Samstag, 4. Dezember 2010

Predigt zum Adventslied "O Heiland reiss die Himmel auf" am 5. Dezember 2010

„Mit brennender Geduld“ heisst ein Roman des chilenischen Schriftstellers Antonio Skarmeta, in dem er dem Dichter Pablo Neruda und dessen Postboten ein Denkmal setzt. Ich habe den Roman nicht gelesen, aber den Titel finde ich wunderbar - und wunderbar passend zu unserem Adventslied „O Heiland reiss die Himmel auf“, das uns der Chor gerade in der Vertonung von Johannes Brahms gesungen hat.

Dieses Adventslied ist anders als die meisten anderen. Es fehlt ihm der freudig-gewisse Klang eines „Macht hoch die Tür“, der bescheiden-demütige Ton von „Wie soll ich dich empfangen“ oder das beschreibende Lob von „Nun komm, der Heiden Heiland“, das wir am Ende unseres Gottesdienstes singen werden. Und es ist auch so ganz anders wie der Lutherchoral „Gelobet seist du Jesus Christ“, den wir nachher im Wechsel mit dem Chor noch singen werden und in dem ja auch vom Jammertal die Rede ist, aus dem der Sohn uns herausführt.

Was dieses Adventslied in meinen Augen von den meisten anderen unterscheidet, das sind die vielen O’s und Ach’s, dieser drängende, fast ungeduldige Ton. Da beschreibt nicht einer selbstsicher und in tiefer Gewissheit, was Gott für uns tut, sondern sehnt herbei, dass Gott endlich handelt. Nicht öffnen soll er den Himmel, sondern aufreissen; nicht herabkommen, sondern herablaufen. Der Tau soll nicht vom Himmel träufeln, sondern fliessen. Darf man den Heiland so bedrängen? So möchte man fast fragen.

Der Text dieses Adventsliedes ist im Jahr 1622 entstanden. Es waren die Anfangsjahre des 30-jährigen Krieges. Geschrieben hat es der Jesuitenpater Friedrich Spee. Er hat nicht nur die Schrecken dieses Krieges erlebt, er hat auch als Beichtvater den Hexenwahn miterlebt und schon früh begriffen, wie ausweglos die Situation für Frauen war, die der Hexerei beschuldigt wurden und denen Leugnen als Halsstarrigkeit und ein Geständnis als Anerkennung ihrer Schuld ausgelegt wurde. Spee hat gegen den Hexenwahn gekämpft. Und er wurde dafür selbst zu einem Opfer der Verfolgung. Er wurde ins Kriegsgebiet nach Trier geschickt, wo er bei der Pflege der Kranken und Verletzten an einer Seuche starb. Das war 1635. Spee war 44 Jahre alt.

Ja, so drängend bitten und sehnsuchtsvoll erwarten kann vermutlich nur jemand, der sich vom Leid und von der Ungerechtigkeit anrühren lässt, dem es keine Ruhe lässt, dass die Dinge sind, wie sie nun einmal sind und der von seinem Gott noch etwas erwartet. In diesem drängenden Bitten verbindet sich eine tiefe Menschlichkeit mit einem ebenso tiefen Glauben. Und genau das ist für mich das Beeindruckende und Ermutigende an diesem Adventslied und an Friedrich Spee.

In diesem drängenden Bitten höre ich aber auch eine wichtige Anfrage an uns. Sind wir nicht oft viel zu nüchtern und abgeklärt? Wir kennen die Sachzwänge und beherrschen die Kunst des Möglichen. Wir finden uns ab und suchen gute Gründe. Wir sind bescheiden und erwarten nicht zuviel. Wir haben gelernt, dass sich manche Dinge eben nicht ändern lassen, warum wir nicht viel machen können, wenn Menschen verhungern oder von unserem Wohlstand ausgeschlossen sind. Wir rechnen nicht mehr mit Gott in unserem durchorganisierten Leben - oder wenn, dann benutzen wir ihn zum Auffüllen unserer Defizite und der Lücken unseres Weltgebäudes oder zur Abgrenzung von den Andersgläubigen oder den Ungläubigen. Was erwarten wir eigentlich vom Leben, von Gott? Welche Sehnsüchte erfüllen uns? Was ist uns so wichtig, dass es uns in unserem Innersten berührt und mit brennender Geduld erfüllt? Gibt es in unserem Leben etwas, das uns dazu drängt zu rufen: O Heiland reiss die Himmel auf? Wenn wir immer nur mit dem Möglichen rechnen, haben wir vermutlich vom Advent noch wenig begriffen.

Ruhe und Abgeklärtheit sind im Leben gewiss wertvolle Qualitäten und es gibt wohl für jedes von uns Momente, wo wir uns mehr davon wünschen. Aber - und daran erinnert uns das Adventslied „O Heiland reiss die Himmel auf“ - die vorwärtsdrängende Sehnsucht, das erwartungsvolle Hoffen und das hoffnungsvolle Erwarten sind ebenso wichtig. Und das Lied drückt diese Sehnsucht in wunderbaren, kräftigen poetischen Bildern aus, in Bildern, die alles andere sind als ein Weltverbesserungsprogramm, weil sie alles von Gott erwarten. In Bildern aber auch, die uns in Bewegung bringen, weil sie darauf hoffen und darum bitten, dass Gott uns in Bewegung bringt. Wenn Schloss und Riegel weg sind und der Himmel offen, dann sind wir frei, einzutreten und hinauszutreten in den weiten Raum des Lebens, das Gott uns schenkt. Gott öffnet uns diesen Raum und er stärkt uns den Rücken. Den Weg gehen aber müssen und dürfen wir selber. Wenn Tau und Regen vom Himmel fliessen, dann wird der Boden fruchtbar. Der Boden aber sind wir und es braucht unsere Bereitschaft, Neues wachsen zu lassen.

Wenn wir am liebsten hätten, dass alles so bleibt wie es ist, dann wird uns diese adventliche Sehnsucht fremd bleiben. Wenn wir nicht mehr erwarten als die Geschenke zum Fest (und ich will damit überhaupt nichts gegen Geschenke sagen), dann wird uns die Weihnachtsbotschaft ein Märchen aus uralten Zeiten bleiben. Wenn wir aber uns anstecken lassen von dieser adventlichen Sehnsucht, dann dürfen wir unseren Gott auch bedrängen, ihn herausfordern. Dann müssen wir nichts mehr verdrängen von unseren Sorgen und Ängsten. Dann müssen wir uns nicht abfinden mit dem, was anders werden muss. Sehnen wir uns nach dieser göttlichen Lebensenergie? Sind wir bereit, uns bewegen und überraschen zu lassen? Wollen wir uns berühren lassen und uns öffnen? Wollen wir leben mit brennender Geduld? Dann können die Worte dieses Adventslieds wirklich zu unseren eigenen werden, aus tiefstem Herzen gesungen:

O Heiland, reiss die Himmel auf,
herab, herab vom Himmel lauf,
reiss ab vom Himmel Tor und Tür,
reiss ab, wo Schloss und Riegel für.

O Gott, ein’ Tau vom Himmel giess,
im Tau herab, o Heiland, fliess.
Ihr Wolken, brecht und regnet aus
den König über Jakobs Haus.

