Freitag, 8. April 2011

Predigt zu 1. Mose 22,1-13 (Isaaks Opferung) am 10. April 2011

Liebe Gemeinde,
„Man muss Gott mehr gehorchen als den Menschen.“ Diesem Satz aus der Apostelgeschichte wird unter uns wohl kaum jemand widersprechen. Wer Gott vertraut, der versucht, seinem Willen entsprechend zu leben. Und das kann auch in den Widerspruch zu menschlichen Erwartungen, vielleicht sogar zu Gesetzen führen. Dieser Satz und damit verbunden die ganze jüdisch-christliche Glaubenstradition hat beispielsweise einen Dietrich Bonhoeffer in den Widerstand gegen die nationalsozialistische Gewaltherrschaft, gegen Hitler geführt. In Zeiten der Glaubensverfolgung hat er Menschen befähigt ihr Freiheit und ihr Leben aufs Spiel zu setzen, um ihren Glauben ausüben, Gott gehorsam sein zu können. Diese Glaubenseinsicht hat Menschen dazu geführt, Flüchtlinge zu verstecken. Sie hat in der ehemaligen DDR und anderen Ländern Osteuropas einiges beigetragen zum Ende des kommunistischen Systems. Es ist ein wichtiger, ein befreiender Satz, der Zivilcourage vermittelt.
Und doch: wenn ich den heutigen Predigttext höre, die Geschichte von der Opferung Isaaks, dann geht mir dieser Satz nicht mehr so einfach über die Lippen. Und ich hoffe sehr, dass auch sie immer noch zumindest ein wenig über diese Geschichte erschrecken. Was ist das für ein Gott, der von Abraham fordert, seinen einzigen Sohn eigenhändig zu töten, um ihn so Gott zu opfern? Und auch wenn wir sagen können, dass Gott ja nur den Gehorsam des Abraham auf die Probe stellen wollte – die Frage bleibt: Was ist das für ein Gott, der mit Abraham und Isaak ein solch grausames Spiel treibt? Und darf man Abraham loben dafür, dass er sich auf dieses grausame Spiel einlässt, dass er scheinbar ohne Widerspruch bereit ist, bis zum Äussersten zu gehen? Ist er damit für uns ein Vorbild des Glaubens? Gegen Ende des Predigttextes heisst es: „Lege deine Hand nicht an den Knaben und tu ihm nichts; denn nun weiss ich, dass du Gott fürchtest und hast deines einzigen Sohnes nicht verschont um meinetwillen.“ Der Verfasser unseres Predigttextes scheint den blinden Gehorsam des Abraham lobenswert zu finden. Aber bei mir bleiben die Zweifel. Ich muss bei diesem Text immer wieder an einen Film denken, den ich in meiner Jugendzeit gesehen habe. Er hiess „Das Abraham - ein Versuch“ und hatte das Milgram-Experiment zur Grundlage, das in den 60er Jahren des letzten Jahrhunderts durchgeführt wurde. In diesem Film wurde den Versuchspersonen gesagt, es sei ihre Aufgabe, einer Person in einem anderen Raum für begangene Fehler Stromstösse zu verabreichen. Sie wurden auch darauf aufmerksam gemacht, ab welcher Stärke diese Stromstösse tödlich sein können. Erschreckend viele gingen – sogar ohne grosse Ermunterung – bis zu sehr hohen Dosen, nicht wenige verabreichten tödliche Dosen. Natürlich wurden diese Stromstösse nicht wirklich verabreicht. Aber – so fragte ich mich: Wenn schon die Autorität eines wissenschaftlichen Experiments Menschen zu solcher Grausamkeit befähigt, wie sieht es dann erst aus, wenn sie glauben für Volk und Vaterland oder gar für ihren Gott, ihre Religion Menschen zu opfern? Wozu kann Gehorsam führen? Und ist Gehorsam wirklich eine Tugend oder doch eher eine der fürchterlichsten Untugenden? Als Deutscher dachte ich dabei natürlich an die Grausamkeiten deutscher Soldaten in zwei Weltkriegen, an das Morden im Namen von Volk, Rasse und Vaterland, in einer Armee, die strikt nach dem Muster von Befehl und Gehorsam aufgebaut war. Aber ich denke heute auch an Eltern in Palästina, die stolz sind auf ihre Söhne und Töchter, die sich im Namen Allahs als Selbstmordattentäter in die Luft sprengen und viele Menschen mit in den Tod reissen. Und leider bietet auch die Geschichte des Christentums zahlreiche Beispiele solch äusserst fragwürdigen, unmenschlichen Gehorsams in den Kreuzzügen oder Hexenverfolgungen.
Ich denke aber auch an Formen vermeintlich christlicher Erziehung, die vor noch nicht allzu langer Zeit gang und gäbe waren. Ich denke an Kinder, für die Gebet und Schläge zusammengehörten wie der Deckel auf den Topf. Ich denke an Kinder, die unter diesen Schlägen gelitten haben oder unter seelischen Qualen, weil sie nie so sein durften wie sie waren, weil sie den Ansprüchen nie genügen konnten, weil ihnen immer ihre Fehler vorgehalten wurden.
Aber es sind nicht nur Beispiele von früher oder aus der islamischen Welt, an die ich denke. Ich denke an Soldaten, die vorsichtig gesagt, in ein Umfeld hineingeworfen werden, das Vorkommnisse wie die Folterungen im Gefängnis von Abu Ghraib möglich macht oder an kaum erwachsene Soldaten, die in Situationen kommen, wo es scheinbar besser ist, erst einmal zu schiessen und erst dann zu überprüfen, ob es sich tatsächlich um einen Feind handelt. Und gehören in diesen Zusammenhang nicht auch die Opfer, die wir den Göttern Leistung und Konkurrenz bringen, Kinder und Erwachsene, die dem Leistungsdruck nicht gewachsen sind, die Beruhigungs- oder Aufputschmittel brauchen, um dem Druck standzuhalten?
Nein, Gehorsam ist keine Tugend und blinden Gehorsam fordern nur die falschen Götzen. Davon bin ich überzeugt und wollte der Verfasser der Abrahamsgeschichte blinden Gehorsam als Glaubenstugend darstellen, so würde ich ihm entschlossen widersprechen. Glaube ohne Einsicht, ohne die Stimme des Herzens und des Gewissens droht immer unmenschlich zu werden.
Was aber bleibt uns von dieser Geschichte ausser dem Widerspruch gegen die Forderung blinden Gehorsams. Zuerst einmal bleibt mir der Schrecken und das Mitgefühl. Drei lange Tage sind die beiden unterwegs. Zuhause bleibt die Mutter, Sarah. Sie weiss wohl kaum, was Abraham wirklich vorhat, womit er in seinem Herzen und seinen Gedanken ringt. Hätte sie es gewusst, was hätte sie getan? Hätte sie versucht ihn von diesem Weg abzubringen oder sich selbst als Opfer angeboten? Oder wäre sie zumindest mitgegangen? Sie hätte wohl kaum ihren Sohn einfach so ziehen lassen und sie hätte wohl jede Minute genutzt, das grausame Schicksal abzuwenden. Drei lange Tage – und meistens Schweigen. Wenn wir versuchen uns das vorzustellen, dann ist es wirklich kaum auszuhalten. Diese Sprachlosigkeit, weil Ohnmacht und Hilflosigkeit so gross sind, dass man keine Worte mehr findet. Weil Menschen nicht mehr wissen, woran sie miteinander sind, ob sie einander noch vertrauen können. Wenn die Fragen keine Antwort mehr finden. Das sind Situationen, die uns vielleicht nicht mehr so ganz unvertraut sind. Nein, Abraham war kein dumpfer Tyrann und Isaak kein Dummkopf. Abraham muss furchtbar gelitten haben und Isaak hat das Schweigen zu deuten gewusst als Vorzeichen einer furchtbaren Bedrohung. Das ist für mich das erste: das Mitleiden an diesem bedrohlichen Schweigen und die Ohnmacht, die richtigen Worte zu finden und die Sprachlosigkeit