Predigt zu 2. Kor 4,6-10
Liebe Mitchristen,
vor 11 Tagen hat ein schweres Erdbeben in Haiti unglaubliches Leid verursacht. Unbegreiflich ist die enorme Zahl von Todesopfern, jedes einzelne ein Mensch mit seiner Geschichte, mit Menschen, die um ihn/sie trauern. Unzählige haben alles verloren - Angehörige und Freunde, ihr Obdach, Hab und Gut.
Sollen wir nun Gott fragen, wie er so etwas zulassen kann? Aber was wäre das für ein Gottesbild? Gott ist ja nicht der, der da oben im Himmel thront und nach Belieben die Fäden zieht. Ein Gott, der nach Belieben ein solches Erdbeben zulassen oder verhindern könnte, wäre ein Willkürherrscher und noch dazu zynisch, würde er es zulassen. Und hoffentlich haben wir uns auch abgewöhnt, in solchen Naturkatastrophen Strafen Gottes zu sehen. Denn das wäre nicht Glaube, sondern Zynismus und Blasphemie.
Was bleibt nun stattdessen? Ein ohnmächtiger Gott statt dem allmächtigen Gott. Aber wie könnten wir dann vertrauensvoll unser Leben in Gottes Hand legen? Bei solchen Katastrophen können wir nach menschlichen Ursachen und menschlicher Verantwortung fragen. Aber wir werden damit nicht alles erklären können. Darüber hinaus bleibt uns nichts anderes als die Erkenntnis Hiobs. Wir stossen an Grenzen unseres Begreifens, die wir aushalten müssen. Es bleibt uns nur die Erkenntnis, dass es ist, wie es ist - und dass uns nur die Haltung des Mitgefühls und die praktische Solidarität, die materielle Hilfe bleibt. Bei der Sammlung der Glückskette vom vergangenen Donnerstag konnten wir von vielen berührenden Beispielen solch praktischer Solidarität und Hilfe hören. Und es bleibt uns das Vertrauen, dass auch diese Not und dieser Schrecken noch in Gottes Hand sind. Denn Gott ist weder allmächtig noch ohnmächtig. Gott ist mitfühlend. Er bleibt an der Seite seiner Menschen in ihren Glücksmomenten, aber auch in den tiefsten und dunkelsten Tälern.
Etwa in derselben Zeit habe ich von einer Studie gelesen, die im Kanton Zürich mit 14-15-jährigen Schülerinnen und Schülern gemacht wurde. Die Ergebnisse haben mich erschreckt. Nach dieser Studie geben 25% der Mädchen an, sie hätten schon einmal an Selbstmord gedacht. Und 8% geben sogar an, sie hätten schon einmal einen Selbstmordversuch gemacht. Bei den gleichaltrigen Jungen sehen diese Zahlen längst nicht so erschreckend aus. Aber es bleibt die beunruhigende Einsicht, wie viele Menschen - und gerade Jugendliche - Mühe haben, mit ihrem Leben zurecht zu kommen.
Was haben das Erdbeben in Haiti und diese Zürcher Studie miteinander zu tun und was haben sie mit unserem Predigttext aus dem 2. Kor zu tun? Normalerweise leben wir ja so als hätten wir unserLeben einigermassen im Griff, gehen unseren alltäglichen Beschäftigungen nach, schmieden Pläne oder kümmern uns um das, was gerade anliegt. Und plötzlich werden wir daran erinnert, wie leicht die alltäglichen Selbstverständlichkeiten sich in Nichts auflösen können. Die Meldungen aus Haiti lassen uns nicht unberührt, weil wir Mitgefühl empfinden mit dem Leid der Menschen. Sie berühren uns aber auch, weil wir spüren, dass das, worauf wir gewöhnlich unser Vertrauen setzen, dass all die materiellen Sicherheiten plötzlich weg sein können. Wir spüren intuitiv, dass wir im Leben noch einen Halt und eine Gewissheit brauchen, die tiefer reicht, ja, die auch dann noch trägt, wenn nichts mehr Bestand hat. Und genau diese tieferen Wurzeln sind es auch, die Menschen bräuchten, die in eine individuelle Sinn- und Lebenskrise geraten, denen subjektiv ihr eigenes Leben sinnlos und wertlos vorkommt.