O Erd, schlag aus, schlag aus, o Erd,
dass Berg und Tal grün alles werd.
O Erd, herfür dies Blümlein bring,
o Heiland, aus der Erden spring.

Wo bleibst du, Trost der ganzen Welt,
Darauf sie all’ ihr’ Hoffnung stellt?
O komm, ach komm vom höchsten Saal,
Komm tröst uns hier im Jammertal.

O klare Sonn, du schöner Stern,
dich wollten wir anschauen gern;
o Sonn, geh auf, ohn deinen Schein
in Finsternis wir alle sein.

Wir dürfen Gott mehr zutrauen als unsere kleinen Wünsche und Pläne. Die überfliessende Fülle dieser Bilder erinnert uns an die göttliche Lebenskraft, die wir uns niemals selber geben können und die mehr und anders ist als unsere Träume. Advent ist die Zeit der Erwartung. Erwarten dürfen wir nicht weniger als das Kommen Gottes, den herabfliessenden Tau göttlichen Segens in unserem Leben. Erwarten dürfen wir mit brennender Geduld. Amen.

Samstag, 20. November 2010

Predigt über Offenbarung 21,1-7 am Ewigkeitssonntag, 21 November 2010

Liebe Gemeinde,
heute ist der Toten- oder Ewigkeitssonntag. Viele von ihnen werden heute die Gräber ihrer Lieben besuchen, vielleicht auch eine Kerze aufs Grab stellen. Wir werden nachher im Gottesdienst die Namen der Verstorbenen unserer Kirchgemeinde aus dem zu Ende gegangenen Kirchenjahr verlesen und die Kerzen für sie anzünden, die die KonfirmandInnen für sie gestaltet haben.
„Und ich sah einen neuen Himmel und eine neue Erde“ heisst es in der Offenbarung. „Und Gott selbst wird bei ihnen wohnen, und sie werden sein Volk sein und er wird ihr Gott sein; und Gott wird abwischen alle Tränen von ihren Augen und der Tod wird nicht mehr sein, noch Leid noch Geschrei noch Schmerz wird mehr sein; denn das Erste ist vergangen. Siehe, ich mache alles neu!“
Was für eine wunderbare und tröstliche Vision: eine neue Welt ohne Leid, ohne Tränen, ohne Tod. Eine Welt, in der alles, was hier zerbrochen und unvollendet bleibt, heil und ganz ist, wo aller Streit überwunden ist, alle Schuld vergeben, aller Hader und Groll abgelegt. Eine Welt, in der uns nicht mehr genommen wird, was uns so lieb und kostbar ist, wo Krankheit und Leid nicht mehr erbarmungslos zuschlagen. Eine Welt auch, in der Menschen einander nicht mehr Leid zufügen, wo niemand mehr das Leid anderer zur Schau stellen kann, wo die Gier nach Macht, der Hass, die Intoleranz, die Zerstörung im Namen vermeintlicher Ideale keinen Raum mehr haben. Eine wunderbare Vision – oder doch nur ein schöner Traum?
Können uns die Worte des heutigen Predigttextes ermutigen, aufrichten, Hoffnung machen, wenn Trauer und Verzweiflung uns überwältigen beim Abschied von einem lieben Menschen oder dann, wenn beim Abschied so vieles ungesagt und ungelöst bleibt? Können wir leben und uns trösten mit der Hoffnung auf den neuen Himmel und die neue Erde oder sind das für uns nur leere, belanglose Worte – eben nur ein schöner Traum angesichts unserer Trauer, zu schön um wahr zu sein?
Jedenfalls ist es eine Utopie, eine Utopie im eigentlichen Sinn des Wortes – etwas, das in dieser Welt keinen Ort hat, etwas das wir nicht durch unser Planen und Machen erreichen und verwirklichen können. Ein neuer Himmel und eine neue Erde. Kein Fortschritt, keine kontinuierliche Entwicklung, schon gar nicht die Überwindung von Leid, Krankheit und Tod durch medizinische Forschung. „Der erste Himmel und die erste Erde sind vergangen“, heisst es in der Offenbarung. Es gibt keinen Weg von hier nach dort. Solange diese Erde besteht, werden Menschen ihre Toten beweinen, werden Krankheiten und Schicksalsschläge Menschen treffen, werden Menschen einander Leid zufügen, wird es Kriege, Hass, Neid und Gewalt geben. Diesen Realismus lehrt uns die Bibel – von Kain und Abel bis hin zu den bedrückenden Bildern der Offenbarung. Und der Tod mag zwar gerecht sein, weil, wie das Sprichwort sagt, das letzte Hemd keine Taschen hat, aber er ist furchtbar ungerecht in der Auswahl seiner Opfer und er ist fast immer ungerecht für den, dem ein lieber Mensch genommen wird. Aber – noch einmal – was kann uns dann die biblische Utopie vom neuen Himmel und der neuen Erde helfen, wenn sie doch nicht von dieser Welt ist?
Wenn einem die Decke auf den Kopf fällt, dann tut es gut, wenn man aus dem Haus geht, hinaus an die frische Luft. Wenn man sich in den immer gleichen ausweglosen Grübeleien verheddert, tut es gut, wenn jemand einem auf andere Gedanken bringt, die Dinge in ein anderes Licht rückt. Ich glaube, dass die Utopie des heutigen Predigttextes genau diese Funktion hat, frische Luft in das Haus unserer Trauer hineinzubringen, die lähmenden Gedanken, die uns plagen in das Licht einer anderen Wirklichkeit zu stellen. Stell dir vor wie das wäre: eine Welt ohne Leid und Tod. Stell dir vor, keine deiner Tränen ist vor Gott vergessen, er wird sie abwischen. Stell dir vor, der Tod, die Verzweiflung, die Trauer – sie haben nicht das letzte Wort. Jenseits dieser Grenze, die für uns so unwiderruflich, so bitter und schmerzhaft ist, da ist noch etwas, oder besser gesagt, da ist noch einer, der uns erwartet, der uns trägt, der uns tröstet und hält und dessen Liebe zu uns stärker ist als der Tod. Das dürfen wir hoffen, das dürfen wir glauben. Ob es uns die Trauer leichter macht? Ob es uns geschenkt ist, die Welt und unser Leben gerade auch in dunklen Stunden in diesem Licht einer neuen Welt zu sehen, das weiss Gott allein. Erzwingen können wir es nicht, nicht bei uns selbst und nicht bei anderen. Aber wenn Gott uns dieses Licht, diese Sicht schenkt, dann verändert sich etwas, dann kann der Dank für das Gewesene stärker werden als die Trauer über das Verlorene, dann können wir loslassen, den schmerzlichen Verlust, die unüberwindbare Grenze akzeptieren, weil jenseits dieser Grenze nicht das Nichts ist, sondern die grenzenlose Liebe Gottes. In diesem Licht können auch unausgeräumte Missverständnisse, Schuld, Groll oder Hader ihre lähmende Macht verlieren, weil wir uns dem anvertrauen können, der unser Leben heil und ganz macht – nicht in dieser Welt, nicht in diesem Leben, aber dann, wenn unser Leben heimkehrt zu Gott. Wo der neue Himmel und die neue Erde in unser Hoffen und Denken einziehen, da empfangen wir die Kraft zum Loslassen, da kann neue Hoffnung und neuer Lebensmut in unseren Herzen aufkeimen und wachsen.
Den Tod können wir nicht überwinden, wir können nicht einmal diesseits der Todesgrenze eine friedliche Welt schaffen, ja oft nicht einmal in unseren engsten Beziehungen. Aber im Licht des neuen Himmels und der neuen Erde, die Gott uns verheisst, können wir mit unseren Möglichkeiten Tränen abwischen, denen die Kummer haben, verständnisvoll zuhören, einander in den Arm nehmen und trösten. Wir können das Leid nicht überwinden, aber wir können einander helfen, Schweres zu tragen, auszuhalten und behutsam wieder neue Hoffnung zu wagen. Und das ist schon ungeheuer viel. Und wir können einander vergeben und verzeihen, können Vergangenes ruhen lassen, weil wir es in Gottes Hand legen dürfen.
Siehe, ich mache alles neu, sagt der auf dem Thron. Gott macht alles neu, nicht wir. Aber er tut es. Er schenkt uns hier und jetzt neue Kraft. Und er heilt und vollendet das Ganze unseres Lebens. Darauf hoffen wir. Daran glauben wir. Davon leben wir. Amen.