zu überwinden. Aber zugleich ist noch etwas anders da. Trotz aller Ohnmacht und Sprachlosigkeit. Abraham ist bei seinem Sohn Isaak. Er geht mit ihm Schritt für Schritt und ich bin mir sicher, bis ganz am Ende hofft und betet er, dass es noch einen anderen Weg geben möge, dass das Leben seines Sohnes verschont bleibt. Wir mögen ihm seine Sprachlosigkeit und Hilflosigkeit vorwerfen – zurecht – aber er ist da. Er lässt Isaak nicht allein. Und am Ende hat er Augen und Ohren für den Ausweg, den Gott ihm zeigt. Das ist das zweite: Mitgehen, auch wenn es kaum zu ertragen ist, die Hoffnung niemals aufgeben und Augen haben für die neuen Wege, die Gott uns zeigt. Das dritte aber ist das gute Ende: Gott will keine Menschenopfer, nicht das Opfer Isaaks, nicht die Opfer, die wir heute bringen und die wir manchmal gar nicht mehr als solche bemerken. Gott will das Leben und nicht den Tod.
In der Schriftlesung aus dem Joh heisst es: Es ist besser für euch, ein Mensch sterbe für das Volk, als dass das ganze Volk verderbe. Auch hier diese tödliche Opferlogik, die in ihrem nüchternen Kalkül gar nicht mehr wahrnimmt, wie unmenschlich sie ist. Aber dieses Mal taucht kein rettender Widder auf. Jesus wird tatsächlich geopfert – von Menschen im Interesse der Ordnung, der Religion, der Interessen der Mächtigen. Sehen wir die beiden Texte nebeneinander, dann müssen wir erkennen: nicht Gott will das Menschenopfer, wir Menschen sind es, die einander opfern und darüber sollten wir erschrecken.
Wir stehen kurz vor der Karwoche und dem Osterfest. Und in einem gewissen Sinn ist die Geschichte des Leidens und der Auferweckung Jesu auch eine Antwort auf die Fragen der Isaak-Geschichte. Da heisst es nicht mehr „dass du Gott fürchtest und hast deines einzigen Sohnes nicht verschont um meinetwillen“, sondern umgekehrt, dass Gott uns so sehr liebt, dass er seines einzigen Sohnes nicht verschont hat und ihn dahingegeben hat um unsretwillen. Nein, Gott will keine Menschenopfer. Er gibt sein eigenes hin, für uns. Er gibt Jesus in die Hände der Menschen. Aber Jesu Tod, der Tod aller, die leiden müssen und sterben, das ist nicht Gottes letztes Wort. Das letzte Wort ist die Osterbotschaft, das neue Leben, das den Tod überwindet, die Liebe, die aufblüht zu neuem Leben. Wer dieser Botschaft glaubt, der muss sich nicht mehr fürchten vor einem unbarmherzigen Gott, der blinden Gehorsam und Menschenopfer fordert. Wer dieser Botschaft vertraut, der wird sich wohl noch manches Mal fragen, warum ihm Gott Schweres zumutet, Leid und Gewissenskonflikte, aber er darf darauf vertrauen, dass Gott das Leben will, dass Gott Liebe ist und dass Gott mit uns geht, wohin unser Weg auch führen mag.
Und die Geschichte Abrahams und Isaaks leitet uns nicht an zu blindem Gehorsam, sondern will uns immer wieder zu der Bitte des Unser Vater führen: „Und führe uns nicht in Versuchung!“ Amen.

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