Donnerstag, 17. Mai 2012

Predigt zum Auffahrtstag am 17. Mai 2012 (ökumenischer Gottesdienst)

Die Predigt habe ich gemeinsam mit Pastoralassistent Udo Schaufelberger verfasst und anlässlich des ökumenischen Gottesdienstes zum Auftakt der Auffahrtswanderung der bernischen Landeskirchen und der Berner Wanderwege gehalten. B.B.: Liebe Gemeinde, nachher werden viele von ihnen diesen Tag nützen, um in unserer wunderbaren Hügellandschaft zu wandern - bergauf und bergab - und hoffentlich diesen Tag geniessen und viele bereichernde Eindrücke mitnehmen können. Auch in der Predigt möchten wir sie auf eine Wanderung einladen, sozusagen auf eine „geistliche Bergwanderung“. Sie beginnt auf dem Ölberg, mit der biblischen Geschichte, die dem heutigen Auffahrtstag seinen Namen gegeben hat. 40 Tage sind seit dem Ostermorgen vergangen. Im NT sind diese 40 Tage eine Zeit der besonderen Gegenwart Jesu. In dieser Zeit wurden die Jüngerinnen und Jünger Jesu in der Gewissheit bestärkt, dass Jesus, der Gekreuzigte nicht im Tode geblieben ist. Es ist eine Zeit der Reifung und der Stärkung, die Zeit, die es braucht, damit die neue Hoffnung, das neue Vertrauen bei den Jüngerinnen und Jüngern Wurzel schlagen kann. Ermutigt und bestärkt, erfüllt von dem Vertrauen, dass Jesus auferstanden und nicht alles zuende ist, können sie nun Abschied nehmen. Dieser Abschied ist geprägt von Zuversicht, ist auch eine Art Mündigerklärung der Jüngerinnen und Jünger. Am Ende der Geschichte gibt es eine beeindruckende Szene: wie gebannt blicken die Jüngerinnen und Jünger in den Himmel hinauf, der Wolke hinterher, die den Auferstandenen ihren Blicken entzogen hat. Da tauchen zwei Männer in weissen Kleidern auf - wer würde hier nicht an die Geschichte vom leeren Grab denken! Und so wie sie am Ende des Lukasevangeliums fragen „Was sucht ihr den Lebenden bei den Toten?“ so fragen sie nun „Was steht ihr da und schaut hinauf zum Himmel?“ Sie verweisen die Jüngerinnen und Jünger auf die Erde. Das ist der Ort, wo sie ihr Leben gestalten sollen, wo sie Verantwortung tragen und die Liebe, die sie erfahren haben, weitertragen sollen. Wer den christlichen Glauben mit einer frommen Weltflucht verwechselt, der hat diese Frage überhört. Indem der Auferstandene die Jüngerinnen und Jünger verlässt, gibt er ihnen Freiheit und eröffnet ihnen und uns einen Raum, den wir wahrnehmen und in dem wir Verantwortung tragen können, Verantwortung für unser Leben, Verantwortung für die Menschen, die Gott uns anvertraut hat und für seine ganze Schöpfung, Verantwortung auch für die Botschaft vom Reich Gottes, die Jesus verkündet hat. Der Auferstandene geht. Aber er lässt sie nicht allein zurück. „Ihr werdet aber Kraft empfangen, wenn der heilige Geist über euch kommt, und ihr werdet meine Zeugen sein.“ Welchen Weg der Auferstandene uns als seinen Zeuginnen und Zeugen zeigt, danach fragen wir, indem wir nun die Szene von der Auffahrt Jesu auf dem Ölberg verlassen und auf einen zweiten Berg steigen, der schon vorher in der Bibel, im Matthäusevangelium beschrieben ist, den Berg der Versuchung. U.S.: Welches Bild von Jesus ist uns eigentlich am liebsten? Jesus als Wanderprediger in der Hügellandschaft von Galiläa? Oder macht uns das zu wenig her? Ist uns doch das Bild von Christus lieber, der als Weltenherrscher strahlend und souverän auf