Samstag, 6. November 2010

Predigt am Reformationssonntag 7. November 2010 über Römer 3,21-28

Liebe Mitchristen!
Vor fast 500 Jahren hat ein junger Mönch namens Martin Luther immer wieder mit der selben Frage gerungen: Wie bekomme ich einen gnädigen Gott? Die Höllenangst, die Angst vor ewigen Qualen setzte den Menschen seiner Zeit sehr zu. Die katholische Kirche seiner Zeit sah sich als einzige Heilsmittlerin, deren ordinierte Priester allein die Menschen von ihren Verfehlungen lossprechen konnten. Die Beichte, die verbunden war mit tätiger Reue, war der Weg um Gott gnädig zu stimmen. Weil die Kirche Geld brauchte, machte sie aus diesem Monopol ein Geschäft. Die Reue konnte in Geldleistungen bestehen, die Vergebung wurde käuflich – man spricht von Ablasshandel. Dieser Weg war Luther zutiefst zuwider. Die Beichte als solche, den Weg der Umkehr und Reue, hat Luther nie für falsch gehalten, aber das Monopol der Kirche, die Käuflichkeit und die Idee, man könne – sei es durch Geld oder auch durch gute Taten ein Anrecht auf Gottes Vergebung erwerben.
Aber auch den anderen Weg hielt Luther für nicht gangbar, den Weg hin zu immer grösserer Vollkommenheit, wie er vor allem im Mönchtum angestrebt wurde. Sich heraushalten aus dieser Welt, verzichten auf Besitz, auf Sexualität, auf ein bürgerliches oder adliges Leben – auch das war für Luther keine Möglichkeit, um sich die Gnade Gottes zu verdienen. Es war vor allem der Römerbrief und gerade auch der heutige Predigttext, der ihn zu seiner Erkenntnis führte: Die Gnade Gottes können wir uns nicht verdienen durch eigene Leistungen, weder durch Geld noch durch gute Taten oder den Versuch eines heiligen Lebens.
„Denn die Menschen sind allzumal Sünder und ermangeln des Ruhmes, den sie bei Gott haben sollten.“ – so schreibt es Paulus. Und dann: „So halten wir nun dafür, dass der Mensch gerecht wird ohne des Gesetzes Werke, allein durch den Glauben.“
Gott allein vergibt, macht Menschen gerecht, befreit sie von der Last ihrer Fehler, ihrer Schuld, ihres Scheiterns, ihrer Unvollkommenheit. Diese Gnade können wir uns nicht verdienen, darauf können wir nur vertrauen, das können wir nur glauben. Mit dieser Einsicht sind wir aber auch befreit davon, ruhelos einem Ideal unserer selbst nachzurennen und dem doch nie genügen zu können.
Aber – so fragen vielleicht manche – sind das nicht Fragen des Mittelalters? Wer sorgt sich heute noch um einen gnädigen Gott? Wer fürchtet heute noch die Hölle oder die ewige Verdammnis? Und feiern nicht heute auch viele Katholiken lieber eine Bussfeier als eine Einzelbeichte abzulegen. Und doch: auch heute noch werden Menschen schuldig, auch heute noch verletzen Menschen einander, auch heute noch leiden Menschen unter Fehlern, die sie schier erdrücken können. Da hilft kein leichtfertiges „Schwamm drüber, jeder macht mal Fehler“; da können tiefe Wunden bleiben. Wir neigen heute dazu, solche Erfahrungen zu verdrängen oder zu verharmlosen oder denken, dass wir halt selber damit fertig werden müssen. Aber lehrt uns nicht die psychologische Forschung, lehrt uns nicht unsere eigene Erfahrung, dass Verdrängtes immer wieder an die Oberfläche zurückkehrt, uns behindert und lähmt. Dinge aussprechen können, die uns belasten, Fehler einzugestehen – das ist heilsam und befreiend, wenn wir darauf vertrauen können, dass wir auf Vergebung, auf Liebe und Verständnis stossen, sei es in der Beichte, im seelsorgerlichen Gespräch, im Gebet oder in der Aussprache von Mensch zu Mensch. Ich weiss, dass sich das leichter sagt als es ist. Denn in vielen von uns ist die Haltung tief verwurzelt, Dinge mit sich selber auszumachen, nur keine Schwächen zu zeigen oder aber sich selbst für jeden Fehler so sehr zu verurteilen, dass es uns schwer fällt, auf einen gnädigen Gott oder einen gnädigen Mitmenschen zu vertrauen. Wenn wir aber auf einen gnädigen Gott vertrauen dürfen, wenn wir glauben dürfen, dass nichts, wirklich gar nichts uns endgültig von Gottes Liebe trennen kann, dann brauchen wir - zumindest vor Gott – nichts zu verstecken, brauchen wir nicht vor uns selber davonzulaufen oder uns unserer eigenen Unwürdigkeit zu grämen.
Solcher Glaube kann uns bewahren vor dem schleichenden Gift der Sprachlosigkeit in unserer Beziehung zu Gott und in unseren menschlichen Beziehungen. Wir können das ganz einfach an unseren alltäglichen Beziehungen überprüfen: Wo fällt ein klärendes Gespräch leichter: Da, wo die Frage im Vordergrund steht, wer denn nun recht hat und wer schuld ist? Oder da, wo einer sich fragt, wie er den anderen gnädig stimmen kann? Oder da, wo wir einander vertrauen können, dass eines dem anderen Verständnis entgegenbringt und verzeihen kann? Im ersten Fall ist es das alte Spiel von Sieger und Verlierer, das den Verlierer sprachlos und hilflos macht. Im zweiten Fall kommt es zur Unterwerfung oder zur Sprachlosigkeit, weil nie der richtige Zeitpunkt da ist, man nie die richtigen Worte findet oder es kommt zur Unterwerfung des einen unter den anderen. Nur wo wir Schwäche zeigen können ohne Stärke zu provozieren, werden wir wirklich geliebt. Die meisten wissen wohl ganz gut, wie schwer es manchmal ist, diesen dritten Weg zu gehen. Und wie viele Beziehungen, Freundschaften und Partnerschaften sind schon an den Machtkämpfen, an Sprachlosigkeit oder an Unterwerfung gescheitert. Aber im Vertrauen müssen wir uns üben und Vertrauen macht verletzlich, braucht immer wieder neue Nahrung. Wenn unser Vertrauen enttäuscht wird, wir uns verurteilt oder zurückgewiesen fühlen, dann droht der Rückzug in die Sprachlosigkeit oder der Machtkampf. Sagen können, was uns verletzt und wieder neu Vertrauen wagen, darauf kommt es dann entscheidend an. Und darauf, dass wir erkennen, dass es zum £Weg des Vertrauens letztlich keine Alternative gibt.
Und noch etwas ist mir wichtig: Es geht nicht in erster Linie darum, Vergangenes wieder gut zu machen. Es geht darum, in der Einsicht, dass wir Vergangenes nicht ungeschehen machen können und auch nicht müssen, frei zu werden für einen Weg, der in die Zukunft führt. Und dazu muss Vergangenes ruhen, müssen wir lernen, mit dem, was sich nicht mehr ändern lässt, zu leben und zu verzeihen.
Die Erkenntnis Martin Luthers, dass Gott gnädig ist und wir ihn nicht erst gnädig stimmen müssen, seine Einsicht, dass wir vor Gott weder Recht behalten noch gute Leistungen erbringen müssen – sie waren für ihn eine grosse Befreiung. Und ich denke, dass sie nicht nur im Mittelalter aktuell waren. Auch für uns heute kann das Vertrauen auf einen gnädigen und barmherzigen Gott eine Befreiung sein, dann wenn wir spüren, dass Schuld, Fehler und Unvollkommenheit uns belasten. Denn darin liegt die Zusage, dass wir so sein dürfen wie wir sind und von Gott nicht an unseren Leistungen gemessen und klassiert werden. Und wenn Gott ruhen lässt, was zwischen uns und ihm steht, dann dürfen auch wir den Blick nach vorne richten. Mit unserer Geschichte, mit unseren Fehlern dürfen wir weitergehen, brauchen uns nicht lähmen zu lassen.
Was wir in der Beziehung zu Gott erfahren dürfen, das können wir dann auch in unserem menschlichen Zusammenleben üben. Vertrauen wagen, einander Vertrauen entgegenbringen, miteinander reden, Vergangenes ruhen lassen und miteinander in die Zukunft zu blicken.
Für Paulus gilt: „So halten wir nun dafür, dass der Mensch gerecht wird ohne des Gesetzes Werke, allein durch den Glauben.“ Amen.

