Liebe Gemeinde,
dürfen wir uns Gott als einen enttäuschten und verletzten Liebhaber vorstellen? Unser Predigttext aus dem Buch des Propheten Jesaja ist ein Liebeslied, ein Lied, das von einer enttäuschten und verletzten Liebe singt. Es ist ein ungewohntes Gefäss, in das der Prophet seine Botschaft kleidet. Hätte er nicht einfach dem Volk die Leviten lesen können, den Menschen ihr Unrecht vorhalten? Ist Gott nicht der Herrscher und Richter, der sein Volk, seine Menschen souverän zur Rechenschaft ziehen könnte? Dass der Prophet seine Botschaft in die Gestalt eines Gleichnisses, eines Liebesliedes kleidet, ist nicht einfach eine originelle Verkleidung. Es ist die Botschaft selbst. Gott ist und bleibt der Liebende. So dramatisch am Ende unseres Predigttextes der verwüstete und preisgegebene Weinberg vor unseren Augen steht und der Vorwurf von Rechtsbruch und Schlechtigkeit im Raum – die Geschichte ist offen. Weil Gott der Liebende bleibt, weil er als Liebender und eben nicht als blinde Justitia auftritt, bleibt noch die Wut des enttäuschten Liebhabers ein Werben um seine Liebe, ein Werben Gottes um sein Volk und seine Menschen.
Eindrücklich singt uns der Prophet von seinem Freund, dem Weinbergbesitzer. Viel Zeit und Mühe hat er für seinen Weinberg aufgewendet. Wir sehen ihn richtig vor uns, wie er mit dem Werkzeug in der Hand seien Weinberg umgräbt, die Steine hinausschafft, edle Reben darin pflanzt, einen Turm baut und eine Kelter gräbt. Schweiss und Mühe gehört dazu. Und wir dürfen uns den Weinbergbesitzer vorstellen, wie er nach all der Arbeit erschöpft dasitzt und stolz und glücklich seinen Weinberg betrachtet. Nun wird er seine Früchte bringen. Er hegt und pflegt seinen Weinberg. Was hätte man noch tun können, das ich nicht getan habe? Aber der Weinberg bringt nichts als schlechte Trauben. Wie gross ist die Enttäuschung - und die Enttäuschung verwandelt sich in Wut.
Enttäuschte Liebe, vergebliche Liebesmüh. Vielleicht könnten manche von uns auch solche Geschichten erzählen, solche Lieder singen. Menschen, die sich um einen anderen Menschen bemüht haben, die überzeugt sind, ihr Bestes getan zu haben, die viel in ihre Liebe investiert haben und enttäuscht worden sind. Eltern, die ihren Kindern viel gegeben haben an Liebe und Zuwendung, an persönlichen Opfern und die sich plötzlich fragen: Wozu das alles? Was bekomme ich denn zurück. Oder auch Menschen, die sich einer Sache, einer Aufgabe verschrieben haben und ihre Zeit und ihre Kraft, ja, ihre ganze Liebe darin investiert haben und eines Tages sich fragen: Wo bleibt der Dank? Was bekomme ich zurück? Enttäuschte Liebe, verletzte Gefühle, der Eindruck: es war alles umsonst, vergebene Liebesmüh – vielleicht können wir das nachvollziehen. Menschen, die viel gegeben, die viel investiert haben und deren Liebe gross ist, die sind besonders verletzlich und sie können an den Punkt kommen, wo sie den Bettel hinschmeissen möchten, wo die Liebe die Gestalt der Wut und der Aggression annimmt. Ich habe das bewusst so formuliert. Jemand hat einmal gesagt: Das Gegenteil von Liebe ist nicht Hass, sondern Gleichgültigkeit. Das ist eine sehr weise Einsicht, denn wo Gleichgültigkeit herrscht, da hat die Liebe keinen Platz mehr. Die Wut und Aggression des Weinbergbesitzers, der seinen Weinberg der Verwüstung preisgeben will, sie ist und bleibt eine Gestalt seiner Liebe. Würde er es wirklich tun – er würde gewiss dasitzen und wie ein Schlosshund heulen. Es würde ihm das Herz brechen und wer weiss, ob er es nicht im selben Moment bereuen würde. Der aber, der gleichgültig geworden ist, der würde kalt lächelnd weitergehen – im Gefühl, dass es dem Weinberg ja nur recht geschieht. Ich glaube, wir können uns diesen entscheidenden Unterschied nicht genug bewusst machen. Wenn wir enttäuscht werden oder auch, wenn uns Wut und Enttäuschung entgegenschlägt, kann es ganz wichtig sein, wenn wir nicht vergessen, dass sie so etwas wie die Kehrseite der Liebe sind und nicht das Ende. Erst wo die Gleichgültigkeit Einzug hält ist die Liebe meist wirklich zu Ende.
Wie aber soll ein Mensch reagieren, dem so viel Wut und Enttäuschung vor die Füsse geworfen wird? Eine mögliche Reaktion – und vielleicht nicht die seltenste – ist es, resigniert aufzugeben. Das war’s dann wohl, es hat keinen Sinn mehr. Diese Reaktion sieht nur noch die Enttäuschung und Wut und nimmt sie nicht mehr als Gestalt der Liebe wahr. Dann bleibt nur noch das Zerstörerische und Hoffnungslose übrig. Auch im Glauben gibt es dieses Muster: Menschen, die Gott nur als den allmächtigen Richter sehen können, dessen wachsames Auge noch alles kontrolliert und dessen erhobener Zeigefinger allgegenwärtig ist. Und irgendwann bleibt ihnen nur noch die Befreiung, der Abschied von diesem Gott und sie merken gar nicht, dass es nur ein falsches Gottesbild ist, von dem sie Abschied nehmen.
Eine andere Reaktion ist es, die Gegenrechnung aufzumachen. Dieses Muster kommt in unseren Beziehungen oft vor. Und wie oft hast du mich enttäuscht, welche Fehler hast du gemacht? Wer ist Schuld? Und wer trägt mehr Schuld? Ich brauche nicht lange zu erklären, wie zerstörerisch dieses Muster ist, zumal ja in der Regel die objektiven Massstäbe fehlen, um Schuld zu beurteilen. So häufig diese Reaktion unter uns ist, so sehr fällt mir doch auf, dass sie im Glauben, in unserem Verhältnis zu Gott eigentlich unmöglich ist. Wer sich von Gott zur Rechenschaft gezogen weiss, spürt wohl intuitiv, dass er hier keine Gegenrechnung aufmachen kann und da wo Menschen Gott zur Rechenschaft ziehen, klagen und ihn anklagen, da kommen sie zu ihm mit ihren Zweifeln und Fragen angesichts von Not und Elend in der Welt, von Ungerechtigkeit und Leid oder weil sie in ihrem persönlichen Schicksal nichts mehr spüren von der Gegenwart eines liebenden Gottes. Das aber ist etwas ganz anderes als das Aufrechnen von Schuld.
Eine dritte Möglichkeit ist die demütige Unterwerfung. Auch dieses Muster gibt es in unseren Beziehungen. Und ich denke, dass es ebenfalls ein ungesundes Muster ist, weil es nicht partnerschaftlich, sondern herrschaftlich ist. Wer sich immer unterwirft, verliert die Selbstachtung und die Achtung des Anderen. Oder könnten Sie jemand auf Dauer lieben, der sich niemals wehrt und immer nur versucht, es ihnen in allem recht zu machen? Aber vielleicht fragen sie sich, ob nicht in unserem Verhältnis zu Gott solch demütige Unterwerfung angemessen ist. Ist er nicht der allmächtige Herrscher, der gar nicht im Unrecht sein kann? Schon Paulus hat es ja festgehalten und die Reformatoren haben es unterstrichen: Wir sind allzumal Sünder und bedürfen der Vergebung unseres Gottes. Und trotzdem behaupte ich: Gott will nicht demütige Unterwerfung, sondern Menschen, die ihm aufrecht gegenüber treten, Menschen, die sich zur Verantwortung ziehen lassen. Die paulinische und reformatorische Einsicht ist nicht dazu da, dass wir stets gebeugten Hauptes und schuldbewusst herumlaufen. Gott will gerade und aufrechte Menschen. Im Lied vom Weinbergbesitzer appelliert der Prophet ja an die Einsicht der Menschen. Rechtsbruch und Schlechtigkeit sind ja offensichtlich. Und er hofft darauf, dass die Menschen zu freier Einsicht kommen und umkehren zu Recht und Gerechtigkeit.
So bleibt also die vierte Möglichkeit. Konfrontiert mit der Wut und Aggression enttäuschter Liebe können wir das Werben um unsere Liebe erkennen, das darin steckt. Konfrontiert mit Vorwürfen können wir Verantwortung übernehmen für das, was wir aus freier Einsicht annehmen können, wofür wir uns auch wirklich verantwortlich fühlen. Wir können um Vergebung bitten und wir können verzeihen. Und wir können versuchen, auch das Unlösbare zu akzeptieren, all das was wir verschieden sehen. Und ich glaube, dass es auch im Verhältnis zu Gott, im Glauben, um genau diese freie und aufrechte Verantwortlichkeit, dieses Gegenüber geht. Rechtsspruch und Gerechtigkeit sind Gottes Massstäbe für unser Handeln. Werden wir ihnen gerecht oder wo scheitern wir an ihnen? Wofür wollen wir Gott um Vergebung bitten? Vor allem aber: Erkennen wir, wie sehr Gott um uns wirbt und uns auch in der Konfrontation mit unserem Versagen, unserer Schuld, seine Liebe zeigt?
Denn das ist ganz entscheidend an diesem Text: Gott ist nicht der Richter, sondern bleibt auch angesichts der ins Auge gefassten Preisgabe des Weinbergs der Liebende, der um seine Menschen wirbt. Trotzdem ist ja nicht wegzudiskutieren, dass der Weinberg am Ende verwüstet daliegen könnte. Die Vorstellung, Gott könnte aus enttäuschter Liebe sein Volk, er könnte uns Menschen aufgeben, sie macht mir Mühe. Und erzählt die Bibel nicht immer wieder davon, wie Gott einen neuen Anfang mit seinen Menschen, mit uns macht? Ist nicht das ganze Neue Testament in immer neuen Anläufen die Verkündigung frohen Botschaft, dass Gott Frieden mit uns gemacht, sich selbst mit uns versöhnt hat? Aber umgekehrt: Ist Liebe, die völlig einseitig von Gott ausginge und von uns ganz unabhängig wäre, überhaupt noch Liebe. Ist Liebe, deren Ende nicht mehr gedacht werden darf, noch Liebe oder einfach ein unentrinnbares Schicksal?
Wichtig ist mir bei all diesen Fragen dreierlei: Erstens: Das Lied des Propheten vom Weinberg seines Freundes hat ein offenes Ende. Es ist nicht der Beschluss, den Weinberg der Verwüstung preiszugeben, sondern fasst diese äusserste Möglichkeit ins Auge – aus Liebe und um damit um Liebe und Umkehr zu werben. Die Botschaft lautet: Gott liebt euch und es ist ihm nicht egal, was ihr tut. Erst wo die Trennung denkbar wird ist die Liebe nicht ein unentrinnbares, aber letztlich gleichgültiges Schicksal, sondern eine lebendige Beziehung, die wachsen kann. Das zweite: Das Lied hat zwar ein offenes Ende. Im Horizont der Botschaft von Jesus stehen aber drohende Verwüstung und erhoffter Neuanfang nicht gleichgewichtig nebeneinander: Gott hat uns in Jesus Christus mit sich versöhnt. Der Zugang zu ihm ist offen. Seine Liebe bleibt. Für jeden. Immer. Und das dritte: Das Ende des Liedes ist offen, weil es nicht über uns redet, nicht das Urteil über uns spricht, sondern uns anredet und um uns wirbt. Am Ende des Liedes ist der Ball bei uns. Wir sind gefragt. Wir sind gefragt, wie wir es halten mit Recht und Gerechtigkeit, mit Rechtsbruch und Schlechtigkeit. Wir sind gefragt – als die Geliebten – was wir für diese Liebe tun wollen im Alltag unseres Lebens. Gott gibt uns die Freiheit, auf seine Liebe zu antworten. Amen.
Samstag, 25. Februar 2012
Samstag, 28. Januar 2012
Predigt über 2. Könige 5,1-19 vom 29. Januar 2012
Liebe Gemeinde,
Naaman lebt mitten unter uns – und vielleicht sind ja sogar wir selbst dieser Naaman. Das mag überraschend klingen, denn was könnte viel weiter von uns entfernt sein als ein aramäischer Feldhauptmann vor fast 3000 Jahren und ein israelitischer Prophet, der eine wunderbare Heilung vornimmt. Und doch – wenn wir genau hinschauen, dann können wir in der Art der Krankheit dieses Feldhauptmanns und dem verwickelten Weg der Heilung mehr über uns selbst erfahren als wir zunächst denken und vielleicht sogar als uns lieb ist.
Naaman wird uns als ein vortrefflicher, hoch geachteter und erfolgreicher militärischer Feldherr vorgestellt, einer der viel erreicht hat. Doch er leidet an einer Krankheit, die ihm schwer zu schaffen macht. Aussätzig sei er, heisst es in der Luther-Übersetzung. Es handelt sich aber hier nicht um die hoch ansteckende Leprakrankheit, die wir aus den Geschichten des Neuen Testaments kennen, sonst hätte er nicht bei seiner Familie leben und in grossem Gefolge reisen und seinen Beruf ausüben können. Seine Krankheit ist eine Schuppenflechte, bei der die natürliche Hornbildung der Haut masslos übersteigert ist und zwangsläufig an Panzerbildung erinnert.
Nun ist die Bibel kein medizinisches Lehrbuch, aber ebenso wenig ein Wunder- und Märchenbuch. Die Heilungsgeschichten der Bibel wollen uns einladen, die Perspektive des Glaubens einzunehmen. Krankheiten sind in ihnen oft ein Spiegel der Seele und Heilung bedeutet meist mehr als äusserliches Verschwinden der Krankheitssymptome. Heilung ist eine innere Verwandlung des Menschen, ist auch seelische Gesundung, der Aufbruch zu einer neuen Lebenshaltung.
Naaman, der mächtige Mann, er leidet an Verpanzerung. Die äusserliche Verpanzerung seiner Haut ist in dieser Geschichte wohl auch ein Spiegel des Panzers, mit dem er seine Seele umgeben hat, der Schutzmechanismen, die er sich im Laufe der Zeit zugelegt hat. Und genau da ist uns dieser Feldhauptmann plötzlich gar nicht mehr so fremd. Denn auch wir haben uns ja unsere Schutzmechanismen zugelegt. Schliesslich braucht man ja ein dickes Fell. Wir sehen zu, dass wir die Dinge im Griff haben und versuchen uns mit dem zu arrangieren, was wir nicht ändern können. Aber all das – so werden sie nun vielleicht denken – ist doch notwendig. Sie haben Recht. Niemand kann ohne solche Schutzmechanismen leben. Wir brauchen Abwehrkräfte. Manchmal dürfen wir vielleicht Dinge gar nicht zu nahe an uns herankommen lassen. Und doch birgt eben all dies die Gefahr der Verpanzerung in sich. Dann kann uns nichts mehr überraschen. Dann wissen wir, wie die Dinge laufen, dann kennen wir unsere Feinde, dann lassen wir uns nicht mehr berühren und sind krampfhaft damit beschäftigt, unser Leben im Griff zu behalten. Uneingestanden träumen wir den Traum von der Unverletzbarkeit und merken gar nicht, dass Unverletzbarkeit nichts anderes ist als der Tod. So wie wir auf unsere Körperöffnungen angewiesen sind, darauf dass unsere Haut atmen kann, obwohl genau dadurch auch all die Schadstoffe und Krankheitserreger unseren Körper erreichen, genau so muss auch unsere Seele atmen können und das kann sie nur, wenn wir auch das zulassen, was uns verletzen kann. Wir wollen die Dinge im Griff haben bis der Punkt kommt, wo wir merken, wie einsam und leer unser Leben geworden ist oder wo plötzlich sich etwas in unseren Weg stellt, das wir nicht mehr im Griff haben oder bewältigen können. Und dann?
Naaman leidet. Er weiss wie man militärische Mittel einsetzt und wie man einen Feind im Felde besiegt. Er weiss seine Macht und seinen Einfluss zu gebrauchen. Er verfügt über Geld, mit dem er sich so ziemlich alles leisten kann. Er kann gebieten und befehlen. Aber gegen seinen Panzer ist er machtlos. Da versagen all seine bewährten Mittel und Strategien. Und würde diese Geschichte allein im Kreis der Mächtigen spielen, sie würde wohl bald mit einem Staatsbegräbnis enden. Aber nun kommt in unserem Predigttext eine junge Frau ins Spiel, eine Kriegsgefangene, die als Dienerin der Frau des Naaman im Hause lebt. Sie, die namenlose Sklavin, die von der Armee des Naaman ihrer Heimat, ihrer Familie, ihrer Freiheit beraubt wurde, sie ist fähig zum Mitgefühl und bringt die erste entscheidende Wendung in der Geschichte. Auch wenn sie wohl recht gut behandelt wurde, hätte sie nicht doch Grund genug gehabt, gleichgültig zu bleiben? Und woher nahm sie den Mut, überhaupt etwas zu sagen? Wer sollte schon auf eine Sklavin hören? Musste sie nicht befürchten, verspottet oder ignoriert zu werden oder gar bestraft, weil man ihr vorwerfen könnte, sie wolle sich über den armen Naaman lustig machen? Das geht mich doch nichts an! Das bringt doch eh nichts! Wer weiss, wie die anderen reagieren! Aber die israelitische Sklavin greift ein: „Ach dass mein Herr wäre bei dem Propheten in Samaria! Der könnte ihn von seinem Aussatz befreien.“ Und nun geschieht das erste Wunder. Naaman hört. Er hört auf diese Sklavin. Und er geht zum König, beruft sich vor diesem ausdrücklich auf die Worte einer Sklavin und Kriegsgefangenen und macht sich auf den Weg.
Aber er tut es natürlich mit den Mitteln, die ihm vertraut sind: hoch zu Ross, mit grossem Gefolge, reichen Geschenken und einem königlichen Empfehlungsschreiben. Und er begibt sich mit alledem zuerst zum König von Israel. Die Folge sind diplomatische Irritationen, die leicht hätten eskalieren können. Denn der König von Israel kann – gepanzert mit der uralten Feindschaft der beiden Völker – im Ansinnen des Naaman nur einen Vorwand zum Streit sehen. Auch er verpanzert, eingeschlossen in sein Bild der Welt, der Machtpolitik. Auch das mag uns nicht ganz unvertraut sein. Wie oft entsteht in alten Feindschaften oder belasteten Beziehungen diese fatale Situation. Alles was der andere tut oder sagt steht unter dem Verdacht, was er oder sie jetzt wieder Böses im Schilde führt. So wird jede Begegnung, jede Versöhnung unmöglich und wir sind Gefangene unserer festgefahrenen Bilder und Vorstellungen, aus denen wir uns selbst nicht mehr befreien können.
Das Eingreifen des Elisa ist nötig, damit die Geschichte gut weitergehen kann. Mit all den Symbolen seiner Macht zieht Naaman vor das Haus des Propheten. Doch dieser kommt nicht einmal persönlich heraus, sondern schickt lediglich einen Boten. Welch eine Demütigung für den machtgewohnten Feldherrn. Wenigstens durch Macht und Reichtum wollte er die Kontrolle behalten und nun bricht all das zusammen und er muss sich von einem Boten abspeisen lassen. Und der hat ihm nicht mehr zu bieten als den lächerlichen Rat, sich sieben Mal im Jordan zu baden. Jetzt packt Naaman die Wut. Geht man so mit mir um. Er sollte selber herauskommen und mit machtvollen Worten seinen Gott zum Eingreifen bewegen. Reich würde ich ihn dafür beschenken. Aber baden kann ich mich auch zuhause in unseren Flüssen. Die sind sogar besser. Auch den Kontakt zu Gott kann er sich nur in den Kategorien von Macht und Grösse vorstellen. Und als diese Erwartungen enttäuscht werden, da brechen endlich die ganzen Gefühle von Wut und Enttäuschung, seine Aggressionen auf. Und ich denke, dass auch das zu seiner Heilung dazugehört. Er zeigt Gefühle, sein Panzer bricht auf. Was er aber jetzt noch braucht ist dies: er muss endlich herabsteigen von seinem Ross. Aber zuerst einmal denkt er ans umkehren. Lieber im vertrauten Elend bleiben als sich zu demütigen oder lächerlich zu machen. So leicht steigt ein Feldherr nicht von seinem hohen Ross. Aber Naaman hat Glück mit seinen Untergebenen. Denn wie oft reden die ihren Vorgesetzten nach dem Mund und es ist auch unter Freunden nicht selbstverständlich, dass offene und klare Worte gesprochen werden. Aber wenn wir einander nur sagen, was der andere gerne hört, betrügen wir einander um die Wahrheit und berauben uns der Möglichkeit, Dinge zu verändern. Dass wir dies liebevoll und behutsam tun sollten und im Wissen darum, dass auch wir irren könnten, das ist klar. Die Diener des Naaman schweigen nicht, so wie schon vorher die israelitische Sklavin. Geschickt und behutsam dringen sie durch den stolzen Panzer ihres Herrn. Und der lässt sich bewegen. Er steigt herab. Er taucht unter. Siebenmal. Bis auf den Grund des schmutzigen Jordanwassers. Nur so wird er seinen krank machenden Schutzpanzer los. Nur so begegnet er dem Gott Israels und seiner heilenden Kraft.
„Da stieg er ab und tauchte unter im Jordan siebenmal, wie der Mann Gottes geboten hatte. Und sein Fleisch wurde wieder heil wie das Fleisch eines jungen Knaben, und er wurde rein.“ Die Heilung gleicht einer Neugeburt. Das Untertauchen erinnert uns an die Taufe. Die Taufe ist ja auch die Zusage: „Du bist in Gottes Hand.“ Und wer sich in Gottes Hand weiss, der darf sich auch von seinen Schutzpanzern befreien lassen, kann auch dem begegnen, was ihm an sich selbst Mühe macht und unansehnlich ist, kann sich berühren lassen und Möglichkeiten entdecken. Wo wir alles schon wissen, da hat es für Gott keinen Platz. Wenn wir alles im Griff haben wollen, können wir uns nicht beschenken lassen. Wenn wir uns nicht berühren lassen, verlernen wir das Staunen. Und das ist wohl eines der grössten Geschenke, die Kinder uns immer wieder machen: Sie lehren uns das Staunen. Sie helfen uns, die Dinge mit anderen Augen zu sehen. Aber sie konfrontieren uns auch mit ihrer Bedürftigkeit und mit den Grenzen unseres Machens und Planens. Und genau das ist heilsam für uns, so wie für Naaman der Blick von unten, der Blick der Dienerin und seiner Diener, ihr Blick von unten, heilsam war.
Naaman ist geheilt. Und doch bleibt noch etwas. Denn der grosse Feldherr will dem Propheten wenigstens den grossen Dienst angemessen entgelten. Doch Elisa nimmt das Geschenk nicht an. Für Naaman ist es wichtig, dass er lernt, sich beschenken zu lassen, etwas schuldig zu bleiben. Auch das ist Teil seiner Heilung, der Befreiung von seinem Panzer der Macht und des Reichtums. Lass es dir gefallen, sagt Elisa ihm. Und endlich begreift er es. Und hat eine letzte Bitte. Erde will er mitnehmen aus Israel. Erde, die ihn erinnert an das Gute, das ihm widerfahren ist und an den Gott, der ihm diese Heilung hat widerfahren lassen, der ihn befreit hat von seinem Panzer. Diesem Gott will er fortan dienen. Elisa gewährt im diese Bitte – und auch noch eine allerletzte: Sein Amt zwingt Naaman, zuhause auch den Gott Rimmon anzubeten und Elisa erlaubt ihm diesen Kompromiss. Diese Toleranz beeindruckt mich. Natürlich gibt es auch faule Kompromisse, aber ebenso eine bedrohliche fanatische Kompromisslosigkeit. „Zieh hin mit Frieden!“ verabschiedet Elisa den Naaman. Er vertraut darauf, dass er nicht vergessen wird, welcher Gott ihm geholfen hat. Auch wenn er in seinem Alltag mit Kompromissen leben wird, auch wenn er wieder Macht und Reichtum gebrauchen wird – sein Panzer ist aufgebrochen, er lässt sich berühren, seine Seele kann atmen. Das bleibt. Das ist ein Segen. Amen.
