Samstag, 28. Januar 2012

Predigt über 2. Könige 5,1-19 vom 29. Januar 2012

Liebe Gemeinde,
Naaman lebt mitten unter uns – und vielleicht sind ja sogar wir selbst dieser Naaman. Das mag überraschend klingen, denn was könnte viel weiter von uns entfernt sein als ein aramäischer Feldhauptmann vor fast 3000 Jahren und ein israelitischer Prophet, der eine wunderbare Heilung vornimmt. Und doch – wenn wir genau hinschauen, dann können wir in der Art der Krankheit dieses Feldhauptmanns und dem verwickelten Weg der Heilung mehr über uns selbst erfahren als wir zunächst denken und vielleicht sogar als uns lieb ist.
Naaman wird uns als ein vortrefflicher, hoch geachteter und erfolgreicher militärischer Feldherr vorgestellt, einer der viel erreicht hat. Doch er leidet an einer Krankheit, die ihm schwer zu schaffen macht. Aussätzig sei er, heisst es in der Luther-Übersetzung. Es handelt sich aber hier nicht um die hoch ansteckende Leprakrankheit, die wir aus den Geschichten des Neuen Testaments kennen, sonst hätte er nicht bei seiner Familie leben und in grossem Gefolge reisen und seinen Beruf ausüben können. Seine Krankheit ist eine Schuppenflechte, bei der die natürliche Hornbildung der Haut masslos übersteigert ist und zwangsläufig an Panzerbildung erinnert.
Nun ist die Bibel kein medizinisches Lehrbuch, aber ebenso wenig ein Wunder- und Märchenbuch. Die Heilungsgeschichten der Bibel wollen uns einladen, die Perspektive des Glaubens einzunehmen. Krankheiten sind in ihnen oft ein Spiegel der Seele und Heilung bedeutet meist mehr als äusserliches Verschwinden der Krankheitssymptome. Heilung ist eine innere Verwandlung des Menschen, ist auch seelische Gesundung, der Aufbruch zu einer neuen Lebenshaltung.
Naaman, der mächtige Mann, er leidet an Verpanzerung. Die äusserliche Verpanzerung seiner Haut ist in dieser Geschichte wohl auch ein Spiegel des Panzers, mit dem er seine Seele umgeben hat, der Schutzmechanismen, die er sich im Laufe der Zeit zugelegt hat. Und genau da ist uns dieser Feldhauptmann plötzlich gar nicht mehr so fremd. Denn auch wir haben uns ja unsere Schutzmechanismen zugelegt. Schliesslich braucht man ja ein dickes Fell. Wir sehen zu, dass wir die Dinge im Griff haben und versuchen uns mit dem zu arrangieren, was wir nicht ändern können. Aber all das – so werden sie nun vielleicht denken – ist doch notwendig. Sie haben Recht. Niemand kann ohne solche Schutzmechanismen leben. Wir brauchen Abwehrkräfte. Manchmal dürfen wir vielleicht Dinge gar nicht zu nahe an uns herankommen lassen. Und doch birgt eben all dies die Gefahr der Verpanzerung in sich. Dann kann uns nichts mehr überraschen. Dann wissen wir, wie die Dinge laufen, dann kennen wir unsere Feinde, dann lassen wir uns nicht mehr berühren und sind krampfhaft damit beschäftigt, unser Leben im Griff zu behalten. Uneingestanden träumen wir den Traum von der Unverletzbarkeit und merken gar nicht, dass Unverletzbarkeit nichts anderes ist als der Tod. So wie wir auf unsere Körperöffnungen angewiesen sind, darauf dass unsere Haut atmen kann, obwohl genau dadurch auch all die Schadstoffe und Krankheitserreger unseren Körper erreichen, genau so muss auch unsere Seele atmen können und das kann sie nur, wenn wir auch das zulassen, was uns verletzen kann. Wir wollen die Dinge im Griff haben bis der Punkt kommt, wo wir merken, wie einsam und leer unser Leben geworden ist oder wo plötzlich sich etwas in unseren Weg stellt, das wir nicht mehr im Griff haben oder bewältigen können. Und dann?