einem himmlischen Thron ruht? Wie sich Jesus selber verstanden hat, darüber erfahren wir etwas Wichtiges auf dem zweiten Berg unserer geistlichen Bergwanderung, dem Berg der Versuchung. Auf diesen ‚sehr hohen Berg‘ hinauf hat der Teufel Jesus geführt, weil er ihm alle Königreiche der Welt in ihrer Pracht zeigen will: „Dies alles werde ich dir geben, wenn du dich niederwirfst und mich anbetest“ (Mt 4, 9), so lautet das verführerische Angebot. Doch Jesus sagt ab. Er widersteht der Versuchung zur Macht, und das nicht nur, weil ihm der teuflisch hohe Preis nicht behagt, sondern weil das nicht der Weg ist, den Jesus seinen Jüngerinnen und Jüngern weisen will. Jesus will mit den Seinen selber unterwegs sein, will für sie erfahrbar sein und berührbar. Denn nur in einer solchen Weggemeinschaft können sich die Anderen an ihm orientieren, können sie mit der Zeit selbst Verantwortung übernehmen, um dann wiederum anderen Menschen voranzugehen. Dies aber ist auch die Voraussetzung dafür, dass die Jüngerinnen und Jünger nach Ostern eigenständig einstehen können für ihre neu gewonnene Glaubensüberzeugung, für dieses neue Bewusstsein von Gott, das sich im Evangelium zeigt. Jesus gibt uns einen wichtigen Wegweiser, in dem er selbst den Weg mit uns geht. Und diese Erfahrung trägt auch noch nach Ostern, nach Auffahrt und Pfingsten und lässt die kirchliche Weggemeinschaft nun seit fast 2000 Jahren unterwegs sein. Wir dürfen gespannt sein, was uns Jesus noch alles mitgeben wird für unsere geistliche Wanderschaft, die uns auf einen weiteren Berg, den Berg der Seligpreisungen führt. B.B.: Es tönt auf jeden Fall gut, was wir dort zuerst zu hören bekommen: “Glücklich seid ihr …” Ein glücklicher Mensch sein - wer möchte das nicht! Aber was ist ein glücklicher Mensch? Die Aufzählung in den Seligpreisungen entspricht vermutlich nicht ganz unserem Bild glücklicher Menschen: die Armen im Geiste, die Leidtragenden, die Sanftmütigen, die Barmherzigen, die reinen Herzens sind, die Friedensstifter. Glücklich nennt Jesus sie, weil sie auf Gott vertrauen und weil ihr Vertrauen nicht enttäuscht werden wird. Glücklich nennt er sie, weil sie ihre Berufung, ihre Aufgabe gefunden haben und weil sie mit anderen gemeinsam unterwegs sind. Und sie sind glücklich, weil sie die Sehnsucht nach einem Leben in Gemeinschaft und in Gerechtigkeit wachhalten. Gegen Ende dieser Bergpredigt gibt Jesus uns die entscheidende Richtschnur für unser Handeln auf diesem Weg: “Wie immer ihr wollt, dass die Leute mit euch umgehen, so geht auch mit ihnen um!” Er macht nicht eine Vielzahl von Vorschriften, stellt keine Regeln auf, sondern macht Mut, selber zu denken und vor allem auf sein Herz zu hören, sich mit anderen zu verbinden und darauf zu achten, was sie nötig haben. Nicht Gehorsam, sondern Mitgefühl und Achtsamkeit kennzeichnen den Weg, den Jesus uns zeigt. Er traut uns zu, selber herauszufinden, was die anderen nötig haben und eigenständig, phantasievoll und kreativ das zu tun, was nötig ist. Und er traut uns auch zu, dass wir einander ermutigen und ermächtigen, unseren Weg eigenständig zu gehen und achtsam zu bleiben füreinander. Augustin hat einmal gesagt: “Liebe - und tu was du willst.” Ist das nicht ein wunderbarer Gedanke? Tu, was du wirklich von Herzen willst, wenn du liebst. Wenn wir in diesem Geist der Bergpredigt Jesu unterwegs sind, dann können wir einander zu wirklichen Lehrerinnen und Lehrern werden, die einander ermächtigen statt andere nur zu belehren. Denn das ist der Auftrag, den Jesus seinen Jüngerinnen und Jüngern auf dem letzten Berg unserer Wanderung gibt. “Geht nun hin und macht alle Völker zu Jüngern: Tauft sie auf den Namen des Vaters und des Sohnes und des heiligen Geistes, und lehrt sie alles halten, was ich euch geboten habe. Und seid gewiss: Ich bin bei euch alle Tage bis an der Welt Ende.” U.S.: Auch diese letzte Szene des Matthäusevangeliums spielt also auf einem Berg. Jesus hat die Frauen und Männer seiner Gemeinschaft an diesen Ort in Galiläa geschickt, an dem er ihnen das letzte Mal erscheinen will. Und das ist nicht verwunderlich: denn schon in vielen älteren Schriften der Bibel, z.B. in den Büchern Mose oder bei Jesaja ist der Berg der Ort der besonderen Gottesoffenbarung. Und viele Berggängerinnen und Berggänger teilen diese Erfahrung bis heute. Auch wenn sie nicht immer mit derlei klaren Worten nach Hause kommen, wie Jesus sie seinen Jüngerinnen und Jüngern auf diesem Berg mitgeben hat: „Geht nun, macht alle Völker zu Jüngern, tauft sie und lehrt sie alles, was ich euch geboten habe“. Alle Völker zu Jüngern machen? Am Ende zu Mitgliedern der reformierten, römisch-katholischen, christkatholischen und all der anderen Kirchen? Dass dieser Auftrag bei vielen nicht gerade auf Gegenliebe trifft, scheint offensichtlich. Aber geht es wirklich darum? Jünger sind zuallererst Menschen, die bereit sind zu lernen in der Schule des Lebens, die bereit sind, sich führen zu lassen auf diesem Weg des Lernens. Und auf diesem Weg der Erkenntnis brauchen wir genau die Orientierungshilfe, die uns Jesus so kraftvoll anbietet. Jesus ist aber nicht einer, dem wir einfach blindlings nachlaufen sollen. Vielmehr sagt er mir: Habe den Mut, zu der Überzeugung zu stehen, die Dich bewegt und gehe nicht hinter sie zurück. Stell Dich der Aufgabe, Deine Glaubenseinsicht eigenständig zu vertreten, so wie ich es Dir vorgemacht habe. Zeige das eigene Profil Deiner Glaubensüberzeugung, denn Du brauchst nicht kreuz und quer Deinen Weg zu gehen. Es geht also um solche Weggemeinschaft, die aus Schülerinnen und Schülern Lehrer und Lehrerinnen macht, zu eigenständigen Menschen, die im Geist von Jesus handeln. Und mit diesem lebensbejahenden Geist sollen wir die ganze Welt anstecken, sollen wir sie eintauchen, sie taufen. Und das ergibt dann eben nicht das brave Kirchenschaf, diese Karikatur des Kirchgängers, das jedem Prediger blindlings hinterherläuft und auch nicht diese Karikatur des Wanderers, der in roten Kniebundsocken, blind für die Wunder der Natur dahinschreitet, sondern dieser lebensbejahende Geist Jesu führt zu Menschen, die achtsam und bewusst in dieser Welt unterwegs sind - auch bereit, sich für die Wege selber einzusetzen, auf denen wir gehen können. Und genau das tun ja z.B. die engagierten Frauen und Männer bei den „Berner Wanderwegen“ seit nunmehr 75 Jahren. Jesus mutet uns auf diesem letzten Berg des Matthäusevangeliums nicht weniger als die religiöse Eigenständigkeit zu, aber er lässt uns damit nicht allein. Er sagt vielmehr: Es kommt zwar auf Dich an, es hängt aber nicht allein von Dir ab. Denn seid gewiss: „Ich bin bei euch alle Tage bis an der Welt Ende“.

