Samstag, 25. Februar 2012

Predigt über Jesaja 5,1-7 vom 26. Februar 2012

Liebe Gemeinde,
dürfen wir uns Gott als einen enttäuschten und verletzten Liebhaber vorstellen? Unser Predigttext aus dem Buch des Propheten Jesaja ist ein Liebeslied, ein Lied, das von einer enttäuschten und verletzten Liebe singt. Es ist ein ungewohntes Gefäss, in das der Prophet seine Botschaft kleidet. Hätte er nicht einfach dem Volk die Leviten lesen können, den Menschen ihr Unrecht vorhalten? Ist Gott nicht der Herrscher und Richter, der sein Volk, seine Menschen souverän zur Rechenschaft ziehen könnte? Dass der Prophet seine Botschaft in die Gestalt eines Gleichnisses, eines Liebesliedes kleidet, ist nicht einfach eine originelle Verkleidung. Es ist die Botschaft selbst. Gott ist und bleibt der Liebende. So dramatisch am Ende unseres Predigttextes der verwüstete und preisgegebene Weinberg vor unseren Augen steht und der Vorwurf von Rechtsbruch und Schlechtigkeit im Raum – die Geschichte ist offen. Weil Gott der Liebende bleibt, weil er als Liebender und eben nicht als blinde Justitia auftritt, bleibt noch die Wut des enttäuschten Liebhabers ein Werben um seine Liebe, ein Werben Gottes um sein Volk und seine Menschen.
Eindrücklich singt uns der Prophet von seinem Freund, dem Weinbergbesitzer. Viel Zeit und Mühe hat er für seinen Weinberg aufgewendet. Wir sehen ihn richtig vor uns, wie er mit dem Werkzeug in der Hand seien Weinberg umgräbt, die Steine hinausschafft, edle Reben darin pflanzt, einen Turm baut und eine Kelter gräbt. Schweiss und Mühe gehört dazu. Und wir dürfen uns den Weinbergbesitzer vorstellen, wie er nach all der Arbeit erschöpft dasitzt und stolz und glücklich seinen Weinberg betrachtet. Nun wird er seine Früchte bringen. Er hegt und pflegt seinen Weinberg. Was hätte man noch tun können, das ich nicht getan habe? Aber der Weinberg bringt nichts als schlechte Trauben. Wie gross ist die Enttäuschung - und die Enttäuschung verwandelt sich in Wut.
Enttäuschte Liebe, vergebliche Liebesmüh. Vielleicht könnten manche von uns auch solche Geschichten erzählen, solche Lieder singen. Menschen, die sich um einen anderen Menschen bemüht haben, die überzeugt sind, ihr Bestes getan zu haben, die viel in ihre Liebe investiert haben und enttäuscht worden sind. Eltern, die ihren Kindern viel gegeben haben an Liebe und Zuwendung, an persönlichen Opfern und die sich plötzlich fragen: Wozu das alles? Was bekomme ich denn zurück. Oder auch Menschen, die sich einer Sache, einer Aufgabe verschrieben haben und ihre Zeit und ihre Kraft, ja, ihre ganze Liebe darin investiert haben und eines Tages sich fragen: Wo bleibt der Dank? Was bekomme ich zurück? Enttäuschte Liebe, verletzte Gefühle, der Eindruck: es war alles umsonst, vergebene Liebesmüh – vielleicht können wir das nachvollziehen. Menschen, die viel gegeben, die viel investiert haben und deren Liebe gross ist, die sind besonders verletzlich und sie können an den Punkt kommen, wo sie den Bettel hinschmeissen möchten, wo die Liebe die Gestalt der Wut und der Aggression annimmt. Ich habe das bewusst so formuliert. Jemand hat einmal gesagt: Das Gegenteil von Liebe ist nicht Hass, sondern Gleichgültigkeit. Das ist eine sehr weise Einsicht, denn wo Gleichgültigkeit herrscht, da hat die Liebe keinen Platz mehr. Die Wut und Aggression des Weinbergbesitzers, der seinen Weinberg der Verwüstung preisgeben will, sie ist und bleibt eine Gestalt seiner Liebe. Würde er es wirklich tun – er würde gewiss dasitzen und wie ein Schlosshund heulen. Es würde ihm das Herz brechen und wer weiss, ob er es nicht im selben Moment bereuen würde. Der aber, der gleichgültig geworden ist, der würde kalt lächelnd weitergehen – im Gefühl, dass es dem Weinberg ja nur recht geschieht. Ich glaube, wir können uns diesen entscheidenden Unterschied nicht genug bewusst machen. Wenn wir enttäuscht werden oder auch, wenn uns Wut und Enttäuschung entgegenschlägt, kann es ganz wichtig sein, wenn wir nicht vergessen, dass sie so etwas wie die Kehrseite der Liebe sind und nicht das Ende. Erst wo die Gleichgültigkeit Einzug hält ist die Liebe meist wirklich zu Ende.
Wie aber soll ein Mensch reagieren, dem so viel Wut und Enttäuschung vor die Füsse geworfen wird? Eine mögliche Reaktion – und vielleicht nicht die seltenste – ist es, resigniert aufzugeben. Das war’s dann wohl, es hat keinen Sinn mehr. Diese Reaktion sieht nur noch die Enttäuschung und Wut und nimmt sie nicht mehr als Gestalt der Liebe wahr. Dann bleibt nur noch das Zerstörerische und Hoffnungslose übrig. Auch im Glauben gibt es dieses Muster: Menschen, die Gott nur als den allmächtigen Richter sehen können, dessen wachsames Auge noch alles kontrolliert und dessen erhobener Zeigefinger allgegenwärtig ist. Und irgendwann bleibt ihnen nur noch die Befreiung, der Abschied von diesem Gott und sie merken gar nicht, dass es nur ein falsches Gottesbild ist, von dem sie Abschied nehmen.
Eine andere Reaktion ist es, die Gegenrechnung aufzumachen. Dieses Muster kommt in unseren Beziehungen oft vor. Und wie oft hast du mich enttäuscht, welche Fehler hast du gemacht? Wer ist Schuld? Und wer trägt mehr Schuld? Ich brauche nicht lange zu erklären, wie zerstörerisch dieses Muster ist, zumal ja in der Regel die objektiven Massstäbe fehlen, um Schuld zu beurteilen. So häufig diese Reaktion unter uns ist, so sehr fällt mir doch auf, dass sie im Glauben, in unserem Verhältnis zu Gott eigentlich unmöglich ist. Wer sich von Gott zur Rechenschaft gezogen weiss, spürt wohl intuitiv, dass er hier keine Gegenrechnung aufmachen kann und da wo Menschen Gott zur Rechenschaft ziehen, klagen und ihn anklagen, da kommen sie zu ihm mit ihren Zweifeln und Fragen angesichts von Not und Elend in der Welt, von Ungerechtigkeit und Leid oder weil sie in ihrem persönlichen Schicksal nichts mehr spüren von der Gegenwart eines liebenden Gottes. Das aber ist etwas ganz anderes als das Aufrechnen von Schuld.
Eine dritte Möglichkeit ist die demütige Unterwerfung. Auch dieses Muster gibt es in unseren Beziehungen. Und ich denke, dass es ebenfalls ein ungesundes Muster ist, weil es nicht partnerschaftlich, sondern herrschaftlich ist. Wer sich immer unterwirft, verliert die Selbstachtung und die Achtung des Anderen. Oder könnten Sie jemand auf Dauer lieben, der sich niemals wehrt und immer nur versucht, es ihnen in allem recht zu machen? Aber vielleicht fragen sie sich, ob nicht in unserem Verhältnis zu Gott solch demütige Unterwerfung angemessen ist. Ist er nicht der allmächtige Herrscher, der gar nicht im Unrecht sein kann? Schon Paulus hat es ja festgehalten und die Reformatoren haben es unterstrichen: Wir sind allzumal Sünder und bedürfen der Vergebung unseres Gottes. Und trotzdem behaupte ich: Gott will nicht demütige Unterwerfung, sondern Menschen, die ihm aufrecht gegenüber treten, Menschen, die sich zur Verantwortung ziehen lassen. Die paulinische und reformatorische Einsicht ist nicht dazu da, dass wir stets gebeugten Hauptes und schuldbewusst herumlaufen. Gott will gerade und aufrechte Menschen. Im Lied vom Weinbergbesitzer appelliert der Prophet ja an die Einsicht der Menschen. Rechtsbruch und Schlechtigkeit sind ja offensichtlich. Und er hofft darauf, dass die Menschen zu freier Einsicht kommen und umkehren zu Recht und Gerechtigkeit.
