Samstag, 23. Oktober 2010

Predigt zu 2. Korinther 9,6-15 beim Erntedankgottesdienst im Alters- und Pflegeheim Kühlewil am 24.10.2010

Liebe Mitchristen,
Was der Apostel da schreibt, das ist ein ausführlicher und zu Herzen gehender Spendenaufruf. Macht euch keine Sorgen, sagt er, sondern gebt ab von dem Reichtum, den Gott euch schenkt. In meiner Predigt soll es heute aber nicht um einen Spendenaufruf gehen, zumal ja in diesem Gottesdienst gar keine Kollekte vorgesehen ist. Ich will vielmehr unseren Blick lenken auf die Dankbarkeit für das, was Gott uns in unserem Leben schenkt. Nicht die grossen Dinge, nicht der Überfluss an Gütern ist es ja, der uns erkennen lässt, wie kostbar unser Leben ist und wie reich an Gnade wir eigentlich sind. Unser Predigttext ist ja auch nicht nur einen Spendenaufruf, sondern eine Einladung zur Dankbarkeit für die elementaren Dinge des Lebens, die wir so oft einfach als selbstverständlich ansehen oder uns selber, unserer Arbeit und Leistung zuschreiben. Und er ist eine Einladung, darauf zu achten, dass diese elementaren Lebensgrundlagen nicht selbstverständlich sind und dass wir grössere Lebenszufriedenheit, grösseres Glück erfahren, wenn wir fähig werden zur Dankbarkeit und wenn wir das unsere mit anderen teilen, uns miteinander daran freuen können. Paulus schreibt: „Gott aber lässt euch all seine Gnade reichlich zukommen, damit ihr allezeit mit allem reich versorgt seid und darüber hinaus noch Mittel habt zu jedem guten Werk.“ Und: „Der aber dem Säenden Samen gibt und Brot zur Speise, der wird auch euch das Saatgut geben in reichem Masse und die Frucht eurer Gerechtigkeit wachsen lassen.“
Ja, die Dankbarkeit für das scheinbar Selbstverständliche schenkt innere Freiheit und Lebenszufriedenheit. Wenn wir das Geschenk unseres Lebens als Geschenk Gottes wahrnehmen können und statt nach immer mehr zu streben, mit den Samenkörnern, die Gott uns schenkt, den Acker unseres Lebens bebauen und uns an den Früchten freuen, die darauf wachsen, dann kann unser Leben gelingen und dann verlieren wir auch unsere Nächsten nicht aus dem Blick. Denn oft ist es ja die unablässige Selbstsorge, die uns von den anderen trennt.
Diese innere Freiheit und von Herzen kommende Dankbarkeit hat Martin Luther schon 1530 in einer wunderbaren Auslegung des 118. Psalms beschrieben:
„Und wenn wir Menschen nicht so blind und der Güter Gottes so überdrüssig und unachtsam wären, so wäre freilich kein Mensch auf Erden, er habe noch so viel Besitz; wenns zum Tausch kommen sollte, so nähme er kein Kaisertum noch Königreich dafür, wenn er dafür der (uns allen eigenen) Güter beraubt wäre. Denn was kann ein Königreich für ein Schatz sein im Vergleich zu einem gesunden Leibe. … Wenn die Sonne einen Tag nicht schiene, wer wollte nicht lieber tot sein? Oder was hülfe ihm all sein Gut und Herrschaft? Was wäre aller Wein und Sekt in aller Welt, wenn wir einen Tag des Wassers ermangeln sollten? Was wären alle hübschen Schlösser, Häuser, Samt, Seide, Purpur, goldenen Ketten und Edelsteine, alle Pracht, Schmuck und Hoffart, wenn wir ein Vaterunser lang die Luft entbehren sollten? - Solche Güter Gottes sind die grössten und (zugleich) die allerverachtetsten und deshalb, weil sie allgemein sind, dankt niemand Gott dafür, sie nehmen sie und brauchen diesselben täglich immer so dahin, als müsste es so sein …; fahren dieweil zu, haben was uns am Herzen liegt zu tun, sorgen, hadern, streiten, ringen und wüten um überflüssiges Geld und Gut, um Ehre und Wollust und in Summa um das, welches solchen obengenannten Gütern nicht das Wasser reichen könnte.“
Sehen wir einmal von der etwas altertümlichen Sprache Luthers ab, so irritiert uns vielleicht immer noch der moralisierende Unterton. Aber ich denke, dass es viel zu kurz greift, wenn wir die wunderbaren Gedanken Luthers einfach als moralischen Appell: „Gib dich zufrieden mit dem, was du hast“ verstehen würden, zumal das leicht in eine falsche Selbstzufriedenheit umschlagen kann. Das Ringen, etwas erreichen wollen, nach mehr streben, gehört zu uns und das ist auch gut so. Ehrgeiz, Unzufriedenheit mit dem Erreichten sollen nicht verteufelt werden. Aber Luthers Vergleiche können uns helfen, die Dinge wieder ins richtige Verhältnis zu setzen. Es mag uns motivieren und antreiben, immer höhere Ziele zu erreichen, aber all dies kann nichts von dem ersetzen, was zu unseren elementaren Lebensgrundlagen gehört. Und (heute nur als Randbemerkung) diese elementaren Lebensgrundlagen hat Gott allen Menschen zugedacht und es gibt keine Rechtfertigung dafür, sie zu privatisieren und anderen vorzuenthalten.
Aber gibt es nicht auch Situationen, wo es uns an ganz elementaren Dingen fehlt? Gerade viele von Ihnen hier in Kühlewil, wissen, was es heisst, wenn der Leib nicht gesund ist, wenn man körperliche und seelische Schmerzen leidet, wenn vieles nicht mehr geht. Dieser Mangel, dieser Verlust kann ihnen schwer zu schaffen machen. Niemand darf ihnen dann das Recht zu klagen absprechen. Nein: „gib dich zufrieden und sei stille“ darf dann nicht die einzige Antwort sein. Und dennoch: wir kennen auch die Momente, wo uns der Verlust des Selbstverständlichen die Augen öffnet für seine Kostbarkeit und zur Klage über den Verlust die Dankbarkeit hinzutritt für das was wir gehabt haben und das, was uns noch bleibt. Und diese Dankbarkeit, diese Achtsamkeit für das Gute und Kostbare in unserem Leben, kann uns dann auch die Kraft geben, das Schwere zu tragen. Denn in dieser Dankbarkeit erfahren wir die Kraft Gottes in unseren Herzen. Ihm dürfen wir vertrauen, dass er uns begleitet und trägt und uns unsere Speise gibt zur rechten Zeit.
Zum Schluss soll nochmals Martin Luther das Wort haben mit seiner Auslegung des Ersten Artikels des apostolischen Glaubensbekenntnisses im Kleinen Katechismus: „Ich glaube an Gott, den Vater, den Allmächtigen, den Schöpfer des Himmels und der Erde.
Was ist das?
Ich glaube, daß mich Gott geschaffen hat samt allen Kreaturen mir Leib und Seele, Augen, Ohren und alle Glieder, Vernunft und alle Sinne gegeben hat und noch erhält; dazu Kleider und Schuh, Essen und Trinken, Haus und Hof, Weib und Kind, Acker, Vieh und alle Güter; mit aller Notdurft und Nahrung dieses Leibes und Lebens mich reichlich und täglich versorget, wider alle Fährlichkeit beschirmet und vor allem Übel behütet und bewahret; und das alles aus lauter väterlicher, göttlicher Güte und Barmherzigkeit, ohn all mein Verdienst und Würdigkeit; daß alles ich ihm zu danken und zu loben und dafür zu dienen und gehorsam zu sein schuldig bin.“
Amen.

