Sonntag, 25. Dezember 2011

Predigt am 1. Weihnachtstag über 1. Joh 3,1-3

Liebe Gemeinde,
Wohl kaum eine Geschichte ist öfter erzählt worden, wohl kaum eine Szene in der Kunst öfter dargestellt worden als die weihnachtliche Urszene von der Geburt des Kindes im Stall von Bethlehem. Maria mit ihrem Kind auf den Armen, Maria und Josef und das Kind in der Krippe, die anbetenden Hirten und die niederknienden Könige, Ochs und Esel als Repräsentanten der Tierwelt. Dieses Bild in seiner Einfachheit und Ärmlichkeit strahlt einen Glanz, einen Frieden aus, dem wir uns nur schwer entziehen können. In all unserer Abgeklärtheit und Aufgeklärtheit spüren wir, dass wir dieses Bild, diese Szene nicht einfach als religiösen Kitsch abtun können. In der biblischen Weihnachtsgeschichte, in all ihren Darstellungen, Vertonungen und Nacherzählungen begegnet uns ein Anfang, dem ein Zauber innewohnt. Ein neuer Anfang, den Gott uns schenkt. Dieses Kind ist, so erzählt es die biblische Geschichte, die Frucht seiner Liebe zu uns Menschen. Dieses Kind ist die Mensch gewordene Liebe Gottes selbst, Liebe, die sich schutzlos ausliefert, greifbar, anfassbar wird. So wie es im Anfang der Bibel in der Schöpfungsgeschichte heisst: „Siehe, es war gut.“ – so ist diese Geburt das Versprechen Gottes: Siehe, alles wird gut. Euch ist heute der Heiland geboren. Ehre sei Gott in der Höhe und Frieden auf Erden.
Die Weihnachtsgeschichte lenkt unseren Blick auf das Kind in der Krippe, weil sie uns sagen will: So ist Gott. Er wird Mensch, teilt unser Geschick, nimmt Anteil an dem, was wir erleben und erleiden. Er vertraut sich uns an, damit wir zu ihm Sorge tragen und uns seiner annehmen wie eine Mutter um ihr neugeborenes Kind. Dieses Kind ist das Zeichen, dass Gott nicht ohne uns Menschen sein will, dass er sich nicht selbst genug ist in seiner himmlischen Herrlichkeit. Er tritt auch nicht triumphierend bei uns ein, sondern wird geboren, kommt zu uns zart und verletzlich. Er eröffnet eine Geschichte mit uns, eine Liebesgeschichte mit einer offenen, hoffnungsvollen Zukunft.
Im Kind in der Krippe sollen wir Gott erkennen, den liebenden, sich wehrlos machenden Gott, der uns nahe kommt. Und wir sollen uns selbst in diesem Kind erkennen, uns selbst als bedürftige und verletzliche Wesen, aber auch als Menschen, die eine Zukunft haben, mit denen Gott immer wieder neu anfängt. Denn in diesem Kind und durch dieses Kind sollen wir alle Kinder Gottes heissen: „Seht, welch eine Liebe hat uns der Vater erwiesen, dass wir Gottes Kinder heissen sollen – und wir sind es auch. Zwar mag manch einer oder eine von uns die Bezeichnung Kinder Gottes mit zwiespältigen Gefühlen hören, denn schliesslich wollen wir erwachsen sein und Kinder Gottes tönt in unseren Ohren nach unmündig und abhängig. Aber vielleicht gehört ja die Bedürftigkeit und Angewiesenheit auf unsere Mitmenschen und auf Gott zu unserem Menschsein und ist es gar kein so erstrebenswertes Ziel völlig frei von Bedürftigkeit und Abhängigkeit zu sein? Vor allem aber meint die biblische Bezeichnung Kinder Gottes etwas anderes als die unmündigen Kinder. Es ist zuerst und vor allem eine Liebeserklärung Gottes an uns. Ich will für euch da sein wie eine Mutter für ihre Kinder, sagt Gott. Aber es ist noch mehr als das. Wenn ich mir überlege, warum ein neugeborenes Kind uns so berühren kann, dann denke ich an dreierlei. Ein neugeborenes Kind lässt mich staunen über das Wunder des Lebens. Plötzlich ist da ein Mensch, der vorher noch nicht da war, eine Stimme, ein Gesicht, etwas Einmaliges und Neues. Ein neugeborenes Kind lässt in mir auch die Sehnsucht nach einer ursprünglichen Reinheit anklingen, die Sehnsucht, noch einmal neu beginnen zu können. Und ein neugeborenes Kind hat sein ganzes Leben noch vor sich, hat all die Möglichkeiten noch nicht ausgeschöpft und ist noch nicht festgelegt durch seine Geschichte und die richtigen und die falschen Entscheidungen, die wir Erwachsenen immer schon getroffen haben und die unser Sein in unserer Welt, unsere Beziehungen, unser Selbstvertrauen so sehr beeinflussen. „Wir sollen Gottes Kinder heissen und wir sind es auch.“ Wir sollen leben als Menschen, die sich und die anderen immer wieder staunend als ein Wunder Gottes erfahren, etwas Einmaliges und Einzigartiges. In Gottes Augen sind wir nicht festgelegt auf unsere Geschichte, auf unsere Fehler, auf die Schuld, die wir vielleicht auf uns geladen haben. Bei ihm dürfen wir Vergebung erfahren und Liebe, die uns neu beginnen lässt. In Gottes Augen haben wir eine Zukunft. Wir sind nicht einfach das Ergebnis unserer Geschichte, festgelegt auf unsere Vergangenheit. Wir dürfen leben wie Kinder, die noch ein ganzes Leben vor sich haben und neugierig darauf sind die Möglichkeiten zu entdecken und auszuprobieren, die sich ihnen bieten.
Die Philosophin Hanna Arendt schreibt: „Mit ihrer Geburt treten ständig neue Menschen ins Leben und können durch ihr Handeln die Welt verändern. Dass man in der Welt Vertrauen haben und dass man für die Welt hoffen darf, ist vielleicht nirgends knapper und schöner ausgedrückt als in den Worten: Uns ist ein Kind geboren.“ – und sie spielt damit auf die Weihnachtsgeschichte an.
Hören wir unseren Predigttext: „Wir sind schon Gottes Kinder; es ist aber noch nicht offenbar geworden, was wir sein werden. Wir wissen aber: wenn es offenbar werden wird, werden wir ihm gleich sein; denn wir werden ihn sehen, wie er ist.“ Wir sind nicht einfach so wie wir sind. Wir sind nicht fertig. Wir sind nicht das Endprodukt unserer Geschichte. Es ist noch nicht offenbar, was wir sein werden. Diese Einsicht bewahrt uns vor der Verzweiflung, die uns befallen kann, wenn Dinge schief gelaufen sind in unserem Leben oder auch, wenn andere uns auf unsere Geschichte, auf Vergangenes festlegen, daran fesseln wollen. Sie bewahrt uns aber auch vor dem Wahn perfekt und vollkommen sein zu müssen. Wir sind nicht vollkommen und müssen es auch nicht sein, denn es ist noch nicht offenbar, was wir sein werden. Wir dürfen uns entwickeln, aus Sackgassen wieder umkehren, neue Möglichkeiten entdecken, aufstehen, wenn wir umfallen, Fehler eingestehen, ja überhaupt mutig und zuversichtlich handeln und unseren Weg gehen, weil wir Gottes Kinder heissen und auf dem Weg sind, es immer mehr zu werden.
Weihnachtlich leben im Anblick des Kindes in der Krippe, das könnte heissen, dass wir uns immer wieder auf neue Anfänge einlassen. Solche neuen Anfänge sind möglich, wo Menschen einander verzeihen und einander nicht mehr auf das festlegen, was war, sondern ausprobieren, was sein könnte. Sie sind möglich, wenn wir einander als Kinder Gottes ansehen und versuchen, die Liebe, die Gott uns erwiesen hat, weiter zu geben, auch wenn uns dies nur unvollkommen gelingen mag. Solche neuen Anfänge sind möglich, wenn wir lernen uns mit den Augen Gottes zu sehen, als Menschen im Werden, als geliebte Kinder. Solche Anfänge sind möglich, wenn wir in jedem Ende nach dem neuen Anfang suchen und so kann uns letztlich auch der Tod zu einer Neugeburt werden. „Denn dann wird offenbar, was wir sind und wir werden ihm gleich sein; denn wir werden ihn sehen wie er ist.“ An Weihnachten aber ist er uns gleich geworden, damit wir der Liebe Gottes vertrauen und anfänglich leben – leben als Menschen mit Zukunft und Hoffnung, leben als Menschen, die zur Liebe und zum Frieden fähig sind, leben als Menschen, die durch ihr Handeln Neues schaffen und zärtlich und behutsam sein können. Dazu befähige uns die göttliche Liebe, dazu erwecke uns das Kind in der Krippe. Amen.

Samstag, 24. Dezember 2011

Predigt an Heiligabend über Mt 1,18-25

Liebe Gemeinde,
der Evangelist Matthäus erinnert sich in seiner Weihnachtsgeschichte an die alten Worte aus dem Buch des Propheten Jesaja: „Siehe, eine junge Frau ist schwanger und wird einen Sohn gebären, den wird sie nennen Immanuel.“ Immanuel – das bedeutet „Gott ist mit uns“ und das ist es, was uns in dieser heiligen Nacht zugesagt ist. Diese Zusage ist dem Evangelisten Matthäus so wichtig, dass er sie am Ende seines Evangeliums wiederholt. Aus dem Mund des Auferstandenen hören wir dort: „Siehe, ich bin bei euch alle Tage bis ans Ende der Welt.“
Gott kommt zu uns Menschen als der Immanuel, als der, der uns zur Seite steht. Er ist sich nicht selbst genug in seiner himmlischen Herrlichkeit. Er will nicht Furcht und Zittern wecken, sondern Liebe und Vertrauen. Er begibt sich in unsere Welt, in unsere Hände, wird schutzlos und gering. Dieser „Gott mit uns“ lässt sich auch missbrauchen. Wie oft schon haben Menschen diesen Namen als Parole missbraucht und sind damit in den Krieg gezogen. Aber wie – um Gottes und der Menschen willen – lässt sich diese Parole in Einklang bringen mit dem kleinen, schutzlosen, verletzlichen Kind in der Krippe?
Dass Gott mit uns ist in dem Kind in der Krippe, das bedeutet zuerst und vor allem: Ich bin wahrgenommen. Gott hat an mir Interesse. Er gibt mir ein Gesicht. Gott weiss, dass wir darauf angewiesen sind, dass wir wahrgenommen und beachtet werden. Wir leben ja in einer widersprüchlichen Welt. Noch nie wurde Individualität so gross geschrieben, aber zugleich war das Leben wohl auch noch nie so unübersichtlich und die Gefahr so gross, in einer anonymen Masse unterzugehen. Wir können inmitten all der unbegrenzten Möglichkeiten verloren gehen. So mancher empfindet sich nur als kleines und ohnmächtiges Rädchen in einem riesigen und undurchschaubaren Getriebe, einem anonymen Räderwerk, das uns manchmal das Fürchten lehren kann. Auch wenn wir uns etwas aufgebaut, etwas erreicht haben in unserem Leben, sehen wir vielleicht in den Spiegel und fragen uns: Wer bin ich eigentlich? Wer nimmt mich so wahr, wie ich bin? Wem kann ich mich zeigen, so wie ich bin?
Der Anblick des nackten und schutzlosen Kindes in der Krippe rührt uns an in unserer Bedürftigkeit, die wir so oft durch Geschäftigkeit überspielen. „Gott ist mit uns“ – seinen verletzlichen und auf Liebe und Zuwendung angewiesenen Geschöpfen. Er nimmt uns wahr. Er begegnet uns mit Augen der Liebe. Jeder einzelne Mensch, du und ich, wir sind für ihn wichtig.
„Gott mit uns“ – das bedeutet aber auch: „Wir mit Gott“. Dass wir Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter Gottes sind, das ist unsere menschliche Bestimmung. Wir sind Gottes Gegenüber, fähig auf seine Liebe zu antworten, ihn in unserem Leben wahrzunehmen und mitzuarbeiten, damit Menschen wahrgenommen werden, Bedürftige Liebe und Zuwendung erfahren und Menschen spüren, dass sie nicht allein sind. Wir sind Menschen, die verzeihen können, die Frieden stiften können, auch wenn uns dies wohl immer nur sehr unvollkommen gelingt. “Gott mit uns“ und „Wir mit Gott“ – das ist auch ein Auftrag, der Auftrag, Liebe und Frieden auszubreiten in unserem Alltag und die Bedürftigkeit und Schutzlosigkeit von Menschen nicht auszunützen, sondern jeden einzelnen, was immer er oder sie getan oder nicht getan hat, spüren zu lassen: „Ich nehme dich wahr. Du bist wichtig.“
Eigentlich ist die Botschaft von Weihnachten ganz einfach: Gott nimmt unsere Schutzlosigkeit und Verletzlichkeit an. Und darum dürfen wir uns selbst annehmen, verletzlich und bedürftig wie wir sind. Gott findet keine Herberge in den Palästen unserer Grossartigkeit, aber er zieht ein in die Einfachheit unserer Herzen. Wer sein Herz öffnet, bei dem wird er Wohnung finden. Gott gibt jedem einzelnen Menschen eine unverletzliche und unverlierbare Würde. Auf diese Würde dürfen wir uns berufen und wir sollen sie achten bei allen Menschen und uns für die Würde jedes einzelnen einsetzen. Frieden kann werden, wenn wir uns von dieser Botschaft berühren lassen. Es braucht dann natürlich immer noch politische Klugheit im Grossen und alltägliches Bemühen und Arbeit im Kleinen, damit Frieden gelingen kann. Aber wo Menschen zulassen können, dass sie selbst bedürftig und verletzlich sind und dies auch anderen zugestehen, ja sich von ihrer Verletzlichkeit und Bedürftigkeit berühren lassen, da kann Frieden beginnen, da ist Gott mit uns und es kann Weihnachten werden. Amen.

Samstag, 10. Dezember 2011

Predigt zu 2. Kor 1,18-24 am 11. Dezember 2011 (3. Advent)

Liebe Gemeinde,
versprochen ist versprochen – und was man versprochen hat, das muss man auch halten. Das haben wir alle von Kindheit an gelernt. Deshalb reagieren wohl die meisten von uns sehr empfindlich darauf, wenn jemand nicht einhält, was er versprochen hat, ganz besonders wenn uns dieser Mensch wichtig ist. Verlässlichkeit ist einer der wichtigsten Grundpfeiler unserer menschlichen Beziehungen, ein kostbarer Schatz, zu dem wir unbedingt Sorge tragen müssen. Und die Verlässlichkeit Gottes ist der Grundpfeiler unseres Glaubens. Wenn Gott nicht verlässlich wäre, hätten wir unseren Glauben auf Sand gebaut.
In unserem heutigen Predigttext muss sich der Apostel Paulus gegen den Vorwurf verteidigen, er habe sein Versprechen nicht gehalten, habe Ja gesagt und eigentlich Nein gemeint. Was war geschehen? Bei seinem letzten Besuch in Korinth hatte er massive Streitereien und Konflikte in der Gemeinde angetroffen, Konflikte bei denen es um Fragen des Glaubens und des christlichen Handelns ging, aber auch darum, wer das Sagen hat in der Gemeinde. Paulus wurde massiv angegriffen. Er konnte den Konflikt nicht schlichten, sondern war selber ein wesentlicher Teil des Konflikts und sah sich schweren Angriffen ausgesetzt. Enttäuscht, wütend, unter Tränen reiste er vorzeitig ab, nicht ohne einen erneuten Besuch anzukündigen oder muss man eher sagen „anzudrohen“?
Seit diesen Ereignissen waren nur wenige Monate vergangen. Paulus hatte der Gemeinde einen Tränenbrief geschrieben, der bittere und polemische Vorwürfe an seine Gegner enthielt. Sein Mitarbeiter Titus hatte diesen Brief überbracht. Es ist ihm gelungen – wahrscheinlich mehr durch sein diplomatisches Geschick als durch den Wortlaut des Briefes – die Wogen zu glätten und ein Stück Frieden und Versöhnung in der Gemeinde zu erreichen. Dabei hat er das Versprechen des Paulus, selber wiederzukommen, bekräftigt.
Der versprochene Besuch lässt auf sich warten und die Korinther werden unruhig. Die Gegner des Paulus, die sich trotz der Versöhnung kaum in glühende Befürworter verwandelt haben, beginnen vermutlich zu spotten: „Der traut sich nicht mehr zu uns. Der hat Angst. Oder es ist eben kein Verlass auf ihn. Er ist ein Jasager, aber dann ist nicht viel dahinter. Wir waren zu Recht skeptisch ihm gegenüber.“ Und seine Anhänger haben vielleicht auch angefangen, an Paulus zu zweifeln. „Wie kann er uns so im Stich lassen. Können wir überhaupt noch auf ihn zählen. Oder ist er einer, der einen Scherbenhaufen hinterlässt und dann davonläuft. Meint er auch Ja, wenn er Ja sagt?“
Gegen diese Vorwürfe und Zweifel muss Paulus sich verteidigen. Es geht um seine Glaubwürdigkeit und um die Glaubwürdigkeit seiner Botschaft. Er will kommen und er wird kommen. Aber er gibt den Korinthern auch zu verstehen, dass die Zeit dafür noch nicht reif ist. Zu sehr ist er vor kurzer Zeit noch Teil, ja Gegenstand des erbitterten und schmerzlichen Konflikts in der Gemeinde von Korinth gewesen, zu labil ist noch die Versöhnung und zu gut kennt Paulus sein schwer zu zügelndes Temperament. Ein Besuch zum jetzigen Zeitpunkt würde eher Wunden aufreissen als zur Versöhnung beitragen. Darum lasse ich euch auf meinen Besuch warten, damit es nicht wieder Tränen und Streit gibt. Ich sage nicht heute Ja und morgen Nein. Aber es gibt Situationen, wo das Ja zu euch Korinthern und das Ja zur Botschaft des Glaubens, die ich unter euch verkündet habe, besser durchzuhalten ist in der Gestalt des Nein, im vorläufigen Verzicht auf den angekündigten Besuch. Wenn ich heute nein sage zu einem Besuch, dann tue ich dies, weil ich euch liebe und weil ihr mir wichtig seid. Es kann eben hilfreicher sein, Raum zu schaffen und Pläne zu ändern als unbeirrbar an etwas festzuhalten.
Dafür bringt Paulus seine ganze Botschaft, Gott selbst ins Spiel. Gott ist mein Zeuge, schreibt er. Denn in Jesus Christus hat er Ja gesagt – und nicht Ja und Nein zugleich. Er hat Ja gesagt zu allen seinen Verheissungen. Er hat Ja gesagt zu uns Menschen. Wenn wir an Weihnachten die Geburt des Kindes in der Krippe feiern, dann feiern wir dieses Ja Gottes zu seinen Verheissungen. Wir feiern das Ja Gottes zu uns Menschen, das uneingeschränkt gilt. Gott unterläuft unsere Gewohnheiten, alles in Schwarz und Weiss, Gut und Böse einzuteilen, zu dem einen Ja und dem anderen Nein zu sagen. Bei Gott steht an erster Stelle und uneingeschränkt das Ja, das Ja der Liebe zu seiner Schöpfung, das Ja der Liebe zu uns Menschen. Und wo Gott Nein sagt, da sagt er nicht Nein zum Menschen, sondern Nein zu einem bestimmten Tun, zu einer verfehlten Einstellung, zu einem Irrweg. Wo Gott Nein sagt, da ist dieses Nein von Liebe bestimmt und getragen von seinem Ja zu allen Menschen. Gott steht zu seinen Versprechen. Er ist treu gegenüber uns Menschen. Das ist die Grundbotschaft der Bibel. Diese Zusage tönt uns aus dem Munde des Engels entgegen, der uns zuruft: „Fürchtet euch nicht. Siehe ich verkündige euch grosse Freude, die allem Volk widerfahren wird. Denn euch ist heute der Heiland geboren.“
In der Geburt Jesu bekräftigt Gott seine Verheissungen, sein Ja der Liebe zu uns Menschen. Bekräftigung der Verheissungen heisst nicht Erfüllung aller unserer Wünsche. Und es heisst auch nicht, dass die Verheissungen schon erfüllt wären. Wir sollen nicht unsere Wünsche zum Massstab aller Dinge machen, aber wir brauchen auch nicht die Welt wie sie ist schön reden. Nein, unsere Welt ist nicht die Welt des Friedens, die Gott verheissen hat. Nein, wir Menschen sind noch nicht solche, deren Handeln ganz von Liebe bestimmt ist. Es gibt noch viel zu erwarten und zu hoffen. Und es gibt noch vieles, was unseren Glauben, unsere Hoffnung und unsere Liebe ins Wanken bringen kann. Noch gehören Glaube und Zweifel zusammen. Noch fliessen Tränen, Tränen des Leids, Tränen der Wut, Tränen der Enttäuschung. Noch tun Menschen einander weh, absichtlich oder unabsichtlich oder wissen nicht mehr weiter. Trotzdem ist Gott da mit seinem Ja zu uns, mit seinen Verheissungen. Ich richte dich wieder auf, sagt er zu uns. Ich trage dich hindurch. Ich bin bei dir.
„Denn auf alle Gottesverheißungen ist in ihm das Ja; darum sprechen wir auch durch ihn das Amen, Gott zum Lobe.“ Gottes Ja ist das erste Wort. Aber dieses Ja lädt uns ein zur Antwort. Im Vertrauen auf Jesus Christus sollen wir „Amen“ sagen. „So sei es“ heisst diese alte Gebetsformel übersetzt. Wir sollen nicht zu allem Ja und Amen sagen, sondern Amen zu dem Ja Gottes, das uns die Botschaft der Bibel verkündet, das uns in dem Kind in der Krippe begegnet. Dieses Amen sprechen wir, wenn wir an Gott festhalten – auch dann, wenn unser Weg durchs Dunkel führt, wenn die Zweifel kommen und die bedrängenden Fragen. Amen sagen wir, wenn wir warten können in Geduld, Raum schaffen und Raum gewähren, Zeit lassen für Versöhnung und Frieden. Und Amen sagen wir, wenn wir Ja sagen zu den Menschen, wenn wir versuchen, der Liebe Gottes zu allen Menschen zu entsprechen, indem wir nicht verurteilen, nicht abschreiben, nicht zerstören. Auch da, wo wir glauben, dass wir einem Menschen gegenüber Nein sagen müssen, sollten wir immer mit der Möglichkeit rechnen, dass wir im Irrtum sein könnten. Und vor allem darf dieses Nein immer nur der Position des anderen, seinem konkreten Verhalten gelten und niemals dem ganzen Menschen. Auch im Nein muss das Ja zum Menschen, das Ja der Liebe erhalten bleiben. Selbst da wo Menschen sich trennen, weil sie keinen gemeinsamen Weg mehr finden können, sollen sie sich darum bemühen, den anderen nicht als Menschen zu verurteilen oder gar zu verachten. So können wir Amen sagen zu dem Ja Gottes – in aller Vorläufigkeit und Zerbrechlichkeit, die uns Menschen in dieser Welt eigen ist.
Versprochen ist versprochen – bei Gott gilt dieser Satz uneingeschränkt. Auf seine Treue ist Verlass. Sein Ja, seine Liebe zu uns Menschen gilt ohne Wenn und Aber. Dazu ist Jesus Christus in unsere Welt gekommen, als Kind in der Krippe, zart und verletzlich. Dafür hat Jesus gelebt, ist er gekreuzigt und auferstanden. Wir dürfen hoffen, wir dürfen glauben und vertrauen. Und wir sollen wissen, dass auch der Zweifel, die Fragen dazugehören, weil die Verheissungen noch nicht erfüllt sind, weil die Welt und wir Menschen unvollkommen sind. Aber Gottes Ja kann nicht mehr zum Nein werden. „Fürchtet euch nicht“. Wer Gott vertraut, den lässt er nicht im Stich, was immer er auch getan, wie oft er auch in die Irre gegangen sein mag. Was keinen Bestand hat in unserem Leben, wozu Gott Nein sagt, das heilt er und bringt er zurecht. Er tut es, weil er uns liebt und zu uns Ja sagt. Habt keine Angst, wartet in Geduld, übt euch in der Liebe – denn euch ist der Heiland geboren. In ihm sagt Gott Ja zu allen seinen Verheissungen. Amen.

Samstag, 19. November 2011

Predigt am Ewigkeitssonntag 20. November 2011 über Lk 12,35-38.42-46a

Liebe Gemeinde,
am letzten Sonntag des Kirchenjahres, am Toten- und Ewigkeitssonntag, gedenken wir unserer Verstorbenen. Viele von Ihnen haben im zurückliegenden Jahr einen lieben Menschen verloren. Mit ihren Gedanken sind sie bei dem Menschen, von dem sie Abschied nehmen mussten. Vielleicht steht ihnen vor Augen, wie er gestorben ist. Vielleicht haben sie aufbegehrt gegen dieses Sterben, gehadert mit Gott oder dem Schicksal oder sie konnten Ja sagen, einwilligen in dieses Sterben, es als Erlösung ansehen. Und doch – auch in dem friedlichen Sterben, in der Erlösung vom Leiden – ist da ein Mensch, der uns verlässt, der uns zurücklässt, der fehlt. Unausweichlich ist der Schmerz über den Verlust, auch wenn da hoffentlich ebenso die Dankbarkeit ist, für das, was wir miteinander erlebt und geteilt haben.
In all die Gefühle hinein, die uns heute bewegen, spricht der Predigttext aus dem Lk zu uns. Er spricht zu uns vom Kommen Jesu als Herr und Weltenrichter. Er rückt so unser Leben und Sterben in das Licht einer anderen Welt, der Welt Gottes. Er sagt uns: Nicht auf den Tod sollen wir warten, sondern auf das Leben, das kommt. Am Ende steht nicht das Nichts, sondern das Kommen Jesu, die Fülle, das Leben. Als Wartende leben wir – aber nicht als untätig Wartende, sondern als Menschen, die bereit sind.
Im Angesicht des Todes brechen die Fragen unweigerlich auf: Wer sind wir und wozu leben wir? Was bleibt am Ende? Und gibt es eine Hoffnung, die dem Tod standhält, die über das Ende unseres irdischen Lebens hinausreicht?
In zwei Gleichnissen bringt uns unser Predigttext nahe, wie wir leben können und sollen mit der Hoffnung auf das Kommen Christi am Ende der Welt, am Ende unseres eigenen Lebens, ja schon in den kleinen Toden hier und jetzt, wenn wir in einem dunklen Tal sind, dessen Ende wir nicht sehen können. In Gleichnissen bringt er uns diese Hoffnung nahe, weil es nicht darum geht, ob wir es nun für wahr halten, dass es ein Leben nach dem Tod gibt oder nicht. Es geht nicht um den Beweis der Richtigkeit einer Behauptung, sondern um die Ausrichtung unseres Lebens an einer Hoffnung auf das, was wir noch nicht sehen.
Im ersten Gleichnis steht in einem grossen, herrschaftlichen Haus die Dienerschaft zusammen. Sie alle halten brennende Lichter in den Händen, sind bereit aufzubrechen, sobald sich nur das Kommen des Herrn, auf den sie warten, ankündigt. Der Herr ist irgendwo auf einer Hochzeitsfeier. Das kann sich hinziehen. Doch die Knechte sind bereit zu warten. Es ist schon spät, sehr spät. Da kommt der Herr des Hauses doch noch. Er klopft an. Sie machen ihm die Tür auf und, welche Überraschung. Er legt sich einen Schurz an und bedient seine Dienerschaft. Das Fest geht weiter und die Diener sind die Bedienten.
Am Toten- und Ewigkeitssonntag dürfen wir dieses Gleichnis hören als Gleichnis für unsere Trauer. Wenn wir in Trauer sind, mag es uns manchmal auch so vorkommen, als stünde das Leben still, als sei Gott ganz weit weg. Und die Zeit zieht sich in die Länge. Immer wieder überkommt uns die Trauer. Trotzdem, sagt uns das Gleichnis: Seid bereit, wenn das Leben bei euch anklopft. Rechnet damit, dass die Hoffnung und die Freude in euer Leben zurückkehren. Unser Herr kommt und er kommt nicht als Herr, der sich bedienen lässt, sondern er kommt, um unsere Tränen abzuwischen, uns den Tisch zu decken, uns den Becher mit Wein einzuschenken. Sein Kommen können wir nicht herbeizwingen oder beschleunigen, aber bereit sein können wir, aus der Hoffnung auf sein Kommen zu leben und geduldig zu warten. Denn ein glücklicher Mensch ist nicht der, der keine Trauer und keinen Schmerz kennt. Ein glücklicher Mensch ist im biblischen Denken derjenige, der in Trauer und Schmerz nicht ohne Hoffnung ist und der daran glaubt und daran festhalten kann, dass am Ende das Leben steht, dass – wie lange es auch dauern mag – Jesus Christus kommt und uns dient.
Auch im anderen Gleichnis geht es um einen Herrn, der abwesend ist, unterwegs auf einer langen Reise. Er setzt einen Verwalter ein über seine Güter. Was hat nun ein kluger und treuer Verwalter zu tun? Wir würden wohl erwarten, dass er die Güter seines Herrn gewinnbringend einsetzen, sie vermehren soll. Denn das Kapital muss ja Rendite bringen. Aber die Beschreibung im Gleichnis ist eine andere, sie ist überraschend: Der kluge und treue Verwalter ist der, der den Leuten zur rechten Zeit gibt, was sie brauchen. Der kluge und treue Verwalter ist nicht der, der Besitz anhäuft, sondern der, der austeilt. Der ist ein glücklicher Mensch. Am Ende des Gleichnisses taucht auch die andere Möglichkeit auf, dass der Verwalter überfordert ist und von seinem Auftrag abkommt. Weil der Herr solange ausbleibt fängt er an, das Personal zu drangsalieren, wird gewalttätig und säuft. In dieser krassen Schilderung führt uns das Gleichnis die Möglichkeit eines verfehlten Lebens vor Augen. Von einem solchen Leben, das nur um sich selber kreist, das gierig den eigenen Vorteil sucht und anderen Gewalt antut, von einem solchen Leben bleibt am Ende wirklich nichts. Doch selbst dann, denke ich, sollten wir diesem Urteil nicht das letzte Wort lassen. Denn auch einem verfehlten Leben leuchtet die Möglichkeit der göttlichen Vergebung. Wir sollten darauf hoffen, dass durch Jesus Christus alles Leben heil werden kann.
Wer sind wir und wozu leben wir? Was bleibt am Ende? Und gibt es eine Hoffnung, die dem Tod standhält, die über das Ende unseres irdischen Lebens hinausreicht? Wir sind wie die Knechte, die auf ihren Herrn warten und bereit sind für das Leben, wenn er anklopft. Wir sind Verwalterinnen und Verwalter, Mitarbeiterinnen Gottes, deren Auftrag es ist, auszuteilen und weiterzugeben. Denn was bleibt, das ist das, was wir einander gegeben haben, was bleibt ist die Liebe, die sich verschenkt. Was bleibt, ist die Hoffnung, dass wir dereinst die Bruchstücke unseres Lebens als ganzes sehen dürfen. In diesem Vertrauen wollen wir unsere Verstorbenen loslassen, sie in Gottes Hand geben. In diesem Vertrauen können wir auch unserem eigenen Sterben getrost entgegengehen. In diesem Vertrauen können wir leben und das unsere tun, austeilen und weiter geben, was wir empfangen haben – aus Gottes Hand und durch die Menschen, die uns begegnen und durch die, die nicht mehr bei uns sind. Amen.

Sonntag, 18. September 2011

Predigt zu 1. Thess 1,2-10 vom 18. September 2011

Liebe Gemeinde,
Gott sei Dank, dass es euch gibt! Mit diesem ebenso kurzen wie vielleicht für manche überraschenden Satz möchte ich die Botschaft unseres heutigen Predigttextes zusammenfassen. Denn das ist es, was Paulus ganz zu Beginn des 1. Thess der Gemeinde zu sagen hat. Es ist der älteste überlieferte Brief des Paulus und damit die älteste Schrift des NT überhaupt. Und ich möchte sie einladen, diesen Text, diese Botschaft auch auf sich selber zu beziehen. In den Worten des Paulus: „Wir danken Gott allezeit für euch alle und gedenken euer in unserm Gebet und denken ohne Unterlass vor Gott, unserm Vater, an euer Werk im Glauben und an eure Arbeit in der Liebe und an eure Geduld in der Hoffnung auf unsern Herrn Jesus Christus.“

Gott sei Dank, dass es euch gibt! Wie gut tut ein solcher Satz, wenn wir ihn wirklich hören und auf uns beziehen können. Wie gut tut ein solcher Satz gerade uns, die wir doch eher gewohnt sind, darüber zu jammern, dass wir so wenige sind und so viele sich für die Kirche kaum mehr interessieren. Nein, Paulus fängt nicht mit dem an, was sein sollte und der Klage über tatsächliche Defizite. Er fängt nicht an mit Forderungen und Vorschriften. Am Anfang steht schlicht und einfach der Dank für das, was ist. Ich glaube, es ist genau diese Haltung, die wertschätzen und dankbar sein kann für das, was schon da ist, was an Glauben und Engagement wahrnehmbar ist, die unseren Predigttext so ansteckend, so ermutigend macht. Und ich bin überzeugt, dass es uns gut tun würde, wenn wir uns mehr in dieser Haltung der Dankbarkeit und Wertschätzung einüben würden.

Damit meine ich überhaupt nicht, dass wir uns eine rosarote Brille aufsetzen sollten oder gar dass Kritik unerwünscht wäre – ganz im Gegenteil. Aber was ich meine ist dies: natürlich wäre es schön, wenn unsere Kirche bis auf den letzten Platz besetzt wäre, aber ich freue mich, dass sie da sind und wir gemeinsam feiern, uns von Gottes Wort ansprechen und ermutigen lassen dürfen, miteinander singen und beten. Und ich freue mich über die Frauen und Männer, die sich in unserer Kirchgemeinde an den verschiedensten Orten und in unterschiedlichsten Funktionen engagieren. Denken sie nur an den gestrigen Bettagslauf, der ohne eine grosse Zahl von Helferinnen und Helfern gar nicht möglich wäre. Ich bin dankbar dafür, dass ich Menschen begegnen darf, für die der Glaube Halt und Zuversicht in schwierigsten Lebenssituationen ist. Und wie schön ist es, dass Menschen aneinander Anteil nehmen, sich gegenseitig besuchen, voneinander wissen, was den anderen beschäftigt und bedrückt. Da begegnet mir vielfach eine ganz praktische Frömmigkeit, die sich in schlichter Mitmenschlichkeit zeigt und ohne grosse Worte auskommt. Ja, es stimmt: Gott sei Dank, dass es euch gibt.

Gott sei Dank! schreibt Paulus. Gott – und nicht einfach den Christinnen und Christen in Thessaloniki. Und das ist gewiss keine Einschränkung oder Relativierung des Danks. Viel eher ist es eine Steigerung. Gott sei Dank – das heisst wohl auch, ihr seid all das nicht aus eigener Kraft und Leistung. Aber es heisst vor allem: ihr seid eine Gabe, ein Geschenk Gottes füreinander und für die Welt in der ihr lebt, jeder und jede an seinem und ihrem Ort. In Menschen, die ihren Glauben ganz praktisch in ihrem Alltag zu leben versuchen – mit all ihren Fragen und Zweifeln, mit all ihren menschlichen Begrenzungen, in euch wirkt und schafft Gott heute sein Werk. Und da spielt jeder und jede eine wichtige und unersetzbare Rolle.
Gott sei Dank – das erinnert uns aber auch daran, dass all unser Tun ausgerichtet bleiben muss auf den, der der Grund unseres Glaubens ist, auf den Gott, der uns in Jesus Christus begegnet.

Gott sei Dank, dass es euch gibt! schreibt Paulus - und dann erzählt er den Thessalonichern die Geschichte ihres Glaubens: wir wissen, schreibt er, und meint damit auch: Wisst ihr noch? Und diese kleine, unscheinbare Frage ist so wichtig. Aus jeder Ehe kennen wir das, wie wichtig es ist, sich von Zeit zu Zeit zu erzählen, wie das am Anfang gewesen ist, wie die gemeinsame Liebesgeschichte begonnen hat. Oder einander zu erinnern, was der andere einem in dieser oder jener Situation bedeutet hat, von schönen gemeinsamen Erlebnissen und beglückenden Erfahrungen. „Weisst du noch?“ - diese Frage meint nicht ein nostalgisches Schwelgen in der Vergangenheit, sondern die beglückende Entdeckung, dass es so vieles gibt, was uns verbindet. Diese Frage von Zeit zu Zeit hilft uns, einander und vor allem das Gemeinsame und Verbindende nicht aus dem Blick zu verlieren. Im Glauben ist es eigentlich genauso. Weisst du noch, wie damals das Gebet deiner Mutter am Bett dich in Frieden hat einschlafen lassen? Weisst du noch, welche Menschen für dich vorbildlich im Glauben waren? Erinnerst Du dich noch daran, wo dein Glaube dich durch eine schwierige Zeit hindurch getragen hat? Spürst du noch die Dankbarkeit, die dich bei einem Sonnenuntergang oder auf einem Berggipfel erfüllt hat, dieses Gefühl, dass du all dies einer wunderbaren Schöpferkraft zu verdanken hast? Ich bin überzeugt, für jeden und jede von uns gibt es solche Erinnerungen in unserer Glaubensgeschichte, Erinnerungen, die uns helfen könne, das Wesentliche nicht aus dem Blick zu verlieren.

Gott sei Dank, dass es euch gibt! Wir feiern heute den Eidgenössischen Dank-, Buss und Bettag. Er soll ein Tag des Innehaltens und Nachdenkens über den Weg unserer Gesellschaft sein. Er soll uns daran erinnern, dass in einer Gesellschaft mit verschiedenen Kulturen, Konfessionen und Religionen, mit unterschiedlichsten Werthaltungen und Weltanschauungen ein Bewusstsein entstehen oder erhalten bleiben muss, dass das Verbindende stärker ist als die Erfahrung des Trennenden. Gerade wenn wir die Vielfalt achten und schätzen, ist es wichtig, dass diese Vielfalt nicht zu einem beziehungslosen Nebeneinander wird oder gar zu einem unversöhnlichen Gegeneinander. Ich bin überzeugt, dass gerade in dieser Haltung, die Vielfalt zu schätzen und zugleich immer wieder beharrlich das Gemeinsame und Verbindende zu suchen, ein wesentlicher Beitrag unserer christlichen Kirchen zum Wohl unserer Gesellschaft liegt.

Paulus schreibt: „Wir denken ohne Unterlass vor Gott, unserm Vater, an euer Werk im Glauben und an eure Arbeit in der Liebe und an eure Geduld in der Hoffnung auf unsern Herrn Jesus Christus.“ Es ist der berühmte Dreiklang von Glaube, Hoffnung und Liebe. Aber er wird erläutert: Es ist tätiger Glaube, eine Liebe, die sich einsetzt und eine geduldige Hoffnung. Solchen Glaube, solche Liebe und solche Hoffnung gibt es auch unter uns an vielen Orten und auf vielfältige Weise. Menschen, die sich daran orientieren, sind ein Segen für unsere Gesellschaft. Sie halten die Erinnerung wach, dass es noch auf etwas anderes ankommt als auf Erfolg und Profit. Sie lassen uns nicht vergessen, dass die Menschlichkeit einer Gesellschaft sich nicht zuletzt daran bemisst, wie sie mit den Schwachen und weniger Leistungsfähigen umgeht. Sie rufen uns in Erinnerung, dass jeder Mensch eine Gabe Gottes ist und eine menschenwürdige Behandlung verdient.
Gott sei Dank, dass es euch gibt! Unser Predigttext lädt ein zur Dankbarkeit für das Geschenk des Glaubens, für all die Menschen, die ihren Glauben in tätiger Liebe, in ihrem alltäglichen Engagement leben. Er lädt ein zur Freude an der Kirche. Es ist wichtig – auch für unsere säkulare Gesellschaft, dass die Stimmen des Glaubens nicht verstummen, die Erinnerung daran, dass wir Gott verantwortlich sind für unser Handeln, dass wir uns aber auch von Gott getragen und geführt wissen dürfen. Es ist gut, dass die Kirchentüren offen stehen für Menschen mit ihren Fragen und ihren Sorgen. Es ist unverzichtbar, dass in den Kirchen unzählige Menschen sich freiwillig engagieren und damit einen wesentlichen Beitrag zum Wohl der Gesellschaft leisten. Und deshalb noch einmal: Gott sei Dank, dass es euch gibt! Amen.

Sonntag, 28. August 2011

Predigt zu Matth 7,24-27 am 28. August 2011

Liebe Gemeinde,

das Leben ist eine Baustelle. Das ist der Titel eines deutschen Spielfilms, der vor einigen Jahren im Kino lief. Ich habe keine Ahnung mehr, worum es in diesem Film genau ging, aber ich finde, dieser Filmtitel drückt ein weit verbreitetes Lebensgefühl aus und er passt ganz gut zu unserem heutigen Predigttext. Denn auch da verwendet Jesus das Bild vom Hausbau. Doch während der Filmtitel auf die Fragilität unseres Lebens anspielt, auf die wohl unvermeidliche Erfahrung, dass wir heute ständig irgendwie damit beschäftigt sind, uns unser Lebenshaus zusammen zu basteln, geht es Jesus um den Grund auf dem unser Lebenshaus steht. „Jeder, der diese meine Worte hört und danach handelt, ist einem klugen Mann gleich, der sein Haus auf Fels gebaut hat.“

Unser Leben als ein Haus, das auf Felsen gebaut ist und in allen Stürmen Bestand hat - dieses Bild spricht eine tiefe Sehnsucht in uns an. Je stärker unser Leben von Erfahrungen des Wandels und der Instabilität geprägt ist, desto mehr sehnen sich viele Menschen nach Stabilität, Halt und Sicherheit. Gerade darin liegt aber auch das Gefährliche dieses Bildes. Es könnte die falsche Illusion wecken, es gäbe eine Möglichkeit, den Wandel und die Instabilität einfach aufzuhalten. Und dann bauen wir unser Lebenshaus statt auf felsigem Grund auf falschen Sicherheiten: wenn es nur wieder so wäre wie früher… wenn es weniger Konsumverführungen gäbe … wenn Ehepaare sich nicht so leicht trennen würden … wenn sich nicht alles an Geld und Gewinn orientieren würde …wenn die Jungen noch Anstand und Ordnung lernen würden… wenn die anderen, die Fremden nicht da wären. Sie werden bei einigen dieser Wenn-Sätze spüren: da ist ja auch manches Körnchen Wahrheit darin. Gerade als Christen haben wir ja durchaus eine Affinität zu konservativen Werten wie Treue und Verlässlichkeit, Bescheidenheit und Rücksichtnahme. Problematisch werden sie, wo wir mit ihnen eine Verklärung der Vergangenheit betreiben und den Wandel aufhalten und das Andere, das Fremde und die Fremden ausgrenzen und verantwortlich machen für unsere eigene Verunsicherung.

Es gibt keine einfache Rückkehr zu stabilen, sicheren Traditionen, wir können unser Lebenshaus nicht für alle Zeiten stabil errichten. Aber die Frage ist ja, auf welchem Fundament, auf welchem Grund wir die ganzen Um- und Ausbauten, Neubauten und Renovationen unseres Lebenshauses vornehmen. Einen Grund, der nicht Wandel und Instabilität verhindert und aufhält (wie sollte er das auch!), sondern einen Grund, der uns Halt gibt, weil er tiefer liegt und derselbe bleibt, gestern, heute und in Ewigkeit - wie es im Hebr heisst.

Wir sind so sehr mit den Bauarbeiten an unserem Lebenshaus beschäftigt, dass wir uns gar nicht mehr darauf besinnen, welches der Grund ist, auf dem unser Lebenshaus einen sicheren Stand haben kann. Und im Unterschied zu einem Haus aus Stein können wir eben bei unserem Lebenshaus den Grund und das Fundament nicht so verstehen, dass es, wenn es erst einmal ausgesucht und errichtet ist, nun ein für alle mal gegeben ist. Diesen Grund müssen wir immer wieder suchen, uns in Erinnerung rufen, er ist manchmal verschüttet und vernachlässigt. Was Sand und was Fels ist in unserem Leben, dass steht nicht ein für alle mal fest, sondern zeigt sich oft erst im Verlauf unseres Lebens erst im Nachhinein.

Deshalb gibt Jesus auch keine eindeutigen Definitionen für diesen Felsen, auf dem wir unser Leben bauen können. Denn was es heisst, die Worte Jesu zu hören und zu tun, dass gilt es ja im eigenen Leben immer wieder neu zu entdecken, freizulegen, wahrzunehmen. Etwas zeigt uns dieses Bild Jesu aber sehr deutlich: viel zu oft verwechseln wir das Haus oder gar nur die Inneneinrichtung mit dem Lebensgrund. Wir meinen, wir könnten unser Lebenshaus auf unseren grossartigen Leistungen bauen. Oder wir halten materiellen Wohlstand oder unsere Vorsorge für die Zukunft für einen stabilen Grund. All dies gehört zu unserem Lebenshaus und seiner Inneneinrichtung und es ist schön, wenn wir unser Lebenshaus damit bauen und ausgestalten können, aber gründen können wir es nicht darauf.

Wir können den Grund unseres Lebenshauses nicht selber legen. Den felsigen Grund unseres Lebenshauses finden wir vor. Es ist nichts, was wir selber machen können, aber es ist auch keine Lehre oder Ideologie, in die wir uns bedingungs- und gedankenlos einfügen sollen. Ich sage das so betont, weil auch heute noch viele Menschen den christlichen Glaubensgrund mit einer feststehenden Lehre, mit einer Art Ideologie verwechseln. Hier ist das Bild vom Bauen auf Felsen missverständlich. Es kann auch in die Irre führen. Der Glaubensgrund, von dem Jesus redet, ist mehr ein Weg, der zu gehen ist, als ein Standpunkt, den wir einnehmen können. Jesus sagt: „Jeder, der diese meine Worte hört und danach handelt, ist einem klugen Mann gleich, der sein Haus auf Fels gebaut hat.“ Es geht ums Hören und Tun - nicht ums Jasagen. Und das, was zu hören und zu tun ist, das sind die Worte der Bergpredigt. Es geht um die Frage: in welchem Geist, in welcher Grundhaltung können wir eigentlich gut und sinnvoll leben. Und da hat die Bergpredigt in der Tat einiges zu bieten: Sie nennt die Menschen glücklich, die wir nicht unbedingt als erstes so bezeichnen würden - die Armen, die Trauernden, die Gewaltlosen, die Barmherzigen, die Friedensstifter. Sie fordert auf zum radikalen Verzicht auf Gewalt und Vergeltung. Sie lädt uns ein zum vertrauensvollen Beten zu einem Gott, der sich Vater nennen lässt. Sie führt plastisch vor Augen, dass der, der sein Leben auf seinen Besitz, sein Planen und Sorgen gründet, davon abhängig wird und sich sogar zum Sklaven machen kann. Sie lädt ein zur Grosszügigkeit und Barmherzigkeit gegenüber allen Menschen und fasst all dies zusammen in der goldenen Regel: „Wie immer ihr wollt, dass die Leute mit euch umgehen, so geht auch mit ihnen um.“ Das alles mag sich nicht nach einem stabilen Felsen anhören und doch gibt es unserem Leben mehr Stabilität und Grund als so vieles, von dem wir uns gewöhnlich Halt und Sicherheit versprechen.

Was wir brauchen ist ein Grundvertrauen in das Leben, das nicht von uns selbst abhängig ist. Dafür steht in unserem Glauben Gott ein, Gott, der Liebe ist und unser aller Leben hält und trägt. Was wir brauchen ist eine Ehrfurcht vor allem Lebendigen und eine Liebe zum Leben, die sich in Barmherzigkeit und Grosszügigkeit uns selbst und andern gegenüber zeigt. Haben wir nicht schon zu oft erfahren, dass die sogenannten harten Fakten das Leben eben eher hart als stabil und verlässlich machen? Könnte es nicht sein, dass es letztlich wirklich die weichen Dinge sind, die unser Leben kostbar machen und uns Halt und Sicherheit geben, die Achtsamkeit, die Fürsorge, die Liebe und vor allem das Vertrauen, das Vertrauen in den göttlichen Grund des Lebens und das Vertrauen ineinander?

Nicht Sicherheit verspricht uns Jesus, aber einen Halt, der in allen Unsicherheiten unseres Lebens trägt. Das Leben ist wohl tatsächlich eine Baustelle, die niemals vollendet ist, voller Unsicherheiten und Unwägbarkeiten. Wenn wir aber dem göttlichen Grund unseres Lebens vertrauen und unseren Mitmenschen im Geist Jesu begegnen, dann muss uns das nicht beängstigen. Dann können wir fröhlich weiterwerkeln an unserem Lebenshaus - mit all seine schönen Räumen, unseren gelungenen Projekten und mit unseren handwerklichen Fehlern und unserem Scheitern. Nicht alles hält den Stürmen stand, aber da ist einer der uns in allen Stürmen beschützt und darauf achtet, dass unser Lebenshaus nicht einstürzt.
Mit einer Art Gedicht möchte ich die Predigt beschliessen:

Wer sein Leben auf das Vertrauen gründet,
dass in allem Gottes gute Hand ihn leitet,
der wird erschüttert werden,
aber nicht fallen.
Wer sein Leben auf die Hoffnung gründet,
dass auf das Dunkel der Nacht ein neuer Morgen folgt,
der wird Grund zum Klagen haben,
aber er wird nicht aufgeben.
Wer sein Leben auf die Liebe gründet,
die niemanden aufgibt,
der wird Enttäuschungen erleben,
aber er wird reich beschenkt werden.

Samstag, 13. August 2011

Predigt zu 5. Mose 7,6-12 am 14. August 2011

Liebe Gemeinde,
erwählt, heiliges Volk – beim ersten Hören oder Lesen des heutigen Predigttextes können uns vielleicht die zentralen Begriffe unseres Predigttextes fremd und rätselhaft vorkommen. Wer von uns würde sich schon als auserwählt oder heilig bezeichnen? Ziemlich eingebildet und überheblich käme uns eine solche Aussage wohl vor.
Und doch – mag sein, dass der Erwählungsgedanke, der in unserem Predigttext eine so wichtige Rolle spielt, für unser modernes Existenzgefühl wichtiger ist als wir meist denken. Da ist z.B. die moderne Berufswelt, in der Herkunft, Ausbildungsabschlüsse längst nicht mehr die Rolle spielen wie früher und in der die meisten immer wieder in die Situation kommen, sich zu bewerben. Die Bewerbungssituation gehört heute zum alltäglichen Existenzkampf der meisten Menschen von der Lehrstellensuche bis zur Pensionierung. Dabei geht es schlicht und einfach immer wieder darum ausgewählt, genommen zu werden, indem man sich von der grauen Masse der Vielen abhebt. Und manch einer kann ein Lied davon singen, wie sehr das Selbstwertgefühl von solchen Entscheidungen beeinflusst werden kann, wie sehr die Erfahrung, nicht gewählt, nicht genommen zu werden, an einem Menschen nagen kann.
Ich denke auf einer ganz anderen Ebene auf die Vielzahl von Werbesendungen, die uns mitteilen, das wir zu den ganz wenigen Auserwählten gehören, die an einer Lotterie die Chance auf einen Hauptgewinn haben oder für eine Reise oder Kaffeefahrt ausgewählt worden sind. Sie unterstellen, dass Menschen auf diese angebotene „Erwählung“ ansprechbar sind und das Bedürfnis nach Erwählung wird benutzt, um Menschen etwas zu verkaufen.
Oder denken sie an die unzähligen und oft auch unmöglichen Talkshows im Fernsehen. Wie viele melden sich dafür – wohl nicht zuletzt aus dem Bedürfnis, einmal etwas Besonderes zu sein. Oder die ganzen Sendungen à la Superstar oder Big Brother – sie alle sprechen das Bedürfnis an, etwas Besonderes zu sein, Anerkennung zu bekommen.
Auch in der Liebe geht es darum gewählt, auserwählt zu werden. Bei ihm, bei ihr zu landen oder anzukommen, wie es bei Jugendlichen manchmal ziemlich salopp heisst. Und je instabiler Partnerschaften heute werden, desto mehr spielt dieses Ringen um Anerkennung, um Wertschätzung eine bleibende Rolle, bestimmt es die eigene Identität und ist entscheidend für den Bestand der Beziehung. „Abwerten und Wertschätzen“ heisst das Buch eines erfahrenen Eheberaters und dieser Titel bringt ziemlich gut auf den Punkt, worin das gefährlichste Gift und das beste Heilmittel für eine Beziehung zu finden sind.
Das soll ganz gewiss nicht heissen, dass früher alles besser war. Ich weiss, wie oft gerade Frauen früher ohne Anerkennung und Wertschätzung leben mussten, unter den kritischen Augen der Schwiegereltern oder von Tanten, wenig bis gar nicht unterstützt vom Ehemann oder wie oft ihre Arbeit für den Mann einfach selbstverständlich war oder sogar nie gut genug. Zu idealisieren gibt es da kaum etwas. Ebenso in der Berufswelt, wo früher vielen begabten Kindern aus einfachen Verhältnissen keine Möglichkeit gegeben wurde, ihre Begabungen zu entfalten. Worauf es mir ankommt ist aber, dass in uns Menschen das Bedürfnis, die Sehnsucht nach Anerkennung und Wertschätzung tief verwurzelt ist und dass ich glaube, dass sie heute eine grössere Rolle spielt als je zuvor, weil wir weniger eingebunden sind in Herkunft und Tradition, weil unsere Identität viel weniger vorgegeben ist und wir sie uns immer wieder neu erarbeiten müssen.
Wer bin ich? Wo ist mein Platz? Was bin ich wert? Anerkennung und Ablehnung, die wir erfahren, Wertschätzung und Abwertung spielen eine entscheidende Rolle, wie wir all diese Fragen für uns beantworten. Jeder von uns möchte in seiner je eigenen individuellen Eigenart und Besonderheit wahrgenommen und gewürdigt werden. Niemand möchte einfach eine Nummer sein – und das zu Recht! Das macht uns so empfindsam für die Erfahrung nicht gewählt zu werden, für die Abwertung, die wir durch andere erfahren. Und das führt bei vielen dazu, dass sie das Leben als einen einzigen Existenzkampf ansehen, bei dem es gilt, sich zu behaupten, sich Anerkennung und Respekt zu verdienen und sich gegen andere durchzusetzen.
Und genau an dieser Stelle möchte ich auf unseren Predigttext zurückkommen.
6 Denn du bist ein heiliges Volk dem HERRN, deinem Gott. Dich hat der HERR, dein Gott, erwählt zum Volk des Eigentums aus allen Völkern, die auf Erden sind.“ heisst es da. und weiter: „7 Nicht hat euch der HERR angenommen und euch erwählt, weil ihr größer wäret als alle Völker - denn du bist das kleinste unter allen Völkern -,
8 sondern weil er euch geliebt hat.“
Was Gott seinem Volk zuspricht, was Gott jedem einzelnen von uns zuspricht, das ist Erwählung, Anerkennung, Wertschätzung, die wir uns nicht erkämpfen und verdienen müssen, das ist Liebe, die wir uns nicht erworben haben, sondern die uns geschenkt wird. Gott sagt. „Du bist wertvoll. Du bist etwas Besonderes. Dich kenne ich mit Namen. Bei mir bist du nicht nur eine Nummer. Und ich schreibe dich auch niemals ab.“ Das gibt Luft zum Atmen. Das macht Mut zum Sein. Das gibt Selbstvertrauen. Es ist diese Grundbotschaft der Bibel, die für mich zum Zentrum meines Glaubens geworden ist und die ich gerne weitersage, weil ich denke, dass gerade in unserer Zeit diese Botschaft heilsam und lebenswichtig ist. Verliere dich nicht im ständigen Kampf um Anerkennung. Du bist längst schon anerkannt bei Gott. Lass dich nicht durch jede Abwertung und Ablehnung in den Grundfesten deiner Identität erschüttern. Da ist einer, der dich liebt, so wie du bist und der dich kennt. Du musst nicht krampfhaft auf dich aufmerksam machen, dir und anderen etwas beweisen. Da ist einer, der dich ansieht und dir Ansehen schenkt. Man mag die Worte etwas gar süsslich finden, aber der Schluss der 3. Strophe des volkstümlichen Liedes „Weißt du, wieviel Sternlein stehen“ bringt diese biblische Grundaussage auf den Punkt: „... kennt auch dich und hat dich lieb, kennt auch dich und hat dich lieb“. So ist es, davon leben wir. Dafür brauchen wir nichts tun.
Wir sind erwählt, wir sind anerkannt, wir sind wert geachtet in Gottes Augen. Es sind grossartige Aussagen und ich möchte ihnen unbedingt ans Herz legen, diese Sätze für sich nachzusprechen, sich zusagen zu lassen. Aber ich möchte nicht verschweigen, dass mit ihnen auch eine Gefahr verbunden ist, die gerade im 5. Buch Mose auf furchtbare Weise zutage tritt. Israel ist auserwählt, das verheissene Land liegt vor Augen. Doch nun heisst es, Gottes Wille sei es, die Bewohner des Landes, die vermeintlichen Feinde Gottes auszurotten. Man weiss heute, dass die Eroberung des Landes viel weniger gewalttätig erfolgt ist, als sie uns in der Bibel geschildert wird. Dennoch ist es gut, wenn wir bei solchen Gedanken erschrecken. Nein, der Gott, der uns kennt und liebt, der Gott, der uns einlädt unsere Feinde zu lieben und Gutes mit Bösem zu überwinden, der will gewiss nicht die Ausrottung seiner vermeintlichen Feinde, zumal unser Urteil, wer nun die Feinde Gottes sind, höchst vorläufig ist. Vielmehr entspricht es der Grundrichtung unseres Glaubens, wenn wir auch den Menschen, die unseren Glauben nicht teilen, deren Lebensstil dem unseren nicht entspricht, mit Respekt und Wertschätzung begegnen.
Wir können und müssen uns Gottes Wertschätzung nicht verdienen. Als Menschen, die von Gott wert geschätzt sind, können wir uns aber bemühen, nach seinem Willen zu handeln. Und ich denke, dass das im Kern bedeutet: anderen mit Wertschätzung zu begegnen, diese Wertschätzung auch zu zeigen.
Was würde sich wohl verändern, wenn wir im Alltag nicht so sehr auf die Fehler und Schwächen unserer Mitmenschen achten würden, sondern auf ihre Stärken und Begabungen. Was würde geschehen, wenn wir uns etwas öfter die Mühe machten, jemandem zu sagen, was wir an ihm schätzen. Wieviel könnte gelegentlich ein einfaches Merci oder „Das ist eine gute Idee“ oder „schön das du bei uns bist“ bewirken. Wie oft wäre es auch möglich zuerst zu würdigen, was gut ist, bevor wir kritisieren, was noch besser sein könnte. Wir können einander ermutigen und wir können einander entmutigen. Und manchmal ist es die schlimmste Entmutigung, dass wir einander gar nicht mehr richtig wahrnehmen oder es einander nicht zeigen. Darum: auf jedem von uns ruht Gottes wohlwollender Blick, jedem von uns gilt Gottes Anerkennung und Wertschätzung. Geben wir sie weiter. Blicken wir einander wohlwollend an und sagen einander, was wir schätzen – ohne Heuchelei, aber auch ohne falsche Sparsamkeit. Amen.

Samstag, 16. Juli 2011

Predigt zu 1. Mose 50,15-21 am 17. Juli 2011

Liebe Gemeinde,

kaum ist der Patriarch unter der Erde, da liegen die Nerven bei den Brüdern Josefs schon blank. Verzeihen sie mir diese etwas derbe Ausdrucksweise, aber ich denke, sie passt ganz gut zu dem, was unser heutiger Predigttext erzählt. Und es ist eine Erfahrung, die mancher wohl schon gemacht hat, wenn uralte und nicht wirklich bereinigte Konflikte in einer Familie schwelen. Vielleicht wurden sie um der Eltern willen mühsam im Zaum gehalten, aber gelöst wurden die Konflikte dadurch nicht. Und wenn eines Tages die Eltern nicht mehr da sind, dann kann es passieren, dass die ungelösten Konflikte und Verletzungen mit aller Macht wieder aufbrechen.

Genau das ist die Situation unseres Predigttextes - oder besser gesagt, die Situation, die Josefs Brüder befürchten. Sie haben allen Grund dazu. Denn viel übler als sie es getan haben, kann man einem Bruder nicht mitspielen. Damals, vor vielen Jahren, als sie vor Neid und Missgunst zerfressen waren, weil Josef von ihrem Vater so spürbar bevorzugt wurde und ihnen so eingebildet erschien, da hatten sie ihn kurzerhand an eine Sklavenkarawane nach Ägypten verkauft. Dem Vater hatten sie erklärt, er sei tot, von einem wilden Tier gefressen.

Sie alle kennen die Geschichte - wie Josef sich den Nachstellungen der Frau Potifars entzieht und im Gefängnis landet, dort den Mitgefangenen ihre Träume deutet und so später den Zugang zum Pharao findet. Weil er auch dessen Träume deuten kann und dadurch Ägypten vor einer Hungersnot bewahrt, wird er zu einem der einflussreichsten und höchsten Beamten des Reiches. Sie wissen, wie seine Brüder vom Hunger nach Ägypten getrieben werden und ihn nicht erkennen, wie er sie auf die Probe stellt und schliesslich zu erkennen gibt und seine Familie nach Ägypten holt. Schon in dieser früheren Szene der Josefsgeschichte kommt es zur Versöhnung und schon dort klingt an, was wir hier noch einmal hören. Die böse Tat der Brüder hat sich im Nachhinein als Segen erwiesen. Gott hat es zum Guten gewendet und so die Familie Jakobs in der Hungersnot gerettet.

Aber wie tragfähig ist diese Versöhnung? Trägt sie auch jetzt noch, wo der Vater nicht mehr lebt? Gott hat es zum Guten gewendet, aber es bleibt eine böse Tat. Und ein Narr, wer hier glaubt, es sei alles längst vergeben und vergessen. Es gibt Demütigungen und Verletzungen, die kann man nicht einfach vergeben und vergessen. Die begleiten einen ein Leben lang. Und so wird Josef nie ganz vergessen können, was seine Brüder ihm angetan haben - die Stunden in dem feuchten Brunnenloch, der demütigende Weg nach Ägypten als ein Stück verkäufliche menschliche Ware, die Nachstellungen der Frau Potifars und die Zeit als Unschuldiger im Gefängnis. Manche dieser Erfahrungen sind Josef wohl noch so nahe, als wäre es gestern gewesen. Nicht immer heilt die Zeit alle Wunden.

Die Brüder Josefs wissen das. Sie geben sich keinen Illusionen hin. Für sie steht noch einmal alles auf dem Spiel und sie wissen, dass sie in Josefs Hand sind - und nicht weniger in der Hand ihrer Schuld, die sie nicht mehr ungeschehen machen können. Immerhin - sie weichen ihrer Angst nicht aus und stellen sich dem Gespräch mit ihrem Bruder. Aber noch einmal greifen sie zu ihrer alten Methode - sie versuchen es mit Lüge und List. Zwar ist die Geschichte hier nicht ganz eindeutig, aber der vermeintliche Auftrag Jakobs an Josef, dass er seinen Brüdern vergeben soll, ist nirgends überliefert. Und hätte Jakob so etwas Wichtiges nicht selbst seinem Sohn Josef gesagt? Wir wissen auch nicht, ob Josef weint, weil er spürt, dass seine Brüder ihn schon wieder betrügen oder aus Mitgefühl, weil er ihre Angst sieht. Oder ob er weint, weil all die erlittenen Demütigungen ihm noch einmal vor Augen stehen.

Was wir aber wissen ist, dass Josef sich nicht zur Rache hinreissen lässt, sondern noch einmal verzeiht: „Fürchtet euch nicht! Bin ich denn an Gottes Statt? Ihr zwar habt Böses gegen mich geplant, Gott aber hat es zum Guten gewendet, um zu tun, was jetzt zutage liegt: ein so zahlreiches Volk am Leben zu erhalten. So fürchtet euch nicht! Ich will für euch und eure Kinder sorgen. Und er tröstete sie und redete ihnen zu Herzen.“ Er befreit seine Brüder vom Fluch der bösen Tat. Aber - und das scheint mir ebenso wichtig! - er befreit auch sich selbst vom Fluch der bösen Tat seiner Brüder. Würde er jetzt noch Rache üben, so bliebe er selbst im Bann der Vergangenheit. Er würde sich an Gottes Stelle setzen und das Gute, das Gott aus der bösen Tat hat entstehen lassen, in Frage stellen. Und zugleich wären das Gefühl der Macht und die Genugtuung, es seinen Brüdern heimzuzahlen, eine Illusion, weil er dann fremdbestimmt bliebe durch das, was ihm angetan wurde.

Das zieht sich in meinen Augen wie ein roter Faden durch die ganze Josefsgeschichte: dieser Josef ist einer, der sich niemals durch das bestimmen lässt, was ihm angetan wurde. Er lässt sich nicht auf die Opferrolle reduzieren. Er nimmt trotz allem, was man ihm angetan hat und wie übel ihm auch mitgespielt wurde, immer wieder sein Leben in die Hand und nutzt seine Möglichkeiten. Damit Gott aus dem Bösen in seinem Leben etwas Gutes machen kann, dazu braucht es auf Josefs Seite die Bereitschaft, nicht nur mit seinem Schicksal zu hadern, sondern die Möglichkeiten, die sich ihm trotz allem eröffnen, auch zu ergreifen.

Es ist nicht so sehr die moralische Botschaft, dass wir das Böse, das uns angetan wird, verzeihen sollen, um die es hier geht - auch wenn das zweifellos richtig und wichtig ist. Und es ist auch nicht allein die Hoffnungsbotschaft, dass wir darauf vertrauen dürfen, dass Gott auch aus dem Schwierigen und sogar dem Bösen in unserem Leben etwas Gutes entstehen lassen kann - die ebenso zutreffend ist. Das Entscheidende sehe ich aber in der Botschaft, dass wir uns nicht bestimmen lassen müssen von dem, was andere aus uns machen oder uns antun, weil letztlich Gott über unser Leben bestimmt. Verzeihen ist in der Josefsgeschichte nicht so sehr eine moralische Verpflichtung, sondern die grossartige Erfahrung einer befreienden Kraft. Die Frage ist nicht, ob wir verzeihen müssen, sondern ob wir verzeihen können. Das macht einen riesigen Unterschied.

Es ist so verführerisch einfach, für viele Dinge in unserem Leben erlittenes Unrecht und von anderen zugefügtes Leid verantwortlich zu machen. Und es mag dafür auch gute und durchaus berechtigte Gründe geben. Aber es bringt uns keinen Schritt weiter und kann uns blind machen für das, was an Gutem in unserem Leben heranwachsen und gedeihen will. Es verstärkt den Groll auf die, die uns etwas angetan haben und hält uns zugleich im Bann ihrer Macht. Josef steht immer wieder auf seine Füsse statt nur mit seinem Schicksal zu hadern. Das gibt ihm eine Stärke, die auf Gottvertrauen und Souveränität gründet und sich nicht gegen andere oder auf Kosten der anderen durchsetzen und beweisen muss. Weil er sein Leben nicht vom erlittenen Unrecht bestimmen lässt, kann er dieses Unrecht dann auch verzeihen. Er muss es nicht rächen, aber er muss es auch nicht verdrängen oder den Schmerz leugnen, der immer noch damit verbunden ist.

Ich denke, diese Botschaft hat ihre Bedeutung auch für Familienkonflikte in unserer Zeit. Je mehr wir sie zum Erklärungsmuster für unser Leben machen, umso mächtiger werden sie und es bleibt kein Spielraum, um wirklich zu verzeihen. Wenn wir sie verdrängen, brechen sie irgendwann wieder auf. Der einzig gangbare Weg ist, dass wir Konflikte und Verletzungen wahrnehmen und annehmen als einen Teil unseres Lebens, unserer Geschichte, der zu uns gehört und uns dennoch nicht davon bestimmen lassen. Wir können Dinge nicht wirklich verzeihen, solange sie uns noch vollständig im Griff haben. Aber es ist auch eine Frage unserer Lebenshaltung, ob wir zumindest versuchen, uns nicht von Vergangenem vollständig beherrschen zu lassen. Und wenn wir dann verzeihen können, dann ist das zuallererst für uns selber eine befreiende Erfahrung, wie ein Joch, das wir abgeworfen haben. Ein Verzeihen, dass die Verletzungen nicht verdrängt, unterbricht das zermürbende Hin und Her von Vorwürfen und Rechtfertigungen und kann die Angst vertreiben, die Menschen zugleich aneinander kettet und voneinander trennt. Von Gott dürfen wir die Kraft zum Verzeihen erbitten und das Vertrauen, dass weder unsere Schuld noch erlittenes Unrecht unser Leben bestimmt, sondern Gott, der auch aus dem Bösen Gutes hervorbringen kann.

Amen.

Samstag, 25. Juni 2011

Predigt über Lukas 15,1-10 (bzw. 32) am 26. Juni 2011

Liebe Gemeinde,
wieder einmal hat Jesus sich mit Leuten umgeben, die nicht gerade den besten Ruf genossen. Bzw. sie haben seine Nähe gesucht und er hat sie nicht weggeschickt. Sünder und Zöllner waren es und Jesus war sich nicht zu schade, sich mit ihnen abzugeben, mit ihnen zu essen. Für die rechtschaffenen Bürger, die Pharisäer und Schriftgelehrten, war das skandalös. Zu solchen Subjekten hält man besser Abstand. Aber Jesus kümmert sich wenig darum, was sich angeblich gehört. Was für ihn zählt, das sind die Menschen, die am Rande stehen, die ihn brauchen, die auf Anerkennung und Gemeinschaft angewiesen sind. Deshalb erzählt Jesus, als er von den Pharisäern und Schriftgelehrten angegriffen wird, die Gleichnisse vom Verlorenen. Drei Gleichnisse sind es – und immer geht es darum, wie wichtig in Gottes Augen der einzelne Mensch ist, geht es um die menschliche Würde, die unabhängig ist von allem Nutzen, aller Leistung, allem Rentabilitätserwägungen. Gott sucht den einen, die eine – gerade die, denen von vielen ein Recht auf Beachtung abgesprochen wird. Und am Ende steht immer ein Fest. Diese überschwängliche Freude und Dankbarkeit, die so unverhältnismässig erscheint, sie ist ein ganz wichtiger Zug dieser Gleichnisse.
Das erste Gleichnis ist vielleicht das Bekannteste. In mancher Stube hängt das Bild des guten Hirten, der sein verlorenes Schaf, nachdem er es wieder gefunden hat, auf den Schultern nach Hause trägt. Ein berührendes Bild, das uns zeigen will: so kümmert Gott sich um jedes Einzelne, so wichtig sind wir für ihn. Und zwar, darauf kommt es ganz besonders an – nicht nur die Frommen, die Braven, die Unkomplizierten, sondern gerade die, die sich verirrt haben, auf Abwegen sind.
„Welcher Mensch ist unter euch…“ Dieser Anfang des Gleichnisses unterstellt, dass es gar keine andere Möglichkeit gibt, dass es einfach logisch und offensichtlich ist, dem einen verlorenen Schaf nachzugehen und die 99 allein in der Wüste zurückzulassen. Aber ist es das wirklich? Stellen wir uns einmal ein ganz anderes Gleichnis vor: Wer von euch würde nicht, wenn er 100 Schafe hat und eines davon verliert, Sorge tragen zu den 99 und das eine opfern, denn wer weiss ob er es findet und nicht inzwischen der Wolf kommt und die 99 überfällt. Ist diese Logik nicht auch überzeugend, vielleicht auf den ersten Blick sogar überzeugender als die Logik Jesu? Auch heute bekommen wir oft solche Sätze zu hören: Wer von euch würde nicht …?
Wer von euch würde nicht 100 Mitarbeiterinnen entlassen, wenn dadurch 900 ihre Stelle behalten? Wer von euch würde nicht Ja dazu sagen, dass an embryonalen Stammzellen geforscht wird, wenn er bedenkt, dass er selbst dadurch einmal von einer schweren Krankheit geheilt werden könnte? Wer von euch würde bezweifeln, dass es sinnvoller ist, einem 65-jährigen eine teure Hüftoperation zukommen zu lassen als einem 85-jährigen. Wer von euch würde nicht die Zuwanderung begrenzen und Flüchtlinge wegweisen, wenn so viele Schweizer arbeitslos sind?
Erst wenn wir genauer hinsehen, merken wir, wie fragwürdig diese Logik häufig ist. Erst wenn wir den einzelnen Menschen mit seinen Schmerzen, mit seiner Notlage, mit seinem Schicksal sehen, erkennen wir, wie unmenschlich diese Logik sein kann. Und dann merken wir, dass Jesu Logik eine andere ist. Auf den einzelnen Menschen kommt es an, er ist wichtig. Der Hochbetagte ist es wert, dass er die teure Operation bekommt, die ihn von seinen Schmerzen befreit. Die Behinderte ist es wert, dass sie alle mögliche Unterstützung bekommt. Der Flüchtling ist es wert, dass er Zuflucht bekommt. Der, der auf die schiefe Bahn geraten ist, ist es wert, dass wir ihm die Möglichkeit geben, wieder neu anzufangen. Der mich verletzt hat, ist es wert, dass ich auf ihn zugehe und ihm die Hand reiche.
Sie könnten sicher noch viele Beispiele hinzufügen. Der Hirte im Gleichnis geht dem einzelnen verirrten Schaf nach. Und so geht Gott jedem Einzelnen von uns nach, sagt uns das Gleichnis. Und ebenso sollt auch ihr den Menschen nachgehen, euch hüten davor, andere abzuschreiben. Denn wer jemanden abschreibt, der nimmt ihm die Würde. Wer den anderen zum hoffnungslosen Fall erklärt, der nimmt ihm die Würde. Wer Menschen als Mittel zum Zweck benutzt, der nimmt ihnen die Würde. Die Würde des Menschen aber ist unantastbar.
Wirtschaft soll den Menschen dienen – dieses Plakat, das vor einigen Jahren während dem Weltwirtschaftsforum in Davos an zahlreichen Kirchtürmen hing, macht uns die Botschaft dieses Gleichnisses im Ökonomischen bewusst. Es ist klar, dass es Situationen gibt, wo Betriebe um Entlassungen nicht herumkommen. Aber wo diese nicht für die Existenz des Unternehmens, sondern zur Maximierung des Profits vorgenommen werden, da wird die Würde des Einzelnen, dessen Existenz und Selbstwertgefühl an der Arbeit hängen, krass missachtet.
Jeder einzelne Mensch ist wichtig, jeder ist wertvoll. Egal, was er getan oder versäumt hat, egal, wohin ihn sein Schicksal oder seine Entscheidungen geführt haben. Niemanden sollen wir endgültig auf seine Geschichte, seine Fehler, sein Versagen festlegen. Und wenn einer wiedergefunden wird, wenn einer sein Glück, seinen Weg findet, dann ist das ein Grund zum Feiern. Können wir uns am Glück der anderen freuen und mit ihnen feiern, auch bei denen, wo wir manchmal das Gefühl haben, dass sie nicht besonders viel taugen? Können wir jemand zutrauen, dass er einen anderen Weg gehen kann als bisher und uns dann mit ihm freuen? Oder fragen wir dann eher: Womit hat der das verdient? Das wird sicher nicht von Dauer sein!
Statt Neid, Missgunst und Ausgrenzung laden die Gleichnisse vom Verlorenen ein zum Fest aus Freude über das Wiedergefundene. Und im dritten Gleichnis, dem vom verlorenen Sohn, das ich nicht vorgelesen habe, das sie aber sicher kennen, da kann der ältere Sohn sich nicht mitfreuen. Er findet das Verhalten des Vaters ungerecht, der seinem nichtsnutzigen Bruder ein Fest ausrichtet. Verständlich ist seine Reaktion und dennoch: mit seinem Verhalten, seiner Weigerung mitzufeiern, zeigt er, dass er die Liebe seines Vaters nicht begriffen hat, dass das Gift des Neides und des Urteilens ihn unfähig macht, sich zu freuen. Denn was geht ihm verloren, wenn er mitfeiert? Nichts – nur mag er seinem Bruder das Glück und das Fest nicht gönnen. Verurteilt nicht, sagt Jesus den Pharisäern und Schriftgelehrten, sondern freut euch mit, wenn diese Sünder und Zöllner bei mir Gemeinschaft finden und einen neuen Weg entdecken. Schreibt sie nicht ab, sondern freut euch mit an ihrem Glück. Euch wird ja dadurch überhaupt nichts weggenommen.
Verurteilt nicht, sondern achtet auf die Würde jedes Einzelnen, auch und gerade derer, die an den Rändern unserer Gesellschaft stehen. Verurteilt nicht, sondern freut euch über jeden, der wieder eine Chance bekommt. Wenn wir den Menschen nachgehen – im Auftrag unseres Gottes – dann bekommen Menschen Chancen, spüren, dass sie wichtig sind, kann sich etwas verändern in ihrem Leben.
Freude über das Wieder gefundene soll bei uns sein und wir dürfen auch darauf vertrauen, dass Gott auch uns sucht, wenn wir einmal in die Irre gehen, durch dunkle Täler hindurch müssen, nicht mehr weiter wissen. Auch für uns gilt: Jedes Einzelne ist in Gottes Augen ungeheuer wertvoll. Jeder Mensch hat seine unantastbare Würde und ist kostbar. Amen.

Sonntag, 12. Juni 2011

Predigt am Pfingstsonntag 12. Juni 2011 über Apostelgeschichte 2,1-18

Liebe Pfingstgemeinde,

es ist ein Wunder. Da zieht ein Wanderprediger durch Galiläa und erzählt den Menschen vom lieben Gott. Die meisten nehmen wohl kaum Notiz von ihm. Einige schreiben ihm zwar Wundertaten zu. Auf jeden Fall spürt mancher, dass dieser Jesus von Nazareth etwas Besonderes ist, dass eine besondere Kraft und Ausstrahlung von ihm ausgeht.

Die wachsende Zahl seiner Anhängerinnen und Anhänger macht die Behörden unruhig - nicht im fernen Rom, dort hat man von den Ereignissen nichts vernommen - nur draussen in der Provinz Palästina am Rande der römischen Welt. Bevor er noch mehr Unruhe stiften kann, schlägt man Jesus ans Kreuz - wie so viele vor und nach ihm.

Und die Rechnung geht zunächst einmal auf. Ob sich die Freunde Jesu - wie es in der Apostelgeschichte heisst - in ein Obergemach in Jerusalem zurückgezogen haben oder zu ihren Familien und Berufen zurückkehrten, wissen wir nicht. Aber ihre Trauer und Mutlosigkeit können wir erahnen. Trotzdem liess sie die Erfahrung des gemeinsamen Weges mit Jesus von Nazareth nicht los. Sie glaubten, dass er nicht im Tod geblieben ist. sie hielten fest an seiner Botschaft und an der Gemeinschaft untereinander. Und sie fingen an, anderen davon zu erzählen, andere davon zu begeistern.

Etwa 40 Jahre später ist aus dem mutlosen und traurigen Freundeskreis eines Wanderpredigers, den sie gekreuzigt haben, eine Gemeinschaft geworden, die sich bis nach Rom und Kleinasien ausgebreitet hat. Es sind noch immer klein Gemeinden, die sich in Privathäusern treffen. Aber sie sind erfüllt von einer besonderen Kraft und sie sind spürbar anders als ihre Umwelt.

Es ist ein Wunder, dass aus der verstreuten und entmutigten Jüngerschar eine Gemeinschaft werden konnte, die sich vor allem in den Städten der damaligen Welt ausbreiten konnte und soziale Grenzen sprengte. Und in Klammern: es ist ein Wunder, dass diese Gemeinschaft - trotz allen Fehlern und menschlichen Unzulänglichkeiten - auch heute 2000 Jahre später noch existiert und in vielen Weltgegenden weiter ausbreitet.

Dieses Wunder hat einen jungen Mann - wir nennen ihn Lukas - veranlasst, die Geschichte dieses Jesus von nazareth und die Anfänge der christlichen Gemeinde zu erzählen. Und er hat diese Wunder, dass aus der mutlosen Jüngerschar Kirche werden konnte, verdichtet in der Pfingstlegende. Die Pfingstlegende erzählt nicht als Augenzeugenbericht von einem erstaunlichen öffentlichen Event in jerusalem gut 50 Tage nach der Kreuzigung Jesu. Sie erzählt in symbolischer Bildkraft von dem Wunder, dass die christlichen Anfänge ausmacht und will diesen Geist und diese Kraft des Anfangs wachhalten und neu entfachen. Die Kraft, die dieses Wunder bewirkt, ist für Lukas die Kraft des heiligen Geistes. In der Pfingstlegende wird uns erzählt, dass die Verheissung „ihr werdet die Kraft des heiligen Geistes empfangen“, zur inneren Gewissheit wurde: „Wir haben die Kraft des heiligen Geistes empfangen.“

Diesem Geist von Pfingsten und was er bedeutet, möchte ich in einigen Andeutungen nachgehen. Und ich schicke eine Art Warnhinweis voraus: Der Pfingstgeist, der heilige Geist ist ein Geist des Wandels. Wer möchte, dass immer alles beim Alten bleibt, sollte sich besser nicht auf diesen Geist einlassen.

1. Der Pfingstgeist ist zuerst einmal der Geist des freien Wortes. Eine Gruppe von Begeisterten ergreift das Wort – ohne jegliches Amt und jegliche Autorität. Es ist ein Hauch von Speaker’s Corner in dieser Pfingstgeschichte. „Wem das Herz voll ist, dem geht der Mund über.“ (Mt 12,34). Pfingsten ist für mich ein urdemokratisches Fest. Und Kirche muss eine Gemeinschaft von Menschen sein, in der jede und jeder Gehör findet - egal ob mit Amt und Autorität oder nicht, ob mehr oder weniger intelektuell, ob er nun die übliche Kirchensprache beherrscht oder scheinbar völlig unfromm redet, auch die mit den ketzerischen und vermeintlich abwegigen Ideen und Gedanken. Der Pfingstgeist hält sich nicht an unsere Vorgaben, was sich hier bei uns gehört.

2. Pfingsten ist ein Fest der Verständigung. Es ist das biblische Gegenbild zum Turmbau zu Babel. Während dort die Menschen einen gigantischen Turm bis zum Himmel bauen wollen und darüber die Fähigkeit verlieren, sich zu verständigen, sprechen sie in der Pfingstgeschichte die Sprache des Herzens und finden so zur Verständigung. Einen Turm bis in den Himmel kann man nur bauen, wenn man das Ziel nie aus den Augen verliert und alles nach Befehl und Gehorsam funktioniert. Dann aber bleiben die Menschen auf der Strecke. Sie gehorchen vielleicht, aber sie verstehen einander nicht mehr. In der Pfingstlegende steht ein Reden im Zentrum, das von Herzen kommt und Menschen in ihren Herzen erreicht. Da sind die Erfahrungen und Träume der Alten ebenso wichtig wie die Träume und Ideen der Jungen. Da wird nicht unbeirrbar ein Ziel verfolgt, sondern nach Verständigung und Verständlichkeit gesucht. Damit lassen sich zwar keine gigantischen Türme bauen, aber ein menschliches und erfülltes Zusammenleben.

3. Pfingsten ist ein Fest der Gemeinschaft. Darum ist es eben auch der Geburtstag der Kirche. Der Pfingstgeist lässt nicht jeden in der Vereinzelung seiner Begeisterung zurück, sondern verbindet Menschen über Grenzen der Sprache, der Politik, des Geschlechts, der sozialen Gruppen und der Generationen hinweg.

4. Der Pfingstgeist ist der Geist der Freiheit. Er weht, wo er will. Keine Institution, keine Gruppierung, keine Religion kann einfach darüber verfügen. Darum kann eine Religion oder Kirche nur dann sich auf diesen Geist berufen, wenn sie Freiheit ermöglicht, die Freiheit des Wortes, der Gedanken, des persönlichen Glaubens.

5. Das hebräische Wort für den Geist ist Ruach. Es ist weiblich und bedeutet auch Wind und Atem. Mit seinem Atemhauch belebt Gott in der biblischen Schöpfungsgeschichte die Menschen. Mit jedem Atemzug bin ich als mit dem göttlichen Geist und mit allen Lebewesen verbunden.

6. Darum ist der Pfingstgeist auch der Geist der Meditation, des bewussten Atmens, der Achtsamkeit, der Präsenz im Hier und Jetzt.

7. Der Pfingstgeist ist aber auch ein kritischer Geist. Begeisterung allein kann auch ein Strohfeuer sein, kann blind machen und uns um den Verstand bringen. Drum ist es wichtig, das, was uns begeistert und erfüllt, auch der kritischen Prüfung zu unterziehen und am Massstab der Liebe und der Gemeinschaft zu messen.

8. Der Pfingstgeist ist auch ein Geist des Friedens. „Unruhig ist unser Herz, bis es Ruhe findet in dir“ heisst es bei Augustin.

9. Und er ist zugleich der Geist des Wandels. Wer möchte, dass immer alles beim Alten bleibt, sollte sich besser nicht auf diesen Geist einlassen. Gerade unsere reformierte Kirche beruft sich ja darauf, eine ständig sich erneuernde Kirche zu sein, eine Kirche, der der Wandel als Wesensmerkmal eingeschrieben ist. Aber wie oft hängen wir in Wirklichkeit daran, dass alles beim Alten bleiben möge und haben mehr Angst vor Veränderungen und Aufbrüchen innerhalb und ausserhalb unserer Kirchenmauern. Dabei brauchen wir die Querdenker, die Kreativen, die Veränderungswilligen. Nicht dass Veränderung und Erneuerung prinzipiell gut wären. Aber wir brauchen keine Angst davor zu haben.

10. Der Geist weht, wo er will. Er hält sich nicht an Grenzen der Religion oder Konfession. Aber ich glaube, dass es zwei Dinge gibt, woran man ihn/sie erkennen kann: Der Geist lässt Menschen aufatmen und zwingt und knechtet nicht und er befähigt zu Liebe und Toleranz.

Freitag, 3. Juni 2011

Predigt zu Christi Himmelfahrt am 2. Juni 2011 über 1. Könige 8,22-24.26-28

„wo wohnt denn der liebe Gott?“ - das ist eine dieser Kinderfragen, die so naiv klingen und doch tiefgründiger sind als wir auf den ersten Blick meinen. „Der liebe Gott wohnt im Himmel“, sagen wir den Kindern dann oft. Und das ist ja auch richtig. Aber wenn das Kind dann weiterfragt, wo denn der Himmel ist, dann kommen die meisten von uns doch schon ziemlich in Verlegenheit. Das Blau über uns kann es ja wohl kaum sein, auch wenn wir beim Gedanken an den Himmel den Blick oft unwillkürlich nach oben richten und in den künstlerischen Darstellungen der Himmelfahrt Christi die Szene häufig so dargestellt wird, dass er von einem Berg oder Hügel aus auf den Wolken entschwebt. Auch die Darstellung der Apostelgeschichte verwendet ja dieses naheliegende Bild. Aber es bleibt ein Bild.

Manchmal antworten wir vielleicht: „Der liebe Gott wohnt überall.“ Es gibt dazu auch eine schöne rabbinische Geschichte. Als Rabbi Jizchak Meir ein kleiner Junge war, fragte ihn einmal jemand: „Jizchak Meir, ich gebe dir einen Gulden, wenn du mir sagst, wo Gott wohnt“. Er antwortete: „Und ich gebe dir zwei Gulden, wenn du mir sagen kannst, wo er nicht wohnt.“ In einem ähnlichen Sinn sagen viele heute, dass ihnen Gott am ehesten in der Natur begegnet, in der Schönheit der Schöpfung. Und es stimmt ja auch: wo wir staunen und dankbar sein können, da erfahren wir Gott.

Eine andere Antwort lautet: „Gott wohnt in den Herzen der Menschen. Er ist die Kraft zum Guten, die Liebe, die uns erfüllt, das Vertrauen, das wir in uns spüren.“ Zweifellos eine richtige und sehr überzeugende Antwort.

In den sogenannten Schriftreligionen sagt man auch: „Gott wohnt im Wort der Heiligen Schrift.“ Einem Kind würden wir das vermutlich kaum so sagen. Und ich weiss sehr wohl um die Gefahr eines toten Buchstabenglaubens oder einer fundamentalistischen Enge. Trotzdem ist auch diese Antwort nicht falsch. Und ich hoffe, dass zu den Geschichten, die ihr, liebe Taufeltern, ihren Kindern erzählen werdet, nicht nur Märchen und Fantasygeschichten oder ähnliche gehören, sondern auch biblische Geschichten, weil wir in diesen Geschichten verbunden sind mit Gott und mit den Menschen, die vor uns geglaubt, gehofft und geliebt haben, weil diese Geschichten Vertrauen und Lebenszuversicht wecken können.

Und wie sieht es mit der Antwort „Gott wohnt in der Kirche“ aus. Immerhin heisst die Kirche ja auch das Haus Gottes. Trotzdem ruft gerade diese Antwort besonders viel Widerspruch hervor - auch und vor allem bei Menschen, die spirituell auf der Suche sind. „Glaube ja, Kirche nein“ heisst oft der Leitspruch. Man kann doch schliesslich auch ein guter Mensch sein, ohne in die Kirche zu gehen und umgekehrt macht der Kirchgang niemand automatisch zu einem besseren Menschen. Mancher fühlt sich auf einem Berggipfel dem lieben Gott tatsächlich näher als in einer Kirche. Ich habe nicht das geringste Interesse, all dies zu bestreiten oder auch nur zu relativieren. Ich möchte nicht einmal andere davon überzeugen, dass sie eben die Kirche doch noch brauchen, um die richtigen Gotteserfahrungen zu machen. Zu lange wurde der Eindruck erweckt, ausserhalb der Kirche gebe es kein Heil.

Der heutige Predigttext ist ein Gebet, einige wenige Verse aus dem Tempelweihegebet des israelitischen Königs Salomos. Das besondere des Glaubens Israels ist, dass sie im Unterschied zu ihrer orientalischen Umwelt keine Götterbilder verehrten. Die Israeliten glaubten an einen unsichtbaren Gott, der sich nicht in Bildern festlegen lässt. Alles was sie hatten, waren die beiden Gebotstafeln, die sie in einer Holzkiste aufbewahrten. Doch der König David wollte dem Gott Israels ein Haus, einen Tempel bauen. Aber erst sein Sohn Salomo durfte diesen Plan in die Tat umsetzen. Übrigens ist die Begründung der Bibel interessant: David durfte den Tempel nicht bauen, weil an seinen Händen zu viel Blut klebte. Der Tempel Salomos war nicht zu vergleichen mit den Dombauten und Kathedralen unserer Städte. Er war etwa so gross wie unsere Oberbalmer Dorfkirche. Aber endlich hatte man ein zentrales Heiligtum, zum Gebet, zum Kult und zum Opfer, einen sichtbaren Ort der Gegenwart Gottes. Und dann fällt sich Salomo in diesem Gebet zur Einweihung des Tempels fast schon selbst ins Wort und es heisst: „Aber sollte Gott wirklich auf der Erde wohnen? Sieh, der Himmel, der höchste Himmel kann dich nicht fassen, wieviel weniger dann dieses Haus, das ich gebaut habe!“ Vermutlich ist dieses Gebet so erst im Rückblick formuliert worden, als der Tempel wieder zerstört worden war von den babylonischen Eroberern und das Volk Israel im Exil lebte.

Dass Gott grösser ist als unsere religiösen Bauwerke, als unsere religiösen Lehren, als unsere Glaubensgemeinschaften, diese Einsicht ist unserem Glauben von Grund auf eingeschrieben. Diese Einsicht gilt aber auch für die Gegenwart Gottes in der Schönheit der Natur oder in unseren Herzen. Ich denke, dass die Antworten auf die Kinderfrage „Wo wohnt denn der liebe Gott“ alle ihr Recht und ihre Grenze haben. Keine macht die andere überflüssig oder falsch, aber auch keine kann die Fülle Gottes einfangen.

Wenn ich mich mit offenen Augen in der Natur bewege, kann ich tatsächlich die Gegenwart Gottes erahnen und kein Gottesdienst, keine Predigt kann mir diese Erfahrung ersetzen. Aber die Naturerfahrung ersetzt mir auch nicht das gemeinsame feiern, singen und beten im Gottesdienst, das Hören auf Gottes Wort, das Gespräch mit anderen und die Zuwendung von anderen, die ich erfahre. Das Gute, das wir im Alltag erfahren und tun, kann durch die klügsten und berührendsten Gottesdienste und Kirchenräume nicht aufgewogen werden. Aber ich brauche auch die Orte und Momente, wo ich zur Ruhe kommen und loslassen kann. Gott braucht keine monumentalen Kirchen, ja überhaupt kein Gebäude. Trotzdem werde ich, wenn ich Stille suche und Besinnung, eher in eine schöne Kirche sitzen als in eine Turnhalle.

„Aber sollte Gott wirklich auf der Erde wohnen? Sieh, der Himmel, der höchste Himmel kann dich nicht fassen, wieviel weniger dann dieses Haus, das ich gebaut habe!“ Mit diesen Worten ist all unseren Gotteserfahrungen eine heilsame Grenze gesetzt. Sie können die Fülle Gottes nicht fassen. Und doch sind es wertvolle und kostbare Gotteserfahrungen, sei es in der Natur, in einer Kirche oder in tätiger Nächstenliebe.

Der Abschnitt aus der Apostelgeschichte, den wir in der Schriftlesung gehört haben, ist ja die biblische Grundlage dafür, dass wir einen Auffahrtstag begehen und heute Gottesdienst feiern. Jesus wird den Blicken der Jünger entzogen. Er ist aufgefahren in den Himmel, wie es im apostolischen Glaubensbekenntnis heisst. In Treue zu dem, was sie mit Jesus erlebt und von ihm gelernt haben, stehen sie nun selber in der Verantwortung. Sie sind zurück gelassen und doch nicht verlassen. Denn auch hier gilt: der höchste Himmel kann dich nicht fassen. Jesus ist nicht mehr bei ihnen und doch mitten unter ihnen - da wo zwei oder drei in seinem Namen versammelt sind, weil er versprochen hat, alle Tage bei ihnen zu sein bis an der Welt Ende und weil er ihnen verheissen hat, dass sie die Kraft des heiligen Geistes empfangen werden. Selber verantwortlich für unser Leben, für diese Welt und doch nicht allein - diese Umschreibung trifft auch unsere Situation gut. Der, den der höchste Himmel nicht fassen kann, wie sollte der sich fassen lassen in unseren Religionen, Glaubenslehren oder Kirchengebäuden? Und wie sollte er uns nicht nahe sein in seiner überfliessenden Liebe und seiner Treue, auch wenn wir ihn nicht fassen können?

Im Tempelweihegebet des Salomo folgt auf die Einsicht in die Unfassbarkeit Gottes die Bitte: „Wende dich dem Gebet deines Dieners zu und seinem Flehen, HERR, mein Gott, und erhöre das Flehen und das Gebet, das dein Diener heute vor dir betet.“ Und den Jüngern sagt Jesus: „Ihr werdet die Kraft des heiligen Geistes empfangen und werdet meine Zeugen sein.“ Und als Jesus vor ihren Augen in den Himmel entschwunden war und sie immer noch wie gebannt in den Himmel starren, da weisen sie zwei Engel zurecht. Sie sollen nicht in den Himmel starren, sondern hier auf der Erde ihre Aufgabe erfüllen. Mit Gottes Hilfe. Amen.

Montag, 30. Mai 2011

Predigt zu Joh 21,1-14 vom 22. Mai 2011

Liebe Gemeinde!
Sie war 32 Jahre alt und eine aufgestellte Frau. Sie führte eine glückliche Ehe und fühlte sich von ihrem Mann geliebt und unterstützt. Gemeinsam freuten sie sich über ihre drei Kinder. Thomas war gerade in die Schule gekommen, Tamara im Kindergarten und im Sommer sollte es bei Tobias dann auch losgehen mit dem Kindergarten. Beruflich hatte ihr Mann eine befriedigende Arbeit und eine halbwegs sichere Stelle und sie selbst arbeitete noch Teilzeit und genoss es, ihren Beruf weiter auszuüben und den Kontakt mit den Kolleginnen und Kollegen zu haben. Sie war gerne Mutter, aber sie brauchte auch ihren Beruf, diese ganz andere Beanspruchung. 32 Jahre war sie alt und eine glückliche Frau.
Doch dann kam dieser 3. April. Es war ein herrlicher Frühlingstag. Er wollte nur eine kurze Spritztour mit seinem Töff machen. Doch er blieb länger als erwartet aus und sie fing an, sich Sorgen zu machen. Und dann kamen sie und überbrachten die schreckliche Nachricht. Ein Autofahrer hatte ihm die Vorfahrt genommen und er war auf der Stelle tot gewesen. Fassungslos stand sie den beiden Polizisten gegenüber. Sie brachte kein Wort mehr heraus, konnte zuerst gar nicht weinen, wollte es nicht wahrhaben. Erst allmählich realisierte sie, was wirklich geschehen war.
In der ersten Zeit hatte sie viel Unterstützung und sie liess es sich auch gerne gefallen. Ihre Welt war zusammengebrochen und niemand erwartete von ihr, dass sie einfach funktionierte wie bisher. Ständig war jemand da, der ihr Hilfe anbot oder zuhörte oder mit ihr Erinnerungen austauschte von früher. Aber mit der Zeit, so dachte sie, sollte die alte Energie und Tatkraft wieder zurückkehren. Man kann ja nicht ewig trauern. Klar, sie wusste, dass es nicht mehr werden würde wie früher. Aber zumindest sie wollte wieder ganz die Alte werden, dass war sie sich und ihm und ihren Kindern schuldig. Und dieses Gefühl „Ich muss“, das wurde immer mehr zu einem ungeheuren Druck. Sie wartete auf den Tag, an dem der Schalter wie umgekippt wäre, ihre Energie und Tatkraft zurückkehrte, sie die alte Leichtigkeit wieder spüren könnte.
Im Gespräch mit einem guten Freund sagte sie: „Weißt du, was mich am meisten deprimiert, das ist diese bleierne Schwere, dass ich manchmal einfach nicht mag und mir noch die kleinsten und alltäglichsten Dinge so ungeheuer viel Kraft brauchen. Ich spüre keine Energie, keine Kraft in mir. Alles braucht so viel Zeit und es fällt mir oft schwer mich aufzuraffen, etwas anzupacken oder zu unternehmen. Und ich habe das Gefühl, dass mir nichts mehr wirklich gelingt. Und wenn mir etwas gelingt, dann habe ich oft sogar Mühe, mich wirklich daran zu freuen. Sehnsüchtig warte ich auf den Tag, an dem ich wieder die alte Kraft und Lebensenergie habe und manchmal zweifle ich daran, ob dieser Tag jemals kommt.“
„Ich denke“, antwortete er, „dass ich dich ganz gut verstehen kann. Vor einigen Jahren als es in unserer Ehe so schwierig geworden ist, ging es mir ähnlich. Ich weiss natürlich, dass meine Ehekrise nicht zu vergleichen ist mit dem, was du durchgemacht hast. Und wir haben wieder einen gemeinsamen Weg gefunden und dein Mann ist tot und wird nie wieder zurückkehren. Aber was du beschrieben hast, das habe ich in dieser Zeit auch erlebt, diese bleierne Schwere, die sich über alles legt. Auch ich habe den Tag herbeigesehnt, wo mir einfach alles wieder so leicht von der Hand geht wie früher. Ich war total verunsichert. Was war ich noch wert? Ich war wütend auf Marianne, weil sie mich ständig kritisierte und zugleich nahm mir ihre Kritik jegliches Selbstvertrauen. Ich war wie gelähmt und erstarrt. Alles schien so hoffnungslos.“
„Genau so fühle ich mich auch oft. Und ich glaube, es tut mir gut, wenn ich das von dir höre. Manchmal fange ich ja wirklich an zu zweifeln, ob meine Reaktion noch normal ist. Wenn’s dir genau so gegangen ist, fühle ich mich weniger allein. Aber Mühe macht mir diese Situation trotzdem.“
„Klar. Sie ist ja auch furchtbar. Ich habe in jener Zeit in einem Gottesdienst die Geschichte gehört, wie Jesus seinen Freunden nach Ostern am See Tiberias erschienen ist. Ich weiss nicht mehr, was der Pfarrer gepredigt hat, aber ich weiss noch genau, wie mir durch den Kopf gegangen ist: mir geht es doch genau so wie diesen Fischern, bei allem Bemühen bleiben meine Netze leer. Meine Arbeit ist zäh und geht mir nicht von der Hand und mit Marianne komme ich nicht vom Fleck. Ach, sässe doch bei mir auch einer wie Jesus am See und zeigte mir, wo ich meine Netze auswerfen soll. Ein wunderbares Gelingen all dessen was ich tue, das wäre es, was ich bräuchte. Aber wer erlebt heute schon Wunder. Und genau an jenem Abend sagte Marianne zu mir: entweder unternehmen wir etwas oder es ist aus zwischen uns; dieses Schweigen, dieses Misstrauen halte ich nicht mehr aus. Heute würde ich sagen, dass das für mich so etwas war wie die Begegnung der Fischer mit dem am Seeufer sitzenden Jesus. Dieser Eklat hat mich gelehrt, meine Netze anders auszuwerfen, nicht zuzudecken, im Stillen oder halblaut zu murren, Dinge lieber nicht ansprechen oder wahrhaben zu wollen. Es war ein mühsamer und schmerzhafter Weg. Es war nicht einfach alles wie von Zauberhand weggeblasen und es hätte genau so gut mit einer Trennung enden können. Aber ich glaube, selbst dann wäre ich heute froh über jenen Abend, weil er der entscheidende Anstoss zur Klarheit war und mir mit einem Schlag gezeigt hat, wie viel Energie die vorherige Situation gekostet hat.“
„Wenn du die Geschichte von Jesus am See Tiberias erzählst, dann wird mir noch etwas anderes klar: weder sollen wir auf ein Wunder warten, dass mit einem Mal alle Schwere von uns nimmt, noch können wir den Zeitpunkt, wo sich unsere Netze füllen, herbeizwingen. Wir können nur geduldig warten und mit offenen Augen durch die Welt gehen. Und wahrscheinlich braucht es viel eher den Blick für die kleinen Erfolgserlebnisse, die kleinen Schritte auf dem Weg zu neuer Kraft und Lebensenergie. Wenn wir nur auf das grosse Wunder warten, verpassen wir die kleinen alltäglichen Wunder.“
„Übrigens: Am Ende der Geschichte essen die Jünger mit Jesus. Sie teilen das Brot und die Fische. Auch das erinnert mich daran, wie oft ich schon dadurch neue Kraft und Lebensenergie bekommen habe, dass ich mit anderen bei Tisch gesessen bin oder mit ihnen geredet oder gesungen habe. Es ist für uns wirklich nicht gut, wenn wir alleine sind und alles mit uns selber ausmachen.“
„Wahrscheinlich ist es wirklich so: wir brauchen Vertrauen in die Menschen und wir brauchen Vertrauen in Gott – und beides können wir nicht erzwingen. Die Jünger haben gemerkt, dass Jesus, den sie für tot gehalten haben, bei ihnen ist, dass sie nicht allein sind. Und dieses Vertrauen, dass ich nicht allein bin, das brauche ich auch. Dann kann ich auch die leeren Netze, die lähmende Müdigkeit aushalten und hoffen und vertrauen, „dass Gott den Müden Kraft gibt und Stärke genug den Unvermögenden und dass die auf den Herrn harren, neue Kraft kriegen, dass sie auffahren mit Flügeln wie Adler, dass sie laufen und nicht matt werden, dass sie wandeln und nicht müde werden“. Das ist überhaupt einer meiner Lieblingsverse aus der Bibel. Nur vergesse ich ihn manchmal, wenn ich mich so müde fühle.“

Die Geschichte und das Gespräch habe ich natürlich frei erfunden. Aber vielleicht entdecken sie Erfahrungen und Gefühle daraus bei sich selbst wieder. Und ich denke, dass auch unsere Auferstehungsgeschichten heute sich wie damals bei den Jüngern mitten im Alltag abspielen, da wo wir gefangen sind in unseren Enttäuschungen, in schmerzlichen Erfahrungen, in lähmender Müdigkeit und wo wir plötzlich ahnen: er ist da und er zeigt uns, wo wir unsere Netze auswerfen können, wo sich Wege für uns auftun, die wir bisher gar nicht gesehen haben. Es sind die kleinen Auferstehungsgeschichten im Alltag, die uns Mut machen, wenn wir sie denn wahrnehmen und die uns mit neuer Kraft erfüllen. Und manchmal dürfen wir entdecken, dass aus dem was zerbrochen und verloren ist, etwas Neues hervorwachsen kann. Erzwingen lässt es sich nicht, aber hoffen und glauben und geduldig erwarten. Darum bitten wir Gott, dass er sich uns zeigen möge in den erfolgreichen und in den erfolglosen Fischzügen unseres Lebens und in uns den Glauben und das Vertrauen stärke, die wir vielleicht schon verloren geglaubt haben. Amen.

Konfirmationspredigt zu 1. Mose 9,12-17 am 29. Mai 2011

Predigt zu 1. Mose 9,12-17: Im Zeichen des Regenbogens
Liebe Konfirmandinnen und Konfirmanden, liebe Gemeinde!
Die Geschichte, zu der der Predigttext für eure Konf gehört, kennt ihr vermutlich alle. Neben der Weihnachtsgeschichte und der Geschichte mit dem angebissenen Apfel (und da meine ich natürlich nicht das Markensymbol) ist sie eine der bekanntesten Bibelgeschichten und einigen von euch wohl im Kinderzimmer begegnet. Bestimmt haben nämlich einige eine Arche gehabt und darauf die vielen farbigen Tierfiguren hin- und herbewegt.

Die Sintflutgeschichte ist ja eigentlich eine ziemlich verrückte und auch grausame Geschichte. Sie spielt mit der Idee, dass Gott genug haben könnte von den Menschen und setzt diese Idee ins Bild. Sie erzählt von einem Gott, der sagt: Ihr baut soviel Mist. Ich habe genug von euch - und der dann die ganze schöne Schöpfung einfach in den Fluten absaufen lässt. Oder zumindest beinahe. Denn da ist noch dieser Noah, der mitten auf dem Festland eine Arche baut - und dank dieser Arche geht die Geschichte weiter. Die Sintflutgeschichte spielt mit dieser Idee - und zeigt doch am Ende, dass Gott ganz anders ist. Am Ende sagt Gott: „Solange die Erde steht, soll nicht aufhören Saat und Ernte, Frost und Hitze, Sommer und Winter, Tag und Nacht.“ Und wie zur Bekräftigung heisst es dann:
1. Mose 9,12-17 lesen

Immer wenn wir einen Regenbogen am Himmel sehen, soll uns das daran erinnern, dass Gott es gut mit uns meint und zu uns steht, was auch immer geschieht. Das ist der Horizont, in dem wir leben. Ein Gott, der uns liebt und der Ja zu uns sagt und der eben nicht kleinlich unsere Leistungen belohnt und unsere Fehler bestraft. Ein Gott, der uns zeigt, dass wir uns an unseren Leistungen freuen dürfen und dass es toll ist, etwas leisten zu können - ganz unabhängig davon, welchen Lohn das bringt. Ein Gott, der uns aufrichtet und hilft, wenn wir Fehler machen, statt uns Moralpredigten zu halten und Strafen anzudrohen - selbst wenn wir tatsächlich an unseren Fehlern selber schuld sind. Das Zeichen des Regenbogens ist ein Zeichen der Grosszügigkeit und der Treue, ein Zeichen der Liebe Gottes, die sich durch nichts erschüttern lässt.

Ihr, liebe Konfirmandinnen und Konfirmanden, habt uns vorhin erzählt, was ihr mit dem Horizont verbindet. Euch ist klar - und das war auch in euren Beiträgen spürbar -, dass unser Horizont immer abhängig ist von dem Ort, an dem wir stehen. Ganz offensichtlich in der Natur, aber auch im übertragenen Sinn. So war in euren Beiträgen immer wieder vom Schulabschluss und der bevorstehenden Lehre die Rede. Das prägt momentan euren Horizont ganz entscheidend. Und trotzdem ist da ja noch viel mehr. Da sind die Eltern, eure Familie, mit denen ihr einen neuen Weg finden müsst, jetzt, wo ihr noch nicht selbständige Erwachsene, aber auch nicht mehr einfach Kinder seid. Da sind die Freundschaften, die für euch wichtig sind und die manchmal schön und manchmal schwierig sind. Ihr macht Erfahrungen mit der Liebe, mit Beziehungen - beglückende und enttäuschende. Ihr müsst euren Platz in der Clique und unter den Kollegen finden, euch aneinander messen. Und nicht immer geht das ohne Abstürze und schwierige Erfahrungen. Ihr müsst ein gesundes Selbstvertrauen entwickeln - auch wenn sich immer jemand findet, der schöner, klüger, beliebter, geschickter oder was auch immer ist. Und ihr müsst Bescheidenheit lernen und Rücksichtnahme in den Bereichen, wo ihr etwas besonders gut könnt. So zentral Schulabschluss und Lehre für euch sind - sie sind doch auch jetzt nicht euer ganzes Leben.

Unser Horizont ist immer von unserem Standort im Leben abhängig. Das ist einfach so. Wichtig ist nur, dass wir das nicht vergessen und plötzlich meinen, das Leben sei einfach so, wie wir es momentan sehen und was wir sehen, sei schon alles, was von Bedeutung ist. So banal das klingt, so schwierig ist es oft. Denn das heisst ja, dass wir lernen müssen, die Dinge auch mit den Augen der anderen zu sehen und damit wir das können, müssen wir uns zuerst einmal für den Horizont der anderen interessieren - gerade auch für die, die ganz andere Dinge sehen als wir oder dieselben Dinge ganz anders. Diese Toleranz und Neugier ist nicht immer einfach. Wie oft nehmen wir Fremdes zuerst einmal als Bedrohung unserer gewohnten Sichtweisen wahr statt als Erweiterung unseres Horizonts - in unserem alltäglichen Leben und in der grossen Politik. Und wir bemerken dabei gar nicht, wie ängstlich wir werden und wie wir dabei ärmer werden und Stillstand statt Lebendigkeit bewirken.

Um einen weiteren Horizont zu bekommen, braucht es Vertrauen. Wenn ich hinter meinem Horizont nur Bedrohungen und Gefahren wittere, werde ich kaum den Mut haben, den Weg dorthin beherzt zu gehen. Wenn ich den anderen vor allem misstrauisch begegne, werden sie mir kaum neue Horizonte öffnen können, weil ich dazu ja zuerst einmal auf etwas vertrauen, etwas Glauben schenken muss, was ich selber noch nicht sehen kann. Das habt ihr ja auch selbst schon vorhin gesagt, dass wir in unserem Leben immer wieder auf Menschen angewiesen sind, denen wir vertrauen können. Wir finden sie - hoffentlich - in der Familie und unter Kollegen. Aber wir müssen auch immer wieder neu Vertrauen wagen gegenüber Menschen, denen wir neu begegnen - trotz Enttäuschungen, die unvermeidlich dazu gehören.

Oft reden wir von einem weiten Horizont, wenn jemand viel weiss. Das ist nicht falsch und ich kann euch nur ermutigen, euch um Wissen und Kenntnisse zu bemühen, euch nicht nur ausbilden zu lassen, sondern auch weiterzubilden und euch auch für Dinge zu interessieren, die nicht unmittelbar zu eurer Ausbildung gehören. Aber viel wichtiger noch finde ich etwas anderes. Es gibt nämlich Menschen, die wissen unheimlich viel, sind hervorragend ausgebildet und haben es ziemlich weit gebracht. Und trotzdem ist ihr Horizont eingeschränkt, weil sie nur sich selber und den eigenen Nutzen und Vorteil sehen. Und das finde ich eigentlich die tragischste Einschränkung unseres Horizonts. Wenn wir alles danach beurteilen, was es uns bringt oder ob wir es müssen oder was dabei herausspringt, dann sind wir wirklich arm dran. Weil es nämlich zu den beglückendsten Erfahrungen im Leben gehört, wenn ich spüre, dass jemand für mich einfach so da ist und mir hilft, mich unterstützt und wenn ich spüre, dass ich selber jemandem etwas Gutes tun kann. Und ich bin überzeugt, wenn ihr jemandem wirklich eine Freude machen könnt, dann ist es euch völlig egal, ob ihr etwas dafür bekommt oder nicht. Die gute Erfahrung, die Freude des anderen ist der grösste Lohn. Mit das grösste Glück im Leben ist es, anderen etwas zu geben ohne zu fragen, ob sie es auch verdient haben und was ich dafür bekomme und wenn ich etwas Gutes erfahre, ohne dass der andere auf den ersten Blick etwas davon hat.

Und noch ein letztes - und damit kehre ich auch wieder zum Regenbogen zurück. Was wir sehen können, was sichtbar in unserem Horizont liegt, das ist nur die Aussenseite unseres Lebens - und auch davon nur ein Teil. Wenn es nicht mehr gäbe als das sichtbare und beweisbare wären wir arm dran. Ich zumindest bin überzeugt, dass wir in unserem Leben ein Grundvertrauen brauchen, dass das Leben gut ist und dass, was auch immer auf uns zukommt, ein Ja über unserem Leben steht. Für dieses Ja in unserem Leben steht Gott, steht der Regenbogen in unserem Predigttext. Er steht für die Zusage Gottes, dass er uns niemals fallen lässt, was auch immer wir tun und was uns auch widerfahren mag. Jeder und jede von uns ist für Gott wichtig, niemanden lässt er im Stich.

Ich wünsche euch, liebe Konfirmandinnen und Konfirmanden, dass ihr im Horizont des Regenbogens euren Weg gehen könnt - mit dem Vertrauen, dass Gott euch Menschen schenkt, die es gut mit euch meinen, dass auch hinter dem Horizont sich für euch immer wieder neue Wege auftun und ihr auch nach Enttäuschungen und Rückschlägen wieder aufstehen könnt. Ich wünsche euch, dass ihr selbst auch anderen neue Horizonte eröffnen, für andere dasein und für sie einstehen, ihnen Freude schenken könnt. Und ich wünsche euch das Vertrauen, dass Gott eure Schritte begleitet und immer wieder einen Weg für euch weiss. Amen.