Naaman leidet. Er weiss wie man militärische Mittel einsetzt und wie man einen Feind im Felde besiegt. Er weiss seine Macht und seinen Einfluss zu gebrauchen. Er verfügt über Geld, mit dem er sich so ziemlich alles leisten kann. Er kann gebieten und befehlen. Aber gegen seinen Panzer ist er machtlos. Da versagen all seine bewährten Mittel und Strategien. Und würde diese Geschichte allein im Kreis der Mächtigen spielen, sie würde wohl bald mit einem Staatsbegräbnis enden. Aber nun kommt in unserem Predigttext eine junge Frau ins Spiel, eine Kriegsgefangene, die als Dienerin der Frau des Naaman im Hause lebt. Sie, die namenlose Sklavin, die von der Armee des Naaman ihrer Heimat, ihrer Familie, ihrer Freiheit beraubt wurde, sie ist fähig zum Mitgefühl und bringt die erste entscheidende Wendung in der Geschichte. Auch wenn sie wohl recht gut behandelt wurde, hätte sie nicht doch Grund genug gehabt, gleichgültig zu bleiben? Und woher nahm sie den Mut, überhaupt etwas zu sagen? Wer sollte schon auf eine Sklavin hören? Musste sie nicht befürchten, verspottet oder ignoriert zu werden oder gar bestraft, weil man ihr vorwerfen könnte, sie wolle sich über den armen Naaman lustig machen? Das geht mich doch nichts an! Das bringt doch eh nichts! Wer weiss, wie die anderen reagieren! Aber die israelitische Sklavin greift ein: „Ach dass mein Herr wäre bei dem Propheten in Samaria! Der könnte ihn von seinem Aussatz befreien.“ Und nun geschieht das erste Wunder. Naaman hört. Er hört auf diese Sklavin. Und er geht zum König, beruft sich vor diesem ausdrücklich auf die Worte einer Sklavin und Kriegsgefangenen und macht sich auf den Weg.
Aber er tut es natürlich mit den Mitteln, die ihm vertraut sind: hoch zu Ross, mit grossem Gefolge, reichen Geschenken und einem königlichen Empfehlungsschreiben. Und er begibt sich mit alledem zuerst zum König von Israel. Die Folge sind diplomatische Irritationen, die leicht hätten eskalieren können. Denn der König von Israel kann – gepanzert mit der uralten Feindschaft der beiden Völker – im Ansinnen des Naaman nur einen Vorwand zum Streit sehen. Auch er verpanzert, eingeschlossen in sein Bild der Welt, der Machtpolitik. Auch das mag uns nicht ganz unvertraut sein. Wie oft entsteht in alten Feindschaften oder belasteten Beziehungen diese fatale Situation. Alles was der andere tut oder sagt steht unter dem Verdacht, was er oder sie jetzt wieder Böses im Schilde führt. So wird jede Begegnung, jede Versöhnung unmöglich und wir sind Gefangene unserer festgefahrenen Bilder und Vorstellungen, aus denen wir uns selbst nicht mehr befreien können.
Das Eingreifen des Elisa ist nötig, damit die Geschichte gut weitergehen kann. Mit all den Symbolen seiner Macht zieht Naaman vor das Haus des Propheten. Doch dieser kommt nicht einmal persönlich heraus, sondern schickt lediglich einen Boten. Welch eine Demütigung für den machtgewohnten Feldherrn. Wenigstens durch Macht und Reichtum wollte er die Kontrolle behalten und nun bricht all das zusammen und er muss sich von einem Boten abspeisen lassen. Und der hat ihm nicht mehr zu bieten als den lächerlichen Rat, sich sieben Mal im Jordan zu baden. Jetzt packt Naaman die Wut. Geht man so mit mir um. Er sollte selber herauskommen und mit machtvollen Worten seinen Gott zum Eingreifen bewegen. Reich würde ich ihn dafür beschenken. Aber baden kann ich mich auch zuhause in unseren Flüssen. Die sind sogar besser. Auch den Kontakt zu Gott kann er sich nur in den Kategorien von Macht und Grösse vorstellen. Und als diese Erwartungen enttäuscht werden, da brechen endlich die ganzen Gefühle von Wut und Enttäuschung, seine Aggressionen auf. Und ich denke, dass auch das zu seiner Heilung dazugehört. Er zeigt Gefühle, sein Panzer bricht auf. Was er aber jetzt noch braucht ist dies: er muss endlich herabsteigen von seinem Ross. Aber zuerst einmal denkt er ans umkehren. Lieber im vertrauten Elend bleiben als sich zu demütigen oder lächerlich zu machen. So leicht steigt ein Feldherr nicht von seinem hohen Ross. Aber Naaman hat Glück mit seinen Untergebenen. Denn wie oft reden die ihren Vorgesetzten nach dem Mund und es ist auch unter Freunden nicht selbstverständlich, dass offene und klare Worte gesprochen werden. Aber wenn wir einander nur sagen, was der andere gerne hört, betrügen wir einander um die Wahrheit und berauben uns der Möglichkeit, Dinge zu verändern. Dass wir dies liebevoll und behutsam tun sollten und im Wissen darum, dass auch wir irren könnten, das ist klar. Die Diener des Naaman schweigen nicht, so wie schon vorher die israelitische Sklavin. Geschickt und behutsam dringen sie durch den stolzen Panzer ihres Herrn. Und der lässt sich bewegen. Er steigt herab. Er taucht unter. Siebenmal. Bis auf den Grund des schmutzigen Jordanwassers. Nur so wird er seinen krank machenden Schutzpanzer los. Nur so begegnet er dem Gott Israels und seiner heilenden Kraft.