Samstag, 23. Oktober 2010

Predigt zu 2. Korinther 9,6-15 beim Erntedankgottesdienst im Alters- und Pflegeheim Kühlewil am 24.10.2010

Liebe Mitchristen,
Was der Apostel da schreibt, das ist ein ausführlicher und zu Herzen gehender Spendenaufruf. Macht euch keine Sorgen, sagt er, sondern gebt ab von dem Reichtum, den Gott euch schenkt. In meiner Predigt soll es heute aber nicht um einen Spendenaufruf gehen, zumal ja in diesem Gottesdienst gar keine Kollekte vorgesehen ist. Ich will vielmehr unseren Blick lenken auf die Dankbarkeit für das, was Gott uns in unserem Leben schenkt. Nicht die grossen Dinge, nicht der Überfluss an Gütern ist es ja, der uns erkennen lässt, wie kostbar unser Leben ist und wie reich an Gnade wir eigentlich sind. Unser Predigttext ist ja auch nicht nur einen Spendenaufruf, sondern eine Einladung zur Dankbarkeit für die elementaren Dinge des Lebens, die wir so oft einfach als selbstverständlich ansehen oder uns selber, unserer Arbeit und Leistung zuschreiben. Und er ist eine Einladung, darauf zu achten, dass diese elementaren Lebensgrundlagen nicht selbstverständlich sind und dass wir grössere Lebenszufriedenheit, grösseres Glück erfahren, wenn wir fähig werden zur Dankbarkeit und wenn wir das unsere mit anderen teilen, uns miteinander daran freuen können. Paulus schreibt: „Gott aber lässt euch all seine Gnade reichlich zukommen, damit ihr allezeit mit allem reich versorgt seid und darüber hinaus noch Mittel habt zu jedem guten Werk.“ Und: „Der aber dem Säenden Samen gibt und Brot zur Speise, der wird auch euch das Saatgut geben in reichem Masse und die Frucht eurer Gerechtigkeit wachsen lassen.“
Ja, die Dankbarkeit für das scheinbar Selbstverständliche schenkt innere Freiheit und Lebenszufriedenheit. Wenn wir das Geschenk unseres Lebens als Geschenk Gottes wahrnehmen können und statt nach immer mehr zu streben, mit den Samenkörnern, die Gott uns schenkt, den Acker unseres Lebens bebauen und uns an den Früchten freuen, die darauf wachsen, dann kann unser Leben gelingen und dann verlieren wir auch unsere Nächsten nicht aus dem Blick. Denn oft ist es ja die unablässige Selbstsorge, die uns von den anderen trennt.
Diese innere Freiheit und von Herzen kommende Dankbarkeit hat Martin Luther schon 1530 in einer wunderbaren Auslegung des 118. Psalms beschrieben:
„Und wenn wir Menschen nicht so blind und der Güter Gottes so überdrüssig und unachtsam wären, so wäre freilich kein Mensch auf Erden, er habe noch so viel Besitz; wenns zum Tausch kommen sollte, so nähme er kein Kaisertum noch Königreich dafür, wenn er dafür der (uns allen eigenen) Güter beraubt wäre. Denn was kann ein Königreich für ein Schatz sein im Vergleich zu einem gesunden Leibe. … Wenn die Sonne einen Tag nicht schiene, wer wollte nicht lieber tot sein? Oder was hülfe ihm all sein Gut und Herrschaft? Was wäre aller Wein und Sekt in aller Welt, wenn wir einen Tag des Wassers ermangeln sollten? Was wären alle hübschen Schlösser, Häuser, Samt, Seide, Purpur, goldenen Ketten und Edelsteine, alle Pracht, Schmuck und Hoffart, wenn wir ein Vaterunser lang die Luft entbehren sollten? - Solche Güter Gottes sind die grössten und (zugleich) die allerverachtetsten und deshalb, weil sie allgemein sind, dankt niemand Gott dafür, sie nehmen sie und brauchen diesselben täglich immer so dahin, als müsste es so sein …; fahren dieweil zu, haben was uns am Herzen liegt zu tun, sorgen, hadern, streiten, ringen und wüten um überflüssiges Geld und Gut, um Ehre und Wollust und in Summa um das, welches solchen obengenannten Gütern nicht das Wasser reichen könnte.“
Sehen wir einmal von der etwas altertümlichen Sprache Luthers ab, so irritiert uns vielleicht immer noch der moralisierende Unterton. Aber ich denke, dass es viel zu kurz greift, wenn wir die wunderbaren Gedanken Luthers einfach als moralischen Appell: „Gib dich zufrieden mit dem, was du hast“ verstehen würden, zumal das leicht in eine falsche Selbstzufriedenheit umschlagen kann. Das Ringen, etwas erreichen wollen, nach mehr streben, gehört zu uns und das ist auch gut so. Ehrgeiz, Unzufriedenheit mit dem Erreichten sollen nicht verteufelt werden. Aber Luthers Vergleiche können uns helfen, die Dinge wieder ins richtige Verhältnis zu setzen. Es mag uns motivieren und antreiben, immer höhere Ziele zu erreichen, aber all dies kann nichts von dem ersetzen, was zu unseren elementaren Lebensgrundlagen gehört. Und (heute nur als Randbemerkung) diese elementaren Lebensgrundlagen hat Gott allen Menschen zugedacht und es gibt keine Rechtfertigung dafür, sie zu privatisieren und anderen vorzuenthalten.
Aber gibt es nicht auch Situationen, wo es uns an ganz elementaren Dingen fehlt? Gerade viele von Ihnen hier in Kühlewil, wissen, was es heisst, wenn der Leib nicht gesund ist, wenn man körperliche und seelische Schmerzen leidet, wenn vieles nicht mehr geht. Dieser Mangel, dieser Verlust kann ihnen schwer zu schaffen machen. Niemand darf ihnen dann das Recht zu klagen absprechen. Nein: „gib dich zufrieden und sei stille“ darf dann nicht die einzige Antwort sein. Und dennoch: wir kennen auch die Momente, wo uns der Verlust des Selbstverständlichen die Augen öffnet für seine Kostbarkeit und zur Klage über den Verlust die Dankbarkeit hinzutritt für das was wir gehabt haben und das, was uns noch bleibt. Und diese Dankbarkeit, diese Achtsamkeit für das Gute und Kostbare in unserem Leben, kann uns dann auch die Kraft geben, das Schwere zu tragen. Denn in dieser Dankbarkeit erfahren wir die Kraft Gottes in unseren Herzen. Ihm dürfen wir vertrauen, dass er uns begleitet und trägt und uns unsere Speise gibt zur rechten Zeit.
Zum Schluss soll nochmals Martin Luther das Wort haben mit seiner Auslegung des Ersten Artikels des apostolischen Glaubensbekenntnisses im Kleinen Katechismus: „Ich glaube an Gott, den Vater, den Allmächtigen, den Schöpfer des Himmels und der Erde.
Was ist das?
Ich glaube, daß mich Gott geschaffen hat samt allen Kreaturen mir Leib und Seele, Augen, Ohren und alle Glieder, Vernunft und alle Sinne gegeben hat und noch erhält; dazu Kleider und Schuh, Essen und Trinken, Haus und Hof, Weib und Kind, Acker, Vieh und alle Güter; mit aller Notdurft und Nahrung dieses Leibes und Lebens mich reichlich und täglich versorget, wider alle Fährlichkeit beschirmet und vor allem Übel behütet und bewahret; und das alles aus lauter väterlicher, göttlicher Güte und Barmherzigkeit, ohn all mein Verdienst und Würdigkeit; daß alles ich ihm zu danken und zu loben und dafür zu dienen und gehorsam zu sein schuldig bin.“
Amen.