Samstag, 5. Mai 2012

Predigt zu „Viele reden vom Weltuntergang - wir reden vom Leben“ am 22. April 2012

Liebe Mitchristen, am 21. Dezember dieses Jahres wird die Welt untergehen. So jedenfalls wird in manchen esoterischen Kreisen die Tatsache interpretiert, dass zur Wintersonnenwende 2012 der Mayakalender endet und eine rätselhafte Inschrift in diesem Zusammenhang vom Kommen einer Gottheit berichtet. Vor drei Jahren startete in den Kinos ein Katastrophenfilm des Erfolgsregisseurs Roland Emmerich mit dem Titel 2012, der von dieser Prophezeihung inspiriert war und sich eben auch die Faszinationskraft solcher Weltuntergangsängste zunutze macht. Es ist nicht die erste und vermutlich auch nicht die letzte Weltuntergangs-prophezeihung und sie beruht wohl auf einer Fehlinterpretation des Mayakalenders. Denn der beruht auf einem zyklischen Denken und umfasst Zyklen zu je 394 Jahren. Relativ sicher ist nur dass am 21. Dezember ein solcher Zyklus endet. Erst wenn man dies mit apokalyptischen Szenarien verbindet, wird daraus mehr als der Übergang zu einem neuen Zyklus. Und ganz abgesehen davon zwingt uns nichts und niemand dazu, aus dem Mayakalender historische Ereignisse abzuleiten. Er ist Ausdruck einer frühen Hochkultur, die ihre Blütezeit zwischen 300 und 900 n.Chr. hatte. Diese Kultur verdient Respekt, aber aus ihr zukünftige Ereignisse ablesen zu wollen, ist für mich nicht nachvollziehbar. Und übrigens gibt es manche, die davon überzeugt scheinen, dass tatsächlich am 21.12. die Welt untergeht und sich trotzdem um ihre Rente sorgen. Aber gehört nicht die Erwartung des Weltuntergangs und des Kommens Jesu Christi zum Jüngsten Gericht zu den Erwartungen unseres christlichen Glaubens? Ist nicht das Buch der Offenbarung eine manchmal beängstigende Schilderung der Ereignisse am Ende der Welt? Und lassen sich nicht manche Dinge beobachten, die an die Geschehnisse erinnern, die in der Offenbarung geschildert werden - Abfall vom Glauben, Naturkatastrophen, Kriege, Terror und Gewalt? Auch in christlichen Kreisen hat es immer wieder Spekulationen über das Weltende gegeben und Menschen haben historische Ereignisse als Zeichen der Endzeit interpretiert. Ich will und kann hier nur zu allergrösster Vorsicht und Zurückhaltung mahnen. Das Buch der Offenbarung ist keine realistische Schilderung irgendwelcher Ereignisse am Ende der Weltgeschichte, keine Weissagung zukünftiger Ereignisse, die irgendwann genau so eintreffen werden. Es nimmt apokalyptische Vorstellungen auf, um den Erfahrungen der Bedrängnis und Verfolgung, in der die christlichen Gemeinden in Kleinasien in dieser Zeit stehen, einen Sinn zu geben. Es ist eine Zeit der Bewährung und diese Zeit ist begrenzt. Ihr müsst die Hoffnung nicht aufgeben, denn unser Herr kommt gewiss. Gewalt und Verfolgung, das herrschende Unrecht - sie haben nicht das letzte Wort. Das ist die Botschaft der Offenbarung für die Christen Kleinasiens. Der Verfasser der Offenbarung hat die Ereignisse seiner Gegenwart als Zeichen der Endzeit verstanden und mit einem baldigen Weltende gerechnet. Diese Erwartung hat sich in dieser Form nicht bewahrheitet und wir können und müssen diese apokalyptische Vorstellungswelt nicht teilen, um Christinnen und Christen zu sein. Auch der Abschnitt aus dem Markusevangelium, den wir in der Schriftlesung gehört haben, teilt