Samstag, 18. September 2010

Predigt zu Psalm 150 und Kol 3,16-17 anlässlich der Wiedereinweihung der Orgel

Liebe Gemeinde

Das Wort Christi wohne mit seinem ganzen Reichtum unter euch: Lehrt und ermahnt einander in aller Weisheit; singt Gott, von der Gnade erfüllt, in euren Herzen Psalmen, Hymnen und geistliche Lieder. Kol 3, 16

Nun haben wir unsere Orgel wieder - frisch restauriert und neu intoniert, so wie sie die Erbauer im Jahr 1930 vermutlich gedacht hatten. Es war schon ein besonderes Erlebnis, in den letzten Wochen gelegentlich dabei zu sein, wenn Pfeife um Pfeife wieder in die Orgel eingebaut wurde und als der Intonateur dann Ton für Ton überprüft und gestimmt und das Ganze in eine gelunge Harmonie gebracht hat.
Nun haben wir sie wieder - unsere Orgel, damit sie uns dabei unterstützen kann, wenn wir den Dank unserer Herzen in Psalmen, Hymnen und geistlichen Liedern Gott singen, wie es im Kol heisst. Lasst das Wort Christi reichlich unter euch wohnen, heisst es da - und dann stehen Wort und Musik völlig gleichberechtigt nebeneinander. Damit das Wort Christi reichlich unter uns wohnen kann, feiern wir Gottesdienst. Dazu gehören Lehre und Ermahnung - also die Predigt. Aber ebenso gehören die Lieder und die Musik dazu. Lieder und Musik sagen oft mehr als viele Worte, sprechen uns auf einer anderen Ebene an. Die Klänge der Orgel berühren uns anders als die Worte einer Predigt und im Singen sind wir im wahrsten Sinne des Wortes mit Leib und Seele dabei - und die Orgel ist uns dabei Halt und Stütze. Sie legt musikalisch den Grund, in den wir einstimmen können.
Aber muss es unbedingt die Orgel sein - ein Instrument, das viel Platz braucht und kostspielig ist in Anschaffung und Unterhalt. Wenn wir an der Orgel als Instrument in unserer Kirche festhalten, dann ist das natürlich ein gutes Stück Tradition, Gewohnheit - und das ist ja gewiss nichts Negatives. Als Kirchgemeinde haben wir auch eine kulturelle Verpflichtung und Orgelmusik ist ein erhaltenswertes Stück Kultur und unsere Orgel mit ihrer pneumatischen Steuerung ist ein Kulturdenkmal, von dem man sich nicht einfach leichten Herzens trennt. Ihre grosse Spendenbereitschaft für unsere Orgelrestauration zeigt uns, dass auch ihnen unsere Orgel am Herzen liegt und dafür sind wir dankbar.
Aber ich denke es gibt darüber hinaus noch gute Gründe, die für die Orgel sprechen. Denn zumindest in zweierlei Hinsicht ist die Orgel auch ein Sinnbild für die christliche Gemeinde. Sie braucht Wind, Atem, Pneuma, damit sie erklingen kann und sie hat viele unterschiedliche Register und erst ihr Zusammenklang macht die Schönheit der Musik aus.
Das erste ist also die Luft, der Atem. Ohne Luft, ohne den Atem können wir nicht leben. Ohne Luft gibt die Orgel keinen Ton von sich. Ich habe vorhin gesagt, dass unsere Orgel eine pneumatische Steuerung hat. D.h., die Töne werden erzeugt, indem der Tastendruck Luft durch Bleirohre über Ventile in die entsprechenden Pfeifen leitet. Aber mir geht es nicht um die Technik. Pneumatisch ist nämlich nicht nur ein technischer Ausdruck aus dem Orgelbau, es ist zugleich das griechische Wort für den Atem und für den Geist Gottes. In einem mächtigen Brausen ist er an Pfingsten zugegen, im sanften Flüstern eines Windhauchs offenbart Gott sich dem Elia, als Lebensatem wird er - mit dem schönen Bild des Schöpfungsberichts - Adam in die Nase geblasen. Mit jedem Atemzug atmen wir göttlichen Geist ein und aus. So nahe ist uns Gott. Ist das nicht ein tröstlicher Gedanke, der uns mit Dankbarkeit erfüllen kann. Ich darf leben von dem Atem, den Gott mir schenkt und durch diesen Lebensatem bin und bleibe ich mit Gott und mit allem Leben verbunden.
Und das andere sind die Register. Jedes Register lässt ein anderes Instrument, eine andere Stimme erklingen.
Lobt Gott mit Hörnerschall, mit Harfe und Leier, mit Trommel und Reigentanz, mit Saiten und Flöte, mit klingenden Zimbeln, mit schallenden Zimbeln. Alles was Atem hat lobe den Herrn. So heisst es im Psalm 150. Und so soll auch die Orgel mit ihren verschiedensten Stimmen und Registern zum Lobe Gottes erklingen. Un diese Stimmen und register sind darüber hinaus ein schönes Bild für die Verschiedenheit von uns Menschen. Jeder und jede von uns ist etwas anders und wir haben unsere Eigenart. Das macht es manchmal schwierig: wenn die lauten Trompeten die feinen Flöten übertönen, wenn die schellenden Zimbeln die Harfenklänge verdrängen. Wie in einem Orchester (und wie bei Orgelwerken) soll jedes einmal zum Zug kommen, hat jedes seinen Platz, nicht alle sind Solisten, manche sind im Hintergrund. Wir alle sollen unseren Klang, unsere Farben entfalten zur Ehre Gottes, jeder mit seiner Gabe hat eine Aufgabe. Wir wollen - nicht nur bei der Orgel - all die verschiedenen Tonfarben hören und meine Frage an sie ist: welches ist ihr Klang? Was entspricht ihnen? Welcher Charakter steht ihnen am nächsten?
Ist es der majestätische Hörnerschall. Oder die Klänge von Harfe und Leier, feine Töne, die zu Herzen gehen.
Sind es eher die Streicher, die manchmal melancholisch klingen, Trauer und Schmerz ausdrücken, aber auch Jubel und Freude?
Oder die Flöten oder Pfeifen, warme Klänge vom Holz, heimelig, aber dann auch wieder virtuos, verspielt? Oder die Zimbeln? Fast wie die Glocken
sind sie brillant, sie sollen herausstechen, manchmal fast etwas schrill, auf unserer Orgel eher milde gemacht.
Oder - ich verlasse die Bilder des Psalmes und der Orgel - sind ihr Instrument vor allem die Hände, die zupacken können? oder das kluge Wort, der klare Gedanke? Oder Zeit und Einfühlungsvermögen? Oder etwas ganz anderes?
Welche Tonfarbe ist ihre? Und welche anderen Tonfarben bereiten ihnen Freude?
All die verschiedenen Tonfarben der Orgel, aber eben auch in unserer Gemeinde sind da zum Lob Gottes. Schon am Anfang des Psalms heisst es ja: „Lobt Gott in seinem Heiligtum, lobt ihn in seiner starken Feste, lobt ihn um seiner machtvollen Taten willen, lobt ihn in seiner gewaltigen Grösse“.
Oft scheint es zwar, dass ganz andere Mächte die Welt regieren, aber wie hat der frühere deutsche Bundespräsident Gustav Heinemann einmal so treffend gesagt: "Die Herren der Welt kommen und gehen, aber unser Herr kommt." Und weil wir darauf vertrauen, brauchen wir uns nicht blenden zu lassen, unser Licht nicht unter den Scheffel zu stellen.
Grad auch wenn wir uns nicht so elegant und grossartig fühlen, wenn wir nicht in der ersten Reihe stehen wollen. Alle sind nötig in diesem grossen Orchester Gottes, alle haben einen Platz und eine Stimme. Möge Gott seinen Wind/seinen Geist in die richtigen Kanäle leiten, damit nicht nur unsere Orgel, sondern auch die Vielfalt unserer Gemeinde harmonisch und berührend sich entfalten kann. Amen

