Sonntag, 25. Dezember 2011

Predigt am 1. Weihnachtstag über 1. Joh 3,1-3

Liebe Gemeinde,
Wohl kaum eine Geschichte ist öfter erzählt worden, wohl kaum eine Szene in der Kunst öfter dargestellt worden als die weihnachtliche Urszene von der Geburt des Kindes im Stall von Bethlehem. Maria mit ihrem Kind auf den Armen, Maria und Josef und das Kind in der Krippe, die anbetenden Hirten und die niederknienden Könige, Ochs und Esel als Repräsentanten der Tierwelt. Dieses Bild in seiner Einfachheit und Ärmlichkeit strahlt einen Glanz, einen Frieden aus, dem wir uns nur schwer entziehen können. In all unserer Abgeklärtheit und Aufgeklärtheit spüren wir, dass wir dieses Bild, diese Szene nicht einfach als religiösen Kitsch abtun können. In der biblischen Weihnachtsgeschichte, in all ihren Darstellungen, Vertonungen und Nacherzählungen begegnet uns ein Anfang, dem ein Zauber innewohnt. Ein neuer Anfang, den Gott uns schenkt. Dieses Kind ist, so erzählt es die biblische Geschichte, die Frucht seiner Liebe zu uns Menschen. Dieses Kind ist die Mensch gewordene Liebe Gottes selbst, Liebe, die sich schutzlos ausliefert, greifbar, anfassbar wird. So wie es im Anfang der Bibel in der Schöpfungsgeschichte heisst: „Siehe, es war gut.“ – so ist diese Geburt das Versprechen Gottes: Siehe, alles wird gut. Euch ist heute der Heiland geboren. Ehre sei Gott in der Höhe und Frieden auf Erden.
Die Weihnachtsgeschichte lenkt unseren Blick auf das Kind in der Krippe, weil sie uns sagen will: So ist Gott. Er wird Mensch, teilt unser Geschick, nimmt Anteil an dem, was wir erleben und erleiden. Er vertraut sich uns an, damit wir zu ihm Sorge tragen und uns seiner annehmen wie eine Mutter um ihr neugeborenes Kind. Dieses Kind ist das Zeichen, dass Gott nicht ohne uns Menschen sein will, dass er sich nicht selbst genug ist in seiner himmlischen Herrlichkeit. Er tritt auch nicht triumphierend bei uns ein, sondern wird geboren, kommt zu uns zart und verletzlich. Er eröffnet eine Geschichte mit uns, eine Liebesgeschichte mit einer offenen, hoffnungsvollen Zukunft.
Im Kind in der Krippe sollen wir Gott erkennen, den liebenden, sich wehrlos machenden Gott, der uns nahe kommt. Und wir sollen uns selbst in diesem Kind erkennen, uns selbst als bedürftige und verletzliche Wesen, aber auch als Menschen, die eine Zukunft haben, mit denen Gott immer wieder neu anfängt. Denn in diesem Kind und durch dieses Kind sollen wir alle Kinder Gottes heissen: „Seht, welch eine Liebe hat uns der Vater erwiesen, dass wir Gottes Kinder heissen sollen – und wir sind es auch. Zwar mag manch einer oder eine von uns die Bezeichnung Kinder Gottes mit zwiespältigen Gefühlen hören, denn schliesslich wollen wir erwachsen sein und Kinder Gottes tönt in unseren Ohren nach unmündig und abhängig. Aber vielleicht gehört ja die Bedürftigkeit und Angewiesenheit auf unsere Mitmenschen und auf Gott zu unserem Menschsein und ist es gar kein so erstrebenswertes Ziel völlig frei von Bedürftigkeit und Abhängigkeit zu sein? Vor allem aber meint die biblische Bezeichnung Kinder Gottes etwas anderes als die unmündigen Kinder. Es ist zuerst und vor allem eine Liebeserklärung Gottes an uns. Ich will für euch da sein wie eine Mutter für ihre Kinder, sagt Gott. Aber es ist noch mehr als das. Wenn ich mir überlege, warum ein neugeborenes Kind uns so berühren kann, dann denke ich an dreierlei. Ein neugeborenes Kind lässt mich staunen über das Wunder des Lebens. Plötzlich ist da ein Mensch, der vorher noch nicht da war, eine Stimme, ein Gesicht, etwas Einmaliges und Neues. Ein neugeborenes Kind lässt in mir auch die Sehnsucht nach einer ursprünglichen Reinheit anklingen, die Sehnsucht, noch einmal neu beginnen zu können. Und ein neugeborenes Kind hat sein ganzes Leben noch vor sich, hat all die Möglichkeiten noch nicht ausgeschöpft und ist noch nicht festgelegt durch seine Geschichte und die richtigen und die falschen Entscheidungen, die wir Erwachsenen immer schon getroffen haben und die unser Sein in unserer Welt, unsere Beziehungen, unser Selbstvertrauen so sehr beeinflussen. „Wir sollen Gottes Kinder heissen und wir sind es auch.“ Wir sollen leben als Menschen, die sich und die anderen immer wieder staunend als ein Wunder Gottes erfahren, etwas Einmaliges und Einzigartiges. In Gottes Augen sind wir nicht festgelegt auf unsere Geschichte, auf unsere Fehler, auf die Schuld, die wir vielleicht auf uns geladen haben. Bei ihm dürfen wir Vergebung erfahren und Liebe, die uns neu beginnen lässt. In Gottes Augen haben wir eine Zukunft. Wir sind nicht einfach das Ergebnis unserer Geschichte, festgelegt auf unsere Vergangenheit. Wir dürfen leben wie Kinder, die noch ein ganzes Leben vor sich haben und neugierig darauf sind die Möglichkeiten zu entdecken und auszuprobieren, die sich ihnen bieten.
Die Philosophin Hanna Arendt schreibt: „Mit ihrer Geburt treten ständig neue Menschen ins Leben und können durch ihr Handeln die Welt verändern. Dass man in der Welt Vertrauen haben und dass man für die Welt hoffen darf, ist vielleicht nirgends knapper und schöner ausgedrückt als in den Worten: Uns ist ein Kind geboren.“ – und sie spielt damit auf die Weihnachtsgeschichte an.
Hören wir unseren Predigttext: „Wir sind schon Gottes Kinder; es ist aber noch nicht offenbar geworden, was wir sein werden. Wir wissen aber: wenn es offenbar werden wird, werden wir ihm gleich sein; denn wir werden ihn sehen, wie er ist.“ Wir sind nicht einfach so wie wir sind. Wir sind nicht fertig. Wir sind nicht das Endprodukt unserer Geschichte. Es ist noch nicht offenbar, was wir sein werden. Diese Einsicht bewahrt uns vor der Verzweiflung, die uns befallen kann, wenn Dinge schief gelaufen sind in unserem Leben oder auch, wenn andere uns auf unsere Geschichte, auf Vergangenes festlegen, daran fesseln wollen. Sie bewahrt uns aber auch vor dem Wahn perfekt und vollkommen sein zu müssen. Wir sind nicht vollkommen und müssen es auch nicht sein, denn es ist noch nicht offenbar, was wir sein werden. Wir dürfen uns entwickeln, aus Sackgassen wieder umkehren, neue Möglichkeiten entdecken, aufstehen, wenn wir umfallen, Fehler eingestehen, ja überhaupt mutig und zuversichtlich handeln und unseren Weg gehen, weil wir Gottes Kinder heissen und auf dem Weg sind, es immer mehr zu werden.
Weihnachtlich leben im Anblick des Kindes in der Krippe, das könnte heissen, dass wir uns immer wieder auf neue Anfänge einlassen. Solche neuen Anfänge sind möglich, wo Menschen einander verzeihen und einander nicht mehr auf das festlegen, was war, sondern ausprobieren, was sein könnte. Sie sind möglich, wenn wir einander als Kinder Gottes ansehen und versuchen, die Liebe, die Gott uns erwiesen hat, weiter zu geben, auch wenn uns dies nur unvollkommen gelingen mag. Solche neuen Anfänge sind möglich, wenn wir lernen uns mit den Augen Gottes zu sehen, als Menschen im Werden, als geliebte Kinder. Solche Anfänge sind möglich, wenn wir in jedem Ende nach dem neuen Anfang suchen und so kann uns letztlich auch der Tod zu einer Neugeburt werden. „Denn dann wird offenbar, was wir sind und wir werden ihm gleich sein; denn wir werden ihn sehen wie er ist.“ An Weihnachten aber ist er uns gleich geworden, damit wir der Liebe Gottes vertrauen und anfänglich leben – leben als Menschen mit Zukunft und Hoffnung, leben als Menschen, die zur Liebe und zum Frieden fähig sind, leben als Menschen, die durch ihr Handeln Neues schaffen und zärtlich und behutsam sein können. Dazu befähige uns die göttliche Liebe, dazu erwecke uns das Kind in der Krippe. Amen.

