Samstag, 27. Februar 2010

Predigt zu Röm 5,1-5 vom 28. Februar 2010

Liebe Gemeinde,

unser heutiger Predigttext ist zuerst einmal eine Friedenserklärung – eine Friedenserklärung Gottes an uns Menschen. „Sind wir nun aus Glauben gerecht gesprochen, so haben wir Frieden mit Gott durch unseren Herrn Jesus Christus.“ Aber - so fragen sie sich vielleicht – brauchen wir das überhaupt? Haben wir denn mit Gott Krieg oder Streit? Oder darf man so eine Frage schon gar nicht erst stellen, wenn es um den lieben Gott geht?

Für Martin Luther und die anderen Reformatoren waren dieser Text und der gesamte Römerbrief entscheidend für ihre Glaubensgewissheit. Als Menschen des ausgehenden Mittelalters war eine ihrer zentralen Lebens- und Glaubensfragen, wie denn ein Mensch überhaupt vor Gott bestehen könne. Werden wir denn nicht alle in unserem Leben immer wieder schuldig, machen Fehler, tun einander Unrecht, erfüllen Gottes Willen nicht? Die Angst vor dem jenseitigen Gericht prägte die Menschen jener Zeit. Und sie wurde umso bedrängender, wenn man wie Luther zu zweifeln begann, ob Ablasszahlungen, Bussleistungen, kirchliche Rituale oder die Fürsprache der Heiligen wirklich der geeignete Weg sind, Gott gnädig zu stimmen. Wer wie Luther an der kirchlichen Gnadenwirtschaft zweifelte, für den wurde die Frage umso bedrängender: Wie bekomme ich denn einen gnädigen Gott? Und gerade deshalb hatte diese Friedenserklärung Gottes an uns Menschen, die wir hier im Römerbrief lesen, für Luther eine so grosse Bedeutung, eine ungeheuer befreiende Wirkung: wir müssen Gott gar nicht gnädig stimmen, er hat uns längst schon den Frieden erklärt. Das einzige, was wir tun müssen, ist, dieses Friedensangebot annehmen. Es ist für uns heute nur noch schwer vorzustellen, welche Ängste im ausgehenden Mittelalter von einem Menschen abfallen konnten, wenn er diesem Friedensangebot Gottes traute und sich die reformatorische Entdeckung zu eigen machte, dass es gar nicht auf unsere Leistungen ankommt, wir Gott gar nicht besänftigen und gnädig stimmen müssen. Welch ein Aufatmen! Wer nicht ständig in Angst leben muss, der kann sich auf das Leben einlassen, etwas schaffen und gestalten, der darf Fehler machen und ist trotzdem nicht abgeschrieben, der kann Entscheidungen treffen ohne Angst, der kann auch neue Wege gehen. Diese Entdeckung befreite von einer lähmenden Lebensangst und von klerikaler Bevormundung. Und mehr noch: wer nicht ständig um sein Seelenheil fürchten musste, der konnte sich getroster und freier dem Leben hier und jetzt zuwenden. Damit hängt auch die Aufwertung des weltlichen Berufs und der häuslichen Arbeit durch die Reformatoren zusammen.

Aber nun soll die Predigt ja nicht zu einem Vortrag über reformatorische Theologie werden, so wichtig und hilfreich es ist, sich diese Entdeckungen der Reformatoren in Erinnerung zu rufen. Wir leben heute in einer anderen Welt. Die meisten von uns fürchten sich nicht mehr oder zumindest nicht zuerst vor einem jenseitigen Gericht. Und klerikale Bevormundung ist auch nicht unser wichtigstes Problem. Was bedeutet das Friedensangebot Gottes also für uns heute? Unsere Lebensangst ist nicht mehr die gleiche wie zu Zeiten des Paulus oder zu Zeiten Luthers. Aber eine grundlegende, vielleicht diffuse Lebensangst kennen auch wir, die Angst davor, nicht zu genügen, etwas zu verpassen. Wir sorgen uns, welches Bild wir abgeben, was die anderen von uns denken. Wir fürchten uns, den Anforderungen nicht gewachsen zu sein, an Aufgaben oder in Beziehungen zu scheitern. Wir fürchten uns vor Krankheiten oder Schicksalsschlägen. Haben diese Ängste etwas mit unserem Predigttext, haben sie etwas mit dem lieben Gott zu tun?

Nehmen wir doch einmal an, das wichtigste in unserem Leben wäre nicht unser Wohlstand, nicht unsere gesellschaftliche Stellung oder unser Ruf, auch nicht unser Beruf oder unsere Klugheit, ja nicht einmal unsere Familie oder die Gesundheit. Nehmen wir einmal an, das Wichtigste und alles Entscheidende in unserem Leben wäre unser Verhältnis zu Gott. Und Gott nun würde uns den Frieden erklären. Er würde uns sagen: egal wie du bist, egal was dir geschieht, egal was noch kommen mag – ich sage ja zu dir. Daran kann nichts und niemand etwas ändern. Ich stehe zu dir – immer und ewig. Ich verspreche dir nicht, dass dir alles gelingt, dass du nie Angst haben musst, dass dir Sorgen und Rückschläge erspart bleiben. Aber ich verspreche dir, dass ich immer und unter allen Umständen zu dir stehen werde. Nehmen wir einmal an, das wäre so. Wie würde sich das auf unser Leben auswirken? Was würde sich für uns verändern?

Wir müssten weniger Angst davor haben, nicht zu genügen. Denn es ist genug, wenn wir das unsere tun, das, was wir können. Mehr kann niemand von uns verlangen. Das reicht. Wir müssen uns nicht mehr messen an irgendwelchen Massstäben, die uns überfordern. Und gerade wenn wir frei werden von dieser Angst, können wir immer wieder auch über uns hinauswachsen. Auch die Angst etwas zu verpassen können wir dann verlieren. Denn das Leben wird ja nicht erst dann gut und kostbar, wenn ich ja keine Gelegenheit ungenutzt verstreichen lasse, ja nichts verpasse, sondern achtsam bin für das, was mir begegnet, für die Menschen und die alltäglichen Dinge in meinem Leben. All dies wird kostbar dadurch, dass ich es beachte und ihm Wert und Wertschätzung gebe. Nicht was man für wertvoll und kostbar hält, gibt meinem Leben Sinn und Erfüllung, sondern nur das, von dem ich mich erfüllen lasse. Und um achtsam zu werden und sich an den alltäglichen Dingen des Lebens freuen zu können, braucht es eine innere Ruhe und Gelassenheit, die uns zuteil werden kann, wenn wir glauben können, dass wir Frieden mit Gott haben und uns den nicht erst verdienen müssen.

