Sonntag, 4. November 2012

Predigt zu Gal 5,1-6 am Reformationssonntag 4. November 2012

Liebe Gemeinde! Von dem Dramatiker Eugène Ionescu gibt es ein Theaterstück mit dem Titel „Die Nashörner“. Darin versinnbildlicht die allmähliche Verwandlung der Menschen in Nashörner die Bereitschaft, sich bereitwillig anzupassen, wenn es für einen selber nützlich erscheint. Die Versuchung, aus Bequemlichkeit die eigene Freiheit aufzugeben, ist gross. Es ist leichter, mit der Masse mitzulaufen als dagegenzuhalten. Selber zu denken, eine eigene Meinung zu vertreten, das kann anstrengender sein, als sich schön der Menge anzupassen. Aber es gibt auch das fatale Missverständnis, das Freiheit mit Rücksichtslosigkeit verwechselt. Wer sich nur frei fühlt, wenn er auf nichts oder niemanden Rücksicht nehmen muss, der kreist letztlich nur um sich selber, in einer Selbstverliebtheit, die für andere, für Gemeinsamkeit keinen Raum lässt. Die Reformatoren haben vom „in sich selbst verkrümmten Menschen“ geredet und darin den Inbegriff von Sünde gesehen, während heute eine solche Haltung oft als Freiheit und Unabhängigkeit gefeiert wird. Für die Reformatoren war es wichtig, dass für einen Menschen, der aus dem Glauben an Jesus Christus lebt, beides zusammengehört: eine eigenständige Person zu sein, eine eigene Meinung zu haben, sich frei zu entfalten und dabei und zugleich das Wohl anderer Menschen im Sinn zu behalten. In seiner Schrift „Von der Freiheit eines Christenmenschen“ hat Luther geschrieben: „Ein Christenmensch ist ein freier Herr aller Dinge und niemandem untertan.“ „Zur Freiheit hat uns Christus befreit! So steht nun fest und lasst euch nicht wieder das Joch der Knechtschaft auflegen!“ Und: „ Ein Christenmensch ist ein dienstbarer Knecht aller Dinge und jedermann untertan.“ Wir müssen von Kindesbeinen an lernen, wann es dem eigenen Gewissen entspricht, auf Freiheit zu pochen oder in Freiheit auf sie zu verzichten. Unser Predigttext liefert uns dafür kein einfaches Rezept, aber eine ganz wichtige Richtschnur: „In Christus gilt weder Beschneidung noch Unbeschnittensein etwas, sondern der Glaube, der durch die Liebe tätig ist.“ Denn damit gewinnt die christliche Freiheit Konturen. Da wird klar, dass diese Freiheit nicht zu verwechseln ist mit den einsamen Helden der Zigarettenwerbung oder einem Wirtschaftsliberalismus, der sich am liebsten von allen sozialen Rücksichten befreit sähe. Man kann diesen ganz entscheidenden Unterschied vielleicht am Besten so deutlich machen: Während viele heute Freiheit in erster Linie als „Freiheit von“ verstehen, ist Freiheit im evangelischen Sinn „Freiheit zu“. Und diese Freiheit zu ist die Freiheit zum Glauben, der durch die Liebe tätig ist. Und das lässt sich nun auf unzählige Bereiche unseres Lebens beziehen. Bin ich frei, wenn ich ohne Rücksicht auf andere Menschen leben kann oder bin ich dann frei, wenn ich in einer Partnerschaft oder im Zusammenleben mit Kindern aus freien Stücken immer wieder darauf verzichte, meine eigenen Interessen durchzusetzen? Bin ich frei, wenn ich so schnell und so viel fahren kann, wie ich will oder wenn ich aus Rücksicht auf die Natur und die Mitmenschen meine Mobilität sinnvoll beschränke? Ist ein Unternehmer frei, wenn er rücksichtslos seinen Profit verfolgen kann oder dann, wenn er Rahmenbedingungen akzeptiert, die dem sozialen und ökologischen Frieden dienen? Bin ich frei, wenn ich jeder Mode nachlaufe, die Spuren des Alterns verdecken, mich in ein gutes Licht stellen kann oder eher dann, wenn ich zu mir selbst ja sagen kann, so wie ich geworden bin, auch mit den Spuren des Alters, den Unzulänglichkeiten, meinem Anderssein? Es geht immer um den rechten Gebrauch der Freiheit, darum dass wir unsere Freiheit so gebrauchen, dass sie andere einbezieht und Zuwendung und Gemeinschaft ermöglicht. Es liegt mir sehr viel an dieser Unterscheidung einer Freiheit von, die uns von unseren Mitmenschen trennt und allzu leicht zu einem Deckmantel der Rücksichtslosigkeit werden kann, und der Freiheit zu, die Freiheit zur Liebe, zur Rücksichtnahme und zur Gemeinschaft ist. Aber in einem Punkt beharrt dann Paulus doch ganz entschieden auf einer Freiheit von. Als Christen sind wir