Samstag, 5. Mai 2012
Predigt zu „Viele reden vom Weltuntergang - wir reden vom Leben“ am 22. April 2012
Liebe Mitchristen,
am 21. Dezember dieses Jahres wird die Welt untergehen. So jedenfalls wird in manchen esoterischen Kreisen die Tatsache interpretiert, dass zur Wintersonnenwende 2012 der Mayakalender endet und eine rätselhafte Inschrift in diesem Zusammenhang vom Kommen einer Gottheit berichtet. Vor drei Jahren startete in den Kinos ein Katastrophenfilm des Erfolgsregisseurs Roland Emmerich mit dem Titel 2012, der von dieser Prophezeihung inspiriert war und sich eben auch die Faszinationskraft solcher Weltuntergangsängste zunutze macht.
Es ist nicht die erste und vermutlich auch nicht die letzte Weltuntergangs-prophezeihung und sie beruht wohl auf einer Fehlinterpretation des Mayakalenders. Denn der beruht auf einem zyklischen Denken und umfasst Zyklen zu je 394 Jahren. Relativ sicher ist nur dass am 21. Dezember ein solcher Zyklus endet. Erst wenn man dies mit apokalyptischen Szenarien verbindet, wird daraus mehr als der Übergang zu einem neuen Zyklus. Und ganz abgesehen davon zwingt uns nichts und niemand dazu, aus dem Mayakalender historische Ereignisse abzuleiten. Er ist Ausdruck einer frühen Hochkultur, die ihre Blütezeit zwischen 300 und 900 n.Chr. hatte. Diese Kultur verdient Respekt, aber aus ihr zukünftige Ereignisse ablesen zu wollen, ist für mich nicht nachvollziehbar. Und übrigens gibt es manche, die davon überzeugt scheinen, dass tatsächlich am 21.12. die Welt untergeht und sich trotzdem um ihre Rente sorgen.
Aber gehört nicht die Erwartung des Weltuntergangs und des Kommens Jesu Christi zum Jüngsten Gericht zu den Erwartungen unseres christlichen Glaubens? Ist nicht das Buch der Offenbarung eine manchmal beängstigende Schilderung der Ereignisse am Ende der Welt? Und lassen sich nicht manche Dinge beobachten, die an die Geschehnisse erinnern, die in der Offenbarung geschildert werden - Abfall vom Glauben, Naturkatastrophen, Kriege, Terror und Gewalt? Auch in christlichen Kreisen hat es immer wieder Spekulationen über das Weltende gegeben und Menschen haben historische Ereignisse als Zeichen der Endzeit interpretiert. Ich will und kann hier nur zu allergrösster Vorsicht und Zurückhaltung mahnen. Das Buch der Offenbarung ist keine realistische Schilderung irgendwelcher Ereignisse am Ende der Weltgeschichte, keine Weissagung zukünftiger Ereignisse, die irgendwann genau so eintreffen werden. Es nimmt apokalyptische Vorstellungen auf, um den Erfahrungen der Bedrängnis und Verfolgung, in der die christlichen Gemeinden in Kleinasien in dieser Zeit stehen, einen Sinn zu geben. Es ist eine Zeit der Bewährung und diese Zeit ist begrenzt. Ihr müsst die Hoffnung nicht aufgeben, denn unser Herr kommt gewiss. Gewalt und Verfolgung, das herrschende Unrecht - sie haben nicht das letzte Wort. Das ist die Botschaft der Offenbarung für die Christen Kleinasiens. Der Verfasser der Offenbarung hat die Ereignisse seiner Gegenwart als Zeichen der Endzeit verstanden und mit einem baldigen Weltende gerechnet. Diese Erwartung hat sich in dieser Form nicht bewahrheitet und wir können und müssen diese apokalyptische Vorstellungswelt nicht teilen, um Christinnen und Christen zu sein.
Auch der Abschnitt aus dem Markusevangelium, den wir in der Schriftlesung gehört haben, teilt diese apokalyptische Vorstellungswelt und auch der Evangelist erwartet das Weltende noch zu seinen Lebzeiten. Auch hier gilt: nicht die apokalyptische Vorstellungswelt und das erwartete baldige Weltende sind entscheidend für den christlichen Glauben. Worauf es in meinen Augen in diesem Text ankommt und was die bleibende christliche Botschaft ist, das ist die Erinnerung daran, dass wir weder den Tag noch die Stunde kennen und die Aufforderung zur Wachsamkeit. Wachsamkeit heisst aber nun nicht, irgendwie doch die Zeichen des vermeintlich nahenden Weltendes lesen und interpretieren zu wollen. Wachsamkeit heisst vielmehr: bereit sein, für unser Leben Verantwortung zu übernehmen. Die bodenständige Lebensweisheit eines Bauern aus unserer Gemeinde - oder genauer gesagt seiner längst verstorbenen Mutter - wird diesem Text mehr gerecht als jede noch so tiefe Spekulation über das Weltende. Er sagte mir einmal, dass er von seiner Mutter gelernt habe, sich jeden Tag darum zu bemühen, mit seinen Mitmenschen im Frieden zu leben und seinen Zorn nicht mit in den Schlaf zu nehmen, weil man nie wissen könne, ob man den nächsten Tag noch gemeinsam erlebe. Es ist dieses Bewusstsein der Endlichkeit und unserer Verantwortung, die wir gegenüber unserem Leben, den Mitmenschen und letztlich gegenüber unserem Schöpfer haben, um die es geht.