Naaman lebt mitten unter uns – und vielleicht sind ja sogar wir selbst dieser Naaman. Das mag überraschend klingen, denn was könnte viel weiter von uns entfernt sein als ein aramäischer Feldhauptmann vor fast 3000 Jahren und ein israelitischer Prophet, der eine wunderbare Heilung vornimmt. Und doch – wenn wir genau hinschauen, dann können wir in der Art der Krankheit dieses Feldhauptmanns und dem verwickelten Weg der Heilung mehr über uns selbst erfahren als wir zunächst denken und vielleicht sogar als uns lieb ist.
Naaman wird uns als ein vortrefflicher, hoch geachteter und erfolgreicher militärischer Feldherr vorgestellt, einer der viel erreicht hat. Doch er leidet an einer Krankheit, die ihm schwer zu schaffen macht. Aussätzig sei er, heisst es in der Luther-Übersetzung. Es handelt sich aber hier nicht um die hoch ansteckende Leprakrankheit, die wir aus den Geschichten des Neuen Testaments kennen, sonst hätte er nicht bei seiner Familie leben und in grossem Gefolge reisen und seinen Beruf ausüben können. Seine Krankheit ist eine Schuppenflechte, bei der die natürliche Hornbildung der Haut masslos übersteigert ist und zwangsläufig an Panzerbildung erinnert.
Nun ist die Bibel kein medizinisches Lehrbuch, aber ebenso wenig ein Wunder- und Märchenbuch. Die Heilungsgeschichten der Bibel wollen uns einladen, die Perspektive des Glaubens einzunehmen. Krankheiten sind in ihnen oft ein Spiegel der Seele und Heilung bedeutet meist mehr als äusserliches Verschwinden der Krankheitssymptome. Heilung ist eine innere Verwandlung des Menschen, ist auch seelische Gesundung, der Aufbruch zu einer neuen Lebenshaltung.
Naaman, der mächtige Mann, er leidet an Verpanzerung. Die äusserliche Verpanzerung seiner Haut ist in dieser Geschichte wohl auch ein Spiegel des Panzers, mit dem er seine Seele umgeben hat, der Schutzmechanismen, die er sich im Laufe der Zeit zugelegt hat. Und genau da ist uns dieser Feldhauptmann plötzlich gar nicht mehr so fremd. Denn auch wir haben uns ja unsere Schutzmechanismen zugelegt. Schliesslich braucht man ja ein dickes Fell. Wir sehen zu, dass wir die Dinge im Griff haben und versuchen uns mit dem zu arrangieren, was wir nicht ändern können. Aber all das – so werden sie nun vielleicht denken – ist doch notwendig. Sie haben Recht. Niemand kann ohne solche Schutzmechanismen leben. Wir brauchen Abwehrkräfte. Manchmal dürfen wir vielleicht Dinge gar nicht zu nahe an uns herankommen lassen. Und doch birgt eben all dies die Gefahr der Verpanzerung in sich. Dann kann uns nichts mehr überraschen. Dann wissen wir, wie die Dinge laufen, dann kennen wir unsere Feinde, dann lassen wir uns nicht mehr berühren und sind krampfhaft damit beschäftigt, unser Leben im Griff zu behalten. Uneingestanden träumen wir den Traum von der Unverletzbarkeit und merken gar nicht, dass Unverletzbarkeit nichts anderes ist als der Tod. So wie wir auf unsere Körperöffnungen angewiesen sind, darauf dass unsere Haut atmen kann, obwohl genau dadurch auch all die Schadstoffe und Krankheitserreger unseren Körper erreichen, genau so muss auch unsere Seele atmen können und das kann sie nur, wenn wir auch das zulassen, was uns verletzen kann. Wir wollen die Dinge im Griff haben bis der Punkt kommt, wo wir merken, wie einsam und leer unser Leben geworden ist oder wo plötzlich sich etwas in unseren Weg stellt, das wir nicht mehr im Griff haben oder bewältigen können. Und dann?
Naaman leidet. Er weiss wie man militärische Mittel einsetzt und wie man einen Feind im Felde besiegt. Er weiss seine Macht und seinen Einfluss zu gebrauchen. Er verfügt über Geld, mit dem er sich so ziemlich alles leisten kann. Er kann gebieten und befehlen. Aber gegen seinen Panzer ist er machtlos. Da versagen all seine bewährten Mittel und Strategien. Und würde diese Geschichte allein im Kreis der Mächtigen spielen, sie würde wohl bald mit einem Staatsbegräbnis enden. Aber nun kommt in unserem Predigttext eine junge Frau ins Spiel, eine Kriegsgefangene, die als Dienerin der Frau des Naaman im Hause lebt. Sie, die namenlose Sklavin, die von der Armee des Naaman ihrer Heimat, ihrer Familie, ihrer Freiheit beraubt wurde, sie ist fähig zum Mitgefühl und bringt die erste entscheidende Wendung in der Geschichte. Auch wenn sie wohl recht gut behandelt wurde, hätte sie nicht doch Grund genug gehabt, gleichgültig zu bleiben? Und woher nahm sie den Mut, überhaupt etwas zu sagen? Wer sollte schon auf eine Sklavin hören? Musste sie nicht befürchten, verspottet oder ignoriert zu werden oder gar bestraft, weil man ihr vorwerfen könnte, sie wolle sich über den armen Naaman lustig machen? Das geht mich doch nichts an! Das bringt doch eh nichts! Wer weiss, wie die anderen reagieren! Aber die israelitische Sklavin greift ein: „Ach dass mein Herr wäre bei dem Propheten in Samaria! Der könnte ihn von seinem Aussatz befreien.“ Und nun geschieht das erste Wunder. Naaman hört. Er hört auf diese Sklavin. Und er geht zum König, beruft sich vor diesem ausdrücklich auf die Worte einer Sklavin und Kriegsgefangenen und macht sich auf den Weg.
Aber er tut es natürlich mit den Mitteln, die ihm vertraut sind: hoch zu Ross, mit grossem Gefolge, reichen Geschenken und einem königlichen Empfehlungsschreiben. Und er begibt sich mit alledem zuerst zum König von Israel. Die Folge sind diplomatische Irritationen, die leicht hätten eskalieren können. Denn der König von Israel kann – gepanzert mit der uralten Feindschaft der beiden Völker – im Ansinnen des Naaman nur einen Vorwand zum Streit sehen. Auch er verpanzert, eingeschlossen in sein Bild der Welt, der Machtpolitik. Auch das mag uns nicht ganz unvertraut sein. Wie oft entsteht in alten Feindschaften oder belasteten Beziehungen diese fatale Situation. Alles was der andere tut oder sagt steht unter dem Verdacht, was er oder sie jetzt wieder Böses im Schilde führt. So wird jede Begegnung, jede Versöhnung unmöglich und wir sind Gefangene unserer festgefahrenen Bilder und Vorstellungen, aus denen wir uns selbst nicht mehr befreien können.
Das Eingreifen des Elisa ist nötig, damit die Geschichte gut weitergehen kann. Mit all den Symbolen seiner Macht zieht Naaman vor das Haus des Propheten. Doch dieser kommt nicht einmal persönlich heraus, sondern schickt lediglich einen Boten. Welch eine Demütigung für den machtgewohnten Feldherrn. Wenigstens durch Macht und Reichtum wollte er die Kontrolle behalten und nun bricht all das zusammen und er muss sich von einem Boten abspeisen lassen. Und der hat ihm nicht mehr zu bieten als den lächerlichen Rat, sich sieben Mal im Jordan zu baden. Jetzt packt Naaman die Wut. Geht man so mit mir um. Er sollte selber herauskommen und mit machtvollen Worten seinen Gott zum Eingreifen bewegen. Reich würde ich ihn dafür beschenken. Aber baden kann ich mich auch zuhause in unseren Flüssen. Die sind sogar besser. Auch den Kontakt zu Gott kann er sich nur in den Kategorien von Macht und Grösse vorstellen. Und als diese Erwartungen enttäuscht werden, da brechen endlich die ganzen Gefühle von Wut und Enttäuschung, seine Aggressionen auf. Und ich denke, dass auch das zu seiner Heilung dazugehört. Er zeigt Gefühle, sein Panzer bricht auf. Was er aber jetzt noch braucht ist dies: er muss endlich herabsteigen von seinem Ross. Aber zuerst einmal denkt er ans umkehren. Lieber im vertrauten Elend bleiben als sich zu demütigen oder lächerlich zu machen. So leicht steigt ein Feldherr nicht von seinem hohen Ross. Aber Naaman hat Glück mit seinen Untergebenen. Denn wie oft reden die ihren Vorgesetzten nach dem Mund und es ist auch unter Freunden nicht selbstverständlich, dass offene und klare Worte gesprochen werden. Aber wenn wir einander nur sagen, was der andere gerne hört, betrügen wir einander um die Wahrheit und berauben uns der Möglichkeit, Dinge zu verändern. Dass wir dies liebevoll und behutsam tun sollten und im Wissen darum, dass auch wir irren könnten, das ist klar. Die Diener des Naaman schweigen nicht, so wie schon vorher die israelitische Sklavin. Geschickt und behutsam dringen sie durch den stolzen Panzer ihres Herrn. Und der lässt sich bewegen. Er steigt herab. Er taucht unter. Siebenmal. Bis auf den Grund des schmutzigen Jordanwassers. Nur so wird er seinen krank machenden Schutzpanzer los. Nur so begegnet er dem Gott Israels und seiner heilenden Kraft.
„Da stieg er ab und tauchte unter im Jordan siebenmal, wie der Mann Gottes geboten hatte. Und sein Fleisch wurde wieder heil wie das Fleisch eines jungen Knaben, und er wurde rein.“ Die Heilung gleicht einer Neugeburt. Das Untertauchen erinnert uns an die Taufe. Die Taufe ist ja auch die Zusage: „Du bist in Gottes Hand.“ Und wer sich in Gottes Hand weiss, der darf sich auch von seinen Schutzpanzern befreien lassen, kann auch dem begegnen, was ihm an sich selbst Mühe macht und unansehnlich ist, kann sich berühren lassen und Möglichkeiten entdecken. Wo wir alles schon wissen, da hat es für Gott keinen Platz. Wenn wir alles im Griff haben wollen, können wir uns nicht beschenken lassen. Wenn wir uns nicht berühren lassen, verlernen wir das Staunen. Und das ist wohl eines der grössten Geschenke, die Kinder uns immer wieder machen: Sie lehren uns das Staunen. Sie helfen uns, die Dinge mit anderen Augen zu sehen. Aber sie konfrontieren uns auch mit ihrer Bedürftigkeit und mit den Grenzen unseres Machens und Planens. Und genau das ist heilsam für uns, so wie für Naaman der Blick von unten, der Blick der Dienerin und seiner Diener, ihr Blick von unten, heilsam war.
Naaman ist geheilt. Und doch bleibt noch etwas. Denn der grosse Feldherr will dem Propheten wenigstens den grossen Dienst angemessen entgelten. Doch Elisa nimmt das Geschenk nicht an. Für Naaman ist es wichtig, dass er lernt, sich beschenken zu lassen, etwas schuldig zu bleiben. Auch das ist Teil seiner Heilung, der Befreiung von seinem Panzer der Macht und des Reichtums. Lass es dir gefallen, sagt Elisa ihm. Und endlich begreift er es. Und hat eine letzte Bitte. Erde will er mitnehmen aus Israel. Erde, die ihn erinnert an das Gute, das ihm widerfahren ist und an den Gott, der ihm diese Heilung hat widerfahren lassen, der ihn befreit hat von seinem Panzer. Diesem Gott will er fortan dienen. Elisa gewährt im diese Bitte – und auch noch eine allerletzte: Sein Amt zwingt Naaman, zuhause auch den Gott Rimmon anzubeten und Elisa erlaubt ihm diesen Kompromiss. Diese Toleranz beeindruckt mich. Natürlich gibt es auch faule Kompromisse, aber ebenso eine bedrohliche fanatische Kompromisslosigkeit. „Zieh hin mit Frieden!“ verabschiedet Elisa den Naaman. Er vertraut darauf, dass er nicht vergessen wird, welcher Gott ihm geholfen hat. Auch wenn er in seinem Alltag mit Kompromissen leben wird, auch wenn er wieder Macht und Reichtum gebrauchen wird – sein Panzer ist aufgebrochen, er lässt sich berühren, seine Seele kann atmen. Das bleibt. Das ist ein Segen. Amen.
Sonntag, 25. Dezember 2011
Predigt am 1. Weihnachtstag über 1. Joh 3,1-3
Liebe Gemeinde,
Wohl kaum eine Geschichte ist öfter erzählt worden, wohl kaum eine Szene in der Kunst öfter dargestellt worden als die weihnachtliche Urszene von der Geburt des Kindes im Stall von Bethlehem. Maria mit ihrem Kind auf den Armen, Maria und Josef und das Kind in der Krippe, die anbetenden Hirten und die niederknienden Könige, Ochs und Esel als Repräsentanten der Tierwelt. Dieses Bild in seiner Einfachheit und Ärmlichkeit strahlt einen Glanz, einen Frieden aus, dem wir uns nur schwer entziehen können. In all unserer Abgeklärtheit und Aufgeklärtheit spüren wir, dass wir dieses Bild, diese Szene nicht einfach als religiösen Kitsch abtun können. In der biblischen Weihnachtsgeschichte, in all ihren Darstellungen, Vertonungen und Nacherzählungen begegnet uns ein Anfang, dem ein Zauber innewohnt. Ein neuer Anfang, den Gott uns schenkt. Dieses Kind ist, so erzählt es die biblische Geschichte, die Frucht seiner Liebe zu uns Menschen. Dieses Kind ist die Mensch gewordene Liebe Gottes selbst, Liebe, die sich schutzlos ausliefert, greifbar, anfassbar wird. So wie es im Anfang der Bibel in der Schöpfungsgeschichte heisst: „Siehe, es war gut.“ – so ist diese Geburt das Versprechen Gottes: Siehe, alles wird gut. Euch ist heute der Heiland geboren. Ehre sei Gott in der Höhe und Frieden auf Erden.
Die Weihnachtsgeschichte lenkt unseren Blick auf das Kind in der Krippe, weil sie uns sagen will: So ist Gott. Er wird Mensch, teilt unser Geschick, nimmt Anteil an dem, was wir erleben und erleiden. Er vertraut sich uns an, damit wir zu ihm Sorge tragen und uns seiner annehmen wie eine Mutter um ihr neugeborenes Kind. Dieses Kind ist das Zeichen, dass Gott nicht ohne uns Menschen sein will, dass er sich nicht selbst genug ist in seiner himmlischen Herrlichkeit. Er tritt auch nicht triumphierend bei uns ein, sondern wird geboren, kommt zu uns zart und verletzlich. Er eröffnet eine Geschichte mit uns, eine Liebesgeschichte mit einer offenen, hoffnungsvollen Zukunft.
Im Kind in der Krippe sollen wir Gott erkennen, den liebenden, sich wehrlos machenden Gott, der uns nahe kommt. Und wir sollen uns selbst in diesem Kind erkennen, uns selbst als bedürftige und verletzliche Wesen, aber auch als Menschen, die eine Zukunft haben, mit denen Gott immer wieder neu anfängt. Denn in diesem Kind und durch dieses Kind sollen wir alle Kinder Gottes heissen: „Seht, welch eine Liebe hat uns der Vater erwiesen, dass wir Gottes Kinder heissen sollen – und wir sind es auch. Zwar mag manch einer oder eine von uns die Bezeichnung Kinder Gottes mit zwiespältigen Gefühlen hören, denn schliesslich wollen wir erwachsen sein und Kinder Gottes tönt in unseren Ohren nach unmündig und abhängig. Aber vielleicht gehört ja die Bedürftigkeit und Angewiesenheit auf unsere Mitmenschen und auf Gott zu unserem Menschsein und ist es gar kein so erstrebenswertes Ziel völlig frei von Bedürftigkeit und Abhängigkeit zu sein? Vor allem aber meint die biblische Bezeichnung Kinder Gottes etwas anderes als die unmündigen Kinder. Es ist zuerst und vor allem eine Liebeserklärung Gottes an uns. Ich will für euch da sein wie eine Mutter für ihre Kinder, sagt Gott. Aber es ist noch mehr als das. Wenn ich mir überlege, warum ein neugeborenes Kind uns so berühren kann, dann denke ich an dreierlei. Ein neugeborenes Kind lässt mich staunen über das Wunder des Lebens. Plötzlich ist da ein Mensch, der vorher noch nicht da war, eine Stimme, ein Gesicht, etwas Einmaliges und Neues. Ein neugeborenes Kind lässt in mir auch die Sehnsucht nach einer ursprünglichen Reinheit anklingen, die Sehnsucht, noch einmal neu beginnen zu können. Und ein neugeborenes Kind hat sein ganzes Leben noch vor sich, hat all die Möglichkeiten noch nicht ausgeschöpft und ist noch nicht festgelegt durch seine Geschichte und die richtigen und die falschen Entscheidungen, die wir Erwachsenen immer schon getroffen haben und die unser Sein in unserer Welt, unsere Beziehungen, unser Selbstvertrauen so sehr beeinflussen. „Wir sollen Gottes Kinder heissen und wir sind es auch.“ Wir sollen leben als Menschen, die sich und die anderen immer wieder staunend als ein Wunder Gottes erfahren, etwas Einmaliges und Einzigartiges. In Gottes Augen sind wir nicht festgelegt auf unsere Geschichte, auf unsere Fehler, auf die Schuld, die wir vielleicht auf uns geladen haben. Bei ihm dürfen wir Vergebung erfahren und Liebe, die uns neu beginnen lässt. In Gottes Augen haben wir eine Zukunft. Wir sind nicht einfach das Ergebnis unserer Geschichte, festgelegt auf unsere Vergangenheit. Wir dürfen leben wie Kinder, die noch ein ganzes Leben vor sich haben und neugierig darauf sind die Möglichkeiten zu entdecken und auszuprobieren, die sich ihnen bieten.
Die Philosophin Hanna Arendt schreibt: „Mit ihrer Geburt treten ständig neue Menschen ins Leben und können durch ihr Handeln die Welt verändern. Dass man in der Welt Vertrauen haben und dass man für die Welt hoffen darf, ist vielleicht nirgends knapper und schöner ausgedrückt als in den Worten: Uns ist ein Kind geboren.“ – und sie spielt damit auf die Weihnachtsgeschichte an.
Hören wir unseren Predigttext: „Wir sind schon Gottes Kinder; es ist aber noch nicht offenbar geworden, was wir sein werden. Wir wissen aber: wenn es offenbar werden wird, werden wir ihm gleich sein; denn wir werden ihn sehen, wie er ist.“ Wir sind nicht einfach so wie wir sind. Wir sind nicht fertig. Wir sind nicht das Endprodukt unserer Geschichte. Es ist noch nicht offenbar, was wir sein werden. Diese Einsicht bewahrt uns vor der Verzweiflung, die uns befallen kann, wenn Dinge schief gelaufen sind in unserem Leben oder auch, wenn andere uns auf unsere Geschichte, auf Vergangenes festlegen, daran fesseln wollen. Sie bewahrt uns aber auch vor dem Wahn perfekt und vollkommen sein zu müssen. Wir sind nicht vollkommen und müssen es auch nicht sein, denn es ist noch nicht offenbar, was wir sein werden. Wir dürfen uns entwickeln, aus Sackgassen wieder umkehren, neue Möglichkeiten entdecken, aufstehen, wenn wir umfallen, Fehler eingestehen, ja überhaupt mutig und zuversichtlich handeln und unseren Weg gehen, weil wir Gottes Kinder heissen und auf dem Weg sind, es immer mehr zu werden.
Weihnachtlich leben im Anblick des Kindes in der Krippe, das könnte heissen, dass wir uns immer wieder auf neue Anfänge einlassen. Solche neuen Anfänge sind möglich, wo Menschen einander verzeihen und einander nicht mehr auf das festlegen, was war, sondern ausprobieren, was sein könnte. Sie sind möglich, wenn wir einander als Kinder Gottes ansehen und versuchen, die Liebe, die Gott uns erwiesen hat, weiter zu geben, auch wenn uns dies nur unvollkommen gelingen mag. Solche neuen Anfänge sind möglich, wenn wir lernen uns mit den Augen Gottes zu sehen, als Menschen im Werden, als geliebte Kinder. Solche Anfänge sind möglich, wenn wir in jedem Ende nach dem neuen Anfang suchen und so kann uns letztlich auch der Tod zu einer Neugeburt werden. „Denn dann wird offenbar, was wir sind und wir werden ihm gleich sein; denn wir werden ihn sehen wie er ist.“ An Weihnachten aber ist er uns gleich geworden, damit wir der Liebe Gottes vertrauen und anfänglich leben – leben als Menschen mit Zukunft und Hoffnung, leben als Menschen, die zur Liebe und zum Frieden fähig sind, leben als Menschen, die durch ihr Handeln Neues schaffen und zärtlich und behutsam sein können. Dazu befähige uns die göttliche Liebe, dazu erwecke uns das Kind in der Krippe. Amen.
Wohl kaum eine Geschichte ist öfter erzählt worden, wohl kaum eine Szene in der Kunst öfter dargestellt worden als die weihnachtliche Urszene von der Geburt des Kindes im Stall von Bethlehem. Maria mit ihrem Kind auf den Armen, Maria und Josef und das Kind in der Krippe, die anbetenden Hirten und die niederknienden Könige, Ochs und Esel als Repräsentanten der Tierwelt. Dieses Bild in seiner Einfachheit und Ärmlichkeit strahlt einen Glanz, einen Frieden aus, dem wir uns nur schwer entziehen können. In all unserer Abgeklärtheit und Aufgeklärtheit spüren wir, dass wir dieses Bild, diese Szene nicht einfach als religiösen Kitsch abtun können. In der biblischen Weihnachtsgeschichte, in all ihren Darstellungen, Vertonungen und Nacherzählungen begegnet uns ein Anfang, dem ein Zauber innewohnt. Ein neuer Anfang, den Gott uns schenkt. Dieses Kind ist, so erzählt es die biblische Geschichte, die Frucht seiner Liebe zu uns Menschen. Dieses Kind ist die Mensch gewordene Liebe Gottes selbst, Liebe, die sich schutzlos ausliefert, greifbar, anfassbar wird. So wie es im Anfang der Bibel in der Schöpfungsgeschichte heisst: „Siehe, es war gut.“ – so ist diese Geburt das Versprechen Gottes: Siehe, alles wird gut. Euch ist heute der Heiland geboren. Ehre sei Gott in der Höhe und Frieden auf Erden.
Die Weihnachtsgeschichte lenkt unseren Blick auf das Kind in der Krippe, weil sie uns sagen will: So ist Gott. Er wird Mensch, teilt unser Geschick, nimmt Anteil an dem, was wir erleben und erleiden. Er vertraut sich uns an, damit wir zu ihm Sorge tragen und uns seiner annehmen wie eine Mutter um ihr neugeborenes Kind. Dieses Kind ist das Zeichen, dass Gott nicht ohne uns Menschen sein will, dass er sich nicht selbst genug ist in seiner himmlischen Herrlichkeit. Er tritt auch nicht triumphierend bei uns ein, sondern wird geboren, kommt zu uns zart und verletzlich. Er eröffnet eine Geschichte mit uns, eine Liebesgeschichte mit einer offenen, hoffnungsvollen Zukunft.