Samstag, 28. August 2010

Predigt über Apostelgeschichte 9,1-9 vom 29.August 2010

Liebe Mitchristen,

es ist eine hochdramatische Geschichte, die unser heutiger Predigttext erzählt. Das Leben des Saulus wird völlig auf den Kopf gestellt. In der Kunst wird Saulus/Paulus meist als gestürzter Reiter dargestellt, obwohl ein Pferd in der biblischen Szene gar nicht vorkommt. Zu naheliegend war wohl der Gedanke, dass da einer vom hohen Ross gestürzt wird und dass Gott ihn dann aufrichtet und ihm einen besseren Weg zeigt.
Nicht umsonst sind der Wandel vom Saulus zum Paulus und das Damaskuserlebnis zu sprichwörtlichen Redensarten geworden. Wir reden von einem Damaskuserlebnis, wenn sich das Leben eines Menschen durch eine plötzliche Begegnung oder eine Erkenntnis grundlegend verändert. Vom Saulus zum Paulus wird einer im Volksmund, wenn er ein ungutes, ja bösartiges Verhalten aufgibt und zur Überraschung seiner Mitmenschen Gutes tut. Paulus selbst erzählt in seinen Briefen auch von dieser Lebenswende. Aber er tut es viel zurückhaltender als die Apostelgeschichte. Höchstens zwischen den Zeilen kann man bei ihm ein dramatisches Ereignis lesen oder aber auch einen allmählichen Wandel. Ihm liegt nicht so sehr an den äusseren Umständen als daran, dass er Christus begegnet war und durch diese Begegnung sich als Apostel berufen und beauftragt wusste.
Unseren Predigttext haben wir dem Prozess der Legendenbildung zu verdanken. Paulus, der anfänglich die christliche Gemeinde misstrauisch beäugt und den christlichen Glauben bekämpft hatte, er hat später wie kein Zweiter zu dessen Wachstum und Verbreitung beigetragen. Er ist zum ersten christlichen Denker geworden und zum Gründer und Lehrmeister vieler Gemeinden. Und er hat uns mit seinen Briefen die ältesten Dokumente unseres christlichen Glaubens geschenkt. Wie war das möglich, dieser radikale Wandel? Das Bedürfnis nach starken Geschichten hat wohl dazu geführt, dass diese Lebenswende immer stärker ausgemalt und dramatisch geschildert wurde. Geschichten und Legenden machen etwas sichtbar, was eigentlich für die Augen unsichtbar ist. Das ist die Kraft und der Sinn von Geschichten und Legenden: nicht dass sie uns erzählen, wie es wirklich gewesen ist, sondern dass sie uns Anteil nehmen lassen an einem Geschehen, dass wir eigentlich weder miterleben noch nacherleben können.
Die Apostelgeschichte ist da noch sehr zurückhaltend. Es geschieht eigentlich wenig mehr als dass einer zu Boden stürzt und eine Stimme hört, die ihn ruft, die sein Tun beim Namen nennt und ihn fragt: Was tust du da? Dass er nicht mehr sehen kann, dürfen wir als Sinnbild dafür verstehen, dass er seine Lebensperspektive verloren hat, dass er mit ihr nichts mehr erkennen kann. Und eine neue Sicht des Lebens muss ihm erst noch zuteil werden. Symbolisch sind auch die drei Tage seiner Erblindung. Es ist die Zeitspanne, die Jona im Dunkel des Walfischbauches verbringt. Es ist aber vor allem die Zeit zwischen Jesu Tod und Auferstehung. Das Damaskuserlebnis ist eine Geschichte von Tod und Auferweckung, der Beginn eines neuen Lebens. Das Entscheidende beim Damaskuserlebnis des Paulus ist der Wandel der Lebensperspektive, die ihm durch die Begegnung mit dem Auferstandenen zuteil wird. Und das ist notwendig ein innerliches Geschehen, dass sich durch nichts beweisen oder zeigen lässt. Da ist etwas Altes vergangen. Etwas Neues beginnt. Etwas Grosses geschieht. Aber es geschieht hinter den geschlossenen Augen des Saulus/Paulus, heimlich, nicht vor den Augen der Welt, nicht sichtbar und beweisbar.
Entscheidend ist also nicht das wunderbare Geschehen und das äusserliche Drama, sondern die innerliche Wendung, die Veränderung der Lebensperspektive. Aber es bleibt eine radikale Wende. Das kann uns berühren. Es kann uns die Geschichte aber auch fremd werden lassen. Denn vermutlich geht es vielen von ihnen ähnlich wie mir. Von einer radikalen Lebenswende, von einer Bekehrung können wir nicht berichten. Wir sind viel eher in unseren Glauben hineingewachsen, sind als Säuglinge getauft worden, vielleicht in die Sonntagsschule und vermutlich in den kirchlichen Unterricht gegangen. Es waren Geschichten, die wir gehört haben, Menschen, die uns begleitet haben, Erfahrungen, die wir gemacht haben - undramtische und alltägliche, die unsere Glaubensgeschichte ausmachen. Ja, und es gehört auf jeden Fall auch ein rechtes Stück Gewohnheit dazu. Wir mögen in unserem Glauben Zweifel und Krisen erlebt haben, aber eine radikale Wende? Eher tragen wir vielleicht eine gesunde Skepsis gegenüber radikalen Bekehrungserfahrungen in uns, die ja nicht selten zu einem fragwürdigen Fanatismus führen können - und weniger zu einer Bekehrung von einem Fanatismus, wie das bei dem Verfolger Paulus war.
Wenn Sie sich in dieser Beschreibung wiedererkennen, dann möchte ich Sie zuerst einmal bestärken. Ist es nicht eine Gnade und ein Geschenk, wenn man seinen Glauben als Heimat und Ort der Geborgenheit erfahren darf und man dazu nicht einer radikalen Krise oder einer radikalen Entwertung der bisherigen Lebensperspektive bedarf? Nein, wir müssen kein Bekehrungserlebnis nachweisen, um wirklich in Gottes Händen zu sein oder echte Christinnen und Christen zu werden. Allerdings hat uns die Geschichte vom Damaskuserlebnis des Saulus/Paulus dennoch etwas zu sagen. Die Frage: Was tust du da? gilt auch uns. Was tue ich in meinen alltäglichen Gewohnheiten? Was nehme ich als selbstverständlich an? Wofür wende ich meine Kräfte auf? Und wo bin ich in Gefahr, mich zu verrennen? Achten wir auf die Warnsignale, die inneren und äusseren Stimmen? Nehmen wir uns die Zeit und die Ruhe, innezuhalten und nachzudenken? Manche Lebenskrisen entstehen ja nicht zuletzt dadurch, dass wir Warnsignale überhören und immer weiterrennen, weil wir meinen, es ginge gar nicht anders. Aber vielleicht will unser Gott uns schon längst einen neuen Weg zeigen.
Und wenn wir dann doch in eine radikale Lebenskrise geraten? Wenn unser Leben radikal durchkreuzt wird durch einen schweren Schicksalsschlag, durch eine bittere Enttäuschung, durch einen äusseren oder inneren Zusammenbruch? Unser Glaube bewahrt uns nicht einfach vor solchen Lebenskrisen, ja, er kann manchmal sogar daran zerbrechen. Aber vielleicht kann dann gerade aus dem, was da ins Wanken gerät und zerbricht, etwas Neues wachsen. Wir können daraus kein Gesetz und keine Methode machen. Die Redensart, dass jede Krise auch eine Chance ist, kann auf manchen auch zynisch wirken. Aber hoffen dürfen wir darauf und uns dafür öffnen, dass uns in den Krisen unseres Lebens eine Kraft zuteil wird, die wir nicht in uns selber tragen und vielleicht tatsächlich unter Schmerzen und Verlusten etwas Neues, Lebendiges und Kostbares das Licht der Welt erblicken darf. Wenn wir Gott nur noch unsere Fragen und unsere Ratlosigkeit bringen können, dann dürfen wir uns immer noch mit alledem ihm in die Arme werfen, uns ihm anvertrauen. Dietrich Bonhoeffer hat das einmal wunderbar formuliert: „Später erfuhr ich, dass man erst in der vollen Diesseitigkeit des Lebens glauben lernt. Wenn man völlig darauf verzichtet hat, etwas aus sich zu machen - sei es einen Heiligen oder einen bekehrten Sünder oder einen Kirchenmann … - und dies nenne ich Diesseitigkeit, nämlich in der Fülle der Aufgaben, Fragen, Erfolge und Misserfolge, Erfahrungen und Ratlosigkeiten leben, - dann wirft man sich Gott ganz in die Arme.“ Gott kann auch aus dem, was für uns keinen Sinn mehr ergibt, neues Leben entstehen lassen. Das aber ist kein Rezept und keine Lebensweisheit, sondern eine Hoffnung und ein Vertrauen, das immer wieder neu entstehen muss. Amen.

Samstag, 14. August 2010

Predigt vom 15. August 2010 zu 1. Mose 28,10-19

Liebe Mitchristen!
Jakob schläft. Jakob schläft nicht den Schlaf des Gerechten, der nach getaner Arbeit, nach vollbrachtem Tagewerk in sein Bett sinkt, um sich von den Mühen des Tages zu erholen. Denn er hat keine Schlafstätte mehr, kein zuhause, wo er sein Haupt niederlegen könnte. Er ist ein Mensch auf der Flucht, einer, dem sein Bruder nach dem Leben trachtet.
Jakob schläft, weil er völlig erschöpft ist und einfach nicht mehr kann. Beim Morgengrauen ist er in aller Eile aufgebrochen. Den ganzen Tag ist er buchstäblich um sein Leben gelaufen und mit jeder Stunde, mit jeder Minute entfernte er sich weiter von dem Ort, der ihm gerade noch Heimat war, von der Geborgenheit an der Seite der Mutter. Sein Vater Isaak ist tot, Esau, sein Bruder, sein erbittertster Feind, weil er ihn betrogen hat, betrogen um sein Erbe, betrogen um den väterlichen Segen. Ein Gehetzter, ein Flüchtling ist er nun, der noch dazu weiss, dass er mitschuldig ist an seinem unglücklichen Schicksal.
Jakob schläft unter freiem Himmel. Verstört durch den mörderischen Konflikt mit seinem Bruder hat er nicht einmal bemerkt, wie die Nacht hereingebrochen ist. Er hat völlig vergessen sich eine Bleibe zu suchen und muss sich nun im Schutze eines Steines draussen niederlegen. Und er denkt wohl an zuhause, an den Ort den er verlassen hat, die Heimat, die er verloren hat. Er denkt an seinen Vater, den er wohl mehr respektiert als geliebt hat. Denn stets hatte sein Vater ihm den älteren Bruder vorgezogen, den Jäger und Ackerbauern. Er denkt an seinen Vater und seinen Bruder, die er betrogen und hintergangen hat. Und er denkt an Rebekka seine Mutter, die ihn stets behütet und beschützt hat wie ihren Augapfel, der er in der Küche zur Hand gegangen war und bei der er so vieles gelernt hat. Seine Mutter Rebekka war es aber auch, die ihn stets darauf getrimmt hat, hoch hinauf zu kommen, immer der Erste und Beste zu sein. Und sie hat ihn auch zu dem Betrug angestiftet, der ihn nun zum Flüchtling gemacht hat und hat ihm geholfen, den Betrug auszuführen. Nun liegt er, der so hoch hinaus wollte, erschöpft und niedergeschlagen am Boden.
Jakob schläft und im Schlaf überfällt ihn ein Traum. Und es ist kein Alptraum, der ihm den Schlaf raubt. Nein, im Traum öffnet sich ihm der Himmel und dieser Niemandsort im Lande Nirgendwo wird ihm zum heiligen Boden, zum Ort der Gegenwart Gottes. Im Traum steht ihm der Himmel offen und eine Leiter verbindet diesen Niemandsort mit dem offenen Himmel. Kein Weg nach oben ist diese Leiter. Jakob muss ihre Stufen nicht mühsam erklimmen. Er, der immer hoch hinaus wollte, erfährt in diesem Traum, dass sein Ort unten am Boden ist. Die Leiter ist von oben her auf die Erde gerichtet und Engel steigen daran auf und nieder. Nicht er muss den Weg in den Himmel gehen, sondern bekommt gewissermassen Besuch von oben.
Und im Traum steht Gott vor ihm und redet mit ihm: "Ich bin der Herr, der Gott deines Vaters Abraham und Isaaks Gott. Siehe, ich bin mit dir und will dich behüten, wo du hinziehst, und will dich wieder herbringen in dies Land. Denn ich will dich nicht verlassen, bis ich alles tue, was ich dir zugesagt habe."
Später hat man sich in Israel diese Geschichte von Generation zu Generation weitererzählt. Land und Nachkommenschaft, so erzählte man sich, habe Gott, dem Jakob verheissen. Aber entscheidend ist nicht der Inhalt der Verheissung, sondern dass hier die Geschichte einer grossen Überraschung erzählt wird. Entscheidend ist, dass Jakob, der am Boden liegt, ein gehetzter Flüchtling, im Traum die Gewissheit erhält, dass Gott bei ihm ist und in auf seinem Weg in eine ungewisse Zukunft mit seinem Segen begleitet.
Jakob erwacht. Und im Erwachen lässt er den Traum nicht einfach hinter sich. Er nimmt die Botschaft dieses Traumes mit auf den Weg, die Botschaft, dass Gott auf seinem Weg mitgeht und ihn nicht allein lässt. Bevor er weitergeht, errichtet er einen Gedenkstein. Nicht er hat einen heiligen Ort aufgesucht, sondern der Ort, an dem er erschöpft zusammengebrochen ist, dieser ganz profane Niemandsort ist ihm zu einem heiligen Ort geworden, weil er hier die Nähe, die Gegenwart Gottes erfahren hat. Der Segen, den Jakob glaubte, sich erlisten zu müssen - hier überkommt er ihn. Er, der so hoch hinaus wollte, der sich seinen Turm bauen wollte, er erfährt, dass die Himmelsleiter den Turmbau überflüssig macht und Gottes Segen ihn da erreicht, wo er es nicht erwartet - umsonst und ohne sein Zutun. Er, der nur sich selbst sah und gar wollte, dass auch Gott ihn mehr im Blick hat als irgend jemand sonst, erlebt nun, wie sein Gott sein Angesicht auf ihn richtet und "via Himmelsleiter" mit ihm redet und ihm seinen Segen und Beistand zusagt.
Mit dieser Zusage, mit dem Segen seines Gottes geht Jakob seinen Weg weiter, seinen Weg in eine unsichere und ungewisse Zukunft. Viele Jahre später wird er zurückkehren als betrogener Betrüger, dem sein Onkel Laban zuerst die falsche Frau unterjubelte und ihn dann noch um seinen Besitz bringen wollte. Er kehrt zurück mit seinen Frauen und seinen Herden, voll Sorge wegen der bevorstehenden Begegnung mit dem Bruder, den er einst betrogen hatte. Doch die Begegnung wird zur Versöhnung und so kann Jakob in seine Heimat zurückkehren. Und auf dem Heimweg sucht er wieder den Ort auf, an dem ihm einst auf der Flucht vor seinem Bruder Esau Gott erschienen war, dieser Ort, an dem er Segen erfahren hatte und der ihm zeitlebens eine Quelle der Kraft und der Gewissheit wurde.
Wo gehen wir Jakobswege? Wo machen wir Jakobserfahrungen? Errichten auch wir Denkmäler unserer Glaubens- und Segenserfahrungen? Viele sind gehetzt und gestresst von dem Zwang etwas aus sich zu machen, etwas zu erreichen, sich ein Image aufzubauen oder zu erhalten. Wie hilfreich wären da Denkmäler für jeden Ort, an dem wir zur Ruhe kommen, uns selber sein können und geliebt werden, so wie wir sind. Zu wissen, dass es solche Orte gibt, mitten in unserem Alltag, ist ungeheuer hilfreich und wichtig. Sie nicht zu übersehen und nicht zu vergessen, kann den Druck von uns nehmen, selber einen Turm in den Himmel bauen zu wollen. Manche leiden unter Schuld, die sie belastet. Ein Denkmal für erfahrene Vergebung, die Zusage, dass Gott Schuld vergibt, heilt und entlastet. Ein Denkmal für jede hilfreiche und zärtliche Hand, die sich Bedrückten und Verfolgten liebevoll entgegenstreckt. All diese Denkmäler in unserem Leben sind Quellen der Kraft und der Nähe Gottes, die uns helfen können auf den ungewissen Wegen, die wir gehen.
Der Traum von der Himmelsleiter führt uns die überraschende und heilsame Gegenwart Gottes vor Augen. Jeder Ort, auch der profanste und alltäglichste, kann uns zu einem Ort werden, an dem der Himmel über uns offen steht. Die Himmelsleiter ist ein Bild göttlichen Segens und ein Gegenbild zu den heillosen Türmen, die wir allzuoft in den Himmel bauen wollen.
Jakob schläft. Jakob träumt. Jakob erwacht. Jakob geht seinen Weg - mit Gottes Segen. Amen.

Samstag, 17. Juli 2010

Predigt vom 18. Juli 2010 zu Apostelgeschichte 2,41-47

Liebe Gemeinde,

unser heutiger Predigttext führt uns zu den Anfängen der christlichen Gemeinde, der Kirche. Da könnten wir schon ein wenig neidisch werden, angesichts unserer sonntäglich kleinen Schar, wenn wir von dieser boomenden Urgemeinde lesen. 3000 neue Mitglieder an einem einzigen Tag und täglich wurden neue hinzugefügt. Und vielleicht auch etwas ärgerlich, wenn die so mit ihren Wachstumsziffern plagieren. Wird da nicht einiges übertrieben und idealisiert? Wahrscheinlich schon, denn die Apostelgeschichte ist mit einem Abstand von einem halben Jahrhundert zu den Anfängen der christlichen Gemeinden geschrieben und vermutlich war die Wirklichkeit zur Zeit des Lukas längst nicht mehr so ideal wie zur Zeit des Aufbruchs. Und sie konnte es auch nicht sein, wohnt doch den Anfängen und Aufbrüchen immer ein ganz besonderer Zauber, eine ganz besondere Energie inne - sei das in einem neuen Projekt, in einem neugegründeten Unternehmen, in einem Verein, in einer Familie, in einer Kirche. Es wäre unfair und würde niemanden helfen, die Energie und die Wachstumsziffern des Anfangs zum Massstab zu machen und die Gegenwart daran zu messen - sei das zur Zeit des Lukas oder heute.

Lukas erzählt den Christen am Ende des 1. Jahrhunderts diese Geschichte nicht, um sie an solchen beeindruckenden Wachstumsziffern zu messen. Er will sie ins Nachdenken bringen, was denn das Geheimnis dieses Anfangs war, was die Urgemeinde für viele Menschen so attraktiv und glaubwürdig machte. Für Lukas sind es nicht grossartige Prediger oder spektakuläre Ereignisse - auch wenn man das Pfingstgeschehen durchaus spektakulär nennen darf. Es sind ganz einfache Dinge: die Lehre der Apostel, die Gemeinschaft, das Brotbrechen und das Gebet. Und in alledem war es für Lukas das Wirken Gottes, sein pfingstlicher Geist, der die Gemeinde stärkte.

Woran aber zeigte sich dieser besondere Geist? Ich denke als erstes an die Gastfreundschaft. Die ersten Christen trafen sich in Privathäusern, die Gottesdienste waren oft mit gemeinsamen Mahlzeiten verbunden. Unsichtbar stand wohl über diesen christlichen Häusern das Schild „Herzlich willkommen“ und diese Gastfreundschaft wurde gelebt nicht nur gegenüber Menschen mit gleichem Rang und Status. Hier war tatsächlich der Sklave genauso willkommen wie der Grundbesitzer, die vornehme Dame wie die arme Witwe, der Bauer wie der Handwerker oder der Knecht. Weil sie glaubten, dass sie alle unterschiedslos von einer göttlichen Liebe und Zuwendung lebten, die sich niemand selber verdienen konnte, verloren bestehende Unterschiede an Bedeutung. Gerade für die, die sonst am Rande standen, war das eine befreiende Botschaft. Die, die den Massstäben der Gesetzestreuen nicht genügten, konnten aufatmen. Für die Wohlhabenden und Vornehmen war es vermutlich auch ein Lebensgewinn, nicht ihren Status zeigen und verteidigen zu müssen, sondern ihren Besitz und ihre Fähigkeiten für andere einsetzen zu können. Sie merkten plötzlich: wenn wir die Unterschiede und unsere Vorurteile aufgeben und nicht mehr uns und unseren Besitz verteidigen, sondern miteinander teilen, dann werden wir alle reicher und zufriedener.

