Liebe Gemeinde,
der heutige Predigttext erzählt den zweiten Abschied der Jüngerinnen und Jünger von Jesus. Am Karfreitag war es - so dachten sie - ein endgültiger Abschied, der nur Trostlosigkeit und Verzweiflung zurückliess. Wie anders ist das nun bei diesem zweiten Abschied. 40 Tage sind seit dem Ostermorgen vergangen - seit dem Morgen der Auferstehung Jesu Christi. Im NT sind diese 40 Tage eine Zeit der besonderen Gegenwart Jesu. In dieser Zeit wurden die Jüngerinnen und Jünger Jesu in der Gewissheit bestärkt, dass Jesus, der Gekreuzigte nicht im Tode geblieben ist. Er ist ihnen erschienen - heisst es in der Bibel - und zugleich sind diese Erscheinungen allesamt schwebend erzählt. Immer, wenn die Jüngerinnen und Jünger ihn fassen wollen, entzieht er sich. Sie - und mit ihnen wir - sollen begreifen, dass es um mehr und anderes geht als um ein Weiterleben nach dem Tod, um ein Leben, dass den Tod überwunden hat. Er lebt, aber nicht so, wie wir in dieser Welt leben.
Nach 40 Tagen geht diese Zeit zu Ende. 40 ist eine besondere Zahl. 40 Tage dauert die Fastenzeit vor Ostern, vierzig Tage und Nächte fastet Jesus in der Versuchungsgeschichte in der Wüste, 40 Jahre dauert die Wüstenzeit des Volkes Israel beim Auszug aus Ägypten. Es ist eine Zeit der Reifung und der Stärkung, die Zeit, die es braucht, damit die neue Hoffnung, das neue Vertrauen bei den Jüngerinnen und Jüngern Wurzel schlagen kann. So ermutigt und bestärkt in dem Vertrauen, dass Jesus nicht einfach tot ist, nicht alles zuende ist, können sie nun Abschied nehmen. Dieser Abschied ist geprägt von Zuversicht, ist auch eine Art Mündigerklärung der Jüngerinnen und Jünger.
Am Ende der Geschichte gibt es eine beeindruckende Szene: wie gebannt blicken die Jüngerinnen und Jünger in den Himmel hinauf, der Wolke hinterher, die den Auferstandenen ihren Blicken entzogen hat. Da tauchen zwei Männer in weissen Kleidern auf - wer würde hier nicht an die Geschichte vom leeren Grab denken! Und so wie sie am Ende des Lukasevangeliums fragen „Was sucht ihr den Lebenden bei den Toten?“ so fragen sie nun „Was steht ihr da und schaut hinauf zum Himmel?“ Und sie verbinden damit die Verheissung, dass der Auferstandene wiederkommen wird. Für mich schwingt aber in dieser Frage noch viel mehr mit. Sie verweist die Jüngerinnen und Jünger auf die Erde. Das ist der Ort, wo sie ihr Leben gestalten sollen, wo sie Verantwortung tragen und die Liebe, die sie erfahren haben, weitertragen sollen. Wer den christlichen Glauben mit einer frommen Weltflucht verwechselt, der hat diese Frage überhört. Sie verbietet uns aber auch die Suche nach endgültigen unumstösslichen Wahrheiten, die Erstarrung unseres Glaubens in Lehrsätzen. In irdischen Gefässen tragen wir die Glaubensgewissheit und wer sie ein für alle Mal im Buchstaben festschreiben will - sei es in Bibelversen oder in Dogmen - verliert das Leben aus den Augen. Und die Frage der beiden Männer macht uns auch bewusst, dass wir nicht auf ein wunderbares Eingreifen Gottes von oben herab warten, sondern unser Leben in die Hand nehmen und auf die Zeichen Gottes hier auf der Erde achten sollen, in dem was uns begegnet, in den alltäglichen Erfahrungen, in den Menschen, die uns auf unserem Weg begegnen. Habe Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen - dieser Leitsatz der Aufklärung verträgt sich ganz gut mit der biblischen Botschaft, mit dieser Mündigerklärung der Jüngerinnen und Jünger. Aber er ist unbedingt zu ergänzen mit der Aufforderung, dass wir uns nicht nur unseres Verstandes bedienen, sondern auch auf die Stimme unseres Herzens achten und uns berühren lassen von dem, was höher ist als unsere Vernunft.
