zwang etwas aus sich zu machen, etwas zu erreichen, sich ein Image aufzubauen oder zu erhalten. Wie hilfreich wären da Denkmäler für jeden Ort, an dem wir zur Ruhe kommen, uns selber sein können und geliebt werden, so wie wir sind. Zu wissen, dass es solche Orte gibt, mitten in unserem Alltag, ist ungeheuer hilfreich und wichtig. Sie nicht zu übersehen und nicht zu vergessen, kann den Druck von uns nehmen, selber einen Turm in den Himmel bauen zu wollen. Manche leiden unter Schuld, die sie belastet. Ein Denkmal für erfahrene Vergebung, die Zusage, dass Gott Schuld vergibt, heilt und entlastet. Ein Denkmal für jede hilfreiche und zärtliche Hand, die sich Bedrückten und Verfolgten liebevoll entgegenstreckt. All diese Denkmäler in unserem Leben sind Quellen der Kraft und der Nähe Gottes, die uns helfen können auf den ungewissen Wegen, die wir gehen.
Der Traum von der Himmelsleiter führt uns die überraschende und heilsame Gegenwart Gottes vor Augen. Jeder Ort, auch der profanste und alltäglichste, kann uns zu einem Ort werden, an dem der Himmel über uns offen steht. Die Himmelsleiter ist ein Bild göttlichen Segens und ein Gegenbild zu den heillosen Türmen, die wir allzuoft in den Himmel bauen wollen.
Jakob schläft. Jakob träumt. Jakob erwacht. Jakob geht seinen Weg - mit Gottes Segen. Amen.

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