Samstag, 24. Dezember 2011

Predigt an Heiligabend über Mt 1,18-25

Liebe Gemeinde,
der Evangelist Matthäus erinnert sich in seiner Weihnachtsgeschichte an die alten Worte aus dem Buch des Propheten Jesaja: „Siehe, eine junge Frau ist schwanger und wird einen Sohn gebären, den wird sie nennen Immanuel.“ Immanuel – das bedeutet „Gott ist mit uns“ und das ist es, was uns in dieser heiligen Nacht zugesagt ist. Diese Zusage ist dem Evangelisten Matthäus so wichtig, dass er sie am Ende seines Evangeliums wiederholt. Aus dem Mund des Auferstandenen hören wir dort: „Siehe, ich bin bei euch alle Tage bis ans Ende der Welt.“
Gott kommt zu uns Menschen als der Immanuel, als der, der uns zur Seite steht. Er ist sich nicht selbst genug in seiner himmlischen Herrlichkeit. Er will nicht Furcht und Zittern wecken, sondern Liebe und Vertrauen. Er begibt sich in unsere Welt, in unsere Hände, wird schutzlos und gering. Dieser „Gott mit uns“ lässt sich auch missbrauchen. Wie oft schon haben Menschen diesen Namen als Parole missbraucht und sind damit in den Krieg gezogen. Aber wie – um Gottes und der Menschen willen – lässt sich diese Parole in Einklang bringen mit dem kleinen, schutzlosen, verletzlichen Kind in der Krippe?
Dass Gott mit uns ist in dem Kind in der Krippe, das bedeutet zuerst und vor allem: Ich bin wahrgenommen. Gott hat an mir Interesse. Er gibt mir ein Gesicht. Gott weiss, dass wir darauf angewiesen sind, dass wir wahrgenommen und beachtet werden. Wir leben ja in einer widersprüchlichen Welt. Noch nie wurde Individualität so gross geschrieben, aber zugleich war das Leben wohl auch noch nie so unübersichtlich und die Gefahr so gross, in einer anonymen Masse unterzugehen. Wir können inmitten all der unbegrenzten Möglichkeiten verloren gehen. So mancher empfindet sich nur als kleines und ohnmächtiges Rädchen in einem riesigen und undurchschaubaren Getriebe, einem anonymen Räderwerk, das uns manchmal das Fürchten lehren kann. Auch wenn wir uns etwas aufgebaut, etwas erreicht haben in unserem Leben, sehen wir vielleicht in den Spiegel und fragen uns: Wer bin ich eigentlich? Wer nimmt mich so wahr, wie ich bin? Wem kann ich mich zeigen, so wie ich bin?
Der Anblick des nackten und schutzlosen Kindes in der Krippe rührt uns an in unserer Bedürftigkeit, die wir so oft durch Geschäftigkeit überspielen. „Gott ist mit uns“ – seinen verletzlichen und auf Liebe und Zuwendung angewiesenen Geschöpfen. Er nimmt uns wahr. Er begegnet uns mit Augen der Liebe. Jeder einzelne Mensch, du und ich, wir sind für ihn wichtig.
„Gott mit uns“ – das bedeutet aber auch: „Wir mit Gott“. Dass wir Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter Gottes sind, das ist unsere menschliche Bestimmung. Wir sind Gottes Gegenüber, fähig auf seine Liebe zu antworten, ihn in unserem Leben wahrzunehmen und mitzuarbeiten, damit Menschen wahrgenommen werden, Bedürftige Liebe und Zuwendung erfahren und Menschen spüren, dass sie nicht allein sind. Wir sind Menschen, die verzeihen können, die Frieden stiften können, auch wenn uns dies wohl immer nur sehr unvollkommen gelingt. “Gott mit uns“ und „Wir mit Gott“ – das ist auch ein Auftrag, der Auftrag, Liebe und Frieden auszubreiten in unserem Alltag und die Bedürftigkeit und Schutzlosigkeit von Menschen nicht auszunützen, sondern jeden einzelnen, was immer er oder sie getan oder nicht getan hat, spüren zu lassen: „Ich nehme dich wahr. Du bist wichtig.“
Eigentlich ist die Botschaft von Weihnachten ganz einfach: Gott nimmt unsere Schutzlosigkeit und Verletzlichkeit an. Und darum dürfen wir uns selbst annehmen, verletzlich und bedürftig wie wir sind. Gott findet keine Herberge in den Palästen unserer Grossartigkeit, aber er zieht ein in die Einfachheit unserer Herzen. Wer sein Herz öffnet, bei dem wird er Wohnung finden. Gott gibt jedem einzelnen Menschen eine unverletzliche und unverlierbare Würde. Auf diese Würde dürfen wir uns berufen und wir sollen sie achten bei allen Menschen und uns für die Würde jedes einzelnen einsetzen. Frieden kann werden, wenn wir uns von dieser Botschaft berühren lassen. Es braucht dann natürlich immer noch politische Klugheit im Grossen und alltägliches Bemühen und Arbeit im Kleinen, damit Frieden gelingen kann. Aber wo Menschen zulassen können, dass sie selbst bedürftig und verletzlich sind und dies auch anderen zugestehen, ja sich von ihrer Verletzlichkeit und Bedürftigkeit berühren lassen, da kann Frieden beginnen, da ist Gott mit uns und es kann Weihnachten werden. Amen.

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