Samstag, 19. November 2011

Predigt am Ewigkeitssonntag 20. November 2011 über Lk 12,35-38.42-46a

Liebe Gemeinde,
am letzten Sonntag des Kirchenjahres, am Toten- und Ewigkeitssonntag, gedenken wir unserer Verstorbenen. Viele von Ihnen haben im zurückliegenden Jahr einen lieben Menschen verloren. Mit ihren Gedanken sind sie bei dem Menschen, von dem sie Abschied nehmen mussten. Vielleicht steht ihnen vor Augen, wie er gestorben ist. Vielleicht haben sie aufbegehrt gegen dieses Sterben, gehadert mit Gott oder dem Schicksal oder sie konnten Ja sagen, einwilligen in dieses Sterben, es als Erlösung ansehen. Und doch – auch in dem friedlichen Sterben, in der Erlösung vom Leiden – ist da ein Mensch, der uns verlässt, der uns zurücklässt, der fehlt. Unausweichlich ist der Schmerz über den Verlust, auch wenn da hoffentlich ebenso die Dankbarkeit ist, für das, was wir miteinander erlebt und geteilt haben.
In all die Gefühle hinein, die uns heute bewegen, spricht der Predigttext aus dem Lk zu uns. Er spricht zu uns vom Kommen Jesu als Herr und Weltenrichter. Er rückt so unser Leben und Sterben in das Licht einer anderen Welt, der Welt Gottes. Er sagt uns: Nicht auf den Tod sollen wir warten, sondern auf das Leben, das kommt. Am Ende steht nicht das Nichts, sondern das Kommen Jesu, die Fülle, das Leben. Als Wartende leben wir – aber nicht als untätig Wartende, sondern als Menschen, die bereit sind.
Im Angesicht des Todes brechen die Fragen unweigerlich auf: Wer sind wir und wozu leben wir? Was bleibt am Ende? Und gibt es eine Hoffnung, die dem Tod standhält, die über das Ende unseres irdischen Lebens hinausreicht?
In zwei Gleichnissen bringt uns unser Predigttext nahe, wie wir leben können und sollen mit der Hoffnung auf das Kommen Christi am Ende der Welt, am Ende unseres eigenen Lebens, ja schon in den kleinen Toden hier und jetzt, wenn wir in einem dunklen Tal sind, dessen Ende wir nicht sehen können. In Gleichnissen bringt er uns diese Hoffnung nahe, weil es nicht darum geht, ob wir es nun für wahr halten, dass es ein Leben nach dem Tod gibt oder nicht. Es geht nicht um den Beweis der Richtigkeit einer Behauptung, sondern um die Ausrichtung unseres Lebens an einer Hoffnung auf das, was wir noch nicht sehen.
Im ersten Gleichnis steht in einem grossen, herrschaftlichen Haus die Dienerschaft zusammen. Sie alle halten brennende Lichter in den Händen, sind bereit aufzubrechen, sobald sich nur das Kommen des Herrn, auf den sie warten, ankündigt. Der Herr ist irgendwo auf einer Hochzeitsfeier. Das kann sich hinziehen. Doch die Knechte sind bereit zu warten. Es ist schon spät, sehr spät. Da kommt der Herr des Hauses doch noch. Er klopft an. Sie machen ihm die Tür auf und, welche Überraschung. Er legt sich einen Schurz an und bedient seine Dienerschaft. Das Fest geht weiter und die Diener sind die Bedienten.
Am Toten- und Ewigkeitssonntag dürfen wir dieses Gleichnis hören als Gleichnis für unsere Trauer. Wenn wir in Trauer sind, mag es uns manchmal auch so vorkommen, als stünde das Leben still, als sei Gott ganz weit weg. Und die Zeit zieht sich in die Länge. Immer wieder überkommt uns die Trauer. Trotzdem, sagt uns das Gleichnis: Seid bereit, wenn das Leben bei euch anklopft. Rechnet damit, dass die Hoffnung und die Freude in euer Leben zurückkehren. Unser Herr kommt und er kommt nicht als Herr, der sich bedienen lässt, sondern er kommt, um unsere Tränen abzuwischen, uns den Tisch zu decken, uns den Becher mit Wein einzuschenken. Sein Kommen können wir nicht herbeizwingen oder beschleunigen, aber bereit sein können wir, aus der Hoffnung auf sein Kommen zu leben und geduldig zu warten. Denn ein glücklicher Mensch ist nicht der, der keine Trauer und keinen Schmerz kennt. Ein glücklicher Mensch ist im biblischen Denken derjenige, der in Trauer und Schmerz nicht ohne Hoffnung ist und der daran glaubt und daran festhalten kann, dass am Ende das Leben steht, dass – wie lange es auch dauern mag – Jesus Christus kommt und uns dient.
Auch im anderen Gleichnis geht es um einen Herrn, der abwesend ist, unterwegs auf einer langen Reise. Er setzt einen Verwalter ein über seine Güter. Was hat nun ein kluger und treuer Verwalter zu tun? Wir würden wohl erwarten, dass er die Güter seines Herrn gewinnbringend einsetzen, sie vermehren soll. Denn das Kapital muss ja Rendite bringen. Aber die Beschreibung im Gleichnis ist eine andere, sie ist überraschend: Der kluge und treue Verwalter ist der, der den Leuten zur rechten Zeit gibt, was sie brauchen. Der kluge und treue Verwalter ist nicht der, der Besitz anhäuft, sondern der, der austeilt. Der ist ein glücklicher Mensch. Am Ende des Gleichnisses taucht auch die andere Möglichkeit auf, dass der Verwalter überfordert ist und von seinem Auftrag abkommt. Weil der Herr solange ausbleibt fängt er an, das Personal zu drangsalieren, wird gewalttätig und säuft. In dieser krassen Schilderung führt uns das Gleichnis die Möglichkeit eines verfehlten Lebens vor Augen. Von einem solchen Leben, das nur um sich selber kreist, das gierig den eigenen Vorteil sucht und anderen Gewalt antut, von einem solchen Leben bleibt am Ende wirklich nichts. Doch selbst dann, denke ich, sollten wir diesem Urteil nicht das letzte Wort lassen. Denn auch einem verfehlten Leben leuchtet die Möglichkeit der göttlichen Vergebung. Wir sollten darauf hoffen, dass durch Jesus Christus alles Leben heil werden kann.
Wer sind wir und wozu leben wir? Was bleibt am Ende? Und gibt es eine Hoffnung, die dem Tod standhält, die über das Ende unseres irdischen Lebens hinausreicht? Wir sind wie die Knechte, die auf ihren Herrn warten und bereit sind für das Leben, wenn er anklopft. Wir sind Verwalterinnen und Verwalter, Mitarbeiterinnen Gottes, deren Auftrag es ist, auszuteilen und weiterzugeben. Denn was bleibt, das ist das, was wir einander gegeben haben, was bleibt ist die Liebe, die sich verschenkt. Was bleibt, ist die Hoffnung, dass wir dereinst die Bruchstücke unseres Lebens als ganzes sehen dürfen. In diesem Vertrauen wollen wir unsere Verstorbenen loslassen, sie in Gottes Hand geben. In diesem Vertrauen können wir auch unserem eigenen Sterben getrost entgegengehen. In diesem Vertrauen können wir leben und das unsere tun, austeilen und weiter geben, was wir empfangen haben – aus Gottes Hand und durch die Menschen, die uns begegnen und durch die, die nicht mehr bei uns sind. Amen.