Wenn dieses Ja Gottes, diese Friedenserklärung das Entscheidende in unserem Leben wäre, dann wäre es auch nicht mehr so ungeheuer wichtig, was andere über uns denken, müssten wir nicht so sehr um unser Image besorgt sein. Wie viel mehr Zivilcourage, wie viel mehr an Kreativität und Vielfalt könnten wir uns erlauben, wenn wir uns nicht ganz so stark vom Urteil anderer abhängig machen würden – und oft nur vom vermuteten Urteil anderer.

Ja selbst mit dem Scheitern an beruflichen Herausforderungen oder in Beziehungen können wir dann leben lernen ohne daran zu verzweifeln, wenn wir darauf vertrauen, dass nichts und niemand das letzte Wort über uns hat ausser Gott – und der sagt bedingungslos Ja zu uns. Und noch in Krankheit und Tod dürfen wir dann glauben, dass eine hilfreiche Hand uns hält und uns hindurchführt. Wir müssten dann nicht alles von diesem Leben erwarten, weil wir glauben dürfen, dass auch am Ende der Friede Gottes uns erwartet.

Nehmen Sie das einmal an – habe ich sie vorhin gebeten. Wie sieht das Leben aus, wenn wir es unter dieser Voraussetzung betrachten, dass das Entscheidende in unserem Leben unser Verhältnis zu Gott ist und dass der bedingungslos Ja zu uns sagt. Ist es nicht eine einladende, eine befreiende Perspektive? Ob wir sie uns zu Eigen machen können? Ob wir sie uns zu Eigen machen wollen? Solches Vertrauen könnte jedenfalls zum ruhenden Pol in unserem Leben werden, uns innere Ruhe und inneren Frieden geben. Und diese innere Ruhe, diesen inneren Frieden wünsche ich uns allen. Dass solche Gelassenheit nicht einfach ein für allemal da ist, das weiss auch Paulus. Er weiss um die Bedrängnis, um die Gefährdung unserer Glaubensgewissheit. Wir sind nicht einfach frei von unseren Lebensängsten. Wir stehen nicht einfach über den Dingen. Aber er ist überzeugt, dass Bedrängnis uns die nötige Ausdauer lehrt. Und wenn wir geduldig und ausdauernd an unserem Vertrauen auf Gottes Ja, auf sein Frieden festhalten, dann erwächst uns daraus eine starke Hoffnung. Und diese Hoffnung wird uns nicht enttäuschen. Amen.

Sonntag, 7. Februar 2010

7. Februar 2010

Predigt zu 5. Mose 6,4-9

Liebe Gemeinde,
es war einmal ein Mensch, dem der Glaube am Herzen lag, der sich um einen ehrlichen Glauben bemühte und viel über Glaubensfragen nachdachte. Als er die Worte aus dem 5. Buch Mose las, beschäftigten sie ihn sehr. Denn genau das wollte er ja: Hören auf das, was Gott ihm zu sagen hatte, Gott lieben von ganzem Herzen, von ganzer Seele und mit seiner ganzen Kraft und seinen Glauben weitergeben an seine Kinder. Aber er hatte auch viele Fragen: Was war gemeint mit diesem „Höre Israel“ und wie konnte er richtig hören? Kann man wirklich so absolut sagen: „Der Herr, unser Gott, ist der einzige Herr“? Und auf welche Weise sollte er nun den Glauben an seine Kinder weitergeben, zumal er doch selbst so viele offene Fragen hatte?

So suchte er einen Lehrer des Glaubens auf. Dieser hatte den Ruf eines frommen Mannes von tiefer Glaubensgewissheit. Diesen fragte er: Was bedeutet das „Höre Israel“ für meinen christlichen Glauben? Der Lehrer antwortete ihm: Höre Israel heisst es, weil der Glaube vom Hören kommt. Nur wer bereit ist zu hören, nur wer seine Ohren und sein Herz öffnet, ist bereit für das Geschenk des Glaubens. Nur in ihm kann Glaubensgewissheit Wurzel schlagen. Wer immer schon über alles Bescheid weiss und andere belehren will, der ist nicht auf dem Weg des Glaubens. Hören sollen wir auf den einen Gott, der uns im Wort der Schrift begegnet. Der erste und wichtigste Schritt zum Hören ist, dass wir im Wort der Bibel lesen und versuchen seinen Geist zu erfassen. Ich meine damit keine blinde Wortgläubigkeit. Einzelne Stellen können uns durchaus unklar sein und sich erst durch andere und den Zusammenhang des Ganzen erschliessen. Aber je länger und tiefer wir uns mit der Bibel beschäftigen, desto mehr wird sich uns die Klarheit der Schrift erschliessen, wird Gott selbst uns die Klarheit der Schrift erschliessen. Aus dem Hören folgt der Gehorsam gegenüber Gottes Wort, das aufrichtige Bemühen, seinem Willen entsprechend zu leben. Denn Gott ist einzig und so unendlich viel grösser als wir, dass wir nicht das Recht haben, uns mit unserer Vernunft über ihn zu stellen. Wir sollen uns durch die Bibel in Frage stellen lassen und nicht in erster Linie die Bibel in Frage stellen. Gott ist ein Geheimnis, das wir letztlich nicht ergründen können. Darum sind wir in unserem Glauben immer wieder voller Fragen und selbst der tiefste Glaube erfasst das Geheimnis Gottes nicht ganz. Darum müssen wir immer wieder neu auf das Wort der Schrift hören und auf das, was uns andere Christinnen und Christen zu sagen haben.
„Aber“, so fragte der Ratsuchende zurück, „wie können wir denn behaupten, dass unser Gott der einzige Gott ist, wo es doch so viele Religionen und Gottesvorstellungen auf unserer Welt gibt? Und müssen wir dann die anderen von unserem Gott und unseren Gottesvorstellungen überzeugen?“ „Nicht von unseren Gottesvorstellungen sollen wir die anderen überzeugen, ja nicht einmal von unserem Gott sollen wir andere überzeugen – zumindest nicht in dem Sinne, dass wir sie zu etwas überreden. Aber wir sollen unseren Glauben glaubwürdig und ohne Scheu leben - in der Hoffnung, dass Gott durch seinen Geist den Glauben in anderen Menschen wirkt. Dass es nur einen Gott gibt, steht in der Bibel. Nach dem Zeugnis des Neuen Testaments begegnet er uns in Jesus Christus. Er allein ist der Weg, die Wahrheit und das Leben. Aber Vorsicht, unser Gott ist ein Gott des Friedens und der Liebe. Es war ein furchtbarer Irrweg in der Geschichte unseres christlichen Glaubens, den Glauben mit den Mitteln der Macht oder gar des Schwertes ausbreiten zu wollen. Denn dadurch ist nur Gewalt und Unterwerfung entstanden, aber nicht Glaube, der von Herzen kommt. Wo Menschen sich nicht zum Glauben einladen lassen, sollen wir dies respektieren und sie nicht bedrängen, aber die Einladung sind wir ihnen schuldig. Warum es die anderen Religionen und den Unglauben gibt, bleibt für uns Menschen letztlich ein unergründliches Geheimnis Gottes. Wir können nur freimütig unseren Glauben bekennen.
„Aber wie kann ich meinen Glauben meinen Kindern weitergeben?“, fragte der Ratsuchende weiter. „Indem wir ihnen unseren Glauben vorleben und davon reden. Wir können mit ihnen beten, wenn wir uns an den Tisch setzen oder wenn wir sie zu Bett bringen. Auch die biblischen Geschichten können wir ihnen erzählen, denn sie sind ein kostbarer Glaubensschatz. Wenn die Kinder älter werden und Fragen stellen, können wir ehrliche Antworten geben und uns der Diskussion von Glaubensfragen stellen. Dabei dürfen wir ruhig auch eingestehen, dass wir auf viele Fragen keine Antworten wissen. Aber wir sollten sie mitnehmen zum Gottesdienst, sie ermutigen zum Lesen der Bibel und das Gespräch nicht abbrechen lassen. Auf Zwang sollten wir dabei verzichten, aber Beharrlichkeit ist kein Fehler. Vom Ziel, sie zum Glauben zu führen, sollten wir uns nicht abbringen lassen, aber wir sollten auch akzeptieren, dass ihr Glaube vielleicht andere Ausdrucksformen findet als die, die wir gewohnt sind und ihnen dafür Raum lassen.

Der Ratsuchende fand all dies höchst bedenkenswert, aber er fragte sich, ob er sich die Glaubensgewissheit dieses Lehrers zu eigen machen könne oder wolle. Und es blieb auch eine Unruhe in ihm, weil ihm der Absolutheitsanspruch dieses Glaubens Mühe machte und er sich fragte, ob die Quellen des Glaubens nicht vielfältiger und weiter seien als das Wort der Bibel. Also suchte er eine Lehrerin des Glaubens auf, die den Ruf einer offenen, liberalen Ratgeberin hatte. Auch von ihr wollte er wissen, wie er das „Höre Israel“ zu verstehen habe. „Wir Menschen“, erhielt er zur Antwort, „neigen dazu, uns Meinungen und Konzepte zurechtzulegen, mit denen wir uns die Welt erklären. Und wenn wir uns unser Weltbild einmal zurechtgelegt haben, dann nehmen wir das, was nicht in unser Weltbild passt, gar nicht mehr wahr oder verdrängen es. Wir meinen, die Welt müsste so sein, wie wir sie uns vorstellen und sie müsste für alle anderen ebenso sein, sonst sind sie im Irrtum. Das gilt auch für unsere frommen und religiösen Weltbilder. „Höre Israel“ ist eine Aufforderung an das biblische Gottesvolk und an uns, die wir durch Jesus zum Gottesvolk hinzugekommen sind, uns ständig neu einzuüben ins Hören. Hören heisst, die Dinge nicht einfach unserem Weltbild anzupassen, sondern aufmerksam und offen wahrzunehmen, was uns begegnet, empfindlich und empfindsam zu bleiben, berührbar und bereit, uns verändern zu lassen. Wenn der Glaube aus dem Hören kommt, dann ist damit gewiss auch und besonders das Hören auf die Bibel gemeint. Sie ist für uns Christinnen und Christen eine kostbare Glaubensquelle. Aber heisst es nicht in der Bibel, dass der Buchstabe tötet, der Geist aber lebendig macht. Zum Hören gehört immer auch die Frage, ob das Gehörte dem Leben dient und Frieden schafft. Nicht um Gehorsam geht es, sondern um ein Hören, das im Herzen Liebe weckt. Und es sind genauso die Erfahrungen, die wir in der Natur, die ja Gottes Schöpfung ist, machen, die uns zum Hören führen können oder menschliche Begegnungen, die Schätze der Kunst und der Literatur und auch der Reichtum der Religionen. Es gibt ja kein objektives Hören. Jedes Hören verknüpft das Gehörte mit unseren mitgebrachten Erfahrungen, Gefühlen und anderen Sinneseindrücken und so hören wir dasselbe oft sehr unterschiedlich. Glauben habe ich immer nur als je meinen Glauben. Ich kann ihn niemals zum Massstab des Glaubens der anderen machen.
„Heisst das denn“, fragte der Ratsuchende zurück, „dass die Bibel nicht die alleinige Quelle des Glaubens ist und der christliche Gott nicht der einzige Gott?“ „Ich bin zutiefst überzeugt, dass es keine Quellen des Glaubens gibt, die dem Geist der Bibel widersprechen, aber ich denke, dass die Bibel nicht unsere einzige Quelle ist. Auch die anderen Religionen bemühen sich um einen Weg zu Gott, wollen sich dem Geheimnis Gottes auf menschliche Weise annähern. Könnte es nicht sein, dass wir an einen Gott glauben, dessen Geheimnis sich die Religionen auf höchst unvollkommene Weise annähern? Aber wir können und sollen nicht mehrere Wege gleichzeitig gehen. Als Christinnen und Christen sind uns das Leben und Sterben und die Auferstehung Jesu Christi und die Befreiungsgeschichte des Volkes Israel als Weg zu Gott geschenkt. Auf diesen Weg sollen wir uns ganz und in tiefster Gewissheit verlassen. Es ist nicht zufällig unser Weg, sondern der Weg, den Gott uns gewiesen hat. Aber wir dürfen damit rechnen, dass sich das Geheimnis Gottes Menschen auch auf anderen Wegen erschliessen kann. Darum ist unserem Glauben entsprechend die Haltung der Toleranz, die den eigenen Glauben einladend und glaubwürdig lebt ohne andere bekehren zu wollen. Gott ist einzig, nicht unsere religiösen Überzeugungen, unsere Kirchen und Konfessionen.“
„Was bedeutet all dies für die religiöse Erziehung unserer Kinder?“, wollte der Ratsuchende wissen. „Können wir dann den Glauben überhaupt weitergeben.“ „Wir können den Glauben nicht weitergeben wie die Wissensbestände unserer Kultur oder eine mathematische Gleichung. Zuerst und vor allem kommt es darauf an, dass wir glaubwürdig, offen und ehrlich von unserem Glauben reden. Wir können nicht weitergeben, was wir selber nicht glauben. Auch unsere Fragen und Zweifel dürfen wir dabei nicht verbergen. Nie sollten wir uns einbilden, wir allein könnten unsere Kinder zum Glauben führen. Sie sollen auch auf andere hören. Stets müssen wir sie als eigenständige Persönlichkeiten achten und respektieren, dass sie frei sind, ihren eigenen Glaubensweg zu finden oder sogar den Weg des Glaubens zu verlassen. Die Freiheit unserer Kinder steht höher als unser Wunsch, ihnen den Glauben weiterzugeben. Schuldig sind wir ihnen aber, dass wir ihnen die Möglichkeit geben, ihren Weg zu finden, indem wir mit ihnen über Glaubensfragen reden, ihnen biblische Geschichten erzählen und mit ihnen beten – oder zumindest ihnen den Zugang zu Menschen eröffnen, bei denen sie all dies kennen lernen können. Wir sollen aber auch akzeptieren, wenn unsere Kinder im Jugendalter sich vom Glauben entfremden oder eine andere Frömmigkeit suchen als die unsere. Worauf es ankommt ist, dass wir mit ihnen im Gespräch bleiben und darauf achten, dass sie ihr Weg nicht in Abhängigkeit und Unfreiheit führt oder ihnen Schaden zufügt. Und manchmal bleibt uns nur noch, Gott zu bitten, dass er sie auf ihrem Weg begleite und bewahre. Glauben weitergeben kann nur, wer auch loslassen kann.

Einleuchtend erschien dem Ratsuchenden vieles, was diese Lehrerin zu ihm gesagt hatte. Aber wem sollte er nun folgen? Welcher Weg war der richtige? So wandte er sich an eine weithin bekannte Weisheitslehrerin. Viele lobten ihre klugen Ratschläge, aber einige nörgelten, man sei nach dem Gespräch mit ihr meist nicht klüger als zuvor. Er erzählte ihr alles, was ihm die beiden anderen gesagt hatten. „Wer hat denn nun recht“, fragte er. „Das weisst du schon“, bekam er zur Antwort. „Bedenke, was du gehört hast. Bedenke, was nur dein Ohr erreicht, was du mit deinem Verstand begriffen hast und was dein Herz berührt. Achte darauf, was in deinem Herzen Liebe weckt und Freude entstehen lässt. Erinnere dich, was dir auf deinem Weg des Glaubens Mut gemacht hat und welche Veränderungen du erlebt hast. Bedenke, was dem Frieden dient und Leben zur Entfaltung bringt. Und vergiss nicht, dass die anderen dasselbe tun, auch wenn sie am Ende vielleicht dennoch einen anderen Weg gehen. Und dann geh deinen Weg, geh ihn mit Zuversicht und Gottvertrauen, denn es ist dein Weg, den nur du so gehen kannst und auf dem Gott mit dir geht.“ Amen.

Samstag, 30. Januar 2010

Predigt vom 31. Januar 2010

Predigt zu 1. Kor 9,24-27

Liebe Gemeinde,

Übung macht den Meister - mit dieser alten Lebensweisheit versuchen Trainerinnen und Trainer im Sport ihre Schützlinge zu motivieren, Lehrerinnen und Lehrer ihre Schülerinnen und Schüler, Eltern ihre Kinder. Wer einmal ein Instrument erlernt hat, kennt diesen Satz vielleicht besonders gut. Denn gerade da braucht es so manche - oft mühsame und eintönige Übung, bis jemand sein Instrument beherrscht.

Übung macht den Meister - mit diesem Satz könnte man durchaus auch den heutigen Predigttext, die Worte des Apostels Paulus an die Gemeinde in Korinth überschreiben. Er verweist dazu auf die Welt des Sports. Er hat wohl die isthmischen Spiele von Korinth vor Augen. Am Ehrgeiz und Trainingsfleiss der Sportler - damals durften nur Männer an solchen Wettkämpfen teilnehmen - sollen sich die Christinnen und Christen ein Beispiel nehmen. Wenn die schon für ein bisschen Lorbeer und vergänglichen irdischen Ruhm Strapazen und Entbehrungen auf sich nehmen, dann müssten die Christen ja umso grösseren Einsatz an den Tag legen, wenn es um ihren Glauben geht, von dem es ja im Heidelberger Katechismus so schön und treffend heisst, dass er unser alleiniger Trost im Leben und im Sterben sei.