„Da stieg er ab und tauchte unter im Jordan siebenmal, wie der Mann Gottes geboten hatte. Und sein Fleisch wurde wieder heil wie das Fleisch eines jungen Knaben, und er wurde rein.“ Die Heilung gleicht einer Neugeburt. Das Untertauchen erinnert uns an die Taufe. Die Taufe ist ja auch die Zusage: „Du bist in Gottes Hand.“ Und wer sich in Gottes Hand weiss, der darf sich auch von seinen Schutzpanzern befreien lassen, kann auch dem begegnen, was ihm an sich selbst Mühe macht und unansehnlich ist, kann sich berühren lassen und Möglichkeiten entdecken. Wo wir alles schon wissen, da hat es für Gott keinen Platz. Wenn wir alles im Griff haben wollen, können wir uns nicht beschenken lassen. Wenn wir uns nicht berühren lassen, verlernen wir das Staunen. Und das ist wohl eines der grössten Geschenke, die Kinder uns immer wieder machen: Sie lehren uns das Staunen. Sie helfen uns, die Dinge mit anderen Augen zu sehen. Aber sie konfrontieren uns auch mit ihrer Bedürftigkeit und mit den Grenzen unseres Machens und Planens. Und genau das ist heilsam für uns, so wie für Naaman der Blick von unten, der Blick der Dienerin und seiner Diener, ihr Blick von unten, heilsam war.
Naaman ist geheilt. Und doch bleibt noch etwas. Denn der grosse Feldherr will dem Propheten wenigstens den grossen Dienst angemessen entgelten. Doch Elisa nimmt das Geschenk nicht an. Für Naaman ist es wichtig, dass er lernt, sich beschenken zu lassen, etwas schuldig zu bleiben. Auch das ist Teil seiner Heilung, der Befreiung von seinem Panzer der Macht und des Reichtums. Lass es dir gefallen, sagt Elisa ihm. Und endlich begreift er es. Und hat eine letzte Bitte. Erde will er mitnehmen aus Israel. Erde, die ihn erinnert an das Gute, das ihm widerfahren ist und an den Gott, der ihm diese Heilung hat widerfahren lassen, der ihn befreit hat von seinem Panzer. Diesem Gott will er fortan dienen. Elisa gewährt im diese Bitte – und auch noch eine allerletzte: Sein Amt zwingt Naaman, zuhause auch den Gott Rimmon anzubeten und Elisa erlaubt ihm diesen Kompromiss. Diese Toleranz beeindruckt mich. Natürlich gibt es auch faule Kompromisse, aber ebenso eine bedrohliche fanatische Kompromisslosigkeit. „Zieh hin mit Frieden!“ verabschiedet Elisa den Naaman. Er vertraut darauf, dass er nicht vergessen wird, welcher Gott ihm geholfen hat. Auch wenn er in seinem Alltag mit Kompromissen leben wird, auch wenn er wieder Macht und Reichtum gebrauchen wird – sein Panzer ist aufgebrochen, er lässt sich berühren, seine Seele kann atmen. Das bleibt. Das ist ein Segen. Amen.