Donnerstag, 21. April 2011

Karfreitagspredigt zu Luk 23,33-49 am 22. April 2011

Liebe Gemeinde,
stellen sie sich vor, eine junge Frau aus unserer Zeit, nennen wir sie Ruth, hätte die Gelegenheit, den Evangelisten Lukas zu seiner Passionsgeschichte zu befragen. Welche Fragen hätte sie wohl und was würde sie Lukas über unsere Zeit erzählen? Ich möchte es einfach einmal ausprobieren:

Ruth: Lukas, ich habe die Passionsgeschichte schon oft gehört. Aber immer noch erschrecke ich darüber, was sie Jesus angetan haben. Wie grausam Menschen doch sein können. Er hat ja niemand etwas zuleide getan. Im Gegenteil, er hat den Menschen geholfen und Mut gemacht. Und dann ist er in die Mühlen der Politik geraten, ein unschuldiges Opfer.

Lukas: Es ist gut, Ruth, wenn du darüber erschrickst. Denn viele gewöhnen sich erschreckend schnell an den Anblick des Leides. Zahllose Menschen sind ja zu meiner Zeit gefoltert und getötet worden, Schuldige und Unschuldige. Ich möchte, dass Menschen sich berühren lassen von diesem Leiden Jesu, dass sie hinsehen und Mitgefühl haben und zwar nicht nur weil es Jesus ist, sondern weil da ein Gerechter leidet. Wer auf Jesu Kreuz ehrfürchtig blickt, weil es Jesus ist, der da leidet, aber an den Kreuzen der anderen Menschen achtlos vorbeigeht, der hat nicht begriffen, was Gott uns sagen will.

Ruth: Bist du deshalb so zurückhaltend mit den Ehrentiteln für Jesus und nennst ihn kaum einmal Sohn Gottes oder Christus oder Auserwählter, und wenn, dann meist aus dem Munde der Spötter?

Lukas: Ja, das stimmt. Diese Titel sind ja alle nicht falsch. Im Glauben erkennen wir Jesus als Sohn Gottes, als Christus, als unseren Erlöser. Aber alles hängt für mich davon ab, dass wir in ihm zuerst einmal den Menschen sehen und auch wenn er für uns mehr ist als einfach ein Mensch, bleibt er doch auch dies, ein Mensch, ein Mensch der leidet, ein Mensch, der zu Mitgefühl und Zuwendung fähig ist und der Mitgefühl und Zuwendung braucht, ein Mensch aus Fleisch und Blut. Mit der Menschlichkeit fängt alles an und ohne Menschlichkeit, ohne die Menschlichkeit Jesu und unsere Menschlichkeit gibt es keinen christlichen Glauben.

Ruth: Und darum sagt auch der römische Hauptmann bei dir am Ende nur: dieser ist ein frommer Mensch gewesen. Bei Markus sagt er ja: dieser ist Gottes Sohn gewesen. Ist „frommer Mensch“ nicht ein bisschen wenig für Jesus?

Lukas: Weisst du, weder Markus noch ich standen damals unter dem Kreuz. Wir können nur weitererzählen, was man uns berichtet hat und was uns eingeleuchtet hat. Meine Grundüberzeugung, meine Glaubenseinsicht ist: Wer Gott erkennen will, der darf den Menschen nicht aus dem Blick verlieren. „Sohn Gottes“ aus dem Munde eines römischen Hauptmanns, das lässt mich an den Kaiser denken, der sich ja als Sohn Gottes feiern liess. Manche von uns sind dafür gestorben, dass sie sich an dieser Gotteslästerung nicht beteiligen wollten. Aber wenn wir Gott in Jesus erkennen sollen, dann steht mir das Bild des gekreuzigten Menschen vor Augen, des leidenden Gerechten. Dieser Anblick berührt mich, erfüllt mich selbst mit Mitgefühl und Anteilnahme – am Geschick Jesu, aber auch am Geschick all der Menschen, die leiden müssen, die ein Kreuz zu tragen haben. „Ein frommer Mensch“, das ist sicher nicht alles, was man über Jesus sagen kann, aber wer mit den grossen Worten beginnt, vergisst allzu leicht die kleinen, alltäglichen Dinge. Und unseren Glauben können wir gar nicht anders leben als in der kleinen Münze alltäglicher Anteilnahme, Fürsorge und Liebe.

Ruth: Das leuchtet mir ein, Lukas, und Jesus hat uns ja mit seinem ganzen Leben und noch in seinem Sterben diese Menschlichkeit vorgelebt. Wie er noch am Kreuz für die eintritt, die ihm dieses Leid zufügen: „Vater, vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun.“ – das ist schon überwältigend. Ich denke, auch wir wissen manchmal nicht, was wir tun. Wir wollen das Gute und tun das Böse. Wir meinen, einfach unsere Pflicht zu tun und richten damit Unheil an. Wir machen immer wieder die gleichen Fehler, weil wir nicht aus unserer Haut können. Da tut es gut zu wissen: Jesus tritt selbst für die ein, die ihn ans Kreuz schlagen. Wie sollte er dann nicht auch für uns eintreten? Und er stellt dabei nicht einmal Vorbedingungen.

Lukas: Ja, Ruth, das ist das Grossartige und Befreiende. Jesus liebt die Menschen, bedingungslos, und diese Liebe kann Menschen verändern, weil sie befreit sind von dem Druck, sich ständig zu rechtfertigen, ihre Schuld, ihre Fehler zu verbergen. Das sehen wir an dem einen Mitgekreuzigten und an dem Hauptmann. Einer der Mitgekreuzigten erkennt und bekennt, dass er schuldig ist, aber er versinkt nicht in Gram über seine Schuld, sondern traut sich, Jesus um Beistand zu bitten. Er glaubt, dass der, der im Sterben bitten kann „Vater, vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun“, auch ihm beistehen und vergeben kann. Und er irrt sich nicht. „Heute wirst du mit mir im Paradiese sein“, antwortet Jesus ihm. Und auch der Hauptmann kommt zu seiner Einsicht, weil er die Grösse und Menschlichkeit Jesu wahrnimmt und sich davon berühren lässt.

Ruth: Die beiden Mitgekreuzigten reagieren ja grundverschieden. Der eine erkennt seine Schuld und wendet sich hilfesuchend an Jesus, der andere flüchtet sich in Zynismus und Spott. Er schlägt sich auf die Seite derer, die immer einen brauchen, den sie klein machen und demütigen können. Für ihn scheint das eigene Leid erträglicher, wenn er es spottend und zynisch übertünchen kann. Ganz anders der andere. Er spürt, dass ihm da ein barmherziger Mensch begegnet, einer demgegenüber er nicht den Starken spielen muss, einer, der ein Herz für ihn hat, der auch ihm Erbarmen schenkt. Jesus strahlt noch in seinem Leiden Liebe aus, grenzenlose Liebe. Wie gerne wäre ich auch zu solcher Liebe fähig, im Kleinen, in meinem Alltag. Denn ich weiss ja, dass die Liebe menschlicher macht. Es ist mir schon manchmal passiert, dass meine Kinder etwas angestellt haben und ich wütend und aufgeregt gefragt habe: „Wer war das schon wieder.“ und entweder betretenes Schweigen geerntet habe oder das alte Spiel: Der war’s. Nein die war’s.“ Und fast jedes Mal, wenn es mir gelungen ist, erst einmal tief durchzuatmen und ich meine Kinder in den Arm genommen habe und ihnen ehrlich sagen konnte: „Ich habe euch ganz fest lieb.“ Dann hat wie von selbst eines gesagt: „Es tut mir leid. Ich war’s.“ Weil dann das Vertrauen da ist: es mag zwar schlimm sein, was ich angestellt habe, aber nichts ist so schlimm, dass mich Mama nicht mehr lieb hat. Und dieser Jesus, der noch am Kreuz sagt: „Vater, vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun“, dieser Jesus kann in uns dieses kindliche Vertrauen wecken, dass wir uns nicht mehr verstecken müssen, sondern zu unserer Verantwortung stehen können, für das, was wir tun und unterlassen. Und dieses Vertrauen ist eine grosse Befreiung. Ich glaube, Erlösung ist dafür kein zu grosses Wort.

Lukas: Dein Beispiel finde ich schön. Es trifft für mich gut, was Jesus für uns getan hat. Er liebt uns und er ist dieser Liebe treu – treu bis in seinen Tod. Diese Liebe macht uns frei. Sie macht uns frei, uns selber im Licht seiner Liebe zu sehen, so wie wir sind und doch geliebt. Und dann können wir auch unsere Mitmenschen in diesem Licht sehen und die Barmherzigkeit, die wir erfahren haben, weitergeben.

Ruth: Ich habe mich immer schwer getan damit, dass Gott seinen Sohn geopfert haben soll für unsere Schuld. Jetzt merke ich, dass es nicht darum geht, dass Gott ein blutiges Opfer braucht, sondern dass wir Menschen auf diese bedingungslose Liebe angewiesen sind, die Jesus uns gezeigt hat und an der er festgehalten hat auch dann noch, als sie ihn ans Kreuz geführt hat. Gott fordert nicht diesen Tod, er erduldet ihn eher – aus Liebe. Und er überwindet ihn an Ostern. Wir sollen auf das Kreuz blicken und uns zur Menschlichkeit bewegen lassen. Wir können Verantwortung übernehmen und müssen Schuld nicht verdrängen. Aber wir dürfen uns auch Gottes Erbarmen gefallen lassen und unseren Mitmenschen Güte und Barmherzigkeit erweisen. Und wir dürfen an das Leben glauben, daran, dass Gott Leben schenkt, das den Tod überwindet.

Lukas: Ja, Ruth, aus diesem Vertrauen dürfen wir leben. Dieses Vertrauen spricht auch aus Jesu letzten Worten: „Vater, in deine Hände befehle ich meinen Geist.“ Wer Gottes Liebe vertraut im Leben, im Leiden und im Sterben, der hat auf keinen Sand gebaut, der kann menschlich leben und Menschlichkeit weitergeben. In Jesu Kreuz steht uns vor Augen, zu welcher Unmenschlichkeit wir fähig sind, sehen wir all die Kreuze auf dieser Welt. Aber in Jesu Kreuz erkennen wir Gottes befreiende Liebe und Menschlichkeit. Amen.

Freitag, 8. April 2011

Predigt zu 1. Mose 22,1-13 (Isaaks Opferung) am 10. April 2011

Liebe Gemeinde,
„Man muss Gott mehr gehorchen als den Menschen.“ Diesem Satz aus der Apostelgeschichte wird unter uns wohl kaum jemand widersprechen. Wer Gott vertraut, der versucht, seinem Willen entsprechend zu leben. Und das kann auch in den Widerspruch zu menschlichen Erwartungen, vielleicht sogar zu Gesetzen führen. Dieser Satz und damit verbunden die ganze jüdisch-christliche Glaubenstradition hat beispielsweise einen Dietrich Bonhoeffer in den Widerstand gegen die nationalsozialistische Gewaltherrschaft, gegen Hitler geführt. In Zeiten der Glaubensverfolgung hat er Menschen befähigt ihr Freiheit und ihr Leben aufs Spiel zu setzen, um ihren Glauben ausüben, Gott gehorsam sein zu können. Diese Glaubenseinsicht hat Menschen dazu geführt, Flüchtlinge zu verstecken. Sie hat in der ehemaligen DDR und anderen Ländern Osteuropas einiges beigetragen zum Ende des kommunistischen Systems. Es ist ein wichtiger, ein befreiender Satz, der Zivilcourage vermittelt.
Und doch: wenn ich den heutigen Predigttext höre, die Geschichte von der Opferung Isaaks, dann geht mir dieser Satz nicht mehr so einfach über die Lippen. Und ich hoffe sehr, dass auch sie immer noch zumindest ein wenig über diese Geschichte erschrecken. Was ist das für ein Gott, der von Abraham fordert, seinen einzigen Sohn eigenhändig zu töten, um ihn so Gott zu opfern? Und auch wenn wir sagen können, dass Gott ja nur den Gehorsam des Abraham auf die Probe stellen wollte – die Frage bleibt: Was ist das für ein Gott, der mit Abraham und Isaak ein solch grausames Spiel treibt? Und darf man Abraham loben dafür, dass er sich auf dieses grausame Spiel einlässt, dass er scheinbar ohne Widerspruch bereit ist, bis zum Äussersten zu gehen? Ist er damit für uns ein Vorbild des Glaubens? Gegen Ende des Predigttextes heisst es: „Lege deine Hand nicht an den Knaben und tu ihm nichts; denn nun weiss ich, dass du Gott fürchtest und hast deines einzigen Sohnes nicht verschont um meinetwillen.“ Der Verfasser unseres Predigttextes scheint den blinden Gehorsam des Abraham lobenswert zu finden. Aber bei mir bleiben die Zweifel. Ich muss bei diesem Text immer wieder an einen Film denken, den ich in meiner Jugendzeit gesehen habe. Er hiess „Das Abraham - ein Versuch“ und hatte das Milgram-Experiment zur Grundlage, das in den 60er Jahren des letzten Jahrhunderts durchgeführt wurde. In diesem Film wurde den Versuchspersonen gesagt, es sei ihre Aufgabe, einer Person in einem anderen Raum für begangene Fehler Stromstösse zu verabreichen. Sie wurden auch darauf aufmerksam gemacht, ab welcher Stärke diese Stromstösse tödlich sein können. Erschreckend viele gingen – sogar ohne grosse Ermunterung – bis zu sehr hohen Dosen, nicht wenige verabreichten tödliche Dosen. Natürlich wurden diese Stromstösse nicht wirklich verabreicht. Aber – so fragte ich mich: Wenn schon die Autorität eines wissenschaftlichen Experiments Menschen zu solcher Grausamkeit befähigt, wie sieht es dann erst aus, wenn sie glauben für Volk und Vaterland oder gar für ihren Gott, ihre Religion Menschen zu opfern? Wozu kann Gehorsam führen? Und ist Gehorsam wirklich eine Tugend oder doch eher eine der fürchterlichsten Untugenden? Als Deutscher dachte ich dabei natürlich an die Grausamkeiten deutscher Soldaten in zwei Weltkriegen, an das Morden im Namen von Volk, Rasse und Vaterland, in einer Armee, die strikt nach dem Muster von Befehl und Gehorsam aufgebaut war. Aber ich denke heute auch an Eltern in Palästina, die stolz sind auf ihre Söhne und Töchter, die sich im Namen Allahs als Selbstmordattentäter in die Luft sprengen und viele Menschen mit in den Tod reissen. Und leider bietet auch die Geschichte des Christentums zahlreiche Beispiele solch äusserst fragwürdigen, unmenschlichen Gehorsams in den Kreuzzügen oder Hexenverfolgungen.
Ich denke aber auch an Formen vermeintlich christlicher Erziehung, die vor noch nicht allzu langer Zeit gang und gäbe waren. Ich denke an Kinder, für die Gebet und Schläge zusammengehörten wie der Deckel auf den Topf. Ich denke an Kinder, die unter diesen Schlägen gelitten haben oder unter seelischen Qualen, weil sie nie so sein durften wie sie waren, weil sie den Ansprüchen nie genügen konnten, weil ihnen immer ihre Fehler vorgehalten wurden.
Aber es sind nicht nur Beispiele von früher oder aus der islamischen Welt, an die ich denke. Ich denke an Soldaten, die vorsichtig gesagt, in ein Umfeld hineingeworfen werden, das Vorkommnisse wie die Folterungen im Gefängnis von Abu Ghraib möglich macht oder an kaum erwachsene Soldaten, die in Situationen kommen, wo es scheinbar besser ist, erst einmal zu schiessen und erst dann zu überprüfen, ob es sich tatsächlich um einen Feind handelt. Und gehören in diesen Zusammenhang nicht auch die Opfer, die wir den Göttern Leistung und Konkurrenz bringen, Kinder und Erwachsene, die dem Leistungsdruck nicht gewachsen sind, die Beruhigungs- oder Aufputschmittel brauchen, um dem Druck standzuhalten?
Nein, Gehorsam ist keine Tugend und blinden Gehorsam fordern nur die falschen Götzen. Davon bin ich überzeugt und wollte der Verfasser der Abrahamsgeschichte blinden Gehorsam als Glaubenstugend darstellen, so würde ich ihm entschlossen widersprechen. Glaube ohne Einsicht, ohne die Stimme des Herzens und des Gewissens droht immer unmenschlich zu werden.
Was aber bleibt uns von dieser Geschichte ausser dem Widerspruch gegen die Forderung blinden Gehorsams. Zuerst einmal bleibt mir der Schrecken und das Mitgefühl. Drei lange Tage sind die beiden unterwegs. Zuhause bleibt die Mutter, Sarah. Sie weiss wohl kaum, was Abraham wirklich vorhat, womit er in seinem Herzen und seinen Gedanken ringt. Hätte sie es gewusst, was hätte sie getan? Hätte sie versucht ihn von diesem Weg abzubringen oder sich selbst als Opfer angeboten? Oder wäre sie zumindest mitgegangen? Sie hätte wohl kaum ihren Sohn einfach so ziehen lassen und sie hätte wohl jede Minute genutzt, das grausame Schicksal abzuwenden. Drei lange Tage – und meistens Schweigen. Wenn wir versuchen uns das vorzustellen, dann ist es wirklich kaum auszuhalten. Diese Sprachlosigkeit, weil Ohnmacht und Hilflosigkeit so gross sind, dass man keine Worte mehr findet. Weil Menschen nicht mehr wissen, woran sie miteinander sind, ob sie einander noch vertrauen können. Wenn die Fragen keine Antwort mehr finden. Das sind Situationen, die uns vielleicht nicht mehr so ganz unvertraut sind. Nein, Abraham war kein dumpfer Tyrann und Isaak kein Dummkopf. Abraham muss furchtbar gelitten haben und Isaak hat das Schweigen zu deuten gewusst als Vorzeichen einer furchtbaren Bedrohung. Das ist für mich das erste: das Mitleiden an diesem bedrohlichen Schweigen und die Ohnmacht, die richtigen Worte zu finden und die Sprachlosigkeit zu überwinden. Aber zugleich ist noch etwas anders da. Trotz aller Ohnmacht und Sprachlosigkeit. Abraham ist bei seinem Sohn Isaak. Er geht mit ihm Schritt für Schritt und ich bin mir sicher, bis ganz am Ende hofft und betet er, dass es noch einen anderen Weg geben möge, dass das Leben seines Sohnes verschont bleibt. Wir mögen ihm seine Sprachlosigkeit und Hilflosigkeit vorwerfen – zurecht – aber er ist da. Er lässt Isaak nicht allein. Und am Ende hat er Augen und Ohren für den Ausweg, den Gott ihm zeigt. Das ist das zweite: Mitgehen, auch wenn es kaum zu ertragen ist, die Hoffnung niemals aufgeben und Augen haben für die neuen Wege, die Gott uns zeigt. Das dritte aber ist das gute Ende: Gott will keine Menschenopfer, nicht das Opfer Isaaks, nicht die Opfer, die wir heute bringen und die wir manchmal gar nicht mehr als solche bemerken. Gott will das Leben und nicht den Tod.
In der Schriftlesung aus dem Joh heisst es: Es ist besser für euch, ein Mensch sterbe für das Volk, als dass das ganze Volk verderbe. Auch hier diese tödliche Opferlogik, die in ihrem nüchternen Kalkül gar nicht mehr wahrnimmt, wie unmenschlich sie ist. Aber dieses Mal taucht kein rettender Widder auf. Jesus wird tatsächlich geopfert – von Menschen im Interesse der Ordnung, der Religion, der Interessen der Mächtigen. Sehen wir die beiden Texte nebeneinander, dann müssen wir erkennen: nicht Gott will das Menschenopfer, wir Menschen sind es, die einander opfern und darüber sollten wir erschrecken.
Wir stehen kurz vor der Karwoche und dem Osterfest. Und in einem gewissen Sinn ist die Geschichte des Leidens und der Auferweckung Jesu auch eine Antwort auf die Fragen der Isaak-Geschichte. Da heisst es nicht mehr „dass du Gott fürchtest und hast deines einzigen Sohnes nicht verschont um meinetwillen“, sondern umgekehrt, dass Gott uns so sehr liebt, dass er seines einzigen Sohnes nicht verschont hat und ihn dahingegeben hat um unsretwillen. Nein, Gott will keine Menschenopfer. Er gibt sein eigenes hin, für uns. Er gibt Jesus in die Hände der Menschen. Aber Jesu Tod, der Tod aller, die leiden müssen und sterben, das ist nicht Gottes letztes Wort. Das letzte Wort ist die Osterbotschaft, das neue Leben, das den Tod überwindet, die Liebe, die aufblüht zu neuem Leben. Wer dieser Botschaft glaubt, der muss sich nicht mehr fürchten vor einem unbarmherzigen Gott, der blinden Gehorsam und Menschenopfer fordert. Wer dieser Botschaft vertraut, der wird sich wohl noch manches Mal fragen, warum ihm Gott Schweres zumutet, Leid und Gewissenskonflikte, aber er darf darauf vertrauen, dass Gott das Leben will, dass Gott Liebe ist und dass Gott mit uns geht, wohin unser Weg auch führen mag.
Und die Geschichte Abrahams und Isaaks leitet uns nicht an zu blindem Gehorsam, sondern will uns immer wieder zu der Bitte des Unser Vater führen: „Und führe uns nicht in Versuchung!“ Amen.

Samstag, 2. April 2011

Predigt über Markus 12,41-44

Liebe Gemeinde,
als Paulus für seine Kollekte für die Armen in Jerusalem wirbt, schreibt er den Korinthern (2. Kor 9,7): „Einen fröhlichen Geber hat Gott lieb.“ Und hätte er die Geschichte gekannt, vielleicht hätte er den Korinthern dann ja noch unseren heutigen Predigttext erzählt. Denn hier geht es um eine fröhliche Geberin, die ganz selbstverständlich gibt, obwohl sie nicht weiss, wovon sie danach leben soll.
Zuerst einmal sehen wir Jesus, wie er sich reichlich indiskret verhält. Er setzt sich einfach gegenüber vom Opferstock und sieht zu wie und was die Leute opfern. So etwas tut man ja eigentlich nicht. Oder hätten sie es vielleicht gern, wenn nachher am Ausgang jemand sässe und genau beobachtete, wie viel sie in den Opferstock einlegen? Mag sein, dass man zu Jesu Zeiten in Gelddingen etwas weniger diskret war als heute bei uns in der Schweiz. Aber natürlich geht es in der Geschichte auch um etwas ganz anderes. Jesus beobachtet, wie die Leute Geld einlegen und manche der Wohlhabenden zeigen sich sehr grosszügig. Und dann kommt diese arme Witwe. Zwei der kleinsten Münzen, die es gibt, legt sie ein. Das ist so gut wie nichts – aber es ist alles, was sie hat. Und darum lobt Jesus ihr Tun: „Diese arme Witwe hat mehr in den Gotteskasten gelegt als alle, die etwas eingelegt haben. Denn sie haben alle etwas von ihrem Überfluss eingelegt; diese aber hat von ihrer Armut ihre ganze Habe eingelegt, alles, was sie zum Leben hatte.“
Ich denke mir, dass diese Frau, hätte sie Jesu Worte mit angehört, vielleicht eher peinlich berührt gewesen wäre. Sie hat ja ihre zwei Scherflein nicht gegeben, um als Beispiel besonderer Frömmigkeit zu dienen, sich Jesu Lob zu verdienen. Sie hat wahrscheinlich nicht einmal das Gefühl gehabt, etwas Besonderes zu tun. Für sie war es die selbstverständlichste Sache der Welt. Sie geht zum Gotteshaus und sie trägt etwas zum Opfer bei. Das gehört sich so und das tut sie gern. Aber ich denke, dass sie sich ihrer Armut auch nicht schämt. Sie gehört dazu und sie ist nicht weniger wert als all die anderen. Und ich glaube, dass genau diese innere Haltung Jesus beeindruckt hat. In all ihrer Armut, mit all ihren Sorgen um das tägliche Brot, ist sie eine fröhliche Geberin. Jesus hält nicht viel von Spendenranglisten, die nur auf die grossen Zahlen achten. Aber ich bin mir sicher, dass er die Grosszügigkeit der anderen Opfernden auch nicht schlecht machen oder klein reden will. Nein, nicht erst wenn es einem selber weh tut, bekommen Gaben einen Wert. Einen fröhlichen Geber hat Gott lieb. Aber eben auch eine fröhliche Geberin, die zwar wenig gibt, aber dies von Herzen.
Ich verstehe diese kleine Geschichte als ein Loblied auf die alltägliche, wie selbstverständlich gelebte Frömmigkeit, ein Loblied auf die Grosszügigkeit, zu der Menschen fähig sind und auf die Sorglosigkeit, die sich ganz Gott anvertraut. Diese Geschichte steht in einer Linie mit Jesu Wort in der Bergpredigt: „Sorget euch nicht um den morgigen Tag.“ Dort sind es die Lilien auf dem Felde und die Vögel unter dem Himmel, die uns als Vorbild vor Augen geführt werden. Oder ich denke an die Witwe von Zarepta – ebenfalls eine arme Witwe – die mit dem letzten was sie hat sich und ihrem sterbenskranken Sohn eine kleine Mahlzeit bereiten möchte, bevor sie sich dann mit dem Tod abfinden will. Der Prophet Elia begegnet dieser Frau und bittet sie, zuerst ihm etwas zu essen zu bringen und verheisst ihr: „Das Mehl im Topf soll nicht verzehrt werden, und dem Ölkrug soll nichts mangeln bis auf den Tag, an dem der HERR regnen lassen wird auf Erden.“
Wenn ich an die Witwe und ihre zwei Scherflein denke, dann kommen mir Menschen in den Sinn, die heute ganz selbstverständlich ihren Glauben leben, eine stille und bescheidene Frömmigkeit, dann denke ich an Menschen, die ihren Beitrag leisten an die Sammlungen von BfA oder zu den sonntäglichen Kollekten. Ich denke an Menschen, die Zeit einsetzen für Menschen in ihrer Nachbarschaft. Ich denke auch an die vielen, die sich in unserer Kirchgemeinde freiwillig und ehrenamtlich engagieren. Auch hier gilt: es kommt nicht auf die Grösse der Spende, den Umfang des Einsatzes an. Eine fröhliche Geberin, einen fröhlichen Geber hat Gott lieb. Es muss nichts Grosses, nichts Besonderes, nichts Aussergewöhnliches sein. Wichtig ist, dass es von Herzen kommt und ich bin dankbar für jedes Engagement, jedes Zeichen der Liebe, des Mitdenkens, der Unterstützung für unsere Kirchgemeinde, für unser Gemeinwesen.
Ja es gibt auch unter uns solche armen Witwen, im wörtlichen und im übertragenen Sinn, Menschen, die im Stillen glauben, grosszügig sind, etwas von dem, was sie haben, materiell, aber auch an Zeit oder Fähigkeiten, an andere weitergeben, ohne davon viel Aufhebens zu machen. Es gibt Menschen, die ihre Betagten Angehörigen zuhause pflegen und die diese zeitaufwendige und oft kräftezehrende Aufgabe mit viel Liebe und Einfühlungsvermögen leisten und ihren Angehörigen gerne diesen Dienst erweisen. Es gibt die Menschen, die immer wissen, wenn jemand krank oder einsam ist und die sich auf den Weg machen, um diese Menschen zu besuchen. Es gibt die, die anderen etwas abnehmen, einen Einkauf, einen Botengang, eine kleine Arbeit und vieles andere mehr. Andere widmen sich in ihrer Freizeit dem Samariterverein, der Feuerwehr, den Landfrauen oder kulturellen Vereinen und tragen etwas dazu bei, dass es sich bei uns gut leben lässt. Diesen guten Geistern, die meist im Verborgenen wirken, gilt Jesu Loblied auf die arme Witwe. Ohne sie wäre unser Leben viel ärmer, unsere Welt um einiges kälter. Sie zu achten und ihrem Vorbild zu folgen, das ist es, was Jesus uns nahe legen will.
Möge Gott uns Augen schenken, die das Gute sehen, das unter uns geschieht und möge er unsere Herzen und unsere Hände frei machen für das Gute, das wir tun können und möge er jedem von uns auch etwas vom Selbstbewusstsein dieser Witwe schenken, die so selbstverständlich und aufrecht das Ihre tut und von ihrem grossen Vertrauen, das sich darauf verlässt, dass ihr Gott schon für sie sorgen wird, seien die täglichen Sorgen auch noch so gross. Amen.