Dass alle gleichrangig und gleich wertvoll sind, das war besonders beim Brotbrechen, bei der Feier des Abendmahls zu spüren. Leben wir nicht alle letztlich von dem, was Gott uns schenkt? Dürfen wir nicht alle auf Vergebung vertrauen, wo wirscheitern und Fehler machen? Wie sollten wir Grenzen ziehen, wenn Jesus alle eingeladen hat? Im Brechen des Brotes spürten sie, dass da etwas ist, das stärker ist als alles Trennende. Denn es sind ja nicht ihre gemeinsamen Interessen, die sie verbinden und auch nicht ihre Zugehörigkeit zu einer Berufsgruppe, einer gesellschaftlichen Schicht, einem Vaterland - nein, verbunden wussten sie sich in ihrem Vertrauen, dass Gottes Liebe allen gilt und sie in Christus miteinander verbunden sind und dazu berufen, füreinander einzustehen und zueinander Sorge zu tragen. Im Ritual des Brotbrechens erkannten sie: auf die Liebe und Hingabe Jesu können wir uns verlassen und weil das so ist, wollen wir so miteinander leben, dass eines sich auf das andere verlassen kann und niemand im Stich gelassen wird.

In alledem blieben sie beständig in der Apostel Lehre. Sie vergassen nicht, dass sie ihr Leben und ihr Glück nicht sich selbst verdankten, sondern dem Geber allen Lebens. Sie vertrauten darauf, dass ihr Leben einen tieferen Grund und ein Ziel hat. Sie trauten der Kraft der Vergebung und der Kraft der Gemeinschaft. Sie feierten miteinander Gottesdienst, sangen und beteten und hörten auf die Worte der Schrift und auf die Geschichten von Jesus.

Und sie hielten fest am Gebet. Allein und in Gemeinschaft konnten sie Gott danken für das Gute in ihrem Leben und sie konnten ihm anvertrauen, was ihnen Sorgen und Kummer bereitete. So konnten sie bewusster und zugleich gelassener leben, denn ihre Dankbarkeit liess sie das Gute achtsamer wahrnehmen und in ihren Bitten und Klagen vertrauten sie darauf, dass sie in ihren Sorgen und Lasten nicht alleine waren. Es waren Geschichten vom guten Leben, die sie einander erzählten - nicht von einem Leben, das nur Gutes mit sich bringt, nur Glück und Erfolge, aber von einem Leben, dass auch im Schweren und in den Misserfolgen gut bleibt, weil es Gottes Gabe ist, weil wir es miteinander teilen können, weil Gott uns die Kraft geben will, die wir brauchen.

Welche Geschichten vom guten Leben wollen wir einander und unseren Kindern erzählen? Welche Geschichten wollen wir dem kleinen Nick, den wir heute getauft haben erzählen? Sind es Geschichten, in denen Menschen hart und stark sein, etwas aus sich machen und sich durchsetzen müssen? sind es Geschichten, die von den Erfolgreichen und vom Glück des Besitzes reden? Oder sind es Geschichten, die von der Liebe, von der Achtsamkeit, von geteilter Freude und geteiltem Leid handeln? Sind es Geschichten, in denen jeder seines Glückes Schmied ist oder Geschichten, in denen jeder das Seine getrost aus Gottes Hand annehmen kann. Heisst es in unseren Geschichten „gut ist, was sich lohnt“ oder „gut ist, was dem anderen hilft“? Kommt Gott in unseren Geschichten überhaupt vor und wenn ja, ist er dann der kontrollierende Übervater oder der liebevolle und verlässliche Grund allen Lebens. Und erzählen wir unsere Geschichten so, dass die anderen, dass unsere Kinder sie glauben können, weil wir so leben?

Möge Gott uns die Augen dafür öffnen, wie unser Leben gelingen kann und uns helfen, dass wir einander Mut zu einem Leben machen, dass uns miteinander und mit dem Grund unseres Lebens verbindet. Amen.

Samstag, 3. Juli 2010

Predigt vom 4. Juli 2010 zu 1. Kor 1,18-25

Liebe Gemeinde,

im Jahr 1856 machten Forscher auf dem Palatin in Rom eine interessante Entdeckung. Als sie den Trümmerschutt aus einer alten römischen Kadetten-Anstalt entfernt hatten, fanden sie an der Wand ein Kreuz. Es war mit einem Nagel oder einem Messer primitiv in den Wandverputz eingeritzt. Ein Junge hebt grüßend, betend seine Hand zum Kreuz hin. Am Kreuz hängt ein Mann. Aber sein Kopf ist ein Eselskopf. Darunter steht in ungelenken Buchstaben: Alexamenos betet seinen Gott an! Es ist also eine Karikatur, ein Spott-Kruzifix. Die Forscher glauben, es müsse in der Zeit von 123 bis 126 nach Chr. entstanden sein. Eines der frühesten Bilder des Kreuzes. Aber ein Spott-Bild. Gott am Kreuz? Dieser Gott ist ein Esel, und wer ihn anbetet, ist es auch!

Für uns ist das Kreuz so sehr als Symbol vertraut, dass wir oft gar nicht mehr ahnen, was das für eine kühne Aussage war als die ersten Christen in dem, der da am Kreuz gehangen hat, Gott selbst erkannten. Hiess es nicht sogar in den Heiligen Schriften: „Denn ein Gehängter, ein Gekreuzigter ist verflucht.“ (5. Mose 21,23)? Das griechische Ideal war Weisheit und Erkenntnis, die römische Herrschaft beruhte auf Macht, militärischer Stärke und politischer Klugheit. Ob durch Weisheit oder durch Stärke - man wollte das Leben in den Griff bekommen, sich des Lebens bemächtigen und das Schwache, Fehlerhafte, Unvollkommene ausmerzen. Die Götter waren die Garanten dieser Bemächtigung, an ihrer Macht hatten die Weisen und die Herrschenden Anteil. Die natürliche Ordnung war eine Pyramide und Oben und Unten waren klar verteilt. Und jetzt kamen diese Christen und beteten einen Gekreuzigten, einen Ohnmächtigen, der Macht hilflos und wehrlos Ausgelieferten an!

Eine Torheit sondergleichen musste das für viele ihrer Zeitgenossen sein.
Aber für die, die diesen Glauben annahmen, war es eine Gotteskraft. Denn da hatten auf einmal die, die am unteren Ende der gesellschaftlichen Pyramide standen einen völlig anderen Stellenwert, eine ganz neue Würde. Da konnten die Schwachen, die Verletzlichen, die Fehlerhaften sich plötzlich mit ganz anderen Augen sehen. Da mussten sich die, denen die Weisheit der Weisen unzugänglich blieb, nicht mehr als minderwertig fühlen. Da zeigte sich, dass das Geheimnis Gottes sich nicht den Wissenden und Weisen offenbarte, sondern denen, die sich vom Gekreuzigten berühren liessen und bereit waren, diese Liebe zum Schwachen, Bedürftigen und Verletzlichen zu teilen.

Die Liebe zum Schwachen, Bedürftigen und Verletzlichen ist eines der Herzstücke unseres Glaubens. Und sie ist heute nicht weniger wichtig als vor 2000 Jahren und sie ist auch heute alles andere als selbstverständlich. Was zu Zeiten des Paulus philosophische Weisheit war ist in meinen Augen heute das alleinige Denken in Kategorien von Nutzen, Effizienz und Ertrag. Wer nichts leisten will, ist selber schuld. Wer nicht genug leisten kann, der wird wegrationalisiert und für den ist die staatliche Fürsorge zuständig, zumindest solange wir uns das noch leisten können. Vernünftig handelt, wer sich um sein berufliches Fortkommen kümmert und seine Anstrengungen darauf konzentriert. Bewundert wird der, der etwas erreicht hat, der sich durchsetzt und wir halten den für glücklich, der viel besitzt. Zeit für einen Schwatz, für einen zweckfreien Besuch, für ein freiwilliges Engagement ist fast ein Luxus und es gibt mehr als genug Leute, die von sich sagen: „Ich bin doch nicht so dumm, ein ehrenamtliches Engagement zu übernehmen. Das bringt mir ja nichts, da springt nichts dabei heraus.“ Und vermutlich gibt es noch viel mehr Menschen, die so denken ohne es zu sagen.