Samstag, 24. Dezember 2011

Predigt an Heiligabend über Mt 1,18-25

Liebe Gemeinde,
der Evangelist Matthäus erinnert sich in seiner Weihnachtsgeschichte an die alten Worte aus dem Buch des Propheten Jesaja: „Siehe, eine junge Frau ist schwanger und wird einen Sohn gebären, den wird sie nennen Immanuel.“ Immanuel – das bedeutet „Gott ist mit uns“ und das ist es, was uns in dieser heiligen Nacht zugesagt ist. Diese Zusage ist dem Evangelisten Matthäus so wichtig, dass er sie am Ende seines Evangeliums wiederholt. Aus dem Mund des Auferstandenen hören wir dort: „Siehe, ich bin bei euch alle Tage bis ans Ende der Welt.“
Gott kommt zu uns Menschen als der Immanuel, als der, der uns zur Seite steht. Er ist sich nicht selbst genug in seiner himmlischen Herrlichkeit. Er will nicht Furcht und Zittern wecken, sondern Liebe und Vertrauen. Er begibt sich in unsere Welt, in unsere Hände, wird schutzlos und gering. Dieser „Gott mit uns“ lässt sich auch missbrauchen. Wie oft schon haben Menschen diesen Namen als Parole missbraucht und sind damit in den Krieg gezogen. Aber wie – um Gottes und der Menschen willen – lässt sich diese Parole in Einklang bringen mit dem kleinen, schutzlosen, verletzlichen Kind in der Krippe?
Dass Gott mit uns ist in dem Kind in der Krippe, das bedeutet zuerst und vor allem: Ich bin wahrgenommen. Gott hat an mir Interesse. Er gibt mir ein Gesicht. Gott weiss, dass wir darauf angewiesen sind, dass wir wahrgenommen und beachtet werden. Wir leben ja in einer widersprüchlichen Welt. Noch nie wurde Individualität so gross geschrieben, aber zugleich war das Leben wohl auch noch nie so unübersichtlich und die Gefahr so gross, in einer anonymen Masse unterzugehen. Wir können inmitten all der unbegrenzten Möglichkeiten verloren gehen. So mancher empfindet sich nur als kleines und ohnmächtiges Rädchen in einem riesigen und undurchschaubaren Getriebe, einem anonymen Räderwerk, das uns manchmal das Fürchten lehren kann. Auch wenn wir uns etwas aufgebaut, etwas erreicht haben in unserem Leben, sehen wir vielleicht in den Spiegel und fragen uns: Wer bin ich eigentlich? Wer nimmt mich so wahr, wie ich bin? Wem kann ich mich zeigen, so wie ich bin?
Der Anblick des nackten und schutzlosen Kindes in der Krippe rührt uns an in unserer Bedürftigkeit, die wir so oft durch Geschäftigkeit überspielen. „Gott ist mit uns“ – seinen verletzlichen und auf Liebe und Zuwendung angewiesenen Geschöpfen. Er nimmt uns wahr. Er begegnet uns mit Augen der Liebe. Jeder einzelne Mensch, du und ich, wir sind für ihn wichtig.
