Sonntag, 18. September 2011

Predigt zu 1. Thess 1,2-10 vom 18. September 2011

Liebe Gemeinde,
Gott sei Dank, dass es euch gibt! Mit diesem ebenso kurzen wie vielleicht für manche überraschenden Satz möchte ich die Botschaft unseres heutigen Predigttextes zusammenfassen. Denn das ist es, was Paulus ganz zu Beginn des 1. Thess der Gemeinde zu sagen hat. Es ist der älteste überlieferte Brief des Paulus und damit die älteste Schrift des NT überhaupt. Und ich möchte sie einladen, diesen Text, diese Botschaft auch auf sich selber zu beziehen. In den Worten des Paulus: „Wir danken Gott allezeit für euch alle und gedenken euer in unserm Gebet und denken ohne Unterlass vor Gott, unserm Vater, an euer Werk im Glauben und an eure Arbeit in der Liebe und an eure Geduld in der Hoffnung auf unsern Herrn Jesus Christus.“

Gott sei Dank, dass es euch gibt! Wie gut tut ein solcher Satz, wenn wir ihn wirklich hören und auf uns beziehen können. Wie gut tut ein solcher Satz gerade uns, die wir doch eher gewohnt sind, darüber zu jammern, dass wir so wenige sind und so viele sich für die Kirche kaum mehr interessieren. Nein, Paulus fängt nicht mit dem an, was sein sollte und der Klage über tatsächliche Defizite. Er fängt nicht an mit Forderungen und Vorschriften. Am Anfang steht schlicht und einfach der Dank für das, was ist. Ich glaube, es ist genau diese Haltung, die wertschätzen und dankbar sein kann für das, was schon da ist, was an Glauben und Engagement wahrnehmbar ist, die unseren Predigttext so ansteckend, so ermutigend macht. Und ich bin überzeugt, dass es uns gut tun würde, wenn wir uns mehr in dieser Haltung der Dankbarkeit und Wertschätzung einüben würden.

Damit meine ich überhaupt nicht, dass wir uns eine rosarote Brille aufsetzen sollten oder gar dass Kritik unerwünscht wäre – ganz im Gegenteil. Aber was ich meine ist dies: natürlich wäre es schön, wenn unsere Kirche bis auf den letzten Platz besetzt wäre, aber ich freue mich, dass sie da sind und wir gemeinsam feiern, uns von Gottes Wort ansprechen und ermutigen lassen dürfen, miteinander singen und beten. Und ich freue mich über die Frauen und Männer, die sich in unserer Kirchgemeinde an den verschiedensten Orten und in unterschiedlichsten Funktionen engagieren. Denken sie nur an den gestrigen Bettagslauf, der ohne eine grosse Zahl von Helferinnen und Helfern gar nicht möglich wäre. Ich bin dankbar dafür, dass ich Menschen begegnen darf, für die der Glaube Halt und Zuversicht in schwierigsten Lebenssituationen ist. Und wie schön ist es, dass Menschen aneinander Anteil nehmen, sich gegenseitig besuchen, voneinander wissen, was den anderen beschäftigt und bedrückt. Da begegnet mir vielfach eine ganz praktische Frömmigkeit, die sich in schlichter Mitmenschlichkeit zeigt und ohne grosse Worte auskommt. Ja, es stimmt: Gott sei Dank, dass es euch gibt.

Gott sei Dank! schreibt Paulus. Gott – und nicht einfach den Christinnen und Christen in Thessaloniki. Und das ist gewiss keine Einschränkung oder Relativierung des Danks. Viel eher ist es eine Steigerung. Gott sei Dank – das heisst wohl auch, ihr seid all das nicht aus eigener Kraft und Leistung. Aber es heisst vor allem: ihr seid eine Gabe, ein Geschenk Gottes füreinander und für die Welt in der ihr lebt, jeder und jede an seinem und ihrem Ort. In Menschen, die ihren Glauben ganz praktisch in ihrem Alltag zu leben versuchen – mit all ihren Fragen und Zweifeln, mit all ihren menschlichen Begrenzungen, in euch wirkt und schafft Gott heute sein Werk. Und da spielt jeder und jede eine wichtige und unersetzbare Rolle.
Gott sei Dank – das erinnert uns aber auch daran, dass all unser Tun ausgerichtet bleiben muss auf den, der der Grund unseres Glaubens ist, auf den Gott, der uns in Jesus Christus begegnet.