Unser christlicher Glaube beruft sich auf einen, der seine besten Jahre damit zugebracht hat, umherzuziehen und den Leuten Geschichten zu erzählen, der sich Zeit genommen hat für Kinder und ihre Mütter und das nicht für weniger wichtig hielt als gelehrte theologische Debatten, der den Blinden gefragt hat: „Was willst du, dass ich dir tue?“ Wir berufen uns auf einen, der seine Kraft eingesetzt hat für die Schwachen, die Verletzlichen, für die, die Fehler gemacht haben und von anderen schief angesehen wurden. Stets hatte er eine Vorliebe für die scheinbar hoffnungslosen Fälle. Er hat sich nicht angepasst als es um sein Leben ging. Er fand seinen Sinn und seinen Auftrag in Hingabe und Opferbereitschaft.

Eine solche Botschaft, ein solcher Glaube mag auch heute für viele unvernünftig klingen, im besten Falle als Ausdruck eines Gutmenschentums, das man vielleicht bewundert, vielleicht auch belächelt. Aber vielleicht ist diese Botschaft viel vernünftiger als manches, was wir im Allgemeinen für vernünftig halten. Denn wenn wir auf unser Herz hören, dann ahnen wir, dass die Zeit, die wir uns füreinander nehmen kostbarer ist als die, die sich in Franken und Rappen auszahlt, das Gefühl, etwas gutes und Sinnvolles zu tun, mehr zählt als vieles andere. Und wir alle kennen die Momente, wo wir spüren, wie unersetzbar ein gutes Wort, eine Umarmung, ein aufmerksames Zuhören ist.

Ein Antiintellektualismus, Spott über die „Gschite“ (die Gescheiten) lässt sich aus dem Predigttext allerdings nicht ableiten. Weisheit, Erkenntnis und Bildung sind auch für Paulus etwas Gutes und Erstrebenswertes. Nur dass sich daran nicht der Wert eines Menschen bemisst und sie nicht zureichend sind, das Leben zu erfassen. Dazu braucht es eine Herzensweisheit, die Achtsamkeit für das Schwache und Verletzliche. Der Gegensatz zur unzulänglichen Weisheit der Welt ist ja nicht die Torheit, sondern die Weisheit Gottes, eine Herzensweisheit und Herzensbildung, die ihr Mass am Gekreuzigten nimmt.

Die Achtsamkeit für das Schwache und Verletzliche brauchen wir aber nicht nur im Umgang mit anderen. Sie können uns auch eine heilsame Gotteskraft sein, wenn wir auf uns selber schauen. Wie oft überfordern wir uns mit Vollkommenheitsidealen, leiden an unseren Unvollkommenheiten und Fehlern. Wenn wir dann scheitern, suchen wir entweder Schuldige oder halten uns selbst für wertlos. Wenn wir Fehler gemacht haben, suchen wir nach Entschuldigungen oder wir verurteilen uns. Und wie oft habe ich schon von Menschen, die aus Gründen des Alters oder ihrer Gesundheit nicht mehr so produktiv sein können, gehört: ich bin doch nichts mehr wert; für was bin ich denn noch da? Die Weisheit des Kreuzes kann uns ermutigen, das eigene Kreuz zu tragen, die Brüche und die Narben des eigenen Lebens anzunehmen. Und dann dankbar wahrzunehmen, was uns noch möglich ist, was gelingt, was für uns Sinn macht. Und uns daran zu freuen, dass wir in Gottes Augen sein dürfen, so wie wir sind und nicht etwas aus uns machen müssen.

Denn das Wort vom Kreuz ist Torheit für die, die verloren gehen, für die aber, die gerettet werden, für uns, ist es Gottes Kraft. Hüten wir uns davor, die Welt nun erneut einzuteilen in Verlorene und Gerettete. Erlernen wir vielmehr die Weisheit des Kreuzes, die nichts und niemand verlorengibt und bitten darum, dass wir uns selbst nicht verlieren an Ideale und Ansprüche, die uns überfordern und einander mit unseren Urteilen und Ansprüchen nicht die Luft zum Leben nehmen. Amen.

