Samstag, 30. Januar 2010

Predigt vom 31. Januar 2010

Predigt zu 1. Kor 9,24-27

Liebe Gemeinde,

Übung macht den Meister - mit dieser alten Lebensweisheit versuchen Trainerinnen und Trainer im Sport ihre Schützlinge zu motivieren, Lehrerinnen und Lehrer ihre Schülerinnen und Schüler, Eltern ihre Kinder. Wer einmal ein Instrument erlernt hat, kennt diesen Satz vielleicht besonders gut. Denn gerade da braucht es so manche - oft mühsame und eintönige Übung, bis jemand sein Instrument beherrscht.

Übung macht den Meister - mit diesem Satz könnte man durchaus auch den heutigen Predigttext, die Worte des Apostels Paulus an die Gemeinde in Korinth überschreiben. Er verweist dazu auf die Welt des Sports. Er hat wohl die isthmischen Spiele von Korinth vor Augen. Am Ehrgeiz und Trainingsfleiss der Sportler - damals durften nur Männer an solchen Wettkämpfen teilnehmen - sollen sich die Christinnen und Christen ein Beispiel nehmen. Wenn die schon für ein bisschen Lorbeer und vergänglichen irdischen Ruhm Strapazen und Entbehrungen auf sich nehmen, dann müssten die Christen ja umso grösseren Einsatz an den Tag legen, wenn es um ihren Glauben geht, von dem es ja im Heidelberger Katechismus so schön und treffend heisst, dass er unser alleiniger Trost im Leben und im Sterben sei.

Die Argumentation des Paulus ist durchaus einleuchtend - und dennoch mag dieser Predigttext manchem Schwierigkeiten bereiten. Schon das Bild des sportlichen Wettkampfs für den Glauben irritiert. Sollte es plötzlich im Glauben auch darum gehen, der Erste und der Beste zu sein, andere zu besiegen? Ist nicht unser Glaube Gnade, ein Geschenk und gerade der Grund, warum hier keiner einen Vorrang vor dem anderen beanspruchen darf? Hat Paulus nicht wenige Zeilen zuvor noch geschrieben, dass er den Schwachen ein Schwacher geworden sei? Und hat uns die Schriftlesung aus dem Jeremiabuch Jer 9,22-23) nicht nachdrücklich vor dem Rühmen gewarnt?

Nein, hier geht es gewiss nicht ums Gewinnen und Verlieren wie in anderen Bereichen. Wenn schon der sportliche Wettkampf zum Vergleich mit unserem Glauben herhalten soll, käme ich eher auf den Teamgeist im Mannschaftssport. Warum also nimmt Paulus den Einzelwettkämpfer, der unbedingt gewinnen will als Beispiel? Es geht ihm um den Einsatz, das Ziel, die Ernsthaftigkeit und den Verzicht, die für ihn auch zum Glauben dazugehören. Es mag für uns eine überraschende Perspektive sein, aber für Paulus gilt auch in bezug auf den Glauben: Übung macht den Meister. Und er fordert die Korinther zur Ausdauer und zum Trainingsfleiss auf.

Und da taucht natürlich sofort das zweite Problem auf: wie kann man Glauben üben? Frühere Generationen hätten vielleicht auf ihren kirchlichen Unterricht verwiesen. Sie haben Lieder und Bibelverse auswendig gelernt, wurden im Katechismus unterrichtet und bekamen die biblischen Geschichten erzählt. So eigneten sie sich im Laufe der Zeit einen Glaubensschatz an, Worte und Texte, Glaubenswahrheiten, die manchem in schwierigen Zeiten Halt gegeben haben. Mein Konfirmationsunterricht sieht heute ganz anders aus und ich halte es auch nicht für möglich, die Unterweisung heute noch so zu gestalten wie früher. Trotzdem denke ich, dass es auch ein Glaubensverlust ist, wenn wir kaum mehr Worte und Geschichten haben, die wir kennen und in denen wir uns bergen können. Wer einmal erlebt hat, wie Menschen, die eine grosse Last zu tragen haben, sich erinnern an biblische Geschichten, oder an einzelne Verse oder Liedtexte und darin Trost finden, der bleibt nicht unberührt. Und ebenso beeindruckt es mich immer wieder, wenn ich erlebe, wie stark demente Menschen spürbar reagieren, wenn sie die Worte des 23. Psalms hören. Wenn wir diese Sprache und diese Geschichten verlieren, dann verarmen wir geistig und geistlich.