diese apokalyptische Vorstellungswelt und auch der Evangelist erwartet das Weltende noch zu seinen Lebzeiten. Auch hier gilt: nicht die apokalyptische Vorstellungswelt und das erwartete baldige Weltende sind entscheidend für den christlichen Glauben. Worauf es in meinen Augen in diesem Text ankommt und was die bleibende christliche Botschaft ist, das ist die Erinnerung daran, dass wir weder den Tag noch die Stunde kennen und die Aufforderung zur Wachsamkeit. Wachsamkeit heisst aber nun nicht, irgendwie doch die Zeichen des vermeintlich nahenden Weltendes lesen und interpretieren zu wollen. Wachsamkeit heisst vielmehr: bereit sein, für unser Leben Verantwortung zu übernehmen. Die bodenständige Lebensweisheit eines Bauern aus unserer Gemeinde - oder genauer gesagt seiner längst verstorbenen Mutter - wird diesem Text mehr gerecht als jede noch so tiefe Spekulation über das Weltende. Er sagte mir einmal, dass er von seiner Mutter gelernt habe, sich jeden Tag darum zu bemühen, mit seinen Mitmenschen im Frieden zu leben und seinen Zorn nicht mit in den Schlaf zu nehmen, weil man nie wissen könne, ob man den nächsten Tag noch gemeinsam erlebe. Es ist dieses Bewusstsein der Endlichkeit und unserer Verantwortung, die wir gegenüber unserem Leben, den Mitmenschen und letztlich gegenüber unserem Schöpfer haben, um die es geht. Viele reden vom Weltuntergang - wir reden vom Leben. Als Christinnen und Christen sollen wir vom Leben reden, vom Geschenk des Lebens, von der Verantwortung, die wir für unser Leben tragen und davon, dass wir im Leben und im Sterben in Gottes Hand sind. Luther’s berühmter Satz, dass er, wenn er wüsste, dass morgen die Welt unterginge, er heute noch ein Apfelbäumchen pflanzen würde, ist Ausdruck dieser Hinwendung zum Leben. Spekuliert nicht über die Endzeit, sondern setzt Zeichen der Hoffnung. Spekuliert nicht über das Jenseits, sondern wendet euch dem Leben Hier und Jetzt zu. Aber tut es nicht so, als ob nach euch die Sintflut käme, sondern im Wissen darum, dass ihr in diesem Leben eine Berufung, einen Auftrag habt und dass dieses Leben nur dann Sinn macht, wenn ihr eurer Berufung nachlebt. Jeder und jede von uns hat seine eigene Berufung. Sie zu erkennen, ist ein lebenslanger Prozess, ein Prozess mit Wandlungen und Häutungen, auch mit Irrwegen und Zeiten der Verunsicherung. Dieses Leben ist ein Geschenk und in einem Geschenk ist der Schenkende selbst präsent. Entsprechend sorgfältig und achtsam sollen wir mit dem uns Anvertrauten umgehen - mit unserem eigenen Leben, mit unseren Mitmenschen und mit der ganzen Schöpfung. Auf Endzeitspekulationen - ob sie nun aus dem Mayakalender oder aus der Bibel abgeleitet werden - sollten wir verzichten. Hier gilt: Ihr wisset weder Tag noch Stunde. Wo wir erkennen, dass wir selbst unser Leben und unseren Planeten gefährden - durch unseren Umgang mit den natürlichen Ressourcen, durch die Anhäufung tödlicher Waffen oder dadurch, dass wir durch die ungerechte Verteilung der Mittel bedrohliches Konfliktpotential schaffen, da haben wir nicht Zeichen der Endzeit zu erkennen, sondern Zeichen dafür, unser Handeln zu ändern. Und dasselbe gilt auch für die Ressourcen an Mitgefühl, an Liebe, an Zeit füreinander. Die Wachsamkeit, zu der wir aufgefordert sind, sie ist weniger Wachsamkeit für die Vorboten einer Endzeit, sondern