Im Kind in der Krippe sollen wir Gott erkennen, den liebenden, sich wehrlos machenden Gott, der uns nahe kommt. Und wir sollen uns selbst in diesem Kind erkennen, uns selbst als bedürftige und verletzliche Wesen, aber auch als Menschen, die eine Zukunft haben, mit denen Gott immer wieder neu anfängt. Denn in diesem Kind und durch dieses Kind sollen wir alle Kinder Gottes heissen: „Seht, welch eine Liebe hat uns der Vater erwiesen, dass wir Gottes Kinder heissen sollen – und wir sind es auch. Zwar mag manch einer oder eine von uns die Bezeichnung Kinder Gottes mit zwiespältigen Gefühlen hören, denn schliesslich wollen wir erwachsen sein und Kinder Gottes tönt in unseren Ohren nach unmündig und abhängig. Aber vielleicht gehört ja die Bedürftigkeit und Angewiesenheit auf unsere Mitmenschen und auf Gott zu unserem Menschsein und ist es gar kein so erstrebenswertes Ziel völlig frei von Bedürftigkeit und Abhängigkeit zu sein? Vor allem aber meint die biblische Bezeichnung Kinder Gottes etwas anderes als die unmündigen Kinder. Es ist zuerst und vor allem eine Liebeserklärung Gottes an uns. Ich will für euch da sein wie eine Mutter für ihre Kinder, sagt Gott. Aber es ist noch mehr als das. Wenn ich mir überlege, warum ein neugeborenes Kind uns so berühren kann, dann denke ich an dreierlei. Ein neugeborenes Kind lässt mich staunen über das Wunder des Lebens. Plötzlich ist da ein Mensch, der vorher noch nicht da war, eine Stimme, ein Gesicht, etwas Einmaliges und Neues. Ein neugeborenes Kind lässt in mir auch die Sehnsucht nach einer ursprünglichen Reinheit anklingen, die Sehnsucht, noch einmal neu beginnen zu können. Und ein neugeborenes Kind hat sein ganzes Leben noch vor sich, hat all die Möglichkeiten noch nicht ausgeschöpft und ist noch nicht festgelegt durch seine Geschichte und die richtigen und die falschen Entscheidungen, die wir Erwachsenen immer schon getroffen haben und die unser Sein in unserer Welt, unsere Beziehungen, unser Selbstvertrauen so sehr beeinflussen. „Wir sollen Gottes Kinder heissen und wir sind es auch.“ Wir sollen leben als Menschen, die sich und die anderen immer wieder staunend als ein Wunder Gottes erfahren, etwas Einmaliges und Einzigartiges. In Gottes Augen sind wir nicht festgelegt auf unsere Geschichte, auf unsere Fehler, auf die Schuld, die wir vielleicht auf uns geladen haben. Bei ihm dürfen wir Vergebung erfahren und Liebe, die uns neu beginnen lässt. In Gottes Augen haben wir eine Zukunft. Wir sind nicht einfach das Ergebnis unserer Geschichte, festgelegt auf unsere Vergangenheit. Wir dürfen leben wie Kinder, die noch ein ganzes Leben vor sich haben und neugierig darauf sind die Möglichkeiten zu entdecken und auszuprobieren, die sich ihnen bieten.
Die Philosophin Hanna Arendt schreibt: „Mit ihrer Geburt treten ständig neue Menschen ins Leben und können durch ihr Handeln die Welt verändern. Dass man in der Welt Vertrauen haben und dass man für die Welt hoffen darf, ist vielleicht nirgends knapper und schöner ausgedrückt als in den Worten: Uns ist ein Kind geboren.“ – und sie spielt damit auf die Weihnachtsgeschichte an.
Hören wir unseren Predigttext: „Wir sind schon Gottes Kinder; es ist aber noch nicht offenbar geworden, was wir sein werden. Wir wissen aber: wenn es offenbar werden wird, werden wir ihm gleich sein; denn wir werden ihn sehen, wie er ist.“ Wir sind nicht einfach so wie wir sind. Wir sind nicht fertig. Wir sind nicht das Endprodukt unserer Geschichte. Es ist noch nicht offenbar, was wir sein werden. Diese Einsicht bewahrt uns vor der Verzweiflung, die uns befallen kann, wenn Dinge schief gelaufen sind in unserem Leben oder auch, wenn andere uns auf unsere Geschichte, auf Vergangenes festlegen, daran fesseln wollen. Sie bewahrt uns aber auch vor dem Wahn perfekt und vollkommen sein zu müssen. Wir sind nicht vollkommen und müssen es auch nicht sein, denn es ist noch nicht offenbar, was wir sein werden. Wir dürfen uns entwickeln, aus Sackgassen wieder umkehren, neue Möglichkeiten entdecken, aufstehen, wenn wir umfallen, Fehler eingestehen, ja überhaupt mutig und zuversichtlich handeln und unseren Weg gehen, weil wir Gottes Kinder heissen und auf dem Weg sind, es immer mehr zu werden.
Weihnachtlich leben im Anblick des Kindes in der Krippe, das könnte heissen, dass wir uns immer wieder auf neue Anfänge einlassen. Solche neuen Anfänge sind möglich, wo Menschen einander verzeihen und einander nicht mehr auf das festlegen, was war, sondern ausprobieren, was sein könnte. Sie sind möglich, wenn wir einander als Kinder Gottes ansehen und versuchen, die Liebe, die Gott uns erwiesen hat, weiter zu geben, auch wenn uns dies nur unvollkommen gelingen mag. Solche neuen Anfänge sind möglich, wenn wir lernen uns mit den Augen Gottes zu sehen, als Menschen im Werden, als geliebte Kinder. Solche Anfänge sind möglich, wenn wir in jedem Ende nach dem neuen Anfang suchen und so kann uns letztlich auch der Tod zu einer Neugeburt werden. „Denn dann wird offenbar, was wir sind und wir werden ihm gleich sein; denn wir werden ihn sehen wie er ist.“ An Weihnachten aber ist er uns gleich geworden, damit wir der Liebe Gottes vertrauen und anfänglich leben – leben als Menschen mit Zukunft und Hoffnung, leben als Menschen, die zur Liebe und zum Frieden fähig sind, leben als Menschen, die durch ihr Handeln Neues schaffen und zärtlich und behutsam sein können. Dazu befähige uns die göttliche Liebe, dazu erwecke uns das Kind in der Krippe. Amen.
Samstag, 24. Dezember 2011
Predigt an Heiligabend über Mt 1,18-25
Liebe Gemeinde,
der Evangelist Matthäus erinnert sich in seiner Weihnachtsgeschichte an die alten Worte aus dem Buch des Propheten Jesaja: „Siehe, eine junge Frau ist schwanger und wird einen Sohn gebären, den wird sie nennen Immanuel.“ Immanuel – das bedeutet „Gott ist mit uns“ und das ist es, was uns in dieser heiligen Nacht zugesagt ist. Diese Zusage ist dem Evangelisten Matthäus so wichtig, dass er sie am Ende seines Evangeliums wiederholt. Aus dem Mund des Auferstandenen hören wir dort: „Siehe, ich bin bei euch alle Tage bis ans Ende der Welt.“
Gott kommt zu uns Menschen als der Immanuel, als der, der uns zur Seite steht. Er ist sich nicht selbst genug in seiner himmlischen Herrlichkeit. Er will nicht Furcht und Zittern wecken, sondern Liebe und Vertrauen. Er begibt sich in unsere Welt, in unsere Hände, wird schutzlos und gering. Dieser „Gott mit uns“ lässt sich auch missbrauchen. Wie oft schon haben Menschen diesen Namen als Parole missbraucht und sind damit in den Krieg gezogen. Aber wie – um Gottes und der Menschen willen – lässt sich diese Parole in Einklang bringen mit dem kleinen, schutzlosen, verletzlichen Kind in der Krippe?
Dass Gott mit uns ist in dem Kind in der Krippe, das bedeutet zuerst und vor allem: Ich bin wahrgenommen. Gott hat an mir Interesse. Er gibt mir ein Gesicht. Gott weiss, dass wir darauf angewiesen sind, dass wir wahrgenommen und beachtet werden. Wir leben ja in einer widersprüchlichen Welt. Noch nie wurde Individualität so gross geschrieben, aber zugleich war das Leben wohl auch noch nie so unübersichtlich und die Gefahr so gross, in einer anonymen Masse unterzugehen. Wir können inmitten all der unbegrenzten Möglichkeiten verloren gehen. So mancher empfindet sich nur als kleines und ohnmächtiges Rädchen in einem riesigen und undurchschaubaren Getriebe, einem anonymen Räderwerk, das uns manchmal das Fürchten lehren kann. Auch wenn wir uns etwas aufgebaut, etwas erreicht haben in unserem Leben, sehen wir vielleicht in den Spiegel und fragen uns: Wer bin ich eigentlich? Wer nimmt mich so wahr, wie ich bin? Wem kann ich mich zeigen, so wie ich bin?
Der Anblick des nackten und schutzlosen Kindes in der Krippe rührt uns an in unserer Bedürftigkeit, die wir so oft durch Geschäftigkeit überspielen. „Gott ist mit uns“ – seinen verletzlichen und auf Liebe und Zuwendung angewiesenen Geschöpfen. Er nimmt uns wahr. Er begegnet uns mit Augen der Liebe. Jeder einzelne Mensch, du und ich, wir sind für ihn wichtig.
„Gott mit uns“ – das bedeutet aber auch: „Wir mit Gott“. Dass wir Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter Gottes sind, das ist unsere menschliche Bestimmung. Wir sind Gottes Gegenüber, fähig auf seine Liebe zu antworten, ihn in unserem Leben wahrzunehmen und mitzuarbeiten, damit Menschen wahrgenommen werden, Bedürftige Liebe und Zuwendung erfahren und Menschen spüren, dass sie nicht allein sind. Wir sind Menschen, die verzeihen können, die Frieden stiften können, auch wenn uns dies wohl immer nur sehr unvollkommen gelingt. “Gott mit uns“ und „Wir mit Gott“ – das ist auch ein Auftrag, der Auftrag, Liebe und Frieden auszubreiten in unserem Alltag und die Bedürftigkeit und Schutzlosigkeit von Menschen nicht auszunützen, sondern jeden einzelnen, was immer er oder sie getan oder nicht getan hat, spüren zu lassen: „Ich nehme dich wahr. Du bist wichtig.“
Eigentlich ist die Botschaft von Weihnachten ganz einfach: Gott nimmt unsere Schutzlosigkeit und Verletzlichkeit an. Und darum dürfen wir uns selbst annehmen, verletzlich und bedürftig wie wir sind. Gott findet keine Herberge in den Palästen unserer Grossartigkeit, aber er zieht ein in die Einfachheit unserer Herzen. Wer sein Herz öffnet, bei dem wird er Wohnung finden. Gott gibt jedem einzelnen Menschen eine unverletzliche und unverlierbare Würde. Auf diese Würde dürfen wir uns berufen und wir sollen sie achten bei allen Menschen und uns für die Würde jedes einzelnen einsetzen. Frieden kann werden, wenn wir uns von dieser Botschaft berühren lassen. Es braucht dann natürlich immer noch politische Klugheit im Grossen und alltägliches Bemühen und Arbeit im Kleinen, damit Frieden gelingen kann. Aber wo Menschen zulassen können, dass sie selbst bedürftig und verletzlich sind und dies auch anderen zugestehen, ja sich von ihrer Verletzlichkeit und Bedürftigkeit berühren lassen, da kann Frieden beginnen, da ist Gott mit uns und es kann Weihnachten werden. Amen.
der Evangelist Matthäus erinnert sich in seiner Weihnachtsgeschichte an die alten Worte aus dem Buch des Propheten Jesaja: „Siehe, eine junge Frau ist schwanger und wird einen Sohn gebären, den wird sie nennen Immanuel.“ Immanuel – das bedeutet „Gott ist mit uns“ und das ist es, was uns in dieser heiligen Nacht zugesagt ist. Diese Zusage ist dem Evangelisten Matthäus so wichtig, dass er sie am Ende seines Evangeliums wiederholt. Aus dem Mund des Auferstandenen hören wir dort: „Siehe, ich bin bei euch alle Tage bis ans Ende der Welt.“
Gott kommt zu uns Menschen als der Immanuel, als der, der uns zur Seite steht. Er ist sich nicht selbst genug in seiner himmlischen Herrlichkeit. Er will nicht Furcht und Zittern wecken, sondern Liebe und Vertrauen. Er begibt sich in unsere Welt, in unsere Hände, wird schutzlos und gering. Dieser „Gott mit uns“ lässt sich auch missbrauchen. Wie oft schon haben Menschen diesen Namen als Parole missbraucht und sind damit in den Krieg gezogen. Aber wie – um Gottes und der Menschen willen – lässt sich diese Parole in Einklang bringen mit dem kleinen, schutzlosen, verletzlichen Kind in der Krippe?