Indem der Auferstandene die Jüngerinnen und Jünger verlässt, gibt er ihnen auch Freiheit und eröffnet ihnen und uns einen Raum, den wir wahrnehmen und in dem wir Verantwortung tragen können, Verantwortung für unser Leben, Verantwortung für die Menschen, die Gott uns anvertraut hat und für seine ganze Schöpfung, Verantwortung auch für die Botschaft vom Reich Gottes, die Jesus verkündet hat. Der Auferstandene geht. Aber er lässt sie nicht allein zurück. „Ihr werdet aber Kraft empfangen, wenn der heilige Geist über euch kommt, und ihr werdet meine Zeugen sein, in Jerusalem, in ganz Judäa, in Samaria und bis an die Enden der Erde.“ Sie bekommen nicht die Antwort auf alle Fragen, auch nicht einen Glauben, der durch nichts mehr ins Wanken geraten kann und erst Recht werden sie nicht frei von allem Leid. Aber Kraft - die ist ihnen verheissen. Und Kraft von Gott dürfen auch wir uns in unserem Leben erhoffen. Wir leben nicht allein von unserer eigenen bescheidenen Kraft und wir sind nicht allein, wenn wir an die Grenzen unserer Kräfte kommen. Indem wir unseren Weg gehen und reden von dem, was uns mit Hoffnung und Glauben erfüllt, aber auch von unseren Zweifeln und Sorgen, werden wir Zeuginnen und Zeugen sein. Zeuginnen und Zeugen sollen nämlich etwas bezeugen und nicht andere überzeugen oder gar überreden. Der erste und einzige Anspruch an Zeugen ist der, dass sie wahrhaftig sind. Und das gilt umso mehr in Glaubensdingen, wo wir ja nicht einfach mehr oder weniger objektive Sachverhalte schildern können. Und die Vielfalt der Zeuginnen und Zeugen eröffnet jedem den Raum, den eigenen Glauben zu finden, wahrzunehmen, was ihn oder sie mit Hoffnung und Kraft erfüllt.
Wir müssen nicht wissen, was damals vor den Toren Jerusalems wirklich geschehen ist, sollen nicht wie gebannt zum Himmel starren. Hätte es damals schon Fotos oder Filme gegeben - es wäre wohl nichts darauf zu erkennen gewesen. Spannend ist es ja, dass viele Bilder der Himmelfahrt, den Auferstandenen auf einer Wolke emporschwebend darstellen. In der Apostelgeschichte heisst es aber, dass eine Wolke ihn aufnahm und ihren Blicken entzog. Das Entscheidende lässt sich nicht zeigen, fassen, beweisen. War es ein Traum oder ein reales Geschehen? Ich vermute, dass es darauf gar nicht ankommt und dass vielleicht schon diese Unterscheidung nicht angemessen ist. Für die Jüngerinnen und Jünger Jesu war es jedenfalls eine reale Kraft, die sie in Bewegung setzte und mit Hoffnung und Vertrauen erfüllte. Nur dadurch konnte die Botschaft Jesu bis heute ihren Weg finden bis an die Enden der Erde.
Und wo stehen wir heute im Echo dieser Botschaft vom Leben? Wofür stehen wir als Zeuginnen und Zeugen ein - nicht nur in Worten sondern auch in Taten? Wer oder was gibt uns Kraft, wenn unsere Kräfte nicht mehr reichen? Von wem lassen wir uns den Weg weisen? Welche Worte können wir sagen, welche Lieder können wir singen? Welchen Menschen können wir vertrauen? Wo erwarten und erhoffen wir uns Gottes Hilfe? Wo starren wir wie gebannt zum Himmel und verlieren das Leben aus den Augen? Oder starren wir eher auf die Erde und verlieren den Blick für die Kraft, die uns von Gott her zuteil wird?
Unseren Weg können wir nur selber gehen - hier auf dieser Erde unter den Menschen, die uns begegnen. Gott gibt uns die Kraft dazu, jeden Morgen neu. Von diesem Vertrauen leben wir. Das genügt. Amen.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen