Sonntag, 12. Juni 2011

Predigt am Pfingstsonntag 12. Juni 2011 über Apostelgeschichte 2,1-18

Liebe Pfingstgemeinde,

es ist ein Wunder. Da zieht ein Wanderprediger durch Galiläa und erzählt den Menschen vom lieben Gott. Die meisten nehmen wohl kaum Notiz von ihm. Einige schreiben ihm zwar Wundertaten zu. Auf jeden Fall spürt mancher, dass dieser Jesus von Nazareth etwas Besonderes ist, dass eine besondere Kraft und Ausstrahlung von ihm ausgeht.

Die wachsende Zahl seiner Anhängerinnen und Anhänger macht die Behörden unruhig - nicht im fernen Rom, dort hat man von den Ereignissen nichts vernommen - nur draussen in der Provinz Palästina am Rande der römischen Welt. Bevor er noch mehr Unruhe stiften kann, schlägt man Jesus ans Kreuz - wie so viele vor und nach ihm.

Und die Rechnung geht zunächst einmal auf. Ob sich die Freunde Jesu - wie es in der Apostelgeschichte heisst - in ein Obergemach in Jerusalem zurückgezogen haben oder zu ihren Familien und Berufen zurückkehrten, wissen wir nicht. Aber ihre Trauer und Mutlosigkeit können wir erahnen. Trotzdem liess sie die Erfahrung des gemeinsamen Weges mit Jesus von Nazareth nicht los. Sie glaubten, dass er nicht im Tod geblieben ist. sie hielten fest an seiner Botschaft und an der Gemeinschaft untereinander. Und sie fingen an, anderen davon zu erzählen, andere davon zu begeistern.

Etwa 40 Jahre später ist aus dem mutlosen und traurigen Freundeskreis eines Wanderpredigers, den sie gekreuzigt haben, eine Gemeinschaft geworden, die sich bis nach Rom und Kleinasien ausgebreitet hat. Es sind noch immer klein Gemeinden, die sich in Privathäusern treffen. Aber sie sind erfüllt von einer besonderen Kraft und sie sind spürbar anders als ihre Umwelt.

Es ist ein Wunder, dass aus der verstreuten und entmutigten Jüngerschar eine Gemeinschaft werden konnte, die sich vor allem in den Städten der damaligen Welt ausbreiten konnte und soziale Grenzen sprengte. Und in Klammern: es ist ein Wunder, dass diese Gemeinschaft - trotz allen Fehlern und menschlichen Unzulänglichkeiten - auch heute 2000 Jahre später noch existiert und in vielen Weltgegenden weiter ausbreitet.

Dieses Wunder hat einen jungen Mann - wir nennen ihn Lukas - veranlasst, die Geschichte dieses Jesus von nazareth und die Anfänge der christlichen Gemeinde zu erzählen. Und er hat diese Wunder, dass aus der mutlosen Jüngerschar Kirche werden konnte, verdichtet in der Pfingstlegende. Die Pfingstlegende erzählt nicht als Augenzeugenbericht von einem erstaunlichen öffentlichen Event in jerusalem gut 50 Tage nach der Kreuzigung Jesu. Sie erzählt in symbolischer Bildkraft von dem Wunder, dass die christlichen Anfänge ausmacht und will diesen Geist und diese Kraft des Anfangs wachhalten und neu entfachen. Die Kraft, die dieses Wunder bewirkt, ist für Lukas die Kraft des heiligen Geistes. In der Pfingstlegende wird uns erzählt, dass die Verheissung „ihr werdet die Kraft des heiligen Geistes empfangen“, zur inneren Gewissheit wurde: „Wir haben die Kraft des heiligen Geistes empfangen.“

Diesem Geist von Pfingsten und was er bedeutet, möchte ich in einigen Andeutungen nachgehen. Und ich schicke eine Art Warnhinweis voraus: Der Pfingstgeist, der heilige Geist ist ein Geist des Wandels. Wer möchte, dass immer alles beim Alten bleibt, sollte sich besser nicht auf diesen Geist einlassen.

1. Der Pfingstgeist ist zuerst einmal der Geist des freien Wortes. Eine Gruppe von Begeisterten ergreift das Wort – ohne jegliches Amt und jegliche Autorität. Es ist ein Hauch von Speaker’s Corner in dieser Pfingstgeschichte. „Wem das Herz voll ist, dem geht der Mund über.“ (Mt 12,34). Pfingsten ist für mich ein urdemokratisches Fest. Und Kirche muss eine Gemeinschaft von Menschen sein, in der jede und jeder Gehör findet - egal ob mit Amt und Autorität oder nicht, ob mehr oder weniger intelektuell, ob er nun die übliche Kirchensprache beherrscht oder scheinbar völlig unfromm redet, auch die mit den ketzerischen und vermeintlich abwegigen Ideen und Gedanken. Der Pfingstgeist hält sich nicht an unsere Vorgaben, was sich hier bei uns gehört.

