Samstag, 8. Januar 2011

Predigt zu Matthäus 4, 12-17 am 9. Januar 2011

Liebe Gemeinde,

die Weihnachtstage sind vorüber, das neue Jahr hat begonnen, auch der Dreikönigstag liegt hinter uns. Der heutige Predigttext mutet uns einen ziemlichen Sprung zu - vom Kind in der Krippe zu dem jungen Mann Jesus am Beginn seiner öffentlichen Wirksamkeit. Die Worte aus dem Jesajabuch vom Volk, das in der Finsternis sass und ein grosses Licht gesehen hat, schlagen die Brücke zwischen den alten Verheissungen zu dem Stern über Bethlehem, dem Kind in der Krippe und dem jungen Mann Jesus. Aber nun ist er eben nicht mehr ein „holder Knabe im lockigen Haar“, sondern ein Bussprediger, der den Menschen zuruft: „Kehrt um! Denn nahe gekommen ist das Himmelreich.“
Mit diesem Umkehrruf tritt Jesus in die Fussstapfen Johannes des Täufers. Können Sie sich das vorstellen, dass Jesus einmal ein Teenager oder junger Erwachsener war, der ein Vorbild, ein Idol hatte, das ihn faszinierte und dem er nacheiferte. So befremdlich für manchen diese Vorstellung sein mag - so ähnlich muss es wohl gewesen sein. Der heranwachsende Jesus hat von Johannes dem Täufer gehört, der alles hinter sich gelassen hat und, wie man sich erzählte, nur mit einem Kamelhaarmantel bekleidet in der judäischen Wüste lebte, sich von Heuschrecken und wildem Honig ernährte und die Menschen zur Umkehr rief. Dieser Johannes kannte offenbar keine Furcht und keinen falschen Respekt vor den Autoritäten seiner Zeit, nicht vor den Pharisäern und Schriftgelehrten und auch nicht vor dem König Herodes. Kompromisslos, konsequent und entschieden war er und erfüllt von einer tiefen Frömmigkeit. Jesus ist ihm auch begegnet und wir können uns vielleicht sogar vorstellen, wie sehr diese Radikalität und Furchtlosigkeit den jungen Mann Jesus fasziniert haben mag. Viele Bibelforscher vermuten sogar, dass Jesus eine Zeitlang zum Kreis Johannes des Täufers gehört haben könnte. Ja, wir dürfen uns Jesus von Nazareth als einen jungen Mann auf der Suche nach sich selbst vorstellen, als einen der sich nicht damit zufrieden gab, in die Fussstapfen seines Vaters zu treten und die Dinge einfach so zu nehmen wie sie nun einmal sind. Wir dürfen uns vorstellen, dass er nicht bereit war, die römische Herrschaft einfach so hinzunehmen und ihn der Prunk des Herodes und die Macht der Schriftgelehrten empörten und er sich nicht so leicht damit abfinden wollte, dass es Oben und Unten, arm und reich gab, als sei dies ein gottgegebenes Schicksal. Er sehnte sich nach einem Leben, das sich radikal an Gott ausrichtete und in dem er einen Sinn sehen konnte. Johannes verkörperte für ihn einen solchen radikalen und alternativen Lebensstil, die Frömmigkeit, die er suchte.
Es muss für Jesus eine furchtbare Nachricht gewesen sein, als er davon hörte, dass Johannes von Herodes verhaftet worden war - und später ja sogar hingerichtet wurde. Und es ist durchaus möglich, dass die Empörung über dieses Unrecht und das Bedürfnis, die Botschaft des Johannes auf seine Weise weiter zu tragen, ein wichtiger Impuls zu Jesu öffentlichem Auftreten gewesen ist. Auf jeden Fall ist es genau die Botschaft des Johannes, die uns hier in den Worten Jesu entgegentritt. Es ist genau diese Botschaft und doch ist sie anders - oder wird sie anders im Laufe der Wirksamkeit Jesu. Denn Jesu Umkehrruf ist durchdrungen und getragen von der Erfahrung eines liebenden Vaters, der selbst in seinem Zorn noch bedingungslos liebt und barmherzig ist. Der Gott, in dessen Namen Jesus zur Umkehr ruft, ist und bleibt der Vater, der sein Kind, das sich von ihm losgesagt hat, bei seiner Rückkehr wieder in die Arme schliesst, der offene Türen und ein weites Herz hat. Jesu Umkehrruf ist der Ruf dessen, der die Sünderin vor den Gerechten in Schutz nimmt und sie davor bewahrt, dass diese mit Steinen auf sie werfen. Jesu Umkehrruf ist nicht weniger radikal, aber er ist getragen von einem Wohlwollen und einer bedingungslosen Liebe, die einlädt und aufatmen lässt. Nicht der Drohfinger, nicht die Angstmacherei steht hinter diesem Umkehrruf, sondern die Einladung zu einem Leben, dass sich an diesem liebenden und barmherzigen Gott ausrichtet und diese Liebe und Barmherzigkeit weitergibt.
„Kehrt um! Denn nahe gekommen ist das Himmelreich.“ Aus dem Munde Jesu ist das keine Drohung, sondern eine andere, bessere Lebensmöglichkeit, eine Einladung und eine Verheissung. Für viele ist das Wort Umkehr - oder Busse, wie es in früheren Übersetzungen hiess - mit Selbstzerknirschung, sich zu Boden werfen und ein schlechtes Gewissen haben verbunden. All das ist auch nicht grundsätzlich falsch, aber dennoch geht es zuerst um etwas anderes. Metanoeite bedeutet „den Sinn ändern“, „sich neu ausrichten“, „in eine neue Richtung gehen“. Wer aber die Richtung ändert, der tut dies, um den richtigen Weg zu finden. Und genau darum geht es ja - den richtigen Weg zu finden, den Weg zu einem Leben, das Sinn macht oder biblisch gesprochen, zu einem Leben, so wie Gott uns gewollt hat, wie Gott es für uns vorgesehen hat.
Ich bin überzeugt, dass es uns gut tut, wenn wir uns von Zeit zu Zeit fragen, ob das Leben, das wir führen, der richtige Weg ist. Wir sollten uns fragen, wie unser Leben im Lichte des Himmelreichs aussieht. Sind die Ziele, die wir so selbstverständlich verfolgen, wirklich die Ziele, für die es sich zu kämpfen lohnt? Gibt es in unserem Leben überhaupt noch etwas, für das zu kämpfen sich lohnt? Wonach streben wir, was treibt uns um, was raubt uns den Schlaf? Und sind all diese Dinge wirklich die entscheidenden im Leben? Wer oder was bleibt auf der Strecke, wenn wir einfach unbeirrt in dieselbe Richtung weitergehen? Wenn wir innehalten, umkehren, einmal in eine andere Richtung blicken - was sehen wir dann? Vielleicht tauchen dann Menschen in unserem Blickfeld auf, die wir übersehen haben. Oder wir erkennen plötzlich, dass es nicht nur den Weg für uns gibt, den wir bisher unbedingt gehen wollten. Mag sein, dass wir Glück und Erfüllung plötzlich an einem ganz anderen Ort entdecken als wir bisher vermuteten. Die Wege, die wir gehen werden, wenn wir Jesu Ruf zur Umkehr hören, werden unterschiedliche Wege sein. Es gibt nicht den einen Weg für alle, weil jeder nur für sich selbst diesen Ruf hören kann. Aber es werden Wege sein, bei denen wir uns weniger um uns selber drehen, weil wir erkennen, dass wir unser Leben nicht uns selber und unseren Leistungen verdanken, sondern unser Leben als Geschenk Gottes empfangen dürfen. Und es werden Wege sein, die uns zu anderen führen und uns mit anderen verbinden, weil Gott uns nicht als einsame Glückssucher gedacht hat, sondern als Menschen, die miteinander leben und füreinander da sind, aneinander Anteil nehmen und sich miteinander freuen und Lasten gemeinsam tragen. Weil niemand für sich alleine glücklich sein kann, weil Leben auf Kosten der anderen uns nicht erfüllen kann.
„Kehrt um! Denn nahe gekommen ist das Himmelreich.“ Dieser Ruf Jesu führt uns in die Nähe des liebenden und barmherzigen Gottes, des Vaters Jesu Christi. Dieser Ruf ist eine Einladung zum Leben und ein Weckruf, innezuhalten und die festgefahrenen und ausgetretenen Pfade unseres Lebens zu überdenken. Wo ist es für mich jetzt an der Zeit umzukehren und Lebenswege zu überdenken? Wen habe ich aus den Augen verloren und wer ist bei meinem bisherigen Weg auf der Strecke geblieben oder droht, auf der Strecke zu bleiben? Möge Gott uns helfen, die Wege zu entdecken, die wir gehen können und die uns erfüllen und zueinander führen. Amen.

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