Samstag, 27. Februar 2010

Predigt zu Röm 5,1-5 vom 28. Februar 2010

Liebe Gemeinde,

unser heutiger Predigttext ist zuerst einmal eine Friedenserklärung – eine Friedenserklärung Gottes an uns Menschen. „Sind wir nun aus Glauben gerecht gesprochen, so haben wir Frieden mit Gott durch unseren Herrn Jesus Christus.“ Aber - so fragen sie sich vielleicht – brauchen wir das überhaupt? Haben wir denn mit Gott Krieg oder Streit? Oder darf man so eine Frage schon gar nicht erst stellen, wenn es um den lieben Gott geht?

Für Martin Luther und die anderen Reformatoren waren dieser Text und der gesamte Römerbrief entscheidend für ihre Glaubensgewissheit. Als Menschen des ausgehenden Mittelalters war eine ihrer zentralen Lebens- und Glaubensfragen, wie denn ein Mensch überhaupt vor Gott bestehen könne. Werden wir denn nicht alle in unserem Leben immer wieder schuldig, machen Fehler, tun einander Unrecht, erfüllen Gottes Willen nicht? Die Angst vor dem jenseitigen Gericht prägte die Menschen jener Zeit. Und sie wurde umso bedrängender, wenn man wie Luther zu zweifeln begann, ob Ablasszahlungen, Bussleistungen, kirchliche Rituale oder die Fürsprache der Heiligen wirklich der geeignete Weg sind, Gott gnädig zu stimmen. Wer wie Luther an der kirchlichen Gnadenwirtschaft zweifelte, für den wurde die Frage umso bedrängender: Wie bekomme ich denn einen gnädigen Gott? Und gerade deshalb hatte diese Friedenserklärung Gottes an uns Menschen, die wir hier im Römerbrief lesen, für Luther eine so grosse Bedeutung, eine ungeheuer befreiende Wirkung: wir müssen Gott gar nicht gnädig stimmen, er hat uns längst schon den Frieden erklärt. Das einzige, was wir tun müssen, ist, dieses Friedensangebot annehmen. Es ist für uns heute nur noch schwer vorzustellen, welche Ängste im ausgehenden Mittelalter von einem Menschen abfallen konnten, wenn er diesem Friedensangebot Gottes traute und sich die reformatorische Entdeckung zu eigen machte, dass es gar nicht auf unsere Leistungen ankommt, wir Gott gar nicht besänftigen und gnädig stimmen müssen. Welch ein Aufatmen! Wer nicht ständig in Angst leben muss, der kann sich auf das Leben einlassen, etwas schaffen und gestalten, der darf Fehler machen und ist trotzdem nicht abgeschrieben, der kann Entscheidungen treffen ohne Angst, der kann auch neue Wege gehen. Diese Entdeckung befreite von einer lähmenden Lebensangst und von klerikaler Bevormundung. Und mehr noch: wer nicht ständig um sein Seelenheil fürchten musste, der konnte sich getroster und freier dem Leben hier und jetzt zuwenden. Damit hängt auch die Aufwertung des weltlichen Berufs und der häuslichen Arbeit durch die Reformatoren zusammen.

Aber nun soll die Predigt ja nicht zu einem Vortrag über reformatorische Theologie werden, so wichtig und hilfreich es ist, sich diese Entdeckungen der Reformatoren in Erinnerung zu rufen. Wir leben heute in einer anderen Welt. Die meisten von uns fürchten sich nicht mehr oder zumindest nicht zuerst vor einem jenseitigen Gericht. Und klerikale Bevormundung ist auch nicht unser wichtigstes Problem. Was bedeutet das Friedensangebot Gottes also für uns heute? Unsere Lebensangst ist nicht mehr die gleiche wie zu Zeiten des Paulus oder zu Zeiten Luthers. Aber eine grundlegende, vielleicht diffuse Lebensangst kennen auch wir, die Angst davor, nicht zu genügen, etwas zu verpassen. Wir sorgen uns, welches Bild wir abgeben, was die anderen von uns denken. Wir fürchten uns, den Anforderungen nicht gewachsen zu sein, an Aufgaben oder in Beziehungen zu scheitern. Wir fürchten uns vor Krankheiten oder Schicksalsschlägen. Haben diese Ängste etwas mit unserem Predigttext, haben sie etwas mit dem lieben Gott zu tun?

Nehmen wir doch einmal an, das wichtigste in unserem Leben wäre nicht unser Wohlstand, nicht unsere gesellschaftliche Stellung oder unser Ruf, auch nicht unser Beruf oder unsere Klugheit, ja nicht einmal unsere Familie oder die Gesundheit. Nehmen wir einmal an, das Wichtigste und alles Entscheidende in unserem Leben wäre unser Verhältnis zu Gott. Und Gott nun würde uns den Frieden erklären. Er würde uns sagen: egal wie du bist, egal was dir geschieht, egal was noch kommen mag – ich sage ja zu dir. Daran kann nichts und niemand etwas ändern. Ich stehe zu dir – immer und ewig. Ich verspreche dir nicht, dass dir alles gelingt, dass du nie Angst haben musst, dass dir Sorgen und Rückschläge erspart bleiben. Aber ich verspreche dir, dass ich immer und unter allen Umständen zu dir stehen werde. Nehmen wir einmal an, das wäre so. Wie würde sich das auf unser Leben auswirken? Was würde sich für uns verändern?

Wir müssten weniger Angst davor haben, nicht zu genügen. Denn es ist genug, wenn wir das unsere tun, das, was wir können. Mehr kann niemand von uns verlangen. Das reicht. Wir müssen uns nicht mehr messen an irgendwelchen Massstäben, die uns überfordern. Und gerade wenn wir frei werden von dieser Angst, können wir immer wieder auch über uns hinauswachsen. Auch die Angst etwas zu verpassen können wir dann verlieren. Denn das Leben wird ja nicht erst dann gut und kostbar, wenn ich ja keine Gelegenheit ungenutzt verstreichen lasse, ja nichts verpasse, sondern achtsam bin für das, was mir begegnet, für die Menschen und die alltäglichen Dinge in meinem Leben. All dies wird kostbar dadurch, dass ich es beachte und ihm Wert und Wertschätzung gebe. Nicht was man für wertvoll und kostbar hält, gibt meinem Leben Sinn und Erfüllung, sondern nur das, von dem ich mich erfüllen lasse. Und um achtsam zu werden und sich an den alltäglichen Dingen des Lebens freuen zu können, braucht es eine innere Ruhe und Gelassenheit, die uns zuteil werden kann, wenn wir glauben können, dass wir Frieden mit Gott haben und uns den nicht erst verdienen müssen.

Wenn dieses Ja Gottes, diese Friedenserklärung das Entscheidende in unserem Leben wäre, dann wäre es auch nicht mehr so ungeheuer wichtig, was andere über uns denken, müssten wir nicht so sehr um unser Image besorgt sein. Wie viel mehr Zivilcourage, wie viel mehr an Kreativität und Vielfalt könnten wir uns erlauben, wenn wir uns nicht ganz so stark vom Urteil anderer abhängig machen würden – und oft nur vom vermuteten Urteil anderer.

Ja selbst mit dem Scheitern an beruflichen Herausforderungen oder in Beziehungen können wir dann leben lernen ohne daran zu verzweifeln, wenn wir darauf vertrauen, dass nichts und niemand das letzte Wort über uns hat ausser Gott – und der sagt bedingungslos Ja zu uns. Und noch in Krankheit und Tod dürfen wir dann glauben, dass eine hilfreiche Hand uns hält und uns hindurchführt. Wir müssten dann nicht alles von diesem Leben erwarten, weil wir glauben dürfen, dass auch am Ende der Friede Gottes uns erwartet.

Nehmen Sie das einmal an – habe ich sie vorhin gebeten. Wie sieht das Leben aus, wenn wir es unter dieser Voraussetzung betrachten, dass das Entscheidende in unserem Leben unser Verhältnis zu Gott ist und dass der bedingungslos Ja zu uns sagt. Ist es nicht eine einladende, eine befreiende Perspektive? Ob wir sie uns zu Eigen machen können? Ob wir sie uns zu Eigen machen wollen? Solches Vertrauen könnte jedenfalls zum ruhenden Pol in unserem Leben werden, uns innere Ruhe und inneren Frieden geben. Und diese innere Ruhe, diesen inneren Frieden wünsche ich uns allen. Dass solche Gelassenheit nicht einfach ein für allemal da ist, das weiss auch Paulus. Er weiss um die Bedrängnis, um die Gefährdung unserer Glaubensgewissheit. Wir sind nicht einfach frei von unseren Lebensängsten. Wir stehen nicht einfach über den Dingen. Aber er ist überzeugt, dass Bedrängnis uns die nötige Ausdauer lehrt. Und wenn wir geduldig und ausdauernd an unserem Vertrauen auf Gottes Ja, auf sein Frieden festhalten, dann erwächst uns daraus eine starke Hoffnung. Und diese Hoffnung wird uns nicht enttäuschen. Amen.

Sonntag, 7. Februar 2010

7. Februar 2010

Predigt zu 5. Mose 6,4-9

Liebe Gemeinde,
es war einmal ein Mensch, dem der Glaube am Herzen lag, der sich um einen ehrlichen Glauben bemühte und viel über Glaubensfragen nachdachte. Als er die Worte aus dem 5. Buch Mose las, beschäftigten sie ihn sehr. Denn genau das wollte er ja: Hören auf das, was Gott ihm zu sagen hatte, Gott lieben von ganzem Herzen, von ganzer Seele und mit seiner ganzen Kraft und seinen Glauben weitergeben an seine Kinder. Aber er hatte auch viele Fragen: Was war gemeint mit diesem „Höre Israel“ und wie konnte er richtig hören? Kann man wirklich so absolut sagen: „Der Herr, unser Gott, ist der einzige Herr“? Und auf welche Weise sollte er nun den Glauben an seine Kinder weitergeben, zumal er doch selbst so viele offene Fragen hatte?

So suchte er einen Lehrer des Glaubens auf. Dieser hatte den Ruf eines frommen Mannes von tiefer Glaubensgewissheit. Diesen fragte er: Was bedeutet das „Höre Israel“ für meinen christlichen Glauben? Der Lehrer antwortete ihm: Höre Israel heisst es, weil der Glaube vom Hören kommt. Nur wer bereit ist zu hören, nur wer seine Ohren und sein Herz öffnet, ist bereit für das Geschenk des Glaubens. Nur in ihm kann Glaubensgewissheit Wurzel schlagen. Wer immer schon über alles Bescheid weiss und andere belehren will, der ist nicht auf dem Weg des Glaubens. Hören sollen wir auf den einen Gott, der uns im Wort der Schrift begegnet. Der erste und wichtigste Schritt zum Hören ist, dass wir im Wort der Bibel lesen und versuchen seinen Geist zu erfassen. Ich meine damit keine blinde Wortgläubigkeit. Einzelne Stellen können uns durchaus unklar sein und sich erst durch andere und den Zusammenhang des Ganzen erschliessen. Aber je länger und tiefer wir uns mit der Bibel beschäftigen, desto mehr wird sich uns die Klarheit der Schrift erschliessen, wird Gott selbst uns die Klarheit der Schrift erschliessen. Aus dem Hören folgt der Gehorsam gegenüber Gottes Wort, das aufrichtige Bemühen, seinem Willen entsprechend zu leben. Denn Gott ist einzig und so unendlich viel grösser als wir, dass wir nicht das Recht haben, uns mit unserer Vernunft über ihn zu stellen. Wir sollen uns durch die Bibel in Frage stellen lassen und nicht in erster Linie die Bibel in Frage stellen. Gott ist ein Geheimnis, das wir letztlich nicht ergründen können. Darum sind wir in unserem Glauben immer wieder voller Fragen und selbst der tiefste Glaube erfasst das Geheimnis Gottes nicht ganz. Darum müssen wir immer wieder neu auf das Wort der Schrift hören und auf das, was uns andere Christinnen und Christen zu sagen haben.
„Aber“, so fragte der Ratsuchende zurück, „wie können wir denn behaupten, dass unser Gott der einzige Gott ist, wo es doch so viele Religionen und Gottesvorstellungen auf unserer Welt gibt? Und müssen wir dann die anderen von unserem Gott und unseren Gottesvorstellungen überzeugen?“ „Nicht von unseren Gottesvorstellungen sollen wir die anderen überzeugen, ja nicht einmal von unserem Gott sollen wir andere überzeugen – zumindest nicht in dem Sinne, dass wir sie zu etwas überreden. Aber wir sollen unseren Glauben glaubwürdig und ohne Scheu leben - in der Hoffnung, dass Gott durch seinen Geist den Glauben in anderen Menschen wirkt. Dass es nur einen Gott gibt, steht in der Bibel. Nach dem Zeugnis des Neuen Testaments begegnet er uns in Jesus Christus. Er allein ist der Weg, die Wahrheit und das Leben. Aber Vorsicht, unser Gott ist ein Gott des Friedens und der Liebe. Es war ein furchtbarer Irrweg in der Geschichte unseres christlichen Glaubens, den Glauben mit den Mitteln der Macht oder gar des Schwertes ausbreiten zu wollen. Denn dadurch ist nur Gewalt und Unterwerfung entstanden, aber nicht Glaube, der von Herzen kommt. Wo Menschen sich nicht zum Glauben einladen lassen, sollen wir dies respektieren und sie nicht bedrängen, aber die Einladung sind wir ihnen schuldig. Warum es die anderen Religionen und den Unglauben gibt, bleibt für uns Menschen letztlich ein unergründliches Geheimnis Gottes. Wir können nur freimütig unseren Glauben bekennen.
„Aber wie kann ich meinen Glauben meinen Kindern weitergeben?“, fragte der Ratsuchende weiter. „Indem wir ihnen unseren Glauben vorleben und davon reden. Wir können mit ihnen beten, wenn wir uns an den Tisch setzen oder wenn wir sie zu Bett bringen. Auch die biblischen Geschichten können wir ihnen erzählen, denn sie sind ein kostbarer Glaubensschatz. Wenn die Kinder älter werden und Fragen stellen, können wir ehrliche Antworten geben und uns der Diskussion von Glaubensfragen stellen. Dabei dürfen wir ruhig auch eingestehen, dass wir auf viele Fragen keine Antworten wissen. Aber wir sollten sie mitnehmen zum Gottesdienst, sie ermutigen zum Lesen der Bibel und das Gespräch nicht abbrechen lassen. Auf Zwang sollten wir dabei verzichten, aber Beharrlichkeit ist kein Fehler. Vom Ziel, sie zum Glauben zu führen, sollten wir uns nicht abbringen lassen, aber wir sollten auch akzeptieren, dass ihr Glaube vielleicht andere Ausdrucksformen findet als die, die wir gewohnt sind und ihnen dafür Raum lassen.

Der Ratsuchende fand all dies höchst bedenkenswert, aber er fragte sich, ob er sich die Glaubensgewissheit dieses Lehrers zu eigen machen könne oder wolle. Und es blieb auch eine Unruhe in ihm, weil ihm der Absolutheitsanspruch dieses Glaubens Mühe machte und er sich fragte, ob die Quellen des Glaubens nicht vielfältiger und weiter seien als das Wort der Bibel. Also suchte er eine Lehrerin des Glaubens auf, die den Ruf einer offenen, liberalen Ratgeberin hatte. Auch von ihr wollte er wissen, wie er das „Höre Israel“ zu verstehen habe. „Wir Menschen“, erhielt er zur Antwort, „neigen dazu, uns Meinungen und Konzepte zurechtzulegen, mit denen wir uns die Welt erklären. Und wenn wir uns unser Weltbild einmal zurechtgelegt haben, dann nehmen wir das, was nicht in unser Weltbild passt, gar nicht mehr wahr oder verdrängen es. Wir meinen, die Welt müsste so sein, wie wir sie uns vorstellen und sie müsste für alle anderen ebenso sein, sonst sind sie im Irrtum. Das gilt auch für unsere frommen und religiösen Weltbilder. „Höre Israel“ ist eine Aufforderung an das biblische Gottesvolk und an uns, die wir durch Jesus zum Gottesvolk hinzugekommen sind, uns ständig neu einzuüben ins Hören. Hören heisst, die Dinge nicht einfach unserem Weltbild anzupassen, sondern aufmerksam und offen wahrzunehmen, was uns begegnet, empfindlich und empfindsam zu bleiben, berührbar und bereit, uns verändern zu lassen. Wenn der Glaube aus dem Hören kommt, dann ist damit gewiss auch und besonders das Hören auf die Bibel gemeint. Sie ist für uns Christinnen und Christen eine kostbare Glaubensquelle. Aber heisst es nicht in der Bibel, dass der Buchstabe tötet, der Geist aber lebendig macht. Zum Hören gehört immer auch die Frage, ob das Gehörte dem Leben dient und Frieden schafft. Nicht um Gehorsam geht es, sondern um ein Hören, das im Herzen Liebe weckt. Und es sind genauso die Erfahrungen, die wir in der Natur, die ja Gottes Schöpfung ist, machen, die uns zum Hören führen können oder menschliche Begegnungen, die Schätze der Kunst und der Literatur und auch der Reichtum der Religionen. Es gibt ja kein objektives Hören. Jedes Hören verknüpft das Gehörte mit unseren mitgebrachten Erfahrungen, Gefühlen und anderen Sinneseindrücken und so hören wir dasselbe oft sehr unterschiedlich. Glauben habe ich immer nur als je meinen Glauben. Ich kann ihn niemals zum Massstab des Glaubens der anderen machen.
„Heisst das denn“, fragte der Ratsuchende zurück, „dass die Bibel nicht die alleinige Quelle des Glaubens ist und der christliche Gott nicht der einzige Gott?“ „Ich bin zutiefst überzeugt, dass es keine Quellen des Glaubens gibt, die dem Geist der Bibel widersprechen, aber ich denke, dass die Bibel nicht unsere einzige Quelle ist. Auch die anderen Religionen bemühen sich um einen Weg zu Gott, wollen sich dem Geheimnis Gottes auf menschliche Weise annähern. Könnte es nicht sein, dass wir an einen Gott glauben, dessen Geheimnis sich die Religionen auf höchst unvollkommene Weise annähern? Aber wir können und sollen nicht mehrere Wege gleichzeitig gehen. Als Christinnen und Christen sind uns das Leben und Sterben und die Auferstehung Jesu Christi und die Befreiungsgeschichte des Volkes Israel als Weg zu Gott geschenkt. Auf diesen Weg sollen wir uns ganz und in tiefster Gewissheit verlassen. Es ist nicht zufällig unser Weg, sondern der Weg, den Gott uns gewiesen hat. Aber wir dürfen damit rechnen, dass sich das Geheimnis Gottes Menschen auch auf anderen Wegen erschliessen kann. Darum ist unserem Glauben entsprechend die Haltung der Toleranz, die den eigenen Glauben einladend und glaubwürdig lebt ohne andere bekehren zu wollen. Gott ist einzig, nicht unsere religiösen Überzeugungen, unsere Kirchen und Konfessionen.“
„Was bedeutet all dies für die religiöse Erziehung unserer Kinder?“, wollte der Ratsuchende wissen. „Können wir dann den Glauben überhaupt weitergeben.“ „Wir können den Glauben nicht weitergeben wie die Wissensbestände unserer Kultur oder eine mathematische Gleichung. Zuerst und vor allem kommt es darauf an, dass wir glaubwürdig, offen und ehrlich von unserem Glauben reden. Wir können nicht weitergeben, was wir selber nicht glauben. Auch unsere Fragen und Zweifel dürfen wir dabei nicht verbergen. Nie sollten wir uns einbilden, wir allein könnten unsere Kinder zum Glauben führen. Sie sollen auch auf andere hören. Stets müssen wir sie als eigenständige Persönlichkeiten achten und respektieren, dass sie frei sind, ihren eigenen Glaubensweg zu finden oder sogar den Weg des Glaubens zu verlassen. Die Freiheit unserer Kinder steht höher als unser Wunsch, ihnen den Glauben weiterzugeben. Schuldig sind wir ihnen aber, dass wir ihnen die Möglichkeit geben, ihren Weg zu finden, indem wir mit ihnen über Glaubensfragen reden, ihnen biblische Geschichten erzählen und mit ihnen beten – oder zumindest ihnen den Zugang zu Menschen eröffnen, bei denen sie all dies kennen lernen können. Wir sollen aber auch akzeptieren, wenn unsere Kinder im Jugendalter sich vom Glauben entfremden oder eine andere Frömmigkeit suchen als die unsere. Worauf es ankommt ist, dass wir mit ihnen im Gespräch bleiben und darauf achten, dass sie ihr Weg nicht in Abhängigkeit und Unfreiheit führt oder ihnen Schaden zufügt. Und manchmal bleibt uns nur noch, Gott zu bitten, dass er sie auf ihrem Weg begleite und bewahre. Glauben weitergeben kann nur, wer auch loslassen kann.

Einleuchtend erschien dem Ratsuchenden vieles, was diese Lehrerin zu ihm gesagt hatte. Aber wem sollte er nun folgen? Welcher Weg war der richtige? So wandte er sich an eine weithin bekannte Weisheitslehrerin. Viele lobten ihre klugen Ratschläge, aber einige nörgelten, man sei nach dem Gespräch mit ihr meist nicht klüger als zuvor. Er erzählte ihr alles, was ihm die beiden anderen gesagt hatten. „Wer hat denn nun recht“, fragte er. „Das weisst du schon“, bekam er zur Antwort. „Bedenke, was du gehört hast. Bedenke, was nur dein Ohr erreicht, was du mit deinem Verstand begriffen hast und was dein Herz berührt. Achte darauf, was in deinem Herzen Liebe weckt und Freude entstehen lässt. Erinnere dich, was dir auf deinem Weg des Glaubens Mut gemacht hat und welche Veränderungen du erlebt hast. Bedenke, was dem Frieden dient und Leben zur Entfaltung bringt. Und vergiss nicht, dass die anderen dasselbe tun, auch wenn sie am Ende vielleicht dennoch einen anderen Weg gehen. Und dann geh deinen Weg, geh ihn mit Zuversicht und Gottvertrauen, denn es ist dein Weg, den nur du so gehen kannst und auf dem Gott mit dir geht.“ Amen.