Liebe Mitchristen,
Was der Apostel da schreibt, das ist ein ausführlicher und zu Herzen gehender Spendenaufruf. Macht euch keine Sorgen, sagt er, sondern gebt ab von dem Reichtum, den Gott euch schenkt. In meiner Predigt soll es heute aber nicht um einen Spendenaufruf gehen, zumal ja in diesem Gottesdienst gar keine Kollekte vorgesehen ist. Ich will vielmehr unseren Blick lenken auf die Dankbarkeit für das, was Gott uns in unserem Leben schenkt. Nicht die grossen Dinge, nicht der Überfluss an Gütern ist es ja, der uns erkennen lässt, wie kostbar unser Leben ist und wie reich an Gnade wir eigentlich sind. Unser Predigttext ist ja auch nicht nur einen Spendenaufruf, sondern eine Einladung zur Dankbarkeit für die elementaren Dinge des Lebens, die wir so oft einfach als selbstverständlich ansehen oder uns selber, unserer Arbeit und Leistung zuschreiben. Und er ist eine Einladung, darauf zu achten, dass diese elementaren Lebensgrundlagen nicht selbstverständlich sind und dass wir grössere Lebenszufriedenheit, grösseres Glück erfahren, wenn wir fähig werden zur Dankbarkeit und wenn wir das unsere mit anderen teilen, uns miteinander daran freuen können. Paulus schreibt: „Gott aber lässt euch all seine Gnade reichlich zukommen, damit ihr allezeit mit allem reich versorgt seid und darüber hinaus noch Mittel habt zu jedem guten Werk.“ Und: „Der aber dem Säenden Samen gibt und Brot zur Speise, der wird auch euch das Saatgut geben in reichem Masse und die Frucht eurer Gerechtigkeit wachsen lassen.“
Ja, die Dankbarkeit für das scheinbar Selbstverständliche schenkt innere Freiheit und Lebenszufriedenheit. Wenn wir das Geschenk unseres Lebens als Geschenk Gottes wahrnehmen können und statt nach immer mehr zu streben, mit den Samenkörnern, die Gott uns schenkt, den Acker unseres Lebens bebauen und uns an den Früchten freuen, die darauf wachsen, dann kann unser Leben gelingen und dann verlieren wir auch unsere Nächsten nicht aus dem Blick. Denn oft ist es ja die unablässige Selbstsorge, die uns von den anderen trennt.
Diese innere Freiheit und von Herzen kommende Dankbarkeit hat Martin Luther schon 1530 in einer wunderbaren Auslegung des 118. Psalms beschrieben:
„Und wenn wir Menschen nicht so blind und der Güter Gottes so überdrüssig und unachtsam wären, so wäre freilich kein Mensch auf Erden, er habe noch so viel Besitz; wenns zum Tausch kommen sollte, so nähme er kein Kaisertum noch Königreich dafür, wenn er dafür der (uns allen eigenen) Güter beraubt wäre. Denn was kann ein Königreich für ein Schatz sein im Vergleich zu einem gesunden Leibe. … Wenn die Sonne einen Tag nicht schiene, wer wollte nicht lieber tot sein? Oder was hülfe ihm all sein Gut und Herrschaft? Was wäre aller Wein und Sekt in aller Welt, wenn wir einen Tag des Wassers ermangeln sollten? Was wären alle hübschen Schlösser, Häuser, Samt, Seide, Purpur, goldenen Ketten und Edelsteine, alle Pracht, Schmuck und Hoffart, wenn wir ein Vaterunser lang die Luft entbehren sollten? - Solche Güter Gottes sind die grössten und (zugleich) die allerverachtetsten und deshalb, weil sie allgemein sind, dankt niemand Gott dafür, sie nehmen sie und brauchen diesselben täglich immer so dahin, als müsste es so sein …; fahren dieweil zu, haben was uns am Herzen liegt zu tun, sorgen, hadern, streiten, ringen und wüten um überflüssiges Geld und Gut, um Ehre und Wollust und in Summa um das, welches solchen obengenannten Gütern nicht das Wasser reichen könnte.“
Sehen wir einmal von der etwas altertümlichen Sprache Luthers ab, so irritiert uns vielleicht immer noch der moralisierende Unterton. Aber ich denke, dass es viel zu kurz greift, wenn wir die wunderbaren Gedanken Luthers einfach als moralischen Appell: „Gib dich zufrieden mit dem, was du hast“ verstehen würden, zumal das leicht in eine falsche Selbstzufriedenheit umschlagen kann. Das Ringen, etwas erreichen wollen, nach mehr streben, gehört zu uns und das ist auch gut so. Ehrgeiz, Unzufriedenheit mit dem Erreichten sollen nicht verteufelt werden. Aber Luthers Vergleiche können uns helfen, die Dinge wieder ins richtige Verhältnis zu setzen. Es mag uns motivieren und antreiben, immer höhere Ziele zu erreichen, aber all dies kann nichts von dem ersetzen, was zu unseren elementaren Lebensgrundlagen gehört. Und (heute nur als Randbemerkung) diese elementaren Lebensgrundlagen hat Gott allen Menschen zugedacht und es gibt keine Rechtfertigung dafür, sie zu privatisieren und anderen vorzuenthalten.
Aber gibt es nicht auch Situationen, wo es uns an ganz elementaren Dingen fehlt? Gerade viele von Ihnen hier in Kühlewil, wissen, was es heisst, wenn der Leib nicht gesund ist, wenn man körperliche und seelische Schmerzen leidet, wenn vieles nicht mehr geht. Dieser Mangel, dieser Verlust kann ihnen schwer zu schaffen machen. Niemand darf ihnen dann das Recht zu klagen absprechen. Nein: „gib dich zufrieden und sei stille“ darf dann nicht die einzige Antwort sein. Und dennoch: wir kennen auch die Momente, wo uns der Verlust des Selbstverständlichen die Augen öffnet für seine Kostbarkeit und zur Klage über den Verlust die Dankbarkeit hinzutritt für das was wir gehabt haben und das, was uns noch bleibt. Und diese Dankbarkeit, diese Achtsamkeit für das Gute und Kostbare in unserem Leben, kann uns dann auch die Kraft geben, das Schwere zu tragen. Denn in dieser Dankbarkeit erfahren wir die Kraft Gottes in unseren Herzen. Ihm dürfen wir vertrauen, dass er uns begleitet und trägt und uns unsere Speise gibt zur rechten Zeit.
Zum Schluss soll nochmals Martin Luther das Wort haben mit seiner Auslegung des Ersten Artikels des apostolischen Glaubensbekenntnisses im Kleinen Katechismus: „Ich glaube an Gott, den Vater, den Allmächtigen, den Schöpfer des Himmels und der Erde.
Was ist das?
Ich glaube, daß mich Gott geschaffen hat samt allen Kreaturen mir Leib und Seele, Augen, Ohren und alle Glieder, Vernunft und alle Sinne gegeben hat und noch erhält; dazu Kleider und Schuh, Essen und Trinken, Haus und Hof, Weib und Kind, Acker, Vieh und alle Güter; mit aller Notdurft und Nahrung dieses Leibes und Lebens mich reichlich und täglich versorget, wider alle Fährlichkeit beschirmet und vor allem Übel behütet und bewahret; und das alles aus lauter väterlicher, göttlicher Güte und Barmherzigkeit, ohn all mein Verdienst und Würdigkeit; daß alles ich ihm zu danken und zu loben und dafür zu dienen und gehorsam zu sein schuldig bin.“
Amen.