Dass Gott mit uns ist in dem Kind in der Krippe, das bedeutet zuerst und vor allem: Ich bin wahrgenommen. Gott hat an mir Interesse. Er gibt mir ein Gesicht. Gott weiss, dass wir darauf angewiesen sind, dass wir wahrgenommen und beachtet werden. Wir leben ja in einer widersprüchlichen Welt. Noch nie wurde Individualität so gross geschrieben, aber zugleich war das Leben wohl auch noch nie so unübersichtlich und die Gefahr so gross, in einer anonymen Masse unterzugehen. Wir können inmitten all der unbegrenzten Möglichkeiten verloren gehen. So mancher empfindet sich nur als kleines und ohnmächtiges Rädchen in einem riesigen und undurchschaubaren Getriebe, einem anonymen Räderwerk, das uns manchmal das Fürchten lehren kann. Auch wenn wir uns etwas aufgebaut, etwas erreicht haben in unserem Leben, sehen wir vielleicht in den Spiegel und fragen uns: Wer bin ich eigentlich? Wer nimmt mich so wahr, wie ich bin? Wem kann ich mich zeigen, so wie ich bin?
Der Anblick des nackten und schutzlosen Kindes in der Krippe rührt uns an in unserer Bedürftigkeit, die wir so oft durch Geschäftigkeit überspielen. „Gott ist mit uns“ – seinen verletzlichen und auf Liebe und Zuwendung angewiesenen Geschöpfen. Er nimmt uns wahr. Er begegnet uns mit Augen der Liebe. Jeder einzelne Mensch, du und ich, wir sind für ihn wichtig.
„Gott mit uns“ – das bedeutet aber auch: „Wir mit Gott“. Dass wir Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter Gottes sind, das ist unsere menschliche Bestimmung. Wir sind Gottes Gegenüber, fähig auf seine Liebe zu antworten, ihn in unserem Leben wahrzunehmen und mitzuarbeiten, damit Menschen wahrgenommen werden, Bedürftige Liebe und Zuwendung erfahren und Menschen spüren, dass sie nicht allein sind. Wir sind Menschen, die verzeihen können, die Frieden stiften können, auch wenn uns dies wohl immer nur sehr unvollkommen gelingt. “Gott mit uns“ und „Wir mit Gott“ – das ist auch ein Auftrag, der Auftrag, Liebe und Frieden auszubreiten in unserem Alltag und die Bedürftigkeit und Schutzlosigkeit von Menschen nicht auszunützen, sondern jeden einzelnen, was immer er oder sie getan oder nicht getan hat, spüren zu lassen: „Ich nehme dich wahr. Du bist wichtig.“
Eigentlich ist die Botschaft von Weihnachten ganz einfach: Gott nimmt unsere Schutzlosigkeit und Verletzlichkeit an. Und darum dürfen wir uns selbst annehmen, verletzlich und bedürftig wie wir sind. Gott findet keine Herberge in den Palästen unserer Grossartigkeit, aber er zieht ein in die Einfachheit unserer Herzen. Wer sein Herz öffnet, bei dem wird er Wohnung finden. Gott gibt jedem einzelnen Menschen eine unverletzliche und unverlierbare Würde. Auf diese Würde dürfen wir uns berufen und wir sollen sie achten bei allen Menschen und uns für die Würde jedes einzelnen einsetzen. Frieden kann werden, wenn wir uns von dieser Botschaft berühren lassen. Es braucht dann natürlich immer noch politische Klugheit im Grossen und alltägliches Bemühen und Arbeit im Kleinen, damit Frieden gelingen kann. Aber wo Menschen zulassen können, dass sie selbst bedürftig und verletzlich sind und dies auch anderen zugestehen, ja sich von ihrer Verletzlichkeit und Bedürftigkeit berühren lassen, da kann Frieden beginnen, da ist Gott mit uns und es kann Weihnachten werden. Amen.
Samstag, 10. Dezember 2011
Predigt zu 2. Kor 1,18-24 am 11. Dezember 2011 (3. Advent)
Liebe Gemeinde,
versprochen ist versprochen – und was man versprochen hat, das muss man auch halten. Das haben wir alle von Kindheit an gelernt. Deshalb reagieren wohl die meisten von uns sehr empfindlich darauf, wenn jemand nicht einhält, was er versprochen hat, ganz besonders wenn uns dieser Mensch wichtig ist. Verlässlichkeit ist einer der wichtigsten Grundpfeiler unserer menschlichen Beziehungen, ein kostbarer Schatz, zu dem wir unbedingt Sorge tragen müssen. Und die Verlässlichkeit Gottes ist der Grundpfeiler unseres Glaubens. Wenn Gott nicht verlässlich wäre, hätten wir unseren Glauben auf Sand gebaut.
In unserem heutigen Predigttext muss sich der Apostel Paulus gegen den Vorwurf verteidigen, er habe sein Versprechen nicht gehalten, habe Ja gesagt und eigentlich Nein gemeint. Was war geschehen? Bei seinem letzten Besuch in Korinth hatte er massive Streitereien und Konflikte in der Gemeinde angetroffen, Konflikte bei denen es um Fragen des Glaubens und des christlichen Handelns ging, aber auch darum, wer das Sagen hat in der Gemeinde. Paulus wurde massiv angegriffen. Er konnte den Konflikt nicht schlichten, sondern war selber ein wesentlicher Teil des Konflikts und sah sich schweren Angriffen ausgesetzt. Enttäuscht, wütend, unter Tränen reiste er vorzeitig ab, nicht ohne einen erneuten Besuch anzukündigen oder muss man eher sagen „anzudrohen“?
Seit diesen Ereignissen waren nur wenige Monate vergangen. Paulus hatte der Gemeinde einen Tränenbrief geschrieben, der bittere und polemische Vorwürfe an seine Gegner enthielt. Sein Mitarbeiter Titus hatte diesen Brief überbracht. Es ist ihm gelungen – wahrscheinlich mehr durch sein diplomatisches Geschick als durch den Wortlaut des Briefes – die Wogen zu glätten und ein Stück Frieden und Versöhnung in der Gemeinde zu erreichen. Dabei hat er das Versprechen des Paulus, selber wiederzukommen, bekräftigt.
Der versprochene Besuch lässt auf sich warten und die Korinther werden unruhig. Die Gegner des Paulus, die sich trotz der Versöhnung kaum in glühende Befürworter verwandelt haben, beginnen vermutlich zu spotten: „Der traut sich nicht mehr zu uns. Der hat Angst. Oder es ist eben kein Verlass auf ihn. Er ist ein Jasager, aber dann ist nicht viel dahinter. Wir waren zu Recht skeptisch ihm gegenüber.“ Und seine Anhänger haben vielleicht auch angefangen, an Paulus zu zweifeln. „Wie kann er uns so im Stich lassen. Können wir überhaupt noch auf ihn zählen. Oder ist er einer, der einen Scherbenhaufen hinterlässt und dann davonläuft. Meint er auch Ja, wenn er Ja sagt?“
Gegen diese Vorwürfe und Zweifel muss Paulus sich verteidigen. Es geht um seine Glaubwürdigkeit und um die Glaubwürdigkeit seiner Botschaft. Er will kommen und er wird kommen. Aber er gibt den Korinthern auch zu verstehen, dass die Zeit dafür noch nicht reif ist. Zu sehr ist er vor kurzer Zeit noch Teil, ja Gegenstand des erbitterten und schmerzlichen Konflikts in der Gemeinde von Korinth gewesen, zu labil ist noch die Versöhnung und zu gut kennt Paulus sein schwer zu zügelndes Temperament. Ein Besuch zum jetzigen Zeitpunkt würde eher Wunden aufreissen als zur Versöhnung beitragen. Darum lasse ich euch auf meinen Besuch warten, damit es nicht wieder Tränen und Streit gibt. Ich sage nicht heute Ja und morgen Nein. Aber es gibt Situationen, wo das Ja zu euch Korinthern und das Ja zur Botschaft des Glaubens, die ich unter euch verkündet habe, besser durchzuhalten ist in der Gestalt des Nein, im vorläufigen Verzicht auf den angekündigten Besuch. Wenn ich heute nein sage zu einem Besuch, dann tue ich dies, weil ich euch liebe und weil ihr mir wichtig seid. Es kann eben hilfreicher sein, Raum zu schaffen und Pläne zu ändern als unbeirrbar an etwas festzuhalten.
Dafür bringt Paulus seine ganze Botschaft, Gott selbst ins Spiel. Gott ist mein Zeuge, schreibt er. Denn in Jesus Christus hat er Ja gesagt – und nicht Ja und Nein zugleich. Er hat Ja gesagt zu allen seinen Verheissungen. Er hat Ja gesagt zu uns Menschen. Wenn wir an Weihnachten die Geburt des Kindes in der Krippe feiern, dann feiern wir dieses Ja Gottes zu seinen Verheissungen. Wir feiern das Ja Gottes zu uns Menschen, das uneingeschränkt gilt. Gott unterläuft unsere Gewohnheiten, alles in Schwarz und Weiss, Gut und Böse einzuteilen, zu dem einen Ja und dem anderen Nein zu sagen. Bei Gott steht an erster Stelle und uneingeschränkt das Ja, das Ja der Liebe zu seiner Schöpfung, das Ja der Liebe zu uns Menschen. Und wo Gott Nein sagt, da sagt er nicht Nein zum Menschen, sondern Nein zu einem bestimmten Tun, zu einer verfehlten Einstellung, zu einem Irrweg. Wo Gott Nein sagt, da ist dieses Nein von Liebe bestimmt und getragen von seinem Ja zu allen Menschen. Gott steht zu seinen Versprechen. Er ist treu gegenüber uns Menschen. Das ist die Grundbotschaft der Bibel. Diese Zusage tönt uns aus dem Munde des Engels entgegen, der uns zuruft: „Fürchtet euch nicht. Siehe ich verkündige euch grosse Freude, die allem Volk widerfahren wird. Denn euch ist heute der Heiland geboren.“
In der Geburt Jesu bekräftigt Gott seine Verheissungen, sein Ja der Liebe zu uns Menschen. Bekräftigung der Verheissungen heisst nicht Erfüllung aller unserer Wünsche. Und es heisst auch nicht, dass die Verheissungen schon erfüllt wären. Wir sollen nicht unsere Wünsche zum Massstab aller Dinge machen, aber wir brauchen auch nicht die Welt wie sie ist schön reden. Nein, unsere Welt ist nicht die Welt des Friedens, die Gott verheissen hat. Nein, wir Menschen sind noch nicht solche, deren Handeln ganz von Liebe bestimmt ist. Es gibt noch viel zu erwarten und zu hoffen. Und es gibt noch vieles, was unseren Glauben, unsere Hoffnung und unsere Liebe ins Wanken bringen kann. Noch gehören Glaube und Zweifel zusammen. Noch fliessen Tränen, Tränen des Leids, Tränen der Wut, Tränen der Enttäuschung. Noch tun Menschen einander weh, absichtlich oder unabsichtlich oder wissen nicht mehr weiter. Trotzdem ist Gott da mit seinem Ja zu uns, mit seinen Verheissungen. Ich richte dich wieder auf, sagt er zu uns. Ich trage dich hindurch. Ich bin bei dir.
„Denn auf alle Gottesverheißungen ist in ihm das Ja; darum sprechen wir auch durch ihn das Amen, Gott zum Lobe.“ Gottes Ja ist das erste Wort. Aber dieses Ja lädt uns ein zur Antwort. Im Vertrauen auf Jesus Christus sollen wir „Amen“ sagen. „So sei es“ heisst diese alte Gebetsformel übersetzt. Wir sollen nicht zu allem Ja und Amen sagen, sondern Amen zu dem Ja Gottes, das uns die Botschaft der Bibel verkündet, das uns in dem Kind in der Krippe begegnet. Dieses Amen sprechen wir, wenn wir an Gott festhalten – auch dann, wenn unser Weg durchs Dunkel führt, wenn die Zweifel kommen und die bedrängenden Fragen. Amen sagen wir, wenn wir warten können in Geduld, Raum schaffen und Raum gewähren, Zeit lassen für Versöhnung und Frieden. Und Amen sagen wir, wenn wir Ja sagen zu den Menschen, wenn wir versuchen, der Liebe Gottes zu allen Menschen zu entsprechen, indem wir nicht verurteilen, nicht abschreiben, nicht zerstören. Auch da, wo wir glauben, dass wir einem Menschen gegenüber Nein sagen müssen, sollten wir immer mit der Möglichkeit rechnen, dass wir im Irrtum sein könnten. Und vor allem darf dieses Nein immer nur der Position des anderen, seinem konkreten Verhalten gelten und niemals dem ganzen Menschen. Auch im Nein muss das Ja zum Menschen, das Ja der Liebe erhalten bleiben. Selbst da wo Menschen sich trennen, weil sie keinen gemeinsamen Weg mehr finden können, sollen sie sich darum bemühen, den anderen nicht als Menschen zu verurteilen oder gar zu verachten. So können wir Amen sagen zu dem Ja Gottes – in aller Vorläufigkeit und Zerbrechlichkeit, die uns Menschen in dieser Welt eigen ist.
Versprochen ist versprochen – bei Gott gilt dieser Satz uneingeschränkt. Auf seine Treue ist Verlass. Sein Ja, seine Liebe zu uns Menschen gilt ohne Wenn und Aber. Dazu ist Jesus Christus in unsere Welt gekommen, als Kind in der Krippe, zart und verletzlich. Dafür hat Jesus gelebt, ist er gekreuzigt und auferstanden. Wir dürfen hoffen, wir dürfen glauben und vertrauen. Und wir sollen wissen, dass auch der Zweifel, die Fragen dazugehören, weil die Verheissungen noch nicht erfüllt sind, weil die Welt und wir Menschen unvollkommen sind. Aber Gottes Ja kann nicht mehr zum Nein werden. „Fürchtet euch nicht“. Wer Gott vertraut, den lässt er nicht im Stich, was immer er auch getan, wie oft er auch in die Irre gegangen sein mag. Was keinen Bestand hat in unserem Leben, wozu Gott Nein sagt, das heilt er und bringt er zurecht. Er tut es, weil er uns liebt und zu uns Ja sagt. Habt keine Angst, wartet in Geduld, übt euch in der Liebe – denn euch ist der Heiland geboren. In ihm sagt Gott Ja zu allen seinen Verheissungen. Amen.
versprochen ist versprochen – und was man versprochen hat, das muss man auch halten. Das haben wir alle von Kindheit an gelernt. Deshalb reagieren wohl die meisten von uns sehr empfindlich darauf, wenn jemand nicht einhält, was er versprochen hat, ganz besonders wenn uns dieser Mensch wichtig ist. Verlässlichkeit ist einer der wichtigsten Grundpfeiler unserer menschlichen Beziehungen, ein kostbarer Schatz, zu dem wir unbedingt Sorge tragen müssen. Und die Verlässlichkeit Gottes ist der Grundpfeiler unseres Glaubens. Wenn Gott nicht verlässlich wäre, hätten wir unseren Glauben auf Sand gebaut.
In unserem heutigen Predigttext muss sich der Apostel Paulus gegen den Vorwurf verteidigen, er habe sein Versprechen nicht gehalten, habe Ja gesagt und eigentlich Nein gemeint. Was war geschehen? Bei seinem letzten Besuch in Korinth hatte er massive Streitereien und Konflikte in der Gemeinde angetroffen, Konflikte bei denen es um Fragen des Glaubens und des christlichen Handelns ging, aber auch darum, wer das Sagen hat in der Gemeinde. Paulus wurde massiv angegriffen. Er konnte den Konflikt nicht schlichten, sondern war selber ein wesentlicher Teil des Konflikts und sah sich schweren Angriffen ausgesetzt. Enttäuscht, wütend, unter Tränen reiste er vorzeitig ab, nicht ohne einen erneuten Besuch anzukündigen oder muss man eher sagen „anzudrohen“?
Seit diesen Ereignissen waren nur wenige Monate vergangen. Paulus hatte der Gemeinde einen Tränenbrief geschrieben, der bittere und polemische Vorwürfe an seine Gegner enthielt. Sein Mitarbeiter Titus hatte diesen Brief überbracht. Es ist ihm gelungen – wahrscheinlich mehr durch sein diplomatisches Geschick als durch den Wortlaut des Briefes – die Wogen zu glätten und ein Stück Frieden und Versöhnung in der Gemeinde zu erreichen. Dabei hat er das Versprechen des Paulus, selber wiederzukommen, bekräftigt.
Der versprochene Besuch lässt auf sich warten und die Korinther werden unruhig. Die Gegner des Paulus, die sich trotz der Versöhnung kaum in glühende Befürworter verwandelt haben, beginnen vermutlich zu spotten: „Der traut sich nicht mehr zu uns. Der hat Angst. Oder es ist eben kein Verlass auf ihn. Er ist ein Jasager, aber dann ist nicht viel dahinter. Wir waren zu Recht skeptisch ihm gegenüber.“ Und seine Anhänger haben vielleicht auch angefangen, an Paulus zu zweifeln. „Wie kann er uns so im Stich lassen. Können wir überhaupt noch auf ihn zählen. Oder ist er einer, der einen Scherbenhaufen hinterlässt und dann davonläuft. Meint er auch Ja, wenn er Ja sagt?“
Gegen diese Vorwürfe und Zweifel muss Paulus sich verteidigen. Es geht um seine Glaubwürdigkeit und um die Glaubwürdigkeit seiner Botschaft. Er will kommen und er wird kommen. Aber er gibt den Korinthern auch zu verstehen, dass die Zeit dafür noch nicht reif ist. Zu sehr ist er vor kurzer Zeit noch Teil, ja Gegenstand des erbitterten und schmerzlichen Konflikts in der Gemeinde von Korinth gewesen, zu labil ist noch die Versöhnung und zu gut kennt Paulus sein schwer zu zügelndes Temperament. Ein Besuch zum jetzigen Zeitpunkt würde eher Wunden aufreissen als zur Versöhnung beitragen. Darum lasse ich euch auf meinen Besuch warten, damit es nicht wieder Tränen und Streit gibt. Ich sage nicht heute Ja und morgen Nein. Aber es gibt Situationen, wo das Ja zu euch Korinthern und das Ja zur Botschaft des Glaubens, die ich unter euch verkündet habe, besser durchzuhalten ist in der Gestalt des Nein, im vorläufigen Verzicht auf den angekündigten Besuch. Wenn ich heute nein sage zu einem Besuch, dann tue ich dies, weil ich euch liebe und weil ihr mir wichtig seid. Es kann eben hilfreicher sein, Raum zu schaffen und Pläne zu ändern als unbeirrbar an etwas festzuhalten.
Dafür bringt Paulus seine ganze Botschaft, Gott selbst ins Spiel. Gott ist mein Zeuge, schreibt er. Denn in Jesus Christus hat er Ja gesagt – und nicht Ja und Nein zugleich. Er hat Ja gesagt zu allen seinen Verheissungen. Er hat Ja gesagt zu uns Menschen. Wenn wir an Weihnachten die Geburt des Kindes in der Krippe feiern, dann feiern wir dieses Ja Gottes zu seinen Verheissungen. Wir feiern das Ja Gottes zu uns Menschen, das uneingeschränkt gilt. Gott unterläuft unsere Gewohnheiten, alles in Schwarz und Weiss, Gut und Böse einzuteilen, zu dem einen Ja und dem anderen Nein zu sagen. Bei Gott steht an erster Stelle und uneingeschränkt das Ja, das Ja der Liebe zu seiner Schöpfung, das Ja der Liebe zu uns Menschen. Und wo Gott Nein sagt, da sagt er nicht Nein zum Menschen, sondern Nein zu einem bestimmten Tun, zu einer verfehlten Einstellung, zu einem Irrweg. Wo Gott Nein sagt, da ist dieses Nein von Liebe bestimmt und getragen von seinem Ja zu allen Menschen. Gott steht zu seinen Versprechen. Er ist treu gegenüber uns Menschen. Das ist die Grundbotschaft der Bibel. Diese Zusage tönt uns aus dem Munde des Engels entgegen, der uns zuruft: „Fürchtet euch nicht. Siehe ich verkündige euch grosse Freude, die allem Volk widerfahren wird. Denn euch ist heute der Heiland geboren.“
In der Geburt Jesu bekräftigt Gott seine Verheissungen, sein Ja der Liebe zu uns Menschen. Bekräftigung der Verheissungen heisst nicht Erfüllung aller unserer Wünsche. Und es heisst auch nicht, dass die Verheissungen schon erfüllt wären. Wir sollen nicht unsere Wünsche zum Massstab aller Dinge machen, aber wir brauchen auch nicht die Welt wie sie ist schön reden. Nein, unsere Welt ist nicht die Welt des Friedens, die Gott verheissen hat. Nein, wir Menschen sind noch nicht solche, deren Handeln ganz von Liebe bestimmt ist. Es gibt noch viel zu erwarten und zu hoffen. Und es gibt noch vieles, was unseren Glauben, unsere Hoffnung und unsere Liebe ins Wanken bringen kann. Noch gehören Glaube und Zweifel zusammen. Noch fliessen Tränen, Tränen des Leids, Tränen der Wut, Tränen der Enttäuschung. Noch tun Menschen einander weh, absichtlich oder unabsichtlich oder wissen nicht mehr weiter. Trotzdem ist Gott da mit seinem Ja zu uns, mit seinen Verheissungen. Ich richte dich wieder auf, sagt er zu uns. Ich trage dich hindurch. Ich bin bei dir.
„Denn auf alle Gottesverheißungen ist in ihm das Ja; darum sprechen wir auch durch ihn das Amen, Gott zum Lobe.“ Gottes Ja ist das erste Wort. Aber dieses Ja lädt uns ein zur Antwort. Im Vertrauen auf Jesus Christus sollen wir „Amen“ sagen. „So sei es“ heisst diese alte Gebetsformel übersetzt. Wir sollen nicht zu allem Ja und Amen sagen, sondern Amen zu dem Ja Gottes, das uns die Botschaft der Bibel verkündet, das uns in dem Kind in der Krippe begegnet. Dieses Amen sprechen wir, wenn wir an Gott festhalten – auch dann, wenn unser Weg durchs Dunkel führt, wenn die Zweifel kommen und die bedrängenden Fragen. Amen sagen wir, wenn wir warten können in Geduld, Raum schaffen und Raum gewähren, Zeit lassen für Versöhnung und Frieden. Und Amen sagen wir, wenn wir Ja sagen zu den Menschen, wenn wir versuchen, der Liebe Gottes zu allen Menschen zu entsprechen, indem wir nicht verurteilen, nicht abschreiben, nicht zerstören. Auch da, wo wir glauben, dass wir einem Menschen gegenüber Nein sagen müssen, sollten wir immer mit der Möglichkeit rechnen, dass wir im Irrtum sein könnten. Und vor allem darf dieses Nein immer nur der Position des anderen, seinem konkreten Verhalten gelten und niemals dem ganzen Menschen. Auch im Nein muss das Ja zum Menschen, das Ja der Liebe erhalten bleiben. Selbst da wo Menschen sich trennen, weil sie keinen gemeinsamen Weg mehr finden können, sollen sie sich darum bemühen, den anderen nicht als Menschen zu verurteilen oder gar zu verachten. So können wir Amen sagen zu dem Ja Gottes – in aller Vorläufigkeit und Zerbrechlichkeit, die uns Menschen in dieser Welt eigen ist.
Versprochen ist versprochen – bei Gott gilt dieser Satz uneingeschränkt. Auf seine Treue ist Verlass. Sein Ja, seine Liebe zu uns Menschen gilt ohne Wenn und Aber. Dazu ist Jesus Christus in unsere Welt gekommen, als Kind in der Krippe, zart und verletzlich. Dafür hat Jesus gelebt, ist er gekreuzigt und auferstanden. Wir dürfen hoffen, wir dürfen glauben und vertrauen. Und wir sollen wissen, dass auch der Zweifel, die Fragen dazugehören, weil die Verheissungen noch nicht erfüllt sind, weil die Welt und wir Menschen unvollkommen sind. Aber Gottes Ja kann nicht mehr zum Nein werden. „Fürchtet euch nicht“. Wer Gott vertraut, den lässt er nicht im Stich, was immer er auch getan, wie oft er auch in die Irre gegangen sein mag. Was keinen Bestand hat in unserem Leben, wozu Gott Nein sagt, das heilt er und bringt er zurecht. Er tut es, weil er uns liebt und zu uns Ja sagt. Habt keine Angst, wartet in Geduld, übt euch in der Liebe – denn euch ist der Heiland geboren. In ihm sagt Gott Ja zu allen seinen Verheissungen. Amen.
Samstag, 19. November 2011
Predigt am Ewigkeitssonntag 20. November 2011 über Lk 12,35-38.42-46a
Liebe Gemeinde,
am letzten Sonntag des Kirchenjahres, am Toten- und Ewigkeitssonntag, gedenken wir unserer Verstorbenen. Viele von Ihnen haben im zurückliegenden Jahr einen lieben Menschen verloren. Mit ihren Gedanken sind sie bei dem Menschen, von dem sie Abschied nehmen mussten. Vielleicht steht ihnen vor Augen, wie er gestorben ist. Vielleicht haben sie aufbegehrt gegen dieses Sterben, gehadert mit Gott oder dem Schicksal oder sie konnten Ja sagen, einwilligen in dieses Sterben, es als Erlösung ansehen. Und doch – auch in dem friedlichen Sterben, in der Erlösung vom Leiden – ist da ein Mensch, der uns verlässt, der uns zurücklässt, der fehlt. Unausweichlich ist der Schmerz über den Verlust, auch wenn da hoffentlich ebenso die Dankbarkeit ist, für das, was wir miteinander erlebt und geteilt haben.
In all die Gefühle hinein, die uns heute bewegen, spricht der Predigttext aus dem Lk zu uns. Er spricht zu uns vom Kommen Jesu als Herr und Weltenrichter. Er rückt so unser Leben und Sterben in das Licht einer anderen Welt, der Welt Gottes. Er sagt uns: Nicht auf den Tod sollen wir warten, sondern auf das Leben, das kommt. Am Ende steht nicht das Nichts, sondern das Kommen Jesu, die Fülle, das Leben. Als Wartende leben wir – aber nicht als untätig Wartende, sondern als Menschen, die bereit sind.
Im Angesicht des Todes brechen die Fragen unweigerlich auf: Wer sind wir und wozu leben wir? Was bleibt am Ende? Und gibt es eine Hoffnung, die dem Tod standhält, die über das Ende unseres irdischen Lebens hinausreicht?
In zwei Gleichnissen bringt uns unser Predigttext nahe, wie wir leben können und sollen mit der Hoffnung auf das Kommen Christi am Ende der Welt, am Ende unseres eigenen Lebens, ja schon in den kleinen Toden hier und jetzt, wenn wir in einem dunklen Tal sind, dessen Ende wir nicht sehen können. In Gleichnissen bringt er uns diese Hoffnung nahe, weil es nicht darum geht, ob wir es nun für wahr halten, dass es ein Leben nach dem Tod gibt oder nicht. Es geht nicht um den Beweis der Richtigkeit einer Behauptung, sondern um die Ausrichtung unseres Lebens an einer Hoffnung auf das, was wir noch nicht sehen.
Im ersten Gleichnis steht in einem grossen, herrschaftlichen Haus die Dienerschaft zusammen. Sie alle halten brennende Lichter in den Händen, sind bereit aufzubrechen, sobald sich nur das Kommen des Herrn, auf den sie warten, ankündigt. Der Herr ist irgendwo auf einer Hochzeitsfeier. Das kann sich hinziehen. Doch die Knechte sind bereit zu warten. Es ist schon spät, sehr spät. Da kommt der Herr des Hauses doch noch. Er klopft an. Sie machen ihm die Tür auf und, welche Überraschung. Er legt sich einen Schurz an und bedient seine Dienerschaft. Das Fest geht weiter und die Diener sind die Bedienten.
Am Toten- und Ewigkeitssonntag dürfen wir dieses Gleichnis hören als Gleichnis für unsere Trauer. Wenn wir in Trauer sind, mag es uns manchmal auch so vorkommen, als stünde das Leben still, als sei Gott ganz weit weg. Und die Zeit zieht sich in die Länge. Immer wieder überkommt uns die Trauer. Trotzdem, sagt uns das Gleichnis: Seid bereit, wenn das Leben bei euch anklopft. Rechnet damit, dass die Hoffnung und die Freude in euer Leben zurückkehren. Unser Herr kommt und er kommt nicht als Herr, der sich bedienen lässt, sondern er kommt, um unsere Tränen abzuwischen, uns den Tisch zu decken, uns den Becher mit Wein einzuschenken. Sein Kommen können wir nicht herbeizwingen oder beschleunigen, aber bereit sein können wir, aus der Hoffnung auf sein Kommen zu leben und geduldig zu warten. Denn ein glücklicher Mensch ist nicht der, der keine Trauer und keinen Schmerz kennt. Ein glücklicher Mensch ist im biblischen Denken derjenige, der in Trauer und Schmerz nicht ohne Hoffnung ist und der daran glaubt und daran festhalten kann, dass am Ende das Leben steht, dass – wie lange es auch dauern mag – Jesus Christus kommt und uns dient.
Auch im anderen Gleichnis geht es um einen Herrn, der abwesend ist, unterwegs auf einer langen Reise. Er setzt einen Verwalter ein über seine Güter. Was hat nun ein kluger und treuer Verwalter zu tun? Wir würden wohl erwarten, dass er die Güter seines Herrn gewinnbringend einsetzen, sie vermehren soll. Denn das Kapital muss ja Rendite bringen. Aber die Beschreibung im Gleichnis ist eine andere, sie ist überraschend: Der kluge und treue Verwalter ist der, der den Leuten zur rechten Zeit gibt, was sie brauchen. Der kluge und treue Verwalter ist nicht der, der Besitz anhäuft, sondern der, der austeilt. Der ist ein glücklicher Mensch. Am Ende des Gleichnisses taucht auch die andere Möglichkeit auf, dass der Verwalter überfordert ist und von seinem Auftrag abkommt. Weil der Herr solange ausbleibt fängt er an, das Personal zu drangsalieren, wird gewalttätig und säuft. In dieser krassen Schilderung führt uns das Gleichnis die Möglichkeit eines verfehlten Lebens vor Augen. Von einem solchen Leben, das nur um sich selber kreist, das gierig den eigenen Vorteil sucht und anderen Gewalt antut, von einem solchen Leben bleibt am Ende wirklich nichts. Doch selbst dann, denke ich, sollten wir diesem Urteil nicht das letzte Wort lassen. Denn auch einem verfehlten Leben leuchtet die Möglichkeit der göttlichen Vergebung. Wir sollten darauf hoffen, dass durch Jesus Christus alles Leben heil werden kann.
Wer sind wir und wozu leben wir? Was bleibt am Ende? Und gibt es eine Hoffnung, die dem Tod standhält, die über das Ende unseres irdischen Lebens hinausreicht? Wir sind wie die Knechte, die auf ihren Herrn warten und bereit sind für das Leben, wenn er anklopft. Wir sind Verwalterinnen und Verwalter, Mitarbeiterinnen Gottes, deren Auftrag es ist, auszuteilen und weiterzugeben. Denn was bleibt, das ist das, was wir einander gegeben haben, was bleibt ist die Liebe, die sich verschenkt. Was bleibt, ist die Hoffnung, dass wir dereinst die Bruchstücke unseres Lebens als ganzes sehen dürfen. In diesem Vertrauen wollen wir unsere Verstorbenen loslassen, sie in Gottes Hand geben. In diesem Vertrauen können wir auch unserem eigenen Sterben getrost entgegengehen. In diesem Vertrauen können wir leben und das unsere tun, austeilen und weiter geben, was wir empfangen haben – aus Gottes Hand und durch die Menschen, die uns begegnen und durch die, die nicht mehr bei uns sind. Amen.
am letzten Sonntag des Kirchenjahres, am Toten- und Ewigkeitssonntag, gedenken wir unserer Verstorbenen. Viele von Ihnen haben im zurückliegenden Jahr einen lieben Menschen verloren. Mit ihren Gedanken sind sie bei dem Menschen, von dem sie Abschied nehmen mussten. Vielleicht steht ihnen vor Augen, wie er gestorben ist. Vielleicht haben sie aufbegehrt gegen dieses Sterben, gehadert mit Gott oder dem Schicksal oder sie konnten Ja sagen, einwilligen in dieses Sterben, es als Erlösung ansehen. Und doch – auch in dem friedlichen Sterben, in der Erlösung vom Leiden – ist da ein Mensch, der uns verlässt, der uns zurücklässt, der fehlt. Unausweichlich ist der Schmerz über den Verlust, auch wenn da hoffentlich ebenso die Dankbarkeit ist, für das, was wir miteinander erlebt und geteilt haben.
In all die Gefühle hinein, die uns heute bewegen, spricht der Predigttext aus dem Lk zu uns. Er spricht zu uns vom Kommen Jesu als Herr und Weltenrichter. Er rückt so unser Leben und Sterben in das Licht einer anderen Welt, der Welt Gottes. Er sagt uns: Nicht auf den Tod sollen wir warten, sondern auf das Leben, das kommt. Am Ende steht nicht das Nichts, sondern das Kommen Jesu, die Fülle, das Leben. Als Wartende leben wir – aber nicht als untätig Wartende, sondern als Menschen, die bereit sind.
Im Angesicht des Todes brechen die Fragen unweigerlich auf: Wer sind wir und wozu leben wir? Was bleibt am Ende? Und gibt es eine Hoffnung, die dem Tod standhält, die über das Ende unseres irdischen Lebens hinausreicht?
In zwei Gleichnissen bringt uns unser Predigttext nahe, wie wir leben können und sollen mit der Hoffnung auf das Kommen Christi am Ende der Welt, am Ende unseres eigenen Lebens, ja schon in den kleinen Toden hier und jetzt, wenn wir in einem dunklen Tal sind, dessen Ende wir nicht sehen können. In Gleichnissen bringt er uns diese Hoffnung nahe, weil es nicht darum geht, ob wir es nun für wahr halten, dass es ein Leben nach dem Tod gibt oder nicht. Es geht nicht um den Beweis der Richtigkeit einer Behauptung, sondern um die Ausrichtung unseres Lebens an einer Hoffnung auf das, was wir noch nicht sehen.
Im ersten Gleichnis steht in einem grossen, herrschaftlichen Haus die Dienerschaft zusammen. Sie alle halten brennende Lichter in den Händen, sind bereit aufzubrechen, sobald sich nur das Kommen des Herrn, auf den sie warten, ankündigt. Der Herr ist irgendwo auf einer Hochzeitsfeier. Das kann sich hinziehen. Doch die Knechte sind bereit zu warten. Es ist schon spät, sehr spät. Da kommt der Herr des Hauses doch noch. Er klopft an. Sie machen ