Sonntag, 21. April 2013

Predigt vom 21. April 2013

Liebe Gemeinde

Herr, wir trau'n auf deine Güte,
die uns rettet wunderbar,
singen dir mit frommen Liede,
danken freudig immerdar.

So haben wir es gerade im 3. der geistlichen Lieder von Felix Mendelssohn Bartholdy gehört. In wunderbaren Worten und Tönen erklingen hier Gottvertrauen und Dankbarkeit. Sie erklingen als Antwort auf die Rettung und Bewahrung, die der oder die Betende erfahren hat.
Nun könnten wir natürlich sagen, dass es leicht ist, von Gottvertrauen und Dankbarkeit zu singen, wenn wir spüren, dass wir geführt und bewahrt worden sind. Dann, wenn unser Leben auf Kurs ist, wieder in geordneten Bahnen verläuft und wir etwas erreicht oder ein erstrebenswertes Ziel vor Augen haben.
Selbstverständlich ist es auch dann nicht. „Glück gehabt“ wäre ja auch eine Erklärung (und bestimmt nicht die seltenste). Oder wir könnten das gute Ende unserem Einsatz, unserer Beharrlichkeit, unserem Durchhaltevermögen zuschreiben. All dies braucht es, aber allein damit ist es oft nicht getan und die Kehrseite, wenn wir alles uns selber zuschreiben, ist die Verzweiflung, die Hoffnungslosigkeit im Scheitern.

Herr, wir trau’n auf deine Güte, die uns rettet wunderbar. Können wir an diesem Vertrauen auch festhalten, wenn wir Schweres zu tragen haben und noch mitten drin stecken in der schwierigen und belastenden Situation? Dann, wenn eine Krankheit oder eine persönliche Krise unser Leben verdunkelt und ein gutes Ende, das Licht am Ende des Tunnels noch nicht in Sicht ist - oder wenn es sogar unerreichbar erscheint? Dankbar kann jeder sein, dem es in solchen Zeiten nicht an Gottvertrauen fehlt, der/ die sich auch dann geborgen und gehalten weiss. Aber das haben wir nicht in der Hand, das können wir nicht einfach machen.
Immer ist es ein Weg, der zu gehen ist und den wir nicht abkürzen können, so gerne wir das auch tun würden. Auch in den drei geistlichen Liedern und im 13. Psalm, den diese Lieder nachdichten, führt der Weg zuerst über die Erkenntnis, auf Hilfe angewiesen zu sein, dann über das verzweifelte Flehen und die Bitte um Erhörung. Und die ist noch weitund die Betende weiss noch nicht, wann und wie sie Wirklichkeit wird.
Wir müssen nicht immer stark sein und die Dinge im Griff haben. Aber was wir brauchen, das ist Achtsamkeit - Achtsamkeit dafür, wie es uns geht, für unsere Gefühle, auch die schwierigen und unangenehmen, und für das, was unser Herz bewegt. Und vielleicht können wir Hilfe und Halt erst dann finden, wenn wir bereit sind loszulassen und anzunehmen, dass wir Hilfe brauchen, Hilfe von Gott und von den Menschen. Ja, vielleicht gehört manchmal sogar das Eingeständnis dazu, dass es mit unserem Gottvertrauen gar nicht so weit her ist. Es könnte ja sein, dass es dann darauf ankommt, die Leere wahrzunehmen und darum zu bitten, dass Gott unsere Herzen aufs Neue fülle.

Die Psalmen beschreiben oft diesen Weg aus Not und Verzweiflung über das bittende Flehen hin zum Dank für die erfahrene Rettung und Bewahrung. Sie sind Lieder und Gebete und sie haben ihre Kraft nicht nur und nicht zuerst, wenn wir sie am guten Ende singen oder beten. Ihre Kraft liegt vor allem darin, dass sie uns in dunklen Zeiten das Vertrauen zurückgeben und stärken können, dass Gott an unserer Seite ist und uns nicht verlässt. Mitten im Dunkel verleihen sie uns Sprache. Sie verbinden uns mit anderen, die den Weg durch Enttäuschung, Leere, Schmerz oder Verzweiflung hindurch zu neuer Hoffnung und gestärktem Vertrauen gegangen sind.

Auf solchen Wegen kann unser Glaube erblühen, wenn wir erschütterbar und berührbar bleiben und zugleich offen für die Gegenwart Gottes, für die Zeichen der Hoffnung, die er uns schenkt, für die Menschen, die er uns an die Seite stellt. Dann ist unser Glaube nicht ein Standpunkt, den wir einnehmen und verteidigen, sondern eine lebendige Hoffnung.
Dann können wir hineinwachsen in diese Sorglosigkeit, die Jesus uns in der Bergpredigt ans Herz legt. “Sorget euch nicht!“ Planen, sorgen und kümmern gehören zu unserem Leben. Aber sie haben nicht das letzte Wort. Sie haben ihren von Gott bestimmten Ort und ihre Grenze. Sie sind Ausdruck der Verantwortung, die wir selber für unser Leben übernehmen dürfen und sollen. Aber sie finden ihre Grenze, wo wir das Leben selbst in unsere Hände nehmen und sichern wollen. All unsere Pläne und Vorhaben, all unser Sorgen und Kümmern, stehen unter dem Vorbehalt, dass das Leben, dass Gott andere Pläne mit uns hat. Und all unsere Sorgen sind aufgehoben bei dem, der für uns sorgt. Wie es in der Bach-Kantate heisst: „Was Gott tut, das ist wohlgetan.“

Und noch einmal: Auch dieser Satz „Was Gott tut, das ist wohlgetan“ ist für sich allein nicht mehr als eine fromme Behauptung. Ja, er könnte für manche gar zynisch klingen. Jedenfalls ist es mir wichtig, dass es hier nicht um blinde Schicksalsergebenheit geht, sondern um eine Glaubensgewissheit, die wir immer nur durch Fragen und durch Zweifel hindurch suchen und erbitten können.
Beides gehört zusammen, wenn unser Glaube sich nicht in Fatalismus verkehren soll. Nur wer nicht zu allem Ja und Amen sagt, darf dann auch von Herzen singen: „Was Gott tut, das ist wohlgetan.“

Dietrich Bonhoeffer ist für mich ein Mensch, bei dem beides zusammenfindet, Widerstand und Ergebung (unter diesem treffenden Titel sind seine Gefängnisbriefe veröffentlicht worden). Er kannte die Fragen und Zweifel, warum er den Weg gehen musste, den er gegangen ist. Längst nicht immer - das bezeugen seine Briefe - war er so stark, wie er den anderen erschien. Aber immer wieder neu hat er sein Geschick in Gottes Hand gelegt. Und sein Glaube war vor allem keine Schicksalsergebenheit. Sein Glaube führte ihn in den Widerstand gegen das Unrecht seiner Zeit.

Beides gehört zusammen - Widerstand und Ergebung. Nur so können wir Salz der Erde und Licht der Welt sein. Als Menschen, die ihr Leben in Gottes Hand legen und die zugleich bereit sind, ihren Mund aufzutun für die Stummen, für Gerechtigkeit einzutreten, für die, die am Rande der Gesellschaft stehen, für Flüchtlinge, für die, die an den Rand gedrängt werden, weil sie nicht leistungsfähig und effizient genug sind und denen Lebenschancen verbaut werden. Salz der Erde und Licht der Welt können wir sein, wenn wir uns Zeit nehmen für die Einsamen, die Kranken, die Gebeugten und Sorgenvollen. Bonhoeffer hat einmal gesagt, dass Kirche immer Kirche für die Anderen sein müsse. Eine Kirche, die nicht für andere da ist und den Menschen dient, dient zu nichts.
Auch der neue Papst Franziskus hat seit seiner Wahl mehrfach daran erinnert und dazu aufgefordert, dass die Kirche - und das gilt auch für uns Reformierte und Methodisten - demütig für die Menschen dasein müsse. Bei seiner Wahl hat er vor dem päpstlichen Segen darum gebeten, die Menschen möchten für ihn beten. Er hat Häftlingen die Füsse gewaschen, darunter auch Frauen und Nichtchristen.
Salz der Erde und Licht der Welt sind wir, wenn wir beharrlich, demütig und glaubwürdig eintreten für eine menschlichere Welt und dann - aber erst dann - alles in Gottes Hand legen, weil es mit unserer Macht und Kraft nicht getan ist - weder im Blick auf unser eigenes Leben noch im Blick auf die Welt in nah und fern.

Dann bleibt uns am Ende das tiefe Vertrauen: „Was Gott tut, das ist wohlgetan.“ Amen.