vielmehr Wachsamkeit für das, was uns hier und heute begegnet, für die Menschen um uns, für die Aufgaben, die jetzt zu tun sind, für die Zeichen der Hoffnung, die uns am Wegrand begegnen, für die Gelegenheiten zur Liebe, zur Begegnung und zur Versöhnung. Und mindestens ebenso sehr, wie wir auf das Kommen Christi am Ende der Zeiten hoffen, sollen wir achtsam sein für das Kommen Christi mitten in diesem Leben. Denn darauf dürfen wir vertrauen, dass Christus jeden Tag neu auf uns zukommt - in den Menschen, die uns begegnen, in Momenten innerer Gewissheit und Ruhe, in Worten die uns Kraft und Lebensmut geben, in den Erfahrungen des Getragen- und Geliebtseins, im Aufleuchten der Kostbarkeit des Lebens. Es sind diese alltäglichen Zeichen, auf die wir achten und für die wir wachsam sein sollen, damit wir bereit sind für das, was bereits jetzt auf uns zukommt. Und festhalten sollen wir an dem Vertrauen, dass das Ende unserer Zeit und das Ende der Weltzeit nicht das Ende der Möglichkeiten Gottes ist. Das ist der Kern der Verheissung der Wiederkunft Christi und der Schaffung eines neuen Himmels und einer neuen Erde. Wir werden immer wieder Angst haben, angesichts der Sorgen unseres eigenen Lebens und angesichts von Entwicklungen, die uns bedrohlich erscheinen. Aber da ist einer, der bei uns ist in unseren Ängsten und der sie von uns nehmen kann. Wenn wir auf ihn vertrauen, werden wir frei, uns dem Leben und den Menschen zuzuwenden, finden wir zu innerer Ruhe und Gelassenheit und können wachsam sein für das, was Gott uns an Möglichkeiten schenkt.

Predigt über Jesaja 12,1-6 am 6. Mai 2012

Liebe Gemeinde! Wenn es uns gut geht und wir glücklich sind, dann singt es sich leicht, dann wird vielen Menschen die Freude zum Lied, zu einer fröhlichen Melodie. Aber wenn es nichts zu lachen gibt, wenn trübe Gedanken unsere Seele belasten, wenn Not und Trauer unser Leben verdunkeln? Dann ist vielen von uns nicht zum Singen zumute. Aber käme es nicht gerade in solch schweren und dunklen Zeiten unseres Lebens darauf an, dass wir wieder ein neues, ein besseres Lied singen können als das ewige Lied des Jammerns und Klagens – oder uns hineinbegeben in die Gemeinschaft derer, die Lob- und Danklieder singen können? Ich denke, die Kraft der biblischen Botschaft hat nicht zuletzt etwas damit zu tun, dass hier auch im tiefsten Dunkel das Lob Gottes nicht verstummt. Gerade die Psalmen, dieses Gesangbuch der Bibel macht uns das immer wieder bewusst. Wie tief das Dunkel auch sein mag, wie sehr die Beterinnen und Beter in ihrer Not auch am Rande der Verzweiflung sind, vielleicht gar erfüllt von tiefen Hass- und Rachegefühlen – immer münden die Psalmen am Ende in eine andere Melodie, eine Melodie, die Gott preist für seine Güte und ihn zugleich bittet, ja geradezu beschwört, sein Angesicht wieder zuzuwenden, das eigene Schicksal zu wenden. Auch unser heutiger Predigttext ist ein solches Loblied in dunkler Zeit: Lesung Jes 12 Ein wahrhaft kühner Vorgriff auf eine glückliche und heilvolle Zukunft ist dieses Danklied der Erlösten aus dem Jes – ein kühner Vorgriff in der dunkelsten Stunde des Volkes Israel. Wo die meisten ihr trauriges Schicksal beweinen und Mut und Hoffnungslosigkeit sich breit machen, wagt da einer ein neues Lied anzustimmen, nicht schicksalsergeben oder hadernd, sondern hoffnungsvoll und zuversichtlich. Israel befindet sich in der babylonischen Gefangenschaft. Wird es je wieder eine glückliche Zukunft, eine Rückkehr in die Heimat geben? War das bittere Exil die gerechte Strafe Gottes, weil die Israeliten so oft von den Weisungen und Wegen ihres Gottes abgewichen waren? Oder war es vielmehr der Beweis der Ohnmacht dieses Gottes? Haben wir es nicht besser verdient oder hat Gott uns im Stich gelassen? Der Verfasser unseres Predigttextes findet sich nicht ab mit dieser trostlosen Alternative. Er kennt die alten Worte des Propheten Jesaja, die etwa 150 Jahre früher gesprochen wurden. Er weiss wie sehr der Prophet sein Volk gewarnt hat, sich nicht allein auf eigene Macht und Stärke zu verlassen, sondern den Weisungen seines Gottes zu folgen. Hat er nicht angeprangert, wie die Grossen und Mächtigen die Armen und Kleinen bedrücken? Hat er sie nicht gewarnt vor dem Vertrauen auf militärische Stärke und sie dazu aufgerufen den Weg des Glaubens, des Friedens und der Gerechtigkeit zu gehen? Ja, das Exil ist wohl wirklich die logische Konsequenz der Irrwege seines Volkes. Und doch ist es für ihn nicht das Ende der Wege Gottes. Denn er weiss auch um Gottes Verheissungen, um seine Treue und Verlässlichkeit. Und so schreibt er die alten Prophetenworte fort und stimmt ein neues Lied an, schreibt und singt an gegen die Resignation und Hoffnungslosigkeit. Er wagt es, von einer Zeit zu reden, in der die Menschen zuversichtlich ans Werk gehen, mit Freuden Wasser schöpfen und erkennen, dass Gott mit ihnen geht. Die Zeit der Vorwürfe, der Anklagen und des Selbstmitleids ist vorbei. Jetzt gilt es, über die gegenwärtige Misere hinauszuschauen und wieder zu träumen von einer guten und heilvollen Zukunft. Erst wenn wir das wieder wagen, kann es auch gelingen, phantasievoll und zuversichtlich vorwärts zu gehen und neue Energien zu entwickeln. Nicht, weil wir Träumer oder billige Optimisten sind, sondern weil wir die Verheissungen unseres Gottes haben. Singt dem Herrn ein neues Lied – diese Aufforderung steht über dem Sonntag Kantate. Sie ist eine Einladung, das Lob Gottes auch dann nicht verstummen zu lassen, wenn die Erfahrungen unseres Lebens uns ein solches Lob nicht unbedingt nahe legen. Gerade in dunklen Zeiten ist es wichtig für uns, dass wir in den Raum des Gotteslobs eintreten können. Ich habe das ganz bewusst so formuliert. Denn Gott zu loben in schwerer Zeit, das ist mehr als wir eigentlich können. Wenn wir bei einer Trauerfeier, bei der der Abschied fast nicht auszuhalten ist, die Worte Dietrich Bonhoeffers singen: „Von guten Mächten wunderbar geborgen, erwarten wir getrost, was kommen mag“, dann können wir das wohl nur, weil wir uns diese Worte leihen dürfen und sie nicht selber finden müssen. Und ich denke, dass es leichter ist, diese zu singen, als sie einfach zu sprechen. Dieses Lied ist wie ein Raum, in den wir eintreten dürfen, der einfach da ist für uns. Wenn wir dieses Lied singen, dann probieren wir aus, wie das ist, sich in diesem Raum zu bewegen. Und vielleicht können wir ein wenig heimisch darin werden, uns darin bergen in unserer Trauer und spüren, dass da noch eine Kraft ist, die über unsere Trauer hinausweist. Manche von ihnen haben wohl auch schon die Erfahrung gemacht, wie sich ein tiefer Friede ausbreiten kann, wenn sie am Bett eines schwer kranken oder sterbenden Menschen ein Lied gesungen haben. Oder es ist für mich immer wieder beeindruckend, wie sich das Gesicht eines Menschen verändern kann, wenn ich mit ihm oder für ihn die Worte des 23. Psalms spreche. Und ich denke daran, wie viel gerade älteren Menschen das Lied „So nimm denn meine Hände bedeutet“ – und nicht nur den besonders Frommen. Viele Menschen spüren, dass solche Worte und vor allem solche Lieder ein Raum sind, in dem sie sich bergen können. Sie sind uns geschenkt und wir müssen sie nicht erst machen. Aber entdecken müssen wir diese Räume und wir müssen es wagen, in sie einzutreten. Es sind einladende Räume und niemand darf hineingezwungen werden. Zum Glauben und zum Gottvertrauen kann niemand aufgefordert werden. Das ist nichts was wir machen oder erzwingen können. Und es kann vielleicht besser sein, anderen erst einmal beim Singen zuzuhören, wahrzunehmen wie das tönt und wie die Töne und die Worte in mir anklingen. Aber es ist wichtig für uns, dass wir wissen: wir dürfen die Worte und Melodien ausprobieren. Es kommt nicht darauf an, dass wir jedes einzelne aus vollem Herzen mitsprechen und mitsingen können. Ich möchte sie viel eher einladen, die alten Worte und Melodien einfach einmal auszuprobieren. Das mag durchaus in der Haltung sein: Wie wäre das, wenn wir wirklich von guten Mächten wunderbar geborgen wären – auch wenn ich das momentan kaum glauben kann. Wie wäre das, wenn ich tatsächlich mit Freuden Wasser schöpfen dürfte aus den Quellen der Rettung, auch wenn ich um mich nur Wüste sehe. Ich stelle mir einmal vor, dass da einer ist, der sich um mich sorgt, damit ich keinen Mangel leide und der meinen Tisch reichlich füllt. Vielleicht denken sie jetzt, dass das alles ein bisschen wenig ist und dass uns das alles und viel mehr in der Bibel zugesagt ist und wir das nicht nur ausprobieren, sondern wirklich glauben sollen. Das stimmt natürlich. Trotzdem denke ich, dass Messlatten und feste Vorschriften im Glauben nicht weiterhelfen. Deshalb möchte ich zum Ausprobieren einladen. Deshalb ist mir das Bild von den Worten und Melodien, die wir uns leihen können, von den Räumen, die wir betreten dürfen so wichtig. Ich denke, dass es Menschen leichter fällt, sich auf den Glauben einzulassen, wenn sie wissen, dass sie nicht dieses oder jenes glauben müssen, sondern ihnen auch Räume fremd bleiben dürfen und sie sich auch eingestehen dürfen, dass ihnen Glaubenssätze und Hoffnungen anderer im Moment fremd bleiben und nicht zugänglich sind. Vielleicht sind es ja Räume, Melodien und Worte, die ihnen zu einer anderen Zeit ihres Lebens wichtig werden. Solche Offenheit und Experimentierfreude wünsche ich mir für unseren Glauben. Dann können wir auch die Einladung unseres Predigttextes hören, unserem Gott Loblieder zu singen, weil wir nicht vergessen, wie viel Gutes er uns bis hierher getan hat und weil wir glauben, dass er uns auch durch das Dunkel begleitet und unser Dunkel wieder hell machen kann. Mit den Worten unseres Predigtliedes: „Sollt ich meinem Gott nicht singen! Sollt ich ihm nicht dankbar sein? Denn ich seh in allen Dingen, wie so gut er’s mit mir mein. Ist doch nichts als lauter Lieben, das sein treues Herz bewegt, das ohn Ende hebt und trägt, die in seinem Dienst sich üben. Alles Ding währt seine Zeit, Gottes Lieb in Ewigkeit.“ Amen.