Samstag, 18. September 2010

Predigt zu Psalm 150 und Kol 3,16-17 anlässlich der Wiedereinweihung der Orgel

Liebe Gemeinde

Das Wort Christi wohne mit seinem ganzen Reichtum unter euch: Lehrt und ermahnt einander in aller Weisheit; singt Gott, von der Gnade erfüllt, in euren Herzen Psalmen, Hymnen und geistliche Lieder. Kol 3, 16

Nun haben wir unsere Orgel wieder - frisch restauriert und neu intoniert, so wie sie die Erbauer im Jahr 1930 vermutlich gedacht hatten. Es war schon ein besonderes Erlebnis, in den letzten Wochen gelegentlich dabei zu sein, wenn Pfeife um Pfeife wieder in die Orgel eingebaut wurde und als der Intonateur dann Ton für Ton überprüft und gestimmt und das Ganze in eine gelunge Harmonie gebracht hat.
Nun haben wir sie wieder - unsere Orgel, damit sie uns dabei unterstützen kann, wenn wir den Dank unserer Herzen in Psalmen, Hymnen und geistlichen Liedern Gott singen, wie es im Kol heisst. Lasst das Wort Christi reichlich unter euch wohnen, heisst es da - und dann stehen Wort und Musik völlig gleichberechtigt nebeneinander. Damit das Wort Christi reichlich unter uns wohnen kann, feiern wir Gottesdienst. Dazu gehören Lehre und Ermahnung - also die Predigt. Aber ebenso gehören die Lieder und die Musik dazu. Lieder und Musik sagen oft mehr als viele Worte, sprechen uns auf einer anderen Ebene an. Die Klänge der Orgel berühren uns anders als die Worte einer Predigt und im Singen sind wir im wahrsten Sinne des Wortes mit Leib und Seele dabei - und die Orgel ist uns dabei Halt und Stütze. Sie legt musikalisch den Grund, in den wir einstimmen können.
Aber muss es unbedingt die Orgel sein - ein Instrument, das viel Platz braucht und kostspielig ist in Anschaffung und Unterhalt. Wenn wir an der Orgel als Instrument in unserer Kirche festhalten, dann ist das natürlich ein gutes Stück Tradition, Gewohnheit - und das ist ja gewiss nichts Negatives. Als Kirchgemeinde haben wir auch eine kulturelle Verpflichtung und Orgelmusik ist ein erhaltenswertes Stück Kultur und unsere Orgel mit ihrer pneumatischen Steuerung ist ein Kulturdenkmal, von dem man sich nicht einfach leichten Herzens trennt. Ihre grosse Spendenbereitschaft für unsere Orgelrestauration zeigt uns, dass auch ihnen unsere Orgel am Herzen liegt und dafür sind wir dankbar.
Aber ich denke es gibt darüber hinaus noch gute Gründe, die für die Orgel sprechen. Denn zumindest in zweierlei Hinsicht ist die Orgel auch ein Sinnbild für die christliche Gemeinde. Sie braucht Wind, Atem, Pneuma, damit sie erklingen kann und sie hat viele unterschiedliche Register und erst ihr Zusammenklang macht die Schönheit der Musik aus.
Das erste ist also die Luft, der Atem. Ohne Luft, ohne den Atem können wir nicht leben. Ohne Luft gibt die Orgel keinen Ton von sich. Ich habe vorhin gesagt, dass unsere Orgel eine pneumatische Steuerung hat. D.h., die Töne werden erzeugt, indem der Tastendruck Luft durch Bleirohre über Ventile in die entsprechenden Pfeifen leitet. Aber mir geht es nicht um die Technik. Pneumatisch ist nämlich nicht nur ein technischer Ausdruck aus dem Orgelbau, es ist zugleich das griechische Wort für den Atem und für den Geist Gottes. In einem mächtigen Brausen ist er an Pfingsten zugegen, im sanften Flüstern eines Windhauchs offenbart Gott sich dem Elia, als Lebensatem wird er - mit dem schönen Bild des Schöpfungsberichts - Adam in die Nase geblasen. Mit jedem Atemzug atmen wir göttlichen Geist ein und aus. So nahe ist uns Gott. Ist das nicht ein tröstlicher Gedanke, der uns mit Dankbarkeit erfüllen kann. Ich darf leben von dem Atem, den Gott mir schenkt und durch diesen Lebensatem bin und bleibe ich mit Gott und mit allem Leben verbunden.
Und das andere sind die Register. Jedes Register lässt ein anderes Instrument, eine andere Stimme erklingen.
Lobt Gott mit Hörnerschall, mit Harfe und Leier, mit Trommel und Reigentanz, mit Saiten und Flöte, mit klingenden Zimbeln, mit schallenden Zimbeln. Alles was Atem hat lobe den Herrn. So heisst es im Psalm 150. Und so soll auch die Orgel mit ihren verschiedensten Stimmen und Registern zum Lobe Gottes erklingen. Un diese Stimmen und register sind darüber hinaus ein schönes Bild für die Verschiedenheit von uns Menschen. Jeder und jede von uns ist etwas anders und wir haben unsere Eigenart. Das macht es manchmal schwierig: wenn die lauten Trompeten die feinen Flöten übertönen, wenn die schellenden Zimbeln die Harfenklänge verdrängen. Wie in einem Orchester (und wie bei Orgelwerken) soll jedes einmal zum Zug kommen, hat jedes seinen Platz, nicht alle sind Solisten, manche sind im Hintergrund. Wir alle sollen unseren Klang, unsere Farben entfalten zur Ehre Gottes, jeder mit seiner Gabe hat eine Aufgabe. Wir wollen - nicht nur bei der Orgel - all die verschiedenen Tonfarben hören und meine Frage an sie ist: welches ist ihr Klang? Was entspricht ihnen? Welcher Charakter steht ihnen am nächsten?
Ist es der majestätische Hörnerschall. Oder die Klänge von Harfe und Leier, feine Töne, die zu Herzen gehen.
Sind es eher die Streicher, die manchmal melancholisch klingen, Trauer und Schmerz ausdrücken, aber auch Jubel und Freude?
Oder die Flöten oder Pfeifen, warme Klänge vom Holz, heimelig, aber dann auch wieder virtuos, verspielt? Oder die Zimbeln? Fast wie die Glocken
sind sie brillant, sie sollen herausstechen, manchmal fast etwas schrill, auf unserer Orgel eher milde gemacht.
Oder - ich verlasse die Bilder des Psalmes und der Orgel - sind ihr Instrument vor allem die Hände, die zupacken können? oder das kluge Wort, der klare Gedanke? Oder Zeit und Einfühlungsvermögen? Oder etwas ganz anderes?
Welche Tonfarbe ist ihre? Und welche anderen Tonfarben bereiten ihnen Freude?
All die verschiedenen Tonfarben der Orgel, aber eben auch in unserer Gemeinde sind da zum Lob Gottes. Schon am Anfang des Psalms heisst es ja: „Lobt Gott in seinem Heiligtum, lobt ihn in seiner starken Feste, lobt ihn um seiner machtvollen Taten willen, lobt ihn in seiner gewaltigen Grösse“.
Oft scheint es zwar, dass ganz andere Mächte die Welt regieren, aber wie hat der frühere deutsche Bundespräsident Gustav Heinemann einmal so treffend gesagt: "Die Herren der Welt kommen und gehen, aber unser Herr kommt." Und weil wir darauf vertrauen, brauchen wir uns nicht blenden zu lassen, unser Licht nicht unter den Scheffel zu stellen.
Grad auch wenn wir uns nicht so elegant und grossartig fühlen, wenn wir nicht in der ersten Reihe stehen wollen. Alle sind nötig in diesem grossen Orchester Gottes, alle haben einen Platz und eine Stimme. Möge Gott seinen Wind/seinen Geist in die richtigen Kanäle leiten, damit nicht nur unsere Orgel, sondern auch die Vielfalt unserer Gemeinde harmonisch und berührend sich entfalten kann. Amen

Samstag, 28. August 2010

Predigt über Apostelgeschichte 9,1-9 vom 29.August 2010

Liebe Mitchristen,

es ist eine hochdramatische Geschichte, die unser heutiger Predigttext erzählt. Das Leben des Saulus wird völlig auf den Kopf gestellt. In der Kunst wird Saulus/Paulus meist als gestürzter Reiter dargestellt, obwohl ein Pferd in der biblischen Szene gar nicht vorkommt. Zu naheliegend war wohl der Gedanke, dass da einer vom hohen Ross gestürzt wird und dass Gott ihn dann aufrichtet und ihm einen besseren Weg zeigt.
Nicht umsonst sind der Wandel vom Saulus zum Paulus und das Damaskuserlebnis zu sprichwörtlichen Redensarten geworden. Wir reden von einem Damaskuserlebnis, wenn sich das Leben eines Menschen durch eine plötzliche Begegnung oder eine Erkenntnis grundlegend verändert. Vom Saulus zum Paulus wird einer im Volksmund, wenn er ein ungutes, ja bösartiges Verhalten aufgibt und zur Überraschung seiner Mitmenschen Gutes tut. Paulus selbst erzählt in seinen Briefen auch von dieser Lebenswende. Aber er tut es viel zurückhaltender als die Apostelgeschichte. Höchstens zwischen den Zeilen kann man bei ihm ein dramatisches Ereignis lesen oder aber auch einen allmählichen Wandel. Ihm liegt nicht so sehr an den äusseren Umständen als daran, dass er Christus begegnet war und durch diese Begegnung sich als Apostel berufen und beauftragt wusste.
Unseren Predigttext haben wir dem Prozess der Legendenbildung zu verdanken. Paulus, der anfänglich die christliche Gemeinde misstrauisch beäugt und den christlichen Glauben bekämpft hatte, er hat später wie kein Zweiter zu dessen Wachstum und Verbreitung beigetragen. Er ist zum ersten christlichen Denker geworden und zum Gründer und Lehrmeister vieler Gemeinden. Und er hat uns mit seinen Briefen die ältesten Dokumente unseres christlichen Glaubens geschenkt. Wie war das möglich, dieser radikale Wandel? Das Bedürfnis nach starken Geschichten hat wohl dazu geführt, dass diese Lebenswende immer stärker ausgemalt und dramatisch geschildert wurde. Geschichten und Legenden machen etwas sichtbar, was eigentlich für die Augen unsichtbar ist. Das ist die Kraft und der Sinn von Geschichten und Legenden: nicht dass sie uns erzählen, wie es wirklich gewesen ist, sondern dass sie uns Anteil nehmen lassen an einem Geschehen, dass wir eigentlich weder miterleben noch nacherleben können.
Die Apostelgeschichte ist da noch sehr zurückhaltend. Es geschieht eigentlich wenig mehr als dass einer zu Boden stürzt und eine Stimme hört, die ihn ruft, die sein Tun beim Namen nennt und ihn fragt: Was tust du da? Dass er nicht mehr sehen kann, dürfen wir als Sinnbild dafür verstehen, dass er seine Lebensperspektive verloren hat, dass er mit ihr nichts mehr erkennen kann. Und eine neue Sicht des Lebens muss ihm erst noch zuteil werden. Symbolisch sind auch die drei Tage seiner Erblindung. Es ist die Zeitspanne, die Jona im Dunkel des Walfischbauches verbringt. Es ist aber vor allem die Zeit zwischen Jesu Tod und Auferstehung. Das Damaskuserlebnis ist eine Geschichte von Tod und Auferweckung, der Beginn eines neuen Lebens. Das Entscheidende beim Damaskuserlebnis des Paulus ist der Wandel der Lebensperspektive, die ihm durch die Begegnung mit dem Auferstandenen zuteil wird. Und das ist notwendig ein innerliches Geschehen, dass sich durch nichts beweisen oder zeigen lässt. Da ist etwas Altes vergangen. Etwas Neues beginnt. Etwas Grosses geschieht. Aber es geschieht hinter den geschlossenen Augen des Saulus/Paulus, heimlich, nicht vor den Augen der Welt, nicht sichtbar und beweisbar.