frei davon, vor Gott etwas aus uns machen zu müssen. Es gibt keine Bedingungen, die wir zuerst zu erfüllen hätten, damit Gott uns wohl gesonnen ist. Zur Zeit des Paulus hat es geheissen: Es stimmt schon, dass Christus uns befreit hat, aber es gehört sich doch, dass man sich zumindest beschneiden lässt. Aber hier sagt Paulus ganz entschieden nein. Die Beschneidung an sich ist für Paulus weder nützlich noch schädlich. Aber wenn sie zur Bedingung des Christseins gemacht wird, dann wird die Freiheit verspielt. Denn wenn ein Mensch meint oder sich einreden lässt, dass er Vorschriften erfüllen muss, um Gott genehm zu sein oder auch nur der Welt zu gefallen, dann setzt er seine Freiheit aufs Spiel. Wer sich so in seiner Freiheit beschneiden lässt, der kommt ein Leben lang nicht mehr aus dem Zwang heraus, allen möglichen Bedingungen zu gehorchen. Ob es dann der Zwang ist, irgendwelchen Moden hinterherzulaufen oder sich der jeweils herrschenden Meinung anzupassen oder möglichst fromm zu sein, ist gar nicht so entscheidend. Entscheidend ist, ob wir uns irgendwelchen auferlegten Gesetzen unterwerfen oder ob wir aus Freiheit uns entscheiden, weil wir wissen, dass wir von Gott geliebt und angenommen sind und darum zur Liebe und Mitmenschlichkeit befähigt. Deshalb möchte ich sie ermutigen: Geben sie ihre Freiheit nicht auf. Sie ist ein kostbares Geschenk. Sie müssen sich nicht rechtfertigen – nicht vor Gott und nicht vor den anderen. Sie müssen und sie können es nicht allen recht machen. Es ist ja auch ein Stück Lebensklugheit, wenn wir begreifen, dass Beziehungen nur dann gelingen können, wenn es ein Gegenüber gibt und nicht eines im Anderen nur das Echo seiner Wünsche und Vorstellungen erkennt. Wer es allen recht machen will, der verliert sich selbst und oft auch den Respekt der Anderen. In Gottes Augen aber sind wir alle einzigartige und wertvolle Geschöpfe. Darum hat er uns Freiheit geschenkt, damit wir sie auch gebrauchen. Darum bittet er uns aber auch, dass wir einander nicht ständig dem Zwang unterwerfen, uns zu rechtfertigen. All unsere Fragen, warum der Andere dies oder das getan oder unterlassen hat, sollten getragen sein vom ehrlichen Interesse an den Beweggründen des Anderen. Dann sind sie auch wertvoll. Aber sie verkehren sich ins Gegenteil, wenn sie denn anderen zwingen, sich zu rechtfertigen und eigentlich nichts als Vorwürfe sind. Das ungute Wechselspiel von Vorwürfen und Rechtfertigungen tut keinem der Beteiligten gut. Ich möchte sie aber auch ermutigen, ihre christliche Freiheit so zu gebrauchen, dass sie die Zuwendung zu den Mitmenschen einschliesst und in einem Glauben Gestalt gewinnt, der in der Liebe tätig ist. Vergessen sie nicht, dass wahre Freiheit nicht darin besteht, dass wir ohne Rücksicht tun und lassen können, was wir wollen, sondern sich manchmal gerade darin zeigen kann, dass wir freiwillig darauf verzichten, unsere Interessen durchzusetzen. Lassen sie sich nicht von anderen vorschreiben, was sie zu tun und zu lassen haben, aber lassen sie sich auch nicht einreden, dass nur der frei ist, der auf niemand Rücksicht nehmen muss und sich alles leisten kann. Es könnte ja sein, dass wir unsere Freiheit gerade darin verwirklichen, dass wir aus freien Stücken einen kranken Menschen pflegen, manche Dinge zum Wohl unserer Familie zurückstellen, wirtschaftlichen Nutzen zum Wohl der Menschen zurückstellen oder die freie Verfügung über unsere Zeit einschränken zugunsten der Verpflichtungen in einem Ehrenamt oder einer freiwilligen Tätigkeit. Erst wenn wir uns entscheiden und uns damit auch binden, verwirklichen wir unsere Freiheit. Dass gilt auch für unseren Glauben. Frei sind wir nicht, wenn wir glauben oder auch nicht glauben können. Frei sind wir, wenn wir im Glauben annehmen können, dass wir durch Christus befreit sind und nicht mehr dem Zwang zur Leistung und Rechtfertigung unterworfen. Das macht unabhängig. Darum müssen wir uns auch nicht anpassen, sondern dürfen den Mut zur eigenen Meinung, zum eigenen Lebensstil haben. Und wir können darauf bauen, dass eines gewiss ist: Ich bin ohne mein Zutun, ohne Vorbedingungen von Gott geliebt und angenommen.

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