Die Frage, wie wir heute in unserer Zeit den Glauben üben können und ob das überhaupt geht, ist damit aber noch nicht beantwortet. Glauben lernen heisst ja nicht nur Traditionen übernehmen und lernen, sondern sich eine eigene Meinung bilden, einen eigenen Standpunkt einnehmen. Nur bleibt die Voraussetzung dafür, dass wir den christlichen Glauben überhaupt kennen. Einen eigenen Standpunkt einnehmen kann nur, wer sich die Mühe macht, sich mit den biblischen Geschichten vertraut zu machen, die christlichen Glaubenstraditionen kennenzulernen, das Leben einer christlichen Gemeinde mitzuerleben. Dabei geht es nicht ohne Ausdauer und langen Atem. Ein Hauptproblem unserer Zeit ist dabei, dass alles schnell gehen und unmittelbar einleuchtend und nützlich sein soll. Es gibt vermutlich für jeden von uns solche Lieder, Texte, Geschichten, die uns unmittelbar einleuchten und berühren. Aber erstens braucht es Zeit und Achtsamkeit, um sie zu finden und zweitens wachsen wir auch im Glauben gerade an den Dingen, die uns herausfordern, die wir nicht auf den ersten Blick unmittelbar einleuchtend und nützlich finden, die uns nicht nur bestätigen, was wir immer schon gewusst haben. Wenn die biblische Botschaft uns eine neue Perspektive auf das Leben geben kann - und weil ich davon überzeugt bin, stehe ich auf der Kanzel -, dann müssen wir diese Perspektive auch einüben. Wie wäre das, wenn das verlorene Schaf wirklich mindestens genauso wichtig ist wie die 99 anderen? Was würde sich verändern, wenn nicht mehr Leistung und Ansehen zählt, sondern jeder gleich wichtig ist? Was wäre anders, wenn ich auch die finstersten Täler nicht mehr zu fürchten bräuchte, weil der gute Hirte mich führt? Was würde sich verändern, wenn wir nicht alles von diesem Leben erwarten müssten? Wo kämen wir hin, wenn wir tatsächlich die Nächsten und sogar die Feinde liebten und vergeben statt vergelten würden? Wie verändert sich die Lebensperspektive, wenn uns tatsächlich nichts und niemand aus Gottes Hand reissen kann? Ja, ich glaube, dass all diese Glaubenssätze erst dann ihre befreiende Kraft entfalten, wenn wir uns beständig darin einüben, unser Leben in ihrem Licht zu sehen. Es sind keine alltäglichen und selbstverständlichen Perspektiven. Sie brauchen tatsächlich Übung.

Zu diesen hilfreichen Übungen im Glauben gehört sicher auch das Singen - ob allein, im Gottesdienst oder in einem Chor. Das Beten gehört dazu, ob allein für sich oder in Gemeinschaft, ob frei formuliert oder mit überlieferten Worten. Überhaupt ist eine der wichtigsten spirituellen Übungen, sich Zeit zu nehmen und zur Ruhe zu kommen. Wir können dafür die unterschiedlichsten Formen wählen - was für den einen das Beten ist, das ist für den anderen das bewusste Atmen oder die Meditation oder die Verbindung von beidem. Manchen ist ein besinnlicher Kalender oder ein Buch mit Worten für jeden Tag oder das Losungsbuch eine Hilfe, oder auch ein regelmässiger Bibelleseplan. Es kann auch einfach ein Spaziergang oder eine bewusste Pause sein, wo jemand sich Zeit nimmt. Wichtig ist, dass wir die Formen finden, mit denen wir zur Ruhe kommen können und innere Ruhe finden. Dann können wir auch darauf vertrauen, dass uns aus dieser Ruhe die Kraft und die Erkenntnis zuwächst, die wir brauchen.

Hilfreich sind für uns auch Rituale, weil Rituale Halt geben. Für Kinder ist es vielleicht die Gutenachtgeschichte, das Lied oder Gebet am Bett oder auch nur der Gutenachtkuss der Mutter. Für manche kann es das regelmässige Tischgebet sein oder auch nur, dass man zumindest mit dem Essen gemeinsam anfängt. Es sind die kirchlichen Feste im Jahreslauf, die uns etwas von dem Sinn und der Ordnung des Lebens vermitteln können, wenn wir sie bewusst feiern und gestalten. Nicht nur die im engeren Sinn kirchlichen Rituale sind Glaubensübungen, sondern alle Rituale und Formen, die uns in dem Vertrauen stärken, dass das Leben gut ist.

Zum Üben des Glaubens gehört für mich auch die Erfahrung von Gemeinschaft. Ich kann sehr wohl für mich alleine Beten oder Singen, die Bibel lesen und nachdenken. Aber mein Glaube verkümmert ohne die Erfahrungen und Gedanken der anderen. wir brauchen den Austausch um miteinander und aneinander zu wachsen, voneinander zu lernen und einander auch Korrektiv zu sein. Fanatismus gedeiht, wo einzelne sich in ihre Ideen verrennen oder einander in abgeschotteten Gemeinschaften gegenseitig bestätigen. Der christliche Glaube aber lebt von der Gemeinschaft der Verschiedenen, die sich durch ihre Verschiedenheit helfen, dass rechte Mass zu finden.

Kann man den Glauben üben? Nein, unser Glaube bleibt ein unverfügbares Geschenk Gottes. Auch mit den besten und gewissenhaftesten Übungen können wir den Glauben nicht selber bewerkstelligen, aber zugleich gilt: wir können nicht glauben, ohne uns im Glauben zu üben. Jeder und jede von uns hat die Freiheit, die Formen zu entdecken, die ihm oder ihr entsprechen. Die Übung gehört dazu - auch wenn es nicht darum geht zum Meister zu werden und anderen überlegen zu sein. Und gute Gewohnheiten erleichtern jede Übung.

Dann können wir es getrost Gott überlassen, welche Wege er uns führt, welche Aufgaben er uns zuweist und welche Erkenntnisse er uns schenkt. Amen.

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