2. Pfingsten ist ein Fest der Verständigung. Es ist das biblische Gegenbild zum Turmbau zu Babel. Während dort die Menschen einen gigantischen Turm bis zum Himmel bauen wollen und darüber die Fähigkeit verlieren, sich zu verständigen, sprechen sie in der Pfingstgeschichte die Sprache des Herzens und finden so zur Verständigung. Einen Turm bis in den Himmel kann man nur bauen, wenn man das Ziel nie aus den Augen verliert und alles nach Befehl und Gehorsam funktioniert. Dann aber bleiben die Menschen auf der Strecke. Sie gehorchen vielleicht, aber sie verstehen einander nicht mehr. In der Pfingstlegende steht ein Reden im Zentrum, das von Herzen kommt und Menschen in ihren Herzen erreicht. Da sind die Erfahrungen und Träume der Alten ebenso wichtig wie die Träume und Ideen der Jungen. Da wird nicht unbeirrbar ein Ziel verfolgt, sondern nach Verständigung und Verständlichkeit gesucht. Damit lassen sich zwar keine gigantischen Türme bauen, aber ein menschliches und erfülltes Zusammenleben.

3. Pfingsten ist ein Fest der Gemeinschaft. Darum ist es eben auch der Geburtstag der Kirche. Der Pfingstgeist lässt nicht jeden in der Vereinzelung seiner Begeisterung zurück, sondern verbindet Menschen über Grenzen der Sprache, der Politik, des Geschlechts, der sozialen Gruppen und der Generationen hinweg.

4. Der Pfingstgeist ist der Geist der Freiheit. Er weht, wo er will. Keine Institution, keine Gruppierung, keine Religion kann einfach darüber verfügen. Darum kann eine Religion oder Kirche nur dann sich auf diesen Geist berufen, wenn sie Freiheit ermöglicht, die Freiheit des Wortes, der Gedanken, des persönlichen Glaubens.

5. Das hebräische Wort für den Geist ist Ruach. Es ist weiblich und bedeutet auch Wind und Atem. Mit seinem Atemhauch belebt Gott in der biblischen Schöpfungsgeschichte die Menschen. Mit jedem Atemzug bin ich als mit dem göttlichen Geist und mit allen Lebewesen verbunden.

6. Darum ist der Pfingstgeist auch der Geist der Meditation, des bewussten Atmens, der Achtsamkeit, der Präsenz im Hier und Jetzt.

7. Der Pfingstgeist ist aber auch ein kritischer Geist. Begeisterung allein kann auch ein Strohfeuer sein, kann blind machen und uns um den Verstand bringen. Drum ist es wichtig, das, was uns begeistert und erfüllt, auch der kritischen Prüfung zu unterziehen und am Massstab der Liebe und der Gemeinschaft zu messen.

8. Der Pfingstgeist ist auch ein Geist des Friedens. „Unruhig ist unser Herz, bis es Ruhe findet in dir“ heisst es bei Augustin.

9. Und er ist zugleich der Geist des Wandels. Wer möchte, dass immer alles beim Alten bleibt, sollte sich besser nicht auf diesen Geist einlassen. Gerade unsere reformierte Kirche beruft sich ja darauf, eine ständig sich erneuernde Kirche zu sein, eine Kirche, der der Wandel als Wesensmerkmal eingeschrieben ist. Aber wie oft hängen wir in Wirklichkeit daran, dass alles beim Alten bleiben möge und haben mehr Angst vor Veränderungen und Aufbrüchen innerhalb und ausserhalb unserer Kirchenmauern. Dabei brauchen wir die Querdenker, die Kreativen, die Veränderungswilligen. Nicht dass Veränderung und Erneuerung prinzipiell gut wären. Aber wir brauchen keine Angst davor zu haben.

10. Der Geist weht, wo er will. Er hält sich nicht an Grenzen der Religion oder Konfession. Aber ich glaube, dass es zwei Dinge gibt, woran man ihn/sie erkennen kann: Der Geist lässt Menschen aufatmen und zwingt und knechtet nicht und er befähigt zu Liebe und Toleranz.

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