„Gott mit uns“ – das bedeutet aber auch: „Wir mit Gott“. Dass wir Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter Gottes sind, das ist unsere menschliche Bestimmung. Wir sind Gottes Gegenüber, fähig auf seine Liebe zu antworten, ihn in unserem Leben wahrzunehmen und mitzuarbeiten, damit Menschen wahrgenommen werden, Bedürftige Liebe und Zuwendung erfahren und Menschen spüren, dass sie nicht allein sind. Wir sind Menschen, die verzeihen können, die Frieden stiften können, auch wenn uns dies wohl immer nur sehr unvollkommen gelingt. “Gott mit uns“ und „Wir mit Gott“ – das ist auch ein Auftrag, der Auftrag, Liebe und Frieden auszubreiten in unserem Alltag und die Bedürftigkeit und Schutzlosigkeit von Menschen nicht auszunützen, sondern jeden einzelnen, was immer er oder sie getan oder nicht getan hat, spüren zu lassen: „Ich nehme dich wahr. Du bist wichtig.“
Eigentlich ist die Botschaft von Weihnachten ganz einfach: Gott nimmt unsere Schutzlosigkeit und Verletzlichkeit an. Und darum dürfen wir uns selbst annehmen, verletzlich und bedürftig wie wir sind. Gott findet keine Herberge in den Palästen unserer Grossartigkeit, aber er zieht ein in die Einfachheit unserer Herzen. Wer sein Herz öffnet, bei dem wird er Wohnung finden. Gott gibt jedem einzelnen Menschen eine unverletzliche und unverlierbare Würde. Auf diese Würde dürfen wir uns berufen und wir sollen sie achten bei allen Menschen und uns für die Würde jedes einzelnen einsetzen. Frieden kann werden, wenn wir uns von dieser Botschaft berühren lassen. Es braucht dann natürlich immer noch politische Klugheit im Grossen und alltägliches Bemühen und Arbeit im Kleinen, damit Frieden gelingen kann. Aber wo Menschen zulassen können, dass sie selbst bedürftig und verletzlich sind und dies auch anderen zugestehen, ja sich von ihrer Verletzlichkeit und Bedürftigkeit berühren lassen, da kann Frieden beginnen, da ist Gott mit uns und es kann Weihnachten werden. Amen.

Samstag, 10. Dezember 2011

Predigt zu 2. Kor 1,18-24 am 11. Dezember 2011 (3. Advent)

Liebe Gemeinde,
versprochen ist versprochen – und was man versprochen hat, das muss man auch halten. Das haben wir alle von Kindheit an gelernt. Deshalb reagieren wohl die meisten von uns sehr empfindlich darauf, wenn jemand nicht einhält, was er versprochen hat, ganz besonders wenn uns dieser Mensch wichtig ist. Verlässlichkeit ist einer der wichtigsten Grundpfeiler unserer menschlichen Beziehungen, ein kostbarer Schatz, zu dem wir unbedingt Sorge tragen müssen. Und die Verlässlichkeit Gottes ist der Grundpfeiler unseres Glaubens. Wenn Gott nicht verlässlich wäre, hätten wir unseren Glauben auf Sand gebaut.
In unserem heutigen Predigttext muss sich der Apostel Paulus gegen den Vorwurf verteidigen, er habe sein Versprechen nicht gehalten, habe Ja gesagt und eigentlich Nein gemeint. Was war geschehen? Bei seinem letzten Besuch in Korinth hatte er massive Streitereien und Konflikte in der Gemeinde angetroffen, Konflikte bei denen es um Fragen des Glaubens und des christlichen Handelns ging, aber auch darum, wer das Sagen hat in der Gemeinde. Paulus wurde massiv angegriffen. Er konnte den Konflikt nicht schlichten, sondern war selber ein wesentlicher Teil des Konflikts und sah sich schweren Angriffen ausgesetzt. Enttäuscht, wütend, unter Tränen reiste er vorzeitig ab, nicht ohne einen erneuten Besuch anzukündigen oder muss man eher sagen „anzudrohen“?
Seit diesen Ereignissen waren nur wenige Monate vergangen. Paulus hatte der Gemeinde einen Tränenbrief geschrieben, der bittere und polemische Vorwürfe an seine Gegner enthielt. Sein Mitarbeiter Titus hatte diesen Brief überbracht. Es ist ihm gelungen – wahrscheinlich mehr durch sein diplomatisches Geschick als durch den Wortlaut des Briefes – die Wogen zu glätten und ein Stück Frieden und Versöhnung in der Gemeinde zu erreichen. Dabei hat er das Versprechen des Paulus, selber wiederzukommen, bekräftigt.
Der versprochene Besuch lässt auf sich warten und die Korinther werden unruhig. Die Gegner des Paulus, die sich trotz der Versöhnung kaum in glühende Befürworter verwandelt haben, beginnen vermutlich zu spotten: „Der traut sich nicht mehr zu uns. Der hat Angst. Oder es ist eben kein Verlass auf ihn. Er ist ein Jasager, aber dann ist nicht viel dahinter. Wir waren zu Recht skeptisch ihm gegenüber.“ Und seine Anhänger haben vielleicht auch angefangen, an Paulus zu zweifeln. „Wie kann er uns so im Stich lassen. Können wir überhaupt noch auf ihn zählen. Oder ist er einer, der einen Scherbenhaufen hinterlässt und dann davonläuft. Meint er auch Ja, wenn er Ja sagt?“
Gegen diese Vorwürfe und Zweifel muss Paulus sich verteidigen. Es geht um seine Glaubwürdigkeit und um die Glaubwürdigkeit seiner Botschaft. Er will kommen und er wird kommen. Aber er gibt den Korinthern auch zu verstehen, dass die Zeit dafür noch nicht reif ist. Zu sehr ist er vor kurzer Zeit noch Teil, ja Gegenstand des erbitterten und schmerzlichen Konflikts in der Gemeinde von Korinth gewesen, zu labil ist noch die Versöhnung und zu gut kennt Paulus sein schwer zu zügelndes Temperament. Ein Besuch zum jetzigen Zeitpunkt würde eher Wunden aufreissen als zur Versöhnung beitragen. Darum lasse ich euch auf meinen Besuch warten, damit es nicht wieder Tränen und Streit gibt. Ich sage nicht heute Ja und morgen Nein. Aber es gibt Situationen, wo das Ja zu euch Korinthern und das Ja zur Botschaft des Glaubens, die ich unter euch verkündet habe, besser durchzuhalten ist in der Gestalt des Nein, im vorläufigen Verzicht auf den angekündigten Besuch. Wenn ich heute nein sage zu einem Besuch, dann tue ich dies, weil ich euch liebe und weil ihr mir wichtig seid. Es kann eben hilfreicher sein, Raum zu schaffen und Pläne zu ändern als unbeirrbar an etwas festzuhalten.
Dafür bringt Paulus seine ganze Botschaft, Gott selbst ins Spiel. Gott ist mein Zeuge, schreibt er. Denn in Jesus Christus hat er Ja gesagt – und nicht Ja und Nein zugleich. Er hat Ja gesagt zu allen seinen Verheissungen. Er hat Ja gesagt zu uns Menschen. Wenn wir an Weihnachten die Geburt des Kindes in der Krippe feiern, dann feiern wir dieses Ja Gottes zu seinen Verheissungen. Wir feiern das Ja Gottes zu uns Menschen, das uneingeschränkt gilt. Gott unterläuft unsere Gewohnheiten, alles in Schwarz und Weiss, Gut und Böse einzuteilen, zu dem einen Ja und dem anderen Nein zu sagen. Bei Gott steht an erster Stelle und uneingeschränkt das Ja, das Ja der Liebe zu seiner Schöpfung, das Ja der Liebe zu uns Menschen. Und wo Gott Nein sagt, da sagt er nicht Nein zum Menschen, sondern Nein zu einem bestimmten Tun, zu einer verfehlten Einstellung, zu einem Irrweg. Wo Gott Nein sagt, da ist dieses Nein von Liebe bestimmt und getragen von seinem Ja zu allen Menschen. Gott steht zu seinen Versprechen. Er ist treu gegenüber uns Menschen. Das ist die Grundbotschaft der Bibel. Diese Zusage tönt uns aus dem Munde des Engels entgegen, der uns zuruft: „Fürchtet euch nicht. Siehe ich verkündige euch grosse Freude, die allem Volk widerfahren wird. Denn euch ist heute der Heiland geboren.“
In der Geburt Jesu bekräftigt Gott seine Verheissungen, sein Ja der Liebe zu uns Menschen. Bekräftigung der Verheissungen heisst nicht Erfüllung aller unserer Wünsche. Und es heisst auch nicht, dass die Verheissungen schon erfüllt wären. Wir sollen nicht unsere Wünsche zum Massstab aller Dinge machen, aber wir brauchen auch nicht die Welt wie sie ist schön reden. Nein, unsere Welt ist nicht die Welt des Friedens, die Gott verheissen hat. Nein, wir Menschen sind noch nicht solche, deren Handeln ganz von Liebe bestimmt ist. Es gibt noch viel zu erwarten und zu hoffen. Und es gibt noch vieles, was unseren Glauben, unsere Hoffnung und unsere Liebe ins Wanken bringen kann. Noch gehören Glaube und Zweifel zusammen. Noch fliessen Tränen, Tränen des Leids, Tränen der Wut, Tränen der Enttäuschung. Noch tun Menschen einander weh, absichtlich oder unabsichtlich oder wissen nicht mehr weiter. Trotzdem ist Gott da mit seinem Ja zu uns, mit seinen Verheissungen. Ich richte dich wieder auf, sagt er zu uns. Ich trage dich hindurch. Ich bin bei dir.