Viele reden vom Weltuntergang - wir reden vom Leben. Als Christinnen und Christen sollen wir vom Leben reden, vom Geschenk des Lebens, von der Verantwortung, die wir für unser Leben tragen und davon, dass wir im Leben und im Sterben in Gottes Hand sind. Luther’s berühmter Satz, dass er, wenn er wüsste, dass morgen die Welt unterginge, er heute noch ein Apfelbäumchen pflanzen würde, ist Ausdruck dieser Hinwendung zum Leben. Spekuliert nicht über die Endzeit, sondern setzt Zeichen der Hoffnung. Spekuliert nicht über das Jenseits, sondern wendet euch dem Leben Hier und Jetzt zu. Aber tut es nicht so, als ob nach euch die Sintflut käme, sondern im Wissen darum, dass ihr in diesem Leben eine Berufung, einen Auftrag habt und dass dieses Leben nur dann Sinn macht, wenn ihr eurer Berufung nachlebt. Jeder und jede von uns hat seine eigene Berufung. Sie zu erkennen, ist ein lebenslanger Prozess, ein Prozess mit Wandlungen und Häutungen, auch mit Irrwegen und Zeiten der Verunsicherung. Dieses Leben ist ein Geschenk und in einem Geschenk ist der Schenkende selbst präsent. Entsprechend sorgfältig und achtsam sollen wir mit dem uns Anvertrauten umgehen - mit unserem eigenen Leben, mit unseren Mitmenschen und mit der ganzen Schöpfung.
Auf Endzeitspekulationen - ob sie nun aus dem Mayakalender oder aus der Bibel abgeleitet werden - sollten wir verzichten. Hier gilt: Ihr wisset weder Tag noch Stunde. Wo wir erkennen, dass wir selbst unser Leben und unseren Planeten gefährden - durch unseren Umgang mit den natürlichen Ressourcen, durch die Anhäufung tödlicher Waffen oder dadurch, dass wir durch die ungerechte Verteilung der Mittel bedrohliches Konfliktpotential schaffen, da haben wir nicht Zeichen der Endzeit zu erkennen, sondern Zeichen dafür, unser Handeln zu ändern. Und dasselbe gilt auch für die Ressourcen an Mitgefühl, an Liebe, an Zeit füreinander.
Die Wachsamkeit, zu der wir aufgefordert sind, sie ist weniger Wachsamkeit für die Vorboten einer Endzeit, sondern vielmehr Wachsamkeit für das, was uns hier und heute begegnet, für die Menschen um uns, für die Aufgaben, die jetzt zu tun sind, für die Zeichen der Hoffnung, die uns am Wegrand begegnen, für die Gelegenheiten zur Liebe, zur Begegnung und zur Versöhnung. Und mindestens ebenso sehr, wie wir auf das Kommen Christi am Ende der Zeiten hoffen, sollen wir achtsam sein für das Kommen Christi mitten in diesem Leben. Denn darauf dürfen wir vertrauen, dass Christus jeden Tag neu auf uns zukommt - in den Menschen, die uns begegnen, in Momenten innerer Gewissheit und Ruhe, in Worten die uns Kraft und Lebensmut geben, in den Erfahrungen des Getragen- und Geliebtseins, im Aufleuchten der Kostbarkeit des Lebens. Es sind diese alltäglichen Zeichen, auf die wir achten und für die wir wachsam sein sollen, damit wir bereit sind für das, was bereits jetzt auf uns zukommt. Und festhalten sollen wir an dem Vertrauen, dass das Ende unserer Zeit und das Ende der Weltzeit nicht das Ende der Möglichkeiten Gottes ist. Das ist der Kern der Verheissung der Wiederkunft Christi und der Schaffung eines neuen Himmels und einer neuen Erde. Wir werden immer wieder Angst haben, angesichts der Sorgen unseres eigenen Lebens und angesichts von Entwicklungen, die uns bedrohlich erscheinen. Aber da ist einer, der bei uns ist in unseren Ängsten und der sie von uns nehmen kann. Wenn wir auf ihn vertrauen, werden wir frei, uns dem Leben und den Menschen zuzuwenden, finden wir zu innerer Ruhe und Gelassenheit und können wachsam sein für das, was Gott uns an Möglichkeiten schenkt.
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