Unser Predigttext beginnt mit dem Licht, das Gott in unseren Herzen hat aufstrahlen lassen. Es ist ein Licht, das uns die Herrlichkeit Gottes auf dem Angesicht Jesu Christi erkennen lehrt. Für Paulus heisst das immer auch auf dem Angesicht des Gekreuzigten. Und gerade den Korinthern macht er das Mal um Mal bewusst, weil einige von ihnen sich in ihrer Glaubenseuphorie und Glaubensgewissheit sich schon fast im Himmel und nicht mehr ganz von dieser Welt wähnten. Paulus erinnert uns daran, dass wir den Schatz des Glaubens in irdenen Gefässen haben. Dieses Bild von den irdenen Gefässen ist mir ganz wichtig. Es zeigt mir, dass auch unsere Glaubensgewissheit uns immer nur als menschliche, zerbrechliche Gewissheit zuteil wird. Wer glaubt ist nicht frei von Zweifel und wer zweifelt, der hat deshalb noch lange nicht den Glauben verloren. Unser Glaube ist nicht eine Kraft, über die wir verfügen könnten. Diese Erfahrung und diese Einsicht lässt mich skeptisch werden, wenn Menschen allzu euphorisch und selbstsicher vom Glauben reden. Das kann in anderen Menschen einen Druck erzeugen, sie müssten mehr und fester glauben und ihre Fragen und Zweifel seien Zeichen des Unglaubens. So wie Paulus die Situation der Glaubenden dann beschreibt, bewirkt der Glaube keine stoische Ruhe, keinen Gleichmut, der uns allem entheben würde. Wer glaubt, steht nicht über den Dingen, sondern mittendrin, wird berührt und lässt sich berühren.
Paulus kennt sie am eigenen Leib, die Erfahrungen der Krankheit, oder wie das ist, wenn andere über einem herfallen, wennn man verfolgt oder zum Gespött gemacht wird. Er weiss, wie sich das anfühlt, wenn man mit seinen Kräften am Ende ist. Und er spielt überhaupt nicht den Selbstgewissen, dem all das nichts anhaben kann. „In allem sind wir bedrängt, aber nicht in die Enge getrieben, ratlos, aber nicht verzweifelt, verfolgt, aber nicht verlassen, zu Boden geworfen, aber nicht am Boden zerstört. Durch seinen Glauben lebt er nicht in einer anderen Welt. Es sind fast nur Nuancen, die den Unterschied ausmachen, aber diese Nuancen sind entscheidend: bedrängt ja, aber ich lasse mich nicht in die Enge treiben; wohl manches Mal ratlos, aber dennoch nicht verzweifelt; Verfolgungen ausgesetzt, aber er ist darin nicht allein; er mag am Boden sein, aber er vertraut darauf, dass Gott ihn wieder aufrichten wird. Den Unterschied macht für ihn sein Glaube, dass das Licht in unseren Herzen nicht erlöschen kann, sein Glaube, dass Gottes ja zu uns unumstöslich und unwiderruflich ist. Wir können fallen, aber nicht aus Gottes Hand.
Auch wenn das helle Licht in unseren Herzen manchmal nur noch als ein glimmender Docht da ist, es bleibt. Wir dürfen darauf achten, es suchen, auf seinen Schein vertrauen, gerade dann, wenn die Lichter um uns erlöschen. Wir haben den Schatz des Glaubens in irdenen Gefässen. Für mich heisst das auch, dass wir zu den irdenen Gefässen, in denen das Vertrauen auf Gott und das Vertrauen in das Leben gedeihen kann, pflegen und Sorge dazu tragen. Solche Gefässe sind vor allem die Freundschaft und die menschliche Anteilnahme, aber auch die praktische und materielle Hilfe in Notsituationen. Ein solches Gefäss ist die Zeit, die wir einander schenken, das Zuhören und Mitfühlen. Ein solches Gefäss ist das Verständnis un ddie Geduld mit Menschen , die sich schwach zeigen, die nicht mehr weiter wissen. Dem anderen Zeit lassen, ihn so annehmen wie er ist, den anderen nicht mit guten Ratschlägen einzudecken, sondern sich mit ihm behutsam auf die Suche nach den Wegen machen, die er gehen kann. all das sind solche irdenen Gefässe, in denen wir den Schatz des Glaubens weitertragen können. Denn unser Glaube ist nicht einfach die Antwort auf alle unsere Fragen, aber der Glaube erinnert uns an die Liebe, die uns in all unseren Fragen un dauch in Zeiten der Ratlosigkeit hindurchtragen kann. Diesen Schatz dürfen wir uns bewahren, wenn auch in irdenen Gefässen. Amen.
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