So bleibt also die vierte Möglichkeit. Konfrontiert mit der Wut und Aggression enttäuschter Liebe können wir das Werben um unsere Liebe erkennen, das darin steckt. Konfrontiert mit Vorwürfen können wir Verantwortung übernehmen für das, was wir aus freier Einsicht annehmen können, wofür wir uns auch wirklich verantwortlich fühlen. Wir können um Vergebung bitten und wir können verzeihen. Und wir können versuchen, auch das Unlösbare zu akzeptieren, all das was wir verschieden sehen. Und ich glaube, dass es auch im Verhältnis zu Gott, im Glauben, um genau diese freie und aufrechte Verantwortlichkeit, dieses Gegenüber geht. Rechtsspruch und Gerechtigkeit sind Gottes Massstäbe für unser Handeln. Werden wir ihnen gerecht oder wo scheitern wir an ihnen? Wofür wollen wir Gott um Vergebung bitten? Vor allem aber: Erkennen wir, wie sehr Gott um uns wirbt und uns auch in der Konfrontation mit unserem Versagen, unserer Schuld, seine Liebe zeigt?
Denn das ist ganz entscheidend an diesem Text: Gott ist nicht der Richter, sondern bleibt auch angesichts der ins Auge gefassten Preisgabe des Weinbergs der Liebende, der um seine Menschen wirbt. Trotzdem ist ja nicht wegzudiskutieren, dass der Weinberg am Ende verwüstet daliegen könnte. Die Vorstellung, Gott könnte aus enttäuschter Liebe sein Volk, er könnte uns Menschen aufgeben, sie macht mir Mühe. Und erzählt die Bibel nicht immer wieder davon, wie Gott einen neuen Anfang mit seinen Menschen, mit uns macht? Ist nicht das ganze Neue Testament in immer neuen Anläufen die Verkündigung frohen Botschaft, dass Gott Frieden mit uns gemacht, sich selbst mit uns versöhnt hat? Aber umgekehrt: Ist Liebe, die völlig einseitig von Gott ausginge und von uns ganz unabhängig wäre, überhaupt noch Liebe. Ist Liebe, deren Ende nicht mehr gedacht werden darf, noch Liebe oder einfach ein unentrinnbares Schicksal?
Wichtig ist mir bei all diesen Fragen dreierlei: Erstens: Das Lied des Propheten vom Weinberg seines Freundes hat ein offenes Ende. Es ist nicht der Beschluss, den Weinberg der Verwüstung preiszugeben, sondern fasst diese äusserste Möglichkeit ins Auge – aus Liebe und um damit um Liebe und Umkehr zu werben. Die Botschaft lautet: Gott liebt euch und es ist ihm nicht egal, was ihr tut. Erst wo die Trennung denkbar wird ist die Liebe nicht ein unentrinnbares, aber letztlich gleichgültiges Schicksal, sondern eine lebendige Beziehung, die wachsen kann. Das zweite: Das Lied hat zwar ein offenes Ende. Im Horizont der Botschaft von Jesus stehen aber drohende Verwüstung und erhoffter Neuanfang nicht gleichgewichtig nebeneinander: Gott hat uns in Jesus Christus mit sich versöhnt. Der Zugang zu ihm ist offen. Seine Liebe bleibt. Für jeden. Immer. Und das dritte: Das Ende des Liedes ist offen, weil es nicht über uns redet, nicht das Urteil über uns spricht, sondern uns anredet und um uns wirbt. Am Ende des Liedes ist der Ball bei uns. Wir sind gefragt. Wir sind gefragt, wie wir es halten mit Recht und Gerechtigkeit, mit Rechtsbruch und Schlechtigkeit. Wir sind gefragt – als die Geliebten – was wir für diese Liebe tun wollen im Alltag unseres Lebens. Gott gibt uns die Freiheit, auf seine Liebe zu antworten. Amen.

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