Samstag, 13. August 2011

Predigt zu 5. Mose 7,6-12 am 14. August 2011

Liebe Gemeinde,
erwählt, heiliges Volk – beim ersten Hören oder Lesen des heutigen Predigttextes können uns vielleicht die zentralen Begriffe unseres Predigttextes fremd und rätselhaft vorkommen. Wer von uns würde sich schon als auserwählt oder heilig bezeichnen? Ziemlich eingebildet und überheblich käme uns eine solche Aussage wohl vor.
Und doch – mag sein, dass der Erwählungsgedanke, der in unserem Predigttext eine so wichtige Rolle spielt, für unser modernes Existenzgefühl wichtiger ist als wir meist denken. Da ist z.B. die moderne Berufswelt, in der Herkunft, Ausbildungsabschlüsse längst nicht mehr die Rolle spielen wie früher und in der die meisten immer wieder in die Situation kommen, sich zu bewerben. Die Bewerbungssituation gehört heute zum alltäglichen Existenzkampf der meisten Menschen von der Lehrstellensuche bis zur Pensionierung. Dabei geht es schlicht und einfach immer wieder darum ausgewählt, genommen zu werden, indem man sich von der grauen Masse der Vielen abhebt. Und manch einer kann ein Lied davon singen, wie sehr das Selbstwertgefühl von solchen Entscheidungen beeinflusst werden kann, wie sehr die Erfahrung, nicht gewählt, nicht genommen zu werden, an einem Menschen nagen kann.
Ich denke auf einer ganz anderen Ebene auf die Vielzahl von Werbesendungen, die uns mitteilen, das wir zu den ganz wenigen Auserwählten gehören, die an einer Lotterie die Chance auf einen Hauptgewinn haben oder für eine Reise oder Kaffeefahrt ausgewählt worden sind. Sie unterstellen, dass Menschen auf diese angebotene „Erwählung“ ansprechbar sind und das Bedürfnis nach Erwählung wird benutzt, um Menschen etwas zu verkaufen.
Oder denken sie an die unzähligen und oft auch unmöglichen Talkshows im Fernsehen. Wie viele melden sich dafür – wohl nicht zuletzt aus dem Bedürfnis, einmal etwas Besonderes zu sein. Oder die ganzen Sendungen à la Superstar oder Big Brother – sie alle sprechen das Bedürfnis an, etwas Besonderes zu sein, Anerkennung zu bekommen.
Auch in der Liebe geht es darum gewählt, auserwählt zu werden. Bei ihm, bei ihr zu landen oder anzukommen, wie es bei Jugendlichen manchmal ziemlich salopp heisst. Und je instabiler Partnerschaften heute werden, desto mehr spielt dieses Ringen um Anerkennung, um Wertschätzung eine bleibende Rolle, bestimmt es die eigene Identität und ist entscheidend für den Bestand der Beziehung. „Abwerten und Wertschätzen“ heisst das Buch eines erfahrenen Eheberaters und dieser Titel bringt ziemlich gut auf den Punkt, worin das gefährlichste Gift und das beste Heilmittel für eine Beziehung zu finden sind.
Das soll ganz gewiss nicht heissen, dass früher alles besser war. Ich weiss, wie oft gerade Frauen früher ohne Anerkennung und Wertschätzung leben mussten, unter den kritischen Augen der Schwiegereltern oder von Tanten, wenig bis gar nicht unterstützt vom Ehemann oder wie oft ihre Arbeit für den Mann einfach selbstverständlich war oder sogar nie gut genug. Zu idealisieren gibt es da kaum etwas. Ebenso in der Berufswelt, wo früher vielen begabten Kindern aus einfachen Verhältnissen keine Möglichkeit gegeben wurde, ihre Begabungen zu entfalten. Worauf es mir ankommt ist aber, dass in uns Menschen das Bedürfnis, die Sehnsucht nach Anerkennung und Wertschätzung tief verwurzelt ist und dass ich glaube, dass sie heute eine grössere Rolle spielt als je zuvor, weil wir weniger eingebunden sind in Herkunft und Tradition, weil unsere Identität viel weniger vorgegeben ist und wir sie uns immer wieder neu erarbeiten müssen.
Wer bin ich? Wo ist mein Platz? Was bin ich wert? Anerkennung und Ablehnung, die wir erfahren, Wertschätzung und Abwertung spielen eine entscheidende Rolle, wie wir all diese Fragen für uns beantworten. Jeder von uns möchte in seiner je eigenen individuellen Eigenart und Besonderheit wahrgenommen und gewürdigt werden. Niemand möchte einfach eine Nummer sein – und das zu Recht! Das macht uns so empfindsam für die Erfahrung nicht gewählt zu werden, für die Abwertung, die wir durch andere erfahren. Und das führt bei vielen dazu, dass sie das Leben als einen einzigen Existenzkampf ansehen, bei dem es gilt, sich zu behaupten, sich Anerkennung und Respekt zu verdienen und sich gegen andere durchzusetzen.
Und genau an dieser Stelle möchte ich auf unseren Predigttext zurückkommen.
6 Denn du bist ein heiliges Volk dem HERRN, deinem Gott. Dich hat der HERR, dein Gott, erwählt zum Volk des Eigentums aus allen Völkern, die auf Erden sind.“ heisst es da. und weiter: „7 Nicht hat euch der HERR angenommen und euch erwählt, weil ihr größer wäret als alle Völker - denn du bist das kleinste unter allen Völkern -,
8 sondern weil er euch geliebt hat.“
Was Gott seinem Volk zuspricht, was Gott jedem einzelnen von uns zuspricht, das ist Erwählung, Anerkennung, Wertschätzung, die wir uns nicht erkämpfen und verdienen müssen, das ist Liebe, die wir uns nicht erworben haben, sondern die uns geschenkt wird. Gott sagt. „Du bist wertvoll. Du bist etwas Besonderes. Dich kenne ich mit Namen. Bei mir bist du nicht nur eine Nummer. Und ich schreibe dich auch niemals ab.“ Das gibt Luft zum Atmen. Das macht Mut zum Sein. Das gibt Selbstvertrauen. Es ist diese Grundbotschaft der Bibel, die für mich zum Zentrum meines Glaubens geworden ist und die ich gerne weitersage, weil ich denke, dass gerade in unserer Zeit diese Botschaft heilsam und lebenswichtig ist. Verliere dich nicht im ständigen Kampf um Anerkennung. Du bist längst schon anerkannt bei Gott. Lass dich nicht durch jede Abwertung und Ablehnung in den Grundfesten deiner Identität erschüttern. Da ist einer, der dich liebt, so wie du bist und der dich kennt. Du musst nicht krampfhaft auf dich aufmerksam machen, dir und anderen etwas beweisen. Da ist einer, der dich ansieht und dir Ansehen schenkt. Man mag die Worte etwas gar süsslich finden, aber der Schluss der 3. Strophe des volkstümlichen Liedes „Weißt du, wieviel Sternlein stehen“ bringt diese biblische Grundaussage auf den Punkt: „... kennt auch dich und hat dich lieb, kennt auch dich und hat dich lieb“. So ist es, davon leben wir. Dafür brauchen wir nichts tun.
Wir sind erwählt, wir sind anerkannt, wir sind wert geachtet in Gottes Augen. Es sind grossartige Aussagen und ich möchte ihnen unbedingt ans Herz legen, diese Sätze für sich nachzusprechen, sich zusagen zu lassen. Aber ich möchte nicht verschweigen, dass mit ihnen auch eine Gefahr verbunden ist, die gerade im 5. Buch Mose auf furchtbare Weise zutage tritt. Israel ist auserwählt, das verheissene Land liegt vor Augen. Doch nun heisst es, Gottes Wille sei es, die Bewohner des Landes, die vermeintlichen Feinde Gottes auszurotten. Man weiss heute, dass die Eroberung des Landes viel weniger gewalttätig erfolgt ist, als sie uns in der Bibel geschildert wird. Dennoch ist es gut, wenn wir bei solchen Gedanken erschrecken. Nein, der Gott, der uns kennt und liebt, der Gott, der uns einlädt unsere Feinde zu lieben und Gutes mit Bösem zu überwinden, der will gewiss nicht die Ausrottung seiner vermeintlichen Feinde, zumal unser Urteil, wer nun die Feinde Gottes sind, höchst vorläufig ist. Vielmehr entspricht es der Grundrichtung unseres Glaubens, wenn wir auch den Menschen, die unseren Glauben nicht teilen, deren Lebensstil dem unseren nicht entspricht, mit Respekt und Wertschätzung begegnen.
Wir können und müssen uns Gottes Wertschätzung nicht verdienen. Als Menschen, die von Gott wert geschätzt sind, können wir uns aber bemühen, nach seinem Willen zu handeln. Und ich denke, dass das im Kern bedeutet: anderen mit Wertschätzung zu begegnen, diese Wertschätzung auch zu zeigen.
Was würde sich wohl verändern, wenn wir im Alltag nicht so sehr auf die Fehler und Schwächen unserer Mitmenschen achten würden, sondern auf ihre Stärken und Begabungen. Was würde geschehen, wenn wir uns etwas öfter die Mühe machten, jemandem zu sagen, was wir an ihm schätzen. Wieviel könnte gelegentlich ein einfaches Merci oder „Das ist eine gute Idee“ oder „schön das du bei uns bist“ bewirken. Wie oft wäre es auch möglich zuerst zu würdigen, was gut ist, bevor wir kritisieren, was noch besser sein könnte. Wir können einander ermutigen und wir können einander entmutigen. Und manchmal ist es die schlimmste Entmutigung, dass wir einander gar nicht mehr richtig wahrnehmen oder es einander nicht zeigen. Darum: auf jedem von uns ruht Gottes wohlwollender Blick, jedem von uns gilt Gottes Anerkennung und Wertschätzung. Geben wir sie weiter. Blicken wir einander wohlwollend an und sagen einander, was wir schätzen – ohne Heuchelei, aber auch ohne falsche Sparsamkeit. Amen.

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