Die Argumentation des Paulus ist durchaus einleuchtend - und dennoch mag dieser Predigttext manchem Schwierigkeiten bereiten. Schon das Bild des sportlichen Wettkampfs für den Glauben irritiert. Sollte es plötzlich im Glauben auch darum gehen, der Erste und der Beste zu sein, andere zu besiegen? Ist nicht unser Glaube Gnade, ein Geschenk und gerade der Grund, warum hier keiner einen Vorrang vor dem anderen beanspruchen darf? Hat Paulus nicht wenige Zeilen zuvor noch geschrieben, dass er den Schwachen ein Schwacher geworden sei? Und hat uns die Schriftlesung aus dem Jeremiabuch Jer 9,22-23) nicht nachdrücklich vor dem Rühmen gewarnt?

Nein, hier geht es gewiss nicht ums Gewinnen und Verlieren wie in anderen Bereichen. Wenn schon der sportliche Wettkampf zum Vergleich mit unserem Glauben herhalten soll, käme ich eher auf den Teamgeist im Mannschaftssport. Warum also nimmt Paulus den Einzelwettkämpfer, der unbedingt gewinnen will als Beispiel? Es geht ihm um den Einsatz, das Ziel, die Ernsthaftigkeit und den Verzicht, die für ihn auch zum Glauben dazugehören. Es mag für uns eine überraschende Perspektive sein, aber für Paulus gilt auch in bezug auf den Glauben: Übung macht den Meister. Und er fordert die Korinther zur Ausdauer und zum Trainingsfleiss auf.

Und da taucht natürlich sofort das zweite Problem auf: wie kann man Glauben üben? Frühere Generationen hätten vielleicht auf ihren kirchlichen Unterricht verwiesen. Sie haben Lieder und Bibelverse auswendig gelernt, wurden im Katechismus unterrichtet und bekamen die biblischen Geschichten erzählt. So eigneten sie sich im Laufe der Zeit einen Glaubensschatz an, Worte und Texte, Glaubenswahrheiten, die manchem in schwierigen Zeiten Halt gegeben haben. Mein Konfirmationsunterricht sieht heute ganz anders aus und ich halte es auch nicht für möglich, die Unterweisung heute noch so zu gestalten wie früher. Trotzdem denke ich, dass es auch ein Glaubensverlust ist, wenn wir kaum mehr Worte und Geschichten haben, die wir kennen und in denen wir uns bergen können. Wer einmal erlebt hat, wie Menschen, die eine grosse Last zu tragen haben, sich erinnern an biblische Geschichten, oder an einzelne Verse oder Liedtexte und darin Trost finden, der bleibt nicht unberührt. Und ebenso beeindruckt es mich immer wieder, wenn ich erlebe, wie stark demente Menschen spürbar reagieren, wenn sie die Worte des 23. Psalms hören. Wenn wir diese Sprache und diese Geschichten verlieren, dann verarmen wir geistig und geistlich.

Die Frage, wie wir heute in unserer Zeit den Glauben üben können und ob das überhaupt geht, ist damit aber noch nicht beantwortet. Glauben lernen heisst ja nicht nur Traditionen übernehmen und lernen, sondern sich eine eigene Meinung bilden, einen eigenen Standpunkt einnehmen. Nur bleibt die Voraussetzung dafür, dass wir den christlichen Glauben überhaupt kennen. Einen eigenen Standpunkt einnehmen kann nur, wer sich die Mühe macht, sich mit den biblischen Geschichten vertraut zu machen, die christlichen Glaubenstraditionen kennenzulernen, das Leben einer christlichen Gemeinde mitzuerleben. Dabei geht es nicht ohne Ausdauer und langen Atem. Ein Hauptproblem unserer Zeit ist dabei, dass alles schnell gehen und unmittelbar einleuchtend und nützlich sein soll. Es gibt vermutlich für jeden von uns solche Lieder, Texte, Geschichten, die uns unmittelbar einleuchten und berühren. Aber erstens braucht es Zeit und Achtsamkeit, um sie zu finden und zweitens wachsen wir auch im Glauben gerade an den Dingen, die uns herausfordern, die wir nicht auf den ersten Blick unmittelbar einleuchtend und nützlich finden, die uns nicht nur bestätigen, was wir immer schon gewusst haben. Wenn die biblische Botschaft uns eine neue Perspektive auf das Leben geben kann - und weil ich davon überzeugt bin, stehe ich auf der Kanzel -, dann müssen wir diese Perspektive auch einüben. Wie wäre das, wenn das verlorene Schaf wirklich mindestens genauso wichtig ist wie die 99 anderen? Was würde sich verändern, wenn nicht mehr Leistung und Ansehen zählt, sondern jeder gleich wichtig ist? Was wäre anders, wenn ich auch die finstersten Täler nicht mehr zu fürchten bräuchte, weil der gute Hirte mich führt? Was würde sich verändern, wenn wir nicht alles von diesem Leben erwarten müssten? Wo kämen wir hin, wenn wir tatsächlich die Nächsten und sogar die Feinde liebten und vergeben statt vergelten würden? Wie verändert sich die Lebensperspektive, wenn uns tatsächlich nichts und niemand aus Gottes Hand reissen kann? Ja, ich glaube, dass all diese Glaubenssätze erst dann ihre befreiende Kraft entfalten, wenn wir uns beständig darin einüben, unser Leben in ihrem Licht zu sehen. Es sind keine alltäglichen und selbstverständlichen Perspektiven. Sie brauchen tatsächlich Übung.

Zu diesen hilfreichen Übungen im Glauben gehört sicher auch das Singen - ob allein, im Gottesdienst oder in einem Chor. Das Beten gehört dazu, ob allein für sich oder in Gemeinschaft, ob frei formuliert oder mit überlieferten Worten. Überhaupt ist eine der wichtigsten spirituellen Übungen, sich Zeit zu nehmen und zur Ruhe zu kommen. Wir können dafür die unterschiedlichsten Formen wählen - was für den einen das Beten ist, das ist für den anderen das bewusste Atmen oder die Meditation oder die Verbindung von beidem. Manchen ist ein besinnlicher Kalender oder ein Buch mit Worten für jeden Tag oder das Losungsbuch eine Hilfe, oder auch ein regelmässiger Bibelleseplan. Es kann auch einfach ein Spaziergang oder eine bewusste Pause sein, wo jemand sich Zeit nimmt. Wichtig ist, dass wir die Formen finden, mit denen wir zur Ruhe kommen können und innere Ruhe finden. Dann können wir auch darauf vertrauen, dass uns aus dieser Ruhe die Kraft und die Erkenntnis zuwächst, die wir brauchen.

Hilfreich sind für uns auch Rituale, weil Rituale Halt geben. Für Kinder ist es vielleicht die Gutenachtgeschichte, das Lied oder Gebet am Bett oder auch nur der Gutenachtkuss der Mutter. Für manche kann es das regelmässige Tischgebet sein oder auch nur, dass man zumindest mit dem Essen gemeinsam anfängt. Es sind die kirchlichen Feste im Jahreslauf, die uns etwas von dem Sinn und der Ordnung des Lebens vermitteln können, wenn wir sie bewusst feiern und gestalten. Nicht nur die im engeren Sinn kirchlichen Rituale sind Glaubensübungen, sondern alle Rituale und Formen, die uns in dem Vertrauen stärken, dass das Leben gut ist.

Zum Üben des Glaubens gehört für mich auch die Erfahrung von Gemeinschaft. Ich kann sehr wohl für mich alleine Beten oder Singen, die Bibel lesen und nachdenken. Aber mein Glaube verkümmert ohne die Erfahrungen und Gedanken der anderen. wir brauchen den Austausch um miteinander und aneinander zu wachsen, voneinander zu lernen und einander auch Korrektiv zu sein. Fanatismus gedeiht, wo einzelne sich in ihre Ideen verrennen oder einander in abgeschotteten Gemeinschaften gegenseitig bestätigen. Der christliche Glaube aber lebt von der Gemeinschaft der Verschiedenen, die sich durch ihre Verschiedenheit helfen, dass rechte Mass zu finden.

Kann man den Glauben üben? Nein, unser Glaube bleibt ein unverfügbares Geschenk Gottes. Auch mit den besten und gewissenhaftesten Übungen können wir den Glauben nicht selber bewerkstelligen, aber zugleich gilt: wir können nicht glauben, ohne uns im Glauben zu üben. Jeder und jede von uns hat die Freiheit, die Formen zu entdecken, die ihm oder ihr entsprechen. Die Übung gehört dazu - auch wenn es nicht darum geht zum Meister zu werden und anderen überlegen zu sein. Und gute Gewohnheiten erleichtern jede Übung.

Dann können wir es getrost Gott überlassen, welche Wege er uns führt, welche Aufgaben er uns zuweist und welche Erkenntnisse er uns schenkt. Amen.

Mittwoch, 27. Januar 2010

Predigt vom 24.1.2010

Predigt zu 2. Kor 4,6-10

Liebe Mitchristen,

vor 11 Tagen hat ein schweres Erdbeben in Haiti unglaubliches Leid verursacht. Unbegreiflich ist die enorme Zahl von Todesopfern, jedes einzelne ein Mensch mit seiner Geschichte, mit Menschen, die um ihn/sie trauern. Unzählige haben alles verloren - Angehörige und Freunde, ihr Obdach, Hab und Gut.

Sollen wir nun Gott fragen, wie er so etwas zulassen kann? Aber was wäre das für ein Gottesbild? Gott ist ja nicht der, der da oben im Himmel thront und nach Belieben die Fäden zieht. Ein Gott, der nach Belieben ein solches Erdbeben zulassen oder verhindern könnte, wäre ein Willkürherrscher und noch dazu zynisch, würde er es zulassen. Und hoffentlich haben wir uns auch abgewöhnt, in solchen Naturkatastrophen Strafen Gottes zu sehen. Denn das wäre nicht Glaube, sondern Zynismus und Blasphemie.

Was bleibt nun stattdessen? Ein ohnmächtiger Gott statt dem allmächtigen Gott. Aber wie könnten wir dann vertrauensvoll unser Leben in Gottes Hand legen? Bei solchen Katastrophen können wir nach menschlichen Ursachen und menschlicher Verantwortung fragen. Aber wir werden damit nicht alles erklären können. Darüber hinaus bleibt uns nichts anderes als die Erkenntnis Hiobs. Wir stossen an Grenzen unseres Begreifens, die wir aushalten müssen. Es bleibt uns nur die Erkenntnis, dass es ist, wie es ist - und dass uns nur die Haltung des Mitgefühls und die praktische Solidarität, die materielle Hilfe bleibt. Bei der Sammlung der Glückskette vom vergangenen Donnerstag konnten wir von vielen berührenden Beispielen solch praktischer Solidarität und Hilfe hören. Und es bleibt uns das Vertrauen, dass auch diese Not und dieser Schrecken noch in Gottes Hand sind. Denn Gott ist weder allmächtig noch ohnmächtig. Gott ist mitfühlend. Er bleibt an der Seite seiner Menschen in ihren Glücksmomenten, aber auch in den tiefsten und dunkelsten Tälern.
Etwa in derselben Zeit habe ich von einer Studie gelesen, die im Kanton Zürich mit 14-15-jährigen Schülerinnen und Schülern gemacht wurde. Die Ergebnisse haben mich erschreckt. Nach dieser Studie geben 25% der Mädchen an, sie hätten schon einmal an Selbstmord gedacht. Und 8% geben sogar an, sie hätten schon einmal einen Selbstmordversuch gemacht. Bei den gleichaltrigen Jungen sehen diese Zahlen längst nicht so erschreckend aus. Aber es bleibt die beunruhigende Einsicht, wie viele Menschen - und gerade Jugendliche - Mühe haben, mit ihrem Leben zurecht zu kommen.
Was haben das Erdbeben in Haiti und diese Zürcher Studie miteinander zu tun und was haben sie mit unserem Predigttext aus dem 2. Kor zu tun? Normalerweise leben wir ja so als hätten wir unserLeben einigermassen im Griff, gehen unseren alltäglichen Beschäftigungen nach, schmieden Pläne oder kümmern uns um das, was gerade anliegt. Und plötzlich werden wir daran erinnert, wie leicht die alltäglichen Selbstverständlichkeiten sich in Nichts auflösen können. Die Meldungen aus Haiti lassen uns nicht unberührt, weil wir Mitgefühl empfinden mit dem Leid der Menschen. Sie berühren uns aber auch, weil wir spüren, dass das, worauf wir gewöhnlich unser Vertrauen setzen, dass all die materiellen Sicherheiten plötzlich weg sein können. Wir spüren intuitiv, dass wir im Leben noch einen Halt und eine Gewissheit brauchen, die tiefer reicht, ja, die auch dann noch trägt, wenn nichts mehr Bestand hat. Und genau diese tieferen Wurzeln sind es auch, die Menschen bräuchten, die in eine individuelle Sinn- und Lebenskrise geraten, denen subjektiv ihr eigenes Leben sinnlos und wertlos vorkommt.
Unser Predigttext beginnt mit dem Licht, das Gott in unseren Herzen hat aufstrahlen lassen. Es ist ein Licht, das uns die Herrlichkeit Gottes auf dem Angesicht Jesu Christi erkennen lehrt. Für Paulus heisst das immer auch auf dem Angesicht des Gekreuzigten. Und gerade den Korinthern macht er das Mal um Mal bewusst, weil einige von ihnen sich in ihrer Glaubenseuphorie und Glaubensgewissheit sich schon fast im Himmel und nicht mehr ganz von dieser Welt wähnten. Paulus erinnert uns daran, dass wir den Schatz des Glaubens in irdenen Gefässen haben. Dieses Bild von den irdenen Gefässen ist mir ganz wichtig. Es zeigt mir, dass auch unsere Glaubensgewissheit uns immer nur als menschliche, zerbrechliche Gewissheit zuteil wird. Wer glaubt ist nicht frei von Zweifel und wer zweifelt, der hat deshalb noch lange nicht den Glauben verloren. Unser Glaube ist nicht eine Kraft, über die wir verfügen könnten. Diese Erfahrung und diese Einsicht lässt mich skeptisch werden, wenn Menschen allzu euphorisch und selbstsicher vom Glauben reden. Das kann in anderen Menschen einen Druck erzeugen, sie müssten mehr und fester glauben und ihre Fragen und Zweifel seien Zeichen des Unglaubens. So wie Paulus die Situation der Glaubenden dann beschreibt, bewirkt der Glaube keine stoische Ruhe, keinen Gleichmut, der uns allem entheben würde. Wer glaubt, steht nicht über den Dingen, sondern mittendrin, wird berührt und lässt sich berühren.
Paulus kennt sie am eigenen Leib, die Erfahrungen der Krankheit, oder wie das ist, wenn andere über einem herfallen, wennn man verfolgt oder zum Gespött gemacht wird. Er weiss, wie sich das anfühlt, wenn man mit seinen Kräften am Ende ist. Und er spielt überhaupt nicht den Selbstgewissen, dem all das nichts anhaben kann. „In allem sind wir bedrängt, aber nicht in die Enge getrieben, ratlos, aber nicht verzweifelt, verfolgt, aber nicht verlassen, zu Boden geworfen, aber nicht am Boden zerstört. Durch seinen Glauben lebt er nicht in einer anderen Welt. Es sind fast nur Nuancen, die den Unterschied ausmachen, aber diese Nuancen sind entscheidend: bedrängt ja, aber ich lasse mich nicht in die Enge treiben; wohl manches Mal ratlos, aber dennoch nicht verzweifelt; Verfolgungen ausgesetzt, aber er ist darin nicht allein; er mag am Boden sein, aber er vertraut darauf, dass Gott ihn wieder aufrichten wird. Den Unterschied macht für ihn sein Glaube, dass das Licht in unseren Herzen nicht erlöschen kann, sein Glaube, dass Gottes ja zu uns unumstöslich und unwiderruflich ist. Wir können fallen, aber nicht aus Gottes Hand.
Auch wenn das helle Licht in unseren Herzen manchmal nur noch als ein glimmender Docht da ist, es bleibt. Wir dürfen darauf achten, es suchen, auf seinen Schein vertrauen, gerade dann, wenn die Lichter um uns erlöschen. Wir haben den Schatz des Glaubens in irdenen Gefässen. Für mich heisst das auch, dass wir zu den irdenen Gefässen, in denen das Vertrauen auf Gott und das Vertrauen in das Leben gedeihen kann, pflegen und Sorge dazu tragen. Solche Gefässe sind vor allem die Freundschaft und die menschliche Anteilnahme, aber auch die praktische und materielle Hilfe in Notsituationen. Ein solches Gefäss ist die Zeit, die wir einander schenken, das Zuhören und Mitfühlen. Ein solches Gefäss ist das Verständnis un ddie Geduld mit Menschen , die sich schwach zeigen, die nicht mehr weiter wissen. Dem anderen Zeit lassen, ihn so annehmen wie er ist, den anderen nicht mit guten Ratschlägen einzudecken, sondern sich mit ihm behutsam auf die Suche nach den Wegen machen, die er gehen kann. all das sind solche irdenen Gefässe, in denen wir den Schatz des Glaubens weitertragen können. Denn unser Glaube ist nicht einfach die Antwort auf alle unsere Fragen, aber der Glaube erinnert uns an die Liebe, die uns in all unseren Fragen un dauch in Zeiten der Ratlosigkeit hindurchtragen kann. Diesen Schatz dürfen wir uns bewahren, wenn auch in irdenen Gefässen. Amen.

Neujahrspredigt 1.1.2010

Predigt zu Jak 4,13-15

Liebe Mitchristen,

geradezu sprichwörtlich ist diese clausula jacobaei aus unserem heutigen Predigttext geworden. „So Gott will und wir leben“ - wie viele von uns es vermutlich aus der Lutherbibel in den Ohren haben - das ist der grosse Vorbehalt, der über unserem Leben steht. Wir können machen und planen, Vorsätze fassen, uns Ziele setzen und überlegen, wie wir sie erreichen. Das alles ist richtig und gut, solange wir darüber nicht vergessen, dass unser Leben nicht allein in unseren Händen liegt. Am Beginn eines neuen Jahres sagt uns der Jakobusbrief, dass wir Gott einbeziehen sollen - in unser Planen und Machen, aber auch in unsere gespannte Erwartung, was dieses Jahr wohl bringen mag - und dass wir uns von Gott erst recht unterbrechen lassen sollen, wenn wir schon gar nicht mehr viel vom neuen Jahr erwarten.

Aber was heisst das eigentlich - Gott einbeziehen in unsere Pläne? Das erste und Offensichtlichste, wenn wir auf unseren Predigttext hören, ist: Gott unterbricht unsere Allmachtsphantasien. Er sagt uns: nimm dich und deine Pläne, aber auch deine Enttäuschungen nicht so ungeheuer wichtig. Denen mit den grossen Plänen und Konzepten sagt er: es könnte alles auch noch ganz anders kommen. Bescheidenheit und Demut gehören zum menschlichen Mass. Den Resignierten aber sagt er: Wagt etwas mehr Vertrauen. Traut euch, traut Gott etwas zu. Es hängt nicht alles von eurer kleinen Kraft ab und mit Gottes Hilfe könnt ihr mit eurer kleinen Kraft viel bewirken. Beides sollen wir hören - und jedes zu seiner Zeit.

Wir können und wir dürfen für das neue Jahr Pläne schmieden, uns Ziele setzen, etwas erwarten. Das ist auf jeden Fall besser als die Haltung, dass man am besten gar nichts erwartet und die Enttäuschungen schon einprogrammiert oder die Hände in den Schoss legt und denkt, es kommt ja eh, wie es kommen muss. Damit hätten wir den grossen Vorbehalt des Jakobusbriefs völlig missverstanden. Die Frage ist nur, ob wir unsere Pläne und Ziele zum Mass aller Dinge machen. Die Frage ist, ob wir in unserem Planen und Machen nur an gute Geschäfte und Gewinne denken und stetig um uns selber Kreisen. Die Frage ist, ob wir noch Augen und Sinne haben für das Überraschende, das Ungeplante, das Notwendige, für die Bedürfnisse unserer Seele und das, was die Menschen brauchen, die uns begegnen.

Das, so glaube ich, ist die zweite Botschaft unseres Textes, die mindestens genauso wichtig ist: Gott unterbricht uns durch Menschen, die uns begegnen und die uns brauchen - und diese Unterbrechung tut uns gut, ist heilsam. Denken wir an ein Kind, das krank wird. Das kann unseren wohlorganisierten Alltag und unsere Pläne ganz schön durcheinanderbringen. Aber wie oft merken wir dann im Rückblick, dass die Krankheit verbunden war mit einem wichtigen Entwicklungsschritt, wo unser Kind die Unterbrechung und unsere Nähe und Zuwendung besonders nötig hatte. Und wir erkennen: die Unterbrechung, so störend sie auch war, ist für uns beide notwendig und heilsam gewesen. Hat es in unserem Leben noch Platz für solche Unterbrechungen? Nehmen wir uns die Zeit und sind wir achtsam genug, um zu bemerken, wo jemand uns nötig hat - in der Familie, in der Nachbarschaft, am Arbeitsplatz? Spüren wir, wann ein Mensch uns gerade jetzt braucht und nicht irgendwann dann, wenn es unsere Agenda zulässt? Übrigens kann es auch sein, dass wir selber der Mensch sind, der uns gerade am nötigsten braucht. Auch für uns selbst kann es wichtig sein, darauf zu achten, wo wir innehalten müssen, wo unsere Seele nicht mehr mitkommt, wo wir uns selbst überfordern und vergessen, was wirklich wichtig und notwendig ist für unser Leben.
Die dritte Botschaft: Gott unterbricht uns durch Gelegenheiten, die wir niemals planen können und die wir uns nicht erträumt hätten. Wir sollen über all unserem Planen nicht vergessen, dass Gott uns in unserem Leben immer wieder neue Türen auftut, neue Wege ebnet, neue Brücken baut. Die Sprache des NT, das Griechische, kennt das schöne Wort vom Kairos. Das ist nicht die ablaufende Zeit der Uhr, die erbarmungslos tickt, sondern die erfüllte Zeit, die Gelegenheit, das Fenster, dass sich auftut und wo etwas Neues entstehen kann - ohne dass wir es vorher geplant oder gezielt in die Wege geleitet hätten. Für das Neue Testament ist dieser Kairos verbunden damit, dass sich Gott uns gezeigt hat in der Geschichte Jesu Christi. Und ich bin überzeugt, dass sich Jesus Christus auch uns zeigt, wo Türen sich öffnen, Brücken und neue Wege auftauchen, Menschen uns begegnen und etwas in uns wachrufen, dass wir noch nicht entdeckt oder längst vergessen haben. Worauf es ankommt, ist, diese Gelegenheiten zu erkennen und sie auch zu ergreifen - und nicht zu vergessen, wem wir sie verdanken.

„So Gott will und wir leben“ - dieser Vorbehalt ist nicht zuletzt eine grosse Einladung, in der Gegenwart zu leben, die Gelegenheiten im Jetzt wahrzunehmen und auf die Menschen zu achten, die uns begegnen. Darum möchte ich an den Schluss meiner Predigt einen - wie ich finde - wunderbaren Satz des Mystikers Meister Eckehart setzen. Er wäre ein guter und hilfreicher Leitsatz für dieses neue Jahr:
Die wichtigste Stunde ist immer die Gegenwart, der bedeutendste Mensch ist immer der, der dir gerade gegenübersteht, das notwendigste Werk ist stets die Liebe.
(Meister Eckehart)
Amen.