Samstag, 12. Juni 2010

Predigt vom 13. Juni 2010 zu 5. Mose 26,5-9 und Phil 2,5-11

Liebe Mitchristen,

Generationen gemeinsam unterwegs - so lautete das Motto des diesjährigen Kirchensonntags Anfang Februar und wir haben in Oberbalm daraus auch das Jahresthema für unsere Kirchgemeinde gemacht. Es geht uns dabei weniger um neue Anlässe, sondern darum, von Zeit zu Zeit uns selbst und anderen in Erinnerung zu rufen, wie wichtig und auch wie verletzlich das Zusammenleben der Generationen ist. Es gehört zu den ganz wichtigen Schätzen unserer dörflichen Strukturen, dass es da in den Vereinen, bei Festen und Anlässen noch zu einer Begegnung der Generationen kommt, Junge und Alte an einem Ort miteinander feiern. In Oberbalm gehören dazu zahlreiche Vereinsfeste, aber auch der Racletteabend, das Schulfest zum Abschluss des Schuljahres, der Bettagslauf, der Basar im November und manch anderes mehr. Das ist nicht selbstverständlich. An vielen Orten, besonders in städtischen Gebieten sind solche gemeinsamen Orte selten geworden. Und es ist auch nicht ausgemacht, dass das in 20 oder 30 Jahren bei uns immer noch so sein wird. Es braucht Menschen dazu, die sich dafür engagieren, denen Traditionen wichtig genug sind, um sie zu pflegen und die offen genug sind, flexibel mit Traditionen umzugehen und neue Wege zu gehen.
Ein wunderbares Beispiel, wie Generationen gemeinsam unterwegs sein können, haben wir heute mit der Musikgesellschaft Oberbalm vor uns. Die Ältesten sind schon im AHV-Alter, die Jüngsten noch schulpflichtig. In eurer sonstigen Freizeit sind eure Interessen und auch eure musikalischen Vorlieben vermutlich ziemlich unterschiedlich. Aber ihr habt es geschafft, gemeinsam unterwegs zu sein. Was es dazu braucht, ist zuerst einmal Engagement und die Bereitschaft, etwas zu investieren. Erst kürzlich ist wieder die Einladung zu einem neuen Jungbläserkurs ins Haus geflattert. Es ist vermutlich den wenigsten wirklich bewusst, wieviel Geld und Engagement in die Ausbildung der Jungbläser investiert wird. Aber ohne dieses finanzielle, zeitliche und ideelle Engagement gäbe es schon bald keine MGO mehr. Ich denke, ein weiterer wichtiger Aspekt ist, dass es euch gelungen ist, Tradition und Neues zu verbinden. Die Älteren unter euch hätten sich vor 30/40 Jahren vermutlich kaum vorstellen können, dass sie einmal Eric Clapton und Abba auf ihren Instrumenten zu spielen haben. Gleichzeitig sind aber auch die Jungen bereit, sich auf Marschmusik, traditionelle Blasmusik und Kirchenchoräle einzulassen. Das verbindet. Ohne diese gegenseitige Toleranz wäre ein gemeinsames Musizieren kaum möglich.
Das lässt sich in mancher Hinsicht mit unserer Kirchgemeinde vergleichen. Dass die Generationen gemeinsam unterwegs sein können, einander begegnen und Verständnis füreinander entwickeln, das ist ein zentrales Anliegen unseres Glaubens und unserer kirchlichen Arbeit. Und auch in der Kirche ist vermutlich den wenigsten wirklich bewusst, wieviel an Geld und Engagement gerade in die Kinder- und Jugendarbeit investiert wird. Die ganze kirchliche Unterweisung, Sonntagsschule, Kindernachmittage, Kinderlager, Gottesdienste für Klein und Gross - all das bedeutet ein grosses finanzielles Engagement, ist ein wesentlicher Teil meiner Arbeit und braucht das Engagement von vielen Freiwilligen, denen es ein Anliegen ist, dass die Jungen in unserer Kirchgemeinde heimisch werden. Es geht in alledem aber auch um die Weitergabe unseres Glaubens. Was heisst das: Weitergabe des Glaubens? Viel zu lange wurde darunter eine Sammlung von Lehrsätzen verstanden, die man lernen konnte und die man zu glauben hatte. Es war allenfalls den Gelehrten, den Theologen vorbehalten, diese Glaubenssätze zu diskutieren. Glauben aber muss etwas mit dem Leben, mit den jeweils eigenen Lebenserfahrungen zu tun haben, sonst ist er nur noch toter Glaube oder eine abstrakte Weltanschauung. Einige der Älteren haben es vielleicht noch erlebt, wie der Glaube im kirchlichen Unterricht autoritär verkündet wurde, als etwas, das man auswendig lernen konnte und musste. Und so manche haben das hingenommen und sich dann still verabschiedet. Ich selbst habe noch einen solchen kirchlichen Unterricht genossen, wo wir vor allem auswendig gelernt haben. In der Schule habe ich einen ganz anderen Unterricht erlebt. Da wurden Glaubensaussagen und biblische Texte kontrovers diskutiert. Da ging es auch um Sinn- und Lebensfragen und politische und gesellschaftliche Themen. Manchmal konnte dies aber auch ins andere Extrem kippen. Hauptsache die Kids haben spannende Themen und gute Erlebnisse. Bibel und Glaubenstraditionen wurden nur noch am Rande und eher verschämt ins Spiel gebracht.
Die beiden Bibeltexte, die ich vor der Predigt gelesen habe, erinnern mich an eine ganz wichtige biblische Tradition: es sind Bekenntnistexte, die vermutlich im Gottesdienst gesprochen wurden. Aber es sind nicht Bekenntnistexte, die auf absolute Wahrheiten verweisen, sondern Kürzestgeschichten des Glaubens, die auf andere Geschichten verweisen. Wenn wir nach unserem Glauben fragen, dann können wir nur Geschichten erzählen - die Geschichten des Volkes Israel, die Jesusgeschichten und unsere eigenen Geschichten. Im 5. Buch Mose ist es die Geschichte von der Befreiung des Volkes Israel aus der Gefangenschaft und Sklaverei in Ägypten, die das Zentrum des Glaubens bildet. Es ist nicht selbstverständlich, dass wir heute genug zum Leben haben, über unsere eigenes Schicksal bestimmen können, eine Lebensperspektive besitzen und in Freiheit leben. Wir sind dafür auch verantwortlich und haben Sorge dazu zu tragen. Wir sind Fremde gewesen und wissen, was es heisst, ausgegrenzt und ausgenutzt zu werden. Das verpflichtet uns. Unsere Mütter und Väter haben in der Not zu Gott gerufen und er war für sie da. Sollten wir nicht auch in guten Tagen zu ihm rufen und wenn wir Sorgen haben uns ihm zuwenden? So haben die Israeliten ihren Glauben verstanden. Können wir uns nicht in manchem davon wiederfinden mit unseren heutigen Erfahrungen und den Erfahrungen unserer Mütter und Väter?
Auch der Text aus dem Philipperbrief ist ein solcher gottesdienstlicher Bekenntnistext. Wenn die ersten Christen nach ihrem Glauben gefragt wurden, antworteten sie mit ihren eigenen Geschichten und der Jesusgeschichte. Wir glauben an einen Gott, der in Jesus ganz an unserer Seite ist, der bei den Schwächsten und Bedürftigsten ist. Dieser Jesus hat uns Selbstvertrauen gegeben. Er hat uns gezeigt, was Liebe zum Nächsten heisst, was Verzeihen, wie wir Menschen ermutigen können. Und vor allem hat er uns gezeigt, dass jeder Mensch Achtung, Respekt und Zuwendung verdient und nicht ausgenutzt und nicht abgeschrieben werden darf. Wir glauben an einen Gott der uns Demut lehrt, weil er in Jesus selber demütig war und sogar sein Leben hingegeben hat. Er hat uns gezeigt, dass Demut nicht Unterwürfigkeit ist, sondern die Fähigkeit zum aufrechten Gang ohne Überheblichkeit. Es sind die Geschichten vom blinden Bartimäus, von Zachäus, dem Zöllner, von der Ehebrecherin, die sich in diesem Bekenntnis spiegeln. Es ist die Geschichte vom barmherzigen Samariter und vom Vater mit den ungleichen Söhnen, es ist das Liebesgebot und Jesu Würde und aufrechter Gang vor Pilatus und dem Hohen Rat und viele andere, die in diesem Bekenntnis nachklingen und zusammengefasst sind. Können wir diese Geschichten mit unseren Erfahrungen verbinden? Können sie uns Mut machen, Selbstvertrauen und Gottvertrauen geben, unsere Einstellung zum Leben und zu unseren Mitmenschen prägen?
Weitergabe des Glaubens geschieht da, wo wir einander Geschichten erzählen und miteinander feiern. Glaube muss immer auch mit meinen Erfahrungen zu tun haben, sonst bleibt er eine tote Lehre. Aber wo ich meine Erfahrungen zum alleinigen Massstab mache, vergesse ich, dass der Horizont grösser und weiter ist, als das was ich erfahre und begreife. Auf den Reichtum der Erfahrungen früherer Generationen können wir nicht verzichten, aber wir dürfen auch nicht unsere Erfahrungen als Ältere zum alleinigen Massstab machen, an dem wir die Jungen messen. Wie eine Musikgesellschaft Marschmusik, Kirchenchoral und Popmusik zu verbinden versucht, so wollen wir die Erfahrungen unterschiedlicher Menschen und Generationen mit dem Glauben ins Gespräch bringen. Dazu braucht es Menschen in allen Generationen, die sich auf diese Geschichten einlassen, ihre eigenen Geschichten erzählen und ihre Fragen stellen, nach dem Sinn des Lebens fragen und diese Fragen nicht allein mit sich selbst ausmachen. Auch im Glauben braucht es Neugier für das Instrument, die Bereitschaft, die alten Melodien auszuprobieren und die Kreativität, mit diesem Instrument ganz neue Melodien und Töne zu spielen.
Das Instrument aber ist die von Gott geschenkte Liebe zum Leben und zu den Menschen, das Geschenk der Freiheit und die Fähigkeit, verantwortung zu übernehmen. Amen.