„Denn auf alle Gottesverheißungen ist in ihm das Ja; darum sprechen wir auch durch ihn das Amen, Gott zum Lobe.“ Gottes Ja ist das erste Wort. Aber dieses Ja lädt uns ein zur Antwort. Im Vertrauen auf Jesus Christus sollen wir „Amen“ sagen. „So sei es“ heisst diese alte Gebetsformel übersetzt. Wir sollen nicht zu allem Ja und Amen sagen, sondern Amen zu dem Ja Gottes, das uns die Botschaft der Bibel verkündet, das uns in dem Kind in der Krippe begegnet. Dieses Amen sprechen wir, wenn wir an Gott festhalten – auch dann, wenn unser Weg durchs Dunkel führt, wenn die Zweifel kommen und die bedrängenden Fragen. Amen sagen wir, wenn wir warten können in Geduld, Raum schaffen und Raum gewähren, Zeit lassen für Versöhnung und Frieden. Und Amen sagen wir, wenn wir Ja sagen zu den Menschen, wenn wir versuchen, der Liebe Gottes zu allen Menschen zu entsprechen, indem wir nicht verurteilen, nicht abschreiben, nicht zerstören. Auch da, wo wir glauben, dass wir einem Menschen gegenüber Nein sagen müssen, sollten wir immer mit der Möglichkeit rechnen, dass wir im Irrtum sein könnten. Und vor allem darf dieses Nein immer nur der Position des anderen, seinem konkreten Verhalten gelten und niemals dem ganzen Menschen. Auch im Nein muss das Ja zum Menschen, das Ja der Liebe erhalten bleiben. Selbst da wo Menschen sich trennen, weil sie keinen gemeinsamen Weg mehr finden können, sollen sie sich darum bemühen, den anderen nicht als Menschen zu verurteilen oder gar zu verachten. So können wir Amen sagen zu dem Ja Gottes – in aller Vorläufigkeit und Zerbrechlichkeit, die uns Menschen in dieser Welt eigen ist.
Versprochen ist versprochen – bei Gott gilt dieser Satz uneingeschränkt. Auf seine Treue ist Verlass. Sein Ja, seine Liebe zu uns Menschen gilt ohne Wenn und Aber. Dazu ist Jesus Christus in unsere Welt gekommen, als Kind in der Krippe, zart und verletzlich. Dafür hat Jesus gelebt, ist er gekreuzigt und auferstanden. Wir dürfen hoffen, wir dürfen glauben und vertrauen. Und wir sollen wissen, dass auch der Zweifel, die Fragen dazugehören, weil die Verheissungen noch nicht erfüllt sind, weil die Welt und wir Menschen unvollkommen sind. Aber Gottes Ja kann nicht mehr zum Nein werden. „Fürchtet euch nicht“. Wer Gott vertraut, den lässt er nicht im Stich, was immer er auch getan, wie oft er auch in die Irre gegangen sein mag. Was keinen Bestand hat in unserem Leben, wozu Gott Nein sagt, das heilt er und bringt er zurecht. Er tut es, weil er uns liebt und zu uns Ja sagt. Habt keine Angst, wartet in Geduld, übt euch in der Liebe – denn euch ist der Heiland geboren. In ihm sagt Gott Ja zu allen seinen Verheissungen. Amen.