Entscheidend ist also nicht das wunderbare Geschehen und das äusserliche Drama, sondern die innerliche Wendung, die Veränderung der Lebensperspektive. Aber es bleibt eine radikale Wende. Das kann uns berühren. Es kann uns die Geschichte aber auch fremd werden lassen. Denn vermutlich geht es vielen von ihnen ähnlich wie mir. Von einer radikalen Lebenswende, von einer Bekehrung können wir nicht berichten. Wir sind viel eher in unseren Glauben hineingewachsen, sind als Säuglinge getauft worden, vielleicht in die Sonntagsschule und vermutlich in den kirchlichen Unterricht gegangen. Es waren Geschichten, die wir gehört haben, Menschen, die uns begleitet haben, Erfahrungen, die wir gemacht haben - undramtische und alltägliche, die unsere Glaubensgeschichte ausmachen. Ja, und es gehört auf jeden Fall auch ein rechtes Stück Gewohnheit dazu. Wir mögen in unserem Glauben Zweifel und Krisen erlebt haben, aber eine radikale Wende? Eher tragen wir vielleicht eine gesunde Skepsis gegenüber radikalen Bekehrungserfahrungen in uns, die ja nicht selten zu einem fragwürdigen Fanatismus führen können - und weniger zu einer Bekehrung von einem Fanatismus, wie das bei dem Verfolger Paulus war.
Wenn Sie sich in dieser Beschreibung wiedererkennen, dann möchte ich Sie zuerst einmal bestärken. Ist es nicht eine Gnade und ein Geschenk, wenn man seinen Glauben als Heimat und Ort der Geborgenheit erfahren darf und man dazu nicht einer radikalen Krise oder einer radikalen Entwertung der bisherigen Lebensperspektive bedarf? Nein, wir müssen kein Bekehrungserlebnis nachweisen, um wirklich in Gottes Händen zu sein oder echte Christinnen und Christen zu werden. Allerdings hat uns die Geschichte vom Damaskuserlebnis des Saulus/Paulus dennoch etwas zu sagen. Die Frage: Was tust du da? gilt auch uns. Was tue ich in meinen alltäglichen Gewohnheiten? Was nehme ich als selbstverständlich an? Wofür wende ich meine Kräfte auf? Und wo bin ich in Gefahr, mich zu verrennen? Achten wir auf die Warnsignale, die inneren und äusseren Stimmen? Nehmen wir uns die Zeit und die Ruhe, innezuhalten und nachzudenken? Manche Lebenskrisen entstehen ja nicht zuletzt dadurch, dass wir Warnsignale überhören und immer weiterrennen, weil wir meinen, es ginge gar nicht anders. Aber vielleicht will unser Gott uns schon längst einen neuen Weg zeigen.
Und wenn wir dann doch in eine radikale Lebenskrise geraten? Wenn unser Leben radikal durchkreuzt wird durch einen schweren Schicksalsschlag, durch eine bittere Enttäuschung, durch einen äusseren oder inneren Zusammenbruch? Unser Glaube bewahrt uns nicht einfach vor solchen Lebenskrisen, ja, er kann manchmal sogar daran zerbrechen. Aber vielleicht kann dann gerade aus dem, was da ins Wanken gerät und zerbricht, etwas Neues wachsen. Wir können daraus kein Gesetz und keine Methode machen. Die Redensart, dass jede Krise auch eine Chance ist, kann auf manchen auch zynisch wirken. Aber hoffen dürfen wir darauf und uns dafür öffnen, dass uns in den Krisen unseres Lebens eine Kraft zuteil wird, die wir nicht in uns selber tragen und vielleicht tatsächlich unter Schmerzen und Verlusten etwas Neues, Lebendiges und Kostbares das Licht der Welt erblicken darf. Wenn wir Gott nur noch unsere Fragen und unsere Ratlosigkeit bringen können, dann dürfen wir uns immer noch mit alledem ihm in die Arme werfen, uns ihm anvertrauen. Dietrich Bonhoeffer hat das einmal wunderbar formuliert: „Später erfuhr ich, dass man erst in der vollen Diesseitigkeit des Lebens glauben lernt. Wenn man völlig darauf verzichtet hat, etwas aus sich zu machen - sei es einen Heiligen oder einen bekehrten Sünder oder einen Kirchenmann … - und dies nenne ich Diesseitigkeit, nämlich in der Fülle der Aufgaben, Fragen, Erfolge und Misserfolge, Erfahrungen und Ratlosigkeiten leben, - dann wirft man sich Gott ganz in die Arme.“ Gott kann auch aus dem, was für uns keinen Sinn mehr ergibt, neues Leben entstehen lassen. Das aber ist kein Rezept und keine Lebensweisheit, sondern eine Hoffnung und ein Vertrauen, das immer wieder neu entstehen muss. Amen.

Samstag, 14. August 2010

Predigt vom 15. August 2010 zu 1. Mose 28,10-19

Liebe Mitchristen!
Jakob schläft. Jakob schläft nicht den Schlaf des Gerechten, der nach getaner Arbeit, nach vollbrachtem Tagewerk in sein Bett sinkt, um sich von den Mühen des Tages zu erholen. Denn er hat keine Schlafstätte mehr, kein zuhause, wo er sein Haupt niederlegen könnte. Er ist ein Mensch auf der Flucht, einer, dem sein Bruder nach dem Leben trachtet.
Jakob schläft, weil er völlig erschöpft ist und einfach nicht mehr kann. Beim Morgengrauen ist er in aller Eile aufgebrochen. Den ganzen Tag ist er buchstäblich um sein Leben gelaufen und mit jeder Stunde, mit jeder Minute entfernte er sich weiter von dem Ort, der ihm gerade noch Heimat war, von der Geborgenheit an der Seite der Mutter. Sein Vater Isaak ist tot, Esau, sein Bruder, sein erbittertster Feind, weil er ihn betrogen hat, betrogen um sein Erbe, betrogen um den väterlichen Segen. Ein Gehetzter, ein Flüchtling ist er nun, der noch dazu weiss, dass er mitschuldig ist an seinem unglücklichen Schicksal.
Jakob schläft unter freiem Himmel. Verstört durch den mörderischen Konflikt mit seinem Bruder hat er nicht einmal bemerkt, wie die Nacht hereingebrochen ist. Er hat völlig vergessen sich eine Bleibe zu suchen und muss sich nun im Schutze eines Steines draussen niederlegen. Und er denkt wohl an zuhause, an den Ort den er verlassen hat, die Heimat, die er verloren hat. Er denkt an seinen Vater, den er wohl mehr respektiert als geliebt hat. Denn stets hatte sein Vater ihm den älteren Bruder vorgezogen, den Jäger und Ackerbauern. Er denkt an seinen Vater und seinen Bruder, die er betrogen und hintergangen hat. Und er denkt an Rebekka seine Mutter, die ihn stets behütet und beschützt hat wie ihren Augapfel, der er in der Küche zur Hand gegangen war und bei der er so vieles gelernt hat. Seine Mutter Rebekka war es aber auch, die ihn stets darauf getrimmt hat, hoch hinauf zu kommen, immer der Erste und Beste zu sein. Und sie hat ihn auch zu dem Betrug angestiftet, der ihn nun zum Flüchtling gemacht hat und hat ihm geholfen, den Betrug auszuführen. Nun liegt er, der so hoch hinaus wollte, erschöpft und niedergeschlagen am Boden.
Jakob schläft und im Schlaf überfällt ihn ein Traum. Und es ist kein Alptraum, der ihm den Schlaf raubt. Nein, im Traum öffnet sich ihm der Himmel und dieser Niemandsort im Lande Nirgendwo wird ihm zum heiligen Boden, zum Ort der Gegenwart Gottes. Im Traum steht ihm der Himmel offen und eine Leiter verbindet diesen Niemandsort mit dem offenen Himmel. Kein Weg nach oben ist diese Leiter. Jakob muss ihre Stufen nicht mühsam erklimmen. Er, der immer hoch hinaus wollte, erfährt in diesem Traum, dass sein Ort unten am Boden ist. Die Leiter ist von oben her auf die Erde gerichtet und Engel steigen daran auf und nieder. Nicht er muss den Weg in den Himmel gehen, sondern bekommt gewissermassen Besuch von oben.
Und im Traum steht Gott vor ihm und redet mit ihm: "Ich bin der Herr, der Gott deines Vaters Abraham und Isaaks Gott. Siehe, ich bin mit dir und will dich behüten, wo du hinziehst, und will dich wieder herbringen in dies Land. Denn ich will dich nicht verlassen, bis ich alles tue, was ich dir zugesagt habe."
Später hat man sich in Israel diese Geschichte von Generation zu Generation weitererzählt. Land und Nachkommenschaft, so erzählte man sich, habe Gott, dem Jakob verheissen. Aber entscheidend ist nicht der Inhalt der Verheissung, sondern dass hier die Geschichte einer grossen Überraschung erzählt wird. Entscheidend ist, dass Jakob, der am Boden liegt, ein gehetzter Flüchtling, im Traum die Gewissheit erhält, dass Gott bei ihm ist und in auf seinem Weg in eine ungewisse Zukunft mit seinem Segen begleitet.
Jakob erwacht. Und im Erwachen lässt er den Traum nicht einfach hinter sich. Er nimmt die Botschaft dieses Traumes mit auf den Weg, die Botschaft, dass Gott auf seinem Weg mitgeht und ihn nicht allein lässt. Bevor er weitergeht, errichtet er einen Gedenkstein. Nicht er hat einen heiligen Ort aufgesucht, sondern der Ort, an dem er erschöpft zusammengebrochen ist, dieser ganz profane Niemandsort ist ihm zu einem heiligen Ort geworden, weil er hier die Nähe, die Gegenwart Gottes erfahren hat. Der Segen, den Jakob glaubte, sich erlisten zu müssen - hier überkommt er ihn. Er, der so hoch hinaus wollte, der sich seinen Turm bauen wollte, er erfährt, dass die Himmelsleiter den Turmbau überflüssig macht und Gottes Segen ihn da erreicht, wo er es nicht erwartet - umsonst und ohne sein Zutun. Er, der nur sich selbst sah und gar wollte, dass auch Gott ihn mehr im Blick hat als irgend jemand sonst, erlebt nun, wie sein Gott sein Angesicht auf ihn richtet und "via Himmelsleiter" mit ihm redet und ihm seinen Segen und Beistand zusagt.
Mit dieser Zusage, mit dem Segen seines Gottes geht Jakob seinen Weg weiter, seinen Weg in eine unsichere und ungewisse Zukunft. Viele Jahre später wird er zurückkehren als betrogener Betrüger, dem sein Onkel Laban zuerst die falsche Frau unterjubelte und ihn dann noch um seinen Besitz bringen wollte. Er kehrt zurück mit seinen Frauen und seinen Herden, voll Sorge wegen der bevorstehenden Begegnung mit dem Bruder, den er einst betrogen hatte. Doch die Begegnung wird zur Versöhnung und so kann Jakob in seine Heimat zurückkehren. Und auf dem Heimweg sucht er wieder den Ort auf, an dem ihm einst auf der Flucht vor seinem Bruder Esau Gott erschienen war, dieser Ort, an dem er Segen erfahren hatte und der ihm zeitlebens eine Quelle der Kraft und der Gewissheit wurde.
Wo gehen wir Jakobswege? Wo machen wir Jakobserfahrungen? Errichten auch wir Denkmäler unserer Glaubens- und Segenserfahrungen? Viele sind gehetzt und gestresst von dem Zwang etwas aus sich zu machen, etwas zu erreichen, sich ein Image aufzubauen oder zu erhalten. Wie hilfreich wären da Denkmäler für jeden Ort, an dem wir zur Ruhe kommen, uns selber sein können und geliebt werden, so wie wir sind. Zu wissen, dass es solche Orte gibt, mitten in unserem Alltag, ist ungeheuer hilfreich und wichtig. Sie nicht zu übersehen und nicht zu vergessen, kann den Druck von uns nehmen, selber einen Turm in den Himmel bauen zu wollen. Manche leiden unter Schuld, die sie belastet. Ein Denkmal für erfahrene Vergebung, die Zusage, dass Gott Schuld vergibt, heilt und entlastet. Ein Denkmal für jede hilfreiche und zärtliche Hand, die sich Bedrückten und Verfolgten liebevoll entgegenstreckt. All diese Denkmäler in unserem Leben sind Quellen der Kraft und der Nähe Gottes, die uns helfen können auf den ungewissen Wegen, die wir gehen.
Der Traum von der Himmelsleiter führt uns die überraschende und heilsame Gegenwart Gottes vor Augen. Jeder Ort, auch der profanste und alltäglichste, kann uns zu einem Ort werden, an dem der Himmel über uns offen steht. Die Himmelsleiter ist ein Bild göttlichen Segens und ein Gegenbild zu den heillosen Türmen, die wir allzuoft in den Himmel bauen wollen.
Jakob schläft. Jakob träumt. Jakob erwacht. Jakob geht seinen Weg - mit Gottes Segen. Amen.