Donnerstag, 17. Mai 2012

Predigt zum Auffahrtstag am 17. Mai 2012 (ökumenischer Gottesdienst)

Die Predigt habe ich gemeinsam mit Pastoralassistent Udo Schaufelberger verfasst und anlässlich des ökumenischen Gottesdienstes zum Auftakt der Auffahrtswanderung der bernischen Landeskirchen und der Berner Wanderwege gehalten. B.B.: Liebe Gemeinde, nachher werden viele von ihnen diesen Tag nützen, um in unserer wunderbaren Hügellandschaft zu wandern - bergauf und bergab - und hoffentlich diesen Tag geniessen und viele bereichernde Eindrücke mitnehmen können. Auch in der Predigt möchten wir sie auf eine Wanderung einladen, sozusagen auf eine „geistliche Bergwanderung“. Sie beginnt auf dem Ölberg, mit der biblischen Geschichte, die dem heutigen Auffahrtstag seinen Namen gegeben hat. 40 Tage sind seit dem Ostermorgen vergangen. Im NT sind diese 40 Tage eine Zeit der besonderen Gegenwart Jesu. In dieser Zeit wurden die Jüngerinnen und Jünger Jesu in der Gewissheit bestärkt, dass Jesus, der Gekreuzigte nicht im Tode geblieben ist. Es ist eine Zeit der Reifung und der Stärkung, die Zeit, die es braucht, damit die neue Hoffnung, das neue Vertrauen bei den Jüngerinnen und Jüngern Wurzel schlagen kann. Ermutigt und bestärkt, erfüllt von dem Vertrauen, dass Jesus auferstanden und nicht alles zuende ist, können sie nun Abschied nehmen. Dieser Abschied ist geprägt von Zuversicht, ist auch eine Art Mündigerklärung der Jüngerinnen und Jünger. Am Ende der Geschichte gibt es eine beeindruckende Szene: wie gebannt blicken die Jüngerinnen und Jünger in den Himmel hinauf, der Wolke hinterher, die den Auferstandenen ihren Blicken entzogen hat. Da tauchen zwei Männer in weissen Kleidern auf - wer würde hier nicht an die Geschichte vom leeren Grab denken! Und so wie sie am Ende des Lukasevangeliums fragen „Was sucht ihr den Lebenden bei den Toten?“ so fragen sie nun „Was steht ihr da und schaut hinauf zum Himmel?“ Sie verweisen die Jüngerinnen und Jünger auf die Erde. Das ist der Ort, wo sie ihr Leben gestalten sollen, wo sie Verantwortung tragen und die Liebe, die sie erfahren haben, weitertragen sollen. Wer den christlichen Glauben mit einer frommen Weltflucht verwechselt, der hat diese Frage überhört. Indem der Auferstandene die Jüngerinnen und Jünger verlässt, gibt er ihnen Freiheit und eröffnet ihnen und uns einen Raum, den wir wahrnehmen und in dem wir Verantwortung tragen können, Verantwortung für unser Leben, Verantwortung für die Menschen, die Gott uns anvertraut hat und für seine ganze Schöpfung, Verantwortung auch für die Botschaft vom Reich Gottes, die Jesus verkündet hat. Der Auferstandene geht. Aber er lässt sie nicht allein zurück. „Ihr werdet aber Kraft empfangen, wenn der heilige Geist über euch kommt, und ihr werdet meine Zeugen sein.“ Welchen Weg der Auferstandene uns als seinen Zeuginnen und Zeugen zeigt, danach fragen wir, indem wir nun die Szene von der Auffahrt Jesu auf dem Ölberg verlassen und auf einen zweiten Berg steigen, der schon vorher in der Bibel, im Matthäusevangelium beschrieben ist, den Berg der Versuchung. U.S.: Welches Bild von Jesus ist uns eigentlich am liebsten? Jesus als Wanderprediger in der Hügellandschaft von Galiläa? Oder macht uns das zu wenig her? Ist uns doch das Bild von Christus lieber, der als Weltenherrscher strahlend und souverän auf einem himmlischen Thron ruht? Wie sich Jesus selber verstanden hat, darüber erfahren wir etwas Wichtiges auf dem zweiten Berg unserer geistlichen Bergwanderung, dem Berg der Versuchung. Auf diesen ‚sehr hohen Berg‘ hinauf hat der Teufel Jesus geführt, weil er ihm alle Königreiche der Welt in ihrer Pracht zeigen will: „Dies alles werde ich dir geben, wenn du dich niederwirfst und mich anbetest“ (Mt 4, 9), so lautet das verführerische Angebot. Doch Jesus sagt ab. Er widersteht der Versuchung zur Macht, und das nicht nur, weil ihm der teuflisch hohe Preis nicht behagt, sondern weil das nicht der Weg ist, den Jesus seinen Jüngerinnen und Jüngern weisen will. Jesus will mit den Seinen selber unterwegs sein, will für sie erfahrbar sein und berührbar. Denn nur in einer solchen Weggemeinschaft können sich die Anderen an ihm orientieren, können sie mit der Zeit selbst Verantwortung übernehmen, um dann wiederum anderen Menschen voranzugehen. Dies aber ist auch die Voraussetzung dafür, dass die Jüngerinnen und Jünger nach Ostern eigenständig einstehen können für ihre neu gewonnene Glaubensüberzeugung, für dieses neue Bewusstsein von Gott, das sich im Evangelium zeigt. Jesus gibt uns einen wichtigen Wegweiser, in dem er selbst den Weg mit uns geht. Und diese Erfahrung trägt auch noch nach Ostern, nach Auffahrt und Pfingsten und lässt die kirchliche Weggemeinschaft nun seit fast 2000 Jahren unterwegs sein. Wir dürfen gespannt sein, was uns Jesus noch alles mitgeben wird für unsere geistliche Wanderschaft, die uns auf einen weiteren Berg, den Berg der Seligpreisungen führt. B.B.: Es tönt auf jeden Fall gut, was wir dort zuerst zu hören bekommen: “Glücklich seid ihr …” Ein glücklicher Mensch sein - wer möchte das nicht! Aber was ist ein glücklicher Mensch? Die Aufzählung in den Seligpreisungen entspricht vermutlich nicht ganz unserem Bild glücklicher Menschen: die Armen im Geiste, die Leidtragenden, die Sanftmütigen, die Barmherzigen, die reinen Herzens sind, die Friedensstifter. Glücklich nennt Jesus sie, weil sie auf Gott vertrauen und weil ihr Vertrauen nicht enttäuscht werden wird. Glücklich nennt er sie, weil sie ihre Berufung, ihre Aufgabe gefunden haben und weil sie mit anderen gemeinsam unterwegs sind. Und sie sind glücklich, weil sie die Sehnsucht nach einem Leben in Gemeinschaft und in Gerechtigkeit wachhalten. Gegen Ende dieser Bergpredigt gibt Jesus uns die entscheidende Richtschnur für unser Handeln auf diesem Weg: “Wie immer ihr wollt, dass die Leute mit euch umgehen, so geht auch mit ihnen um!” Er macht nicht eine Vielzahl von Vorschriften, stellt keine Regeln auf, sondern macht Mut, selber zu denken und vor allem auf sein Herz zu hören, sich mit anderen zu verbinden und darauf zu achten, was sie nötig haben. Nicht Gehorsam, sondern Mitgefühl und Achtsamkeit kennzeichnen den Weg, den Jesus uns zeigt. Er traut uns zu, selber herauszufinden, was die anderen nötig haben und eigenständig, phantasievoll und kreativ das zu tun, was nötig ist. Und er traut uns auch zu, dass wir einander ermutigen und ermächtigen, unseren Weg eigenständig zu gehen und achtsam zu bleiben füreinander. Augustin hat einmal gesagt: “Liebe - und tu was du willst.” Ist das nicht ein wunderbarer Gedanke? Tu, was du wirklich von Herzen willst, wenn du liebst. Wenn wir in diesem Geist der Bergpredigt Jesu unterwegs sind, dann können wir einander zu wirklichen Lehrerinnen und Lehrern werden, die einander ermächtigen statt andere nur zu belehren. Denn das ist der Auftrag, den Jesus seinen Jüngerinnen und Jüngern auf dem letzten Berg unserer Wanderung gibt. “Geht nun hin und macht alle Völker zu Jüngern: Tauft sie auf den Namen des Vaters und des Sohnes und des heiligen Geistes, und lehrt sie alles halten, was ich euch geboten habe. Und seid gewiss: Ich bin bei euch alle Tage bis an der Welt Ende.” U.S.: Auch diese letzte Szene des Matthäusevangeliums spielt also auf einem Berg. Jesus hat die Frauen und Männer seiner Gemeinschaft an diesen Ort in Galiläa geschickt, an dem er ihnen das letzte Mal erscheinen will. Und das ist nicht verwunderlich: denn schon in vielen älteren Schriften der Bibel, z.B. in den Büchern Mose oder bei Jesaja ist der Berg der Ort der besonderen Gottesoffenbarung. Und viele Berggängerinnen und Berggänger teilen diese Erfahrung bis heute. Auch wenn sie nicht immer mit derlei klaren Worten nach Hause kommen, wie Jesus sie seinen Jüngerinnen und Jüngern auf diesem Berg mitgeben hat: „Geht nun, macht alle Völker zu Jüngern, tauft sie und lehrt sie alles, was ich euch geboten habe“. Alle Völker zu Jüngern machen? Am Ende zu Mitgliedern der reformierten, römisch-katholischen, christkatholischen und all der anderen Kirchen? Dass dieser Auftrag bei vielen nicht gerade auf Gegenliebe trifft, scheint offensichtlich. Aber geht es wirklich darum? Jünger sind zuallererst Menschen, die bereit sind zu lernen in der Schule des Lebens, die bereit sind, sich führen zu lassen auf diesem Weg des Lernens. Und auf diesem Weg der Erkenntnis brauchen wir genau die Orientierungshilfe, die uns Jesus so kraftvoll anbietet. Jesus ist aber nicht einer, dem wir einfach blindlings nachlaufen sollen. Vielmehr sagt er mir: Habe den Mut, zu der Überzeugung zu stehen, die Dich bewegt und gehe nicht hinter sie zurück. Stell Dich der Aufgabe, Deine Glaubenseinsicht eigenständig zu vertreten, so wie ich es Dir vorgemacht habe. Zeige das eigene Profil Deiner Glaubensüberzeugung, denn Du brauchst nicht kreuz und quer Deinen Weg zu gehen. Es geht also um solche Weggemeinschaft, die aus Schülerinnen und Schülern Lehrer und Lehrerinnen macht, zu eigenständigen Menschen, die im Geist von Jesus handeln. Und mit diesem lebensbejahenden Geist sollen wir die ganze Welt anstecken, sollen wir sie eintauchen, sie taufen. Und das ergibt dann eben nicht das brave Kirchenschaf, diese Karikatur des Kirchgängers, das jedem Prediger blindlings hinterherläuft und auch nicht diese Karikatur des Wanderers, der in roten Kniebundsocken, blind für die Wunder der Natur dahinschreitet, sondern dieser lebensbejahende Geist Jesu führt zu Menschen, die achtsam und bewusst in dieser Welt unterwegs sind - auch bereit, sich für die Wege selber einzusetzen, auf denen wir gehen können. Und genau das tun ja z.B. die engagierten Frauen und Männer bei den „Berner Wanderwegen“ seit nunmehr 75 Jahren. Jesus mutet uns auf diesem letzten Berg des Matthäusevangeliums nicht weniger als die religiöse Eigenständigkeit zu, aber er lässt uns damit nicht allein. Er sagt vielmehr: Es kommt zwar auf Dich an, es hängt aber nicht allein von Dir ab. Denn seid gewiss: „Ich bin bei euch alle Tage bis an der Welt Ende“.

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