Gott sei Dank, dass es euch gibt! schreibt Paulus - und dann erzählt er den Thessalonichern die Geschichte ihres Glaubens: wir wissen, schreibt er, und meint damit auch: Wisst ihr noch? Und diese kleine, unscheinbare Frage ist so wichtig. Aus jeder Ehe kennen wir das, wie wichtig es ist, sich von Zeit zu Zeit zu erzählen, wie das am Anfang gewesen ist, wie die gemeinsame Liebesgeschichte begonnen hat. Oder einander zu erinnern, was der andere einem in dieser oder jener Situation bedeutet hat, von schönen gemeinsamen Erlebnissen und beglückenden Erfahrungen. „Weisst du noch?“ - diese Frage meint nicht ein nostalgisches Schwelgen in der Vergangenheit, sondern die beglückende Entdeckung, dass es so vieles gibt, was uns verbindet. Diese Frage von Zeit zu Zeit hilft uns, einander und vor allem das Gemeinsame und Verbindende nicht aus dem Blick zu verlieren. Im Glauben ist es eigentlich genauso. Weisst du noch, wie damals das Gebet deiner Mutter am Bett dich in Frieden hat einschlafen lassen? Weisst du noch, welche Menschen für dich vorbildlich im Glauben waren? Erinnerst Du dich noch daran, wo dein Glaube dich durch eine schwierige Zeit hindurch getragen hat? Spürst du noch die Dankbarkeit, die dich bei einem Sonnenuntergang oder auf einem Berggipfel erfüllt hat, dieses Gefühl, dass du all dies einer wunderbaren Schöpferkraft zu verdanken hast? Ich bin überzeugt, für jeden und jede von uns gibt es solche Erinnerungen in unserer Glaubensgeschichte, Erinnerungen, die uns helfen könne, das Wesentliche nicht aus dem Blick zu verlieren.

Gott sei Dank, dass es euch gibt! Wir feiern heute den Eidgenössischen Dank-, Buss und Bettag. Er soll ein Tag des Innehaltens und Nachdenkens über den Weg unserer Gesellschaft sein. Er soll uns daran erinnern, dass in einer Gesellschaft mit verschiedenen Kulturen, Konfessionen und Religionen, mit unterschiedlichsten Werthaltungen und Weltanschauungen ein Bewusstsein entstehen oder erhalten bleiben muss, dass das Verbindende stärker ist als die Erfahrung des Trennenden. Gerade wenn wir die Vielfalt achten und schätzen, ist es wichtig, dass diese Vielfalt nicht zu einem beziehungslosen Nebeneinander wird oder gar zu einem unversöhnlichen Gegeneinander. Ich bin überzeugt, dass gerade in dieser Haltung, die Vielfalt zu schätzen und zugleich immer wieder beharrlich das Gemeinsame und Verbindende zu suchen, ein wesentlicher Beitrag unserer christlichen Kirchen zum Wohl unserer Gesellschaft liegt.

Paulus schreibt: „Wir denken ohne Unterlass vor Gott, unserm Vater, an euer Werk im Glauben und an eure Arbeit in der Liebe und an eure Geduld in der Hoffnung auf unsern Herrn Jesus Christus.“ Es ist der berühmte Dreiklang von Glaube, Hoffnung und Liebe. Aber er wird erläutert: Es ist tätiger Glaube, eine Liebe, die sich einsetzt und eine geduldige Hoffnung. Solchen Glaube, solche Liebe und solche Hoffnung gibt es auch unter uns an vielen Orten und auf vielfältige Weise. Menschen, die sich daran orientieren, sind ein Segen für unsere Gesellschaft. Sie halten die Erinnerung wach, dass es noch auf etwas anderes ankommt als auf Erfolg und Profit. Sie lassen uns nicht vergessen, dass die Menschlichkeit einer Gesellschaft sich nicht zuletzt daran bemisst, wie sie mit den Schwachen und weniger Leistungsfähigen umgeht. Sie rufen uns in Erinnerung, dass jeder Mensch eine Gabe Gottes ist und eine menschenwürdige Behandlung verdient.
Gott sei Dank, dass es euch gibt! Unser Predigttext lädt ein zur Dankbarkeit für das Geschenk des Glaubens, für all die Menschen, die ihren Glauben in tätiger Liebe, in ihrem alltäglichen Engagement leben. Er lädt ein zur Freude an der Kirche. Es ist wichtig – auch für unsere säkulare Gesellschaft, dass die Stimmen des Glaubens nicht verstummen, die Erinnerung daran, dass wir Gott verantwortlich sind für unser Handeln, dass wir uns aber auch von Gott getragen und geführt wissen dürfen. Es ist gut, dass die Kirchentüren offen stehen für Menschen mit ihren Fragen und ihren Sorgen. Es ist unverzichtbar, dass in den Kirchen unzählige Menschen sich freiwillig engagieren und damit einen wesentlichen Beitrag zum Wohl der Gesellschaft leisten. Und deshalb noch einmal: Gott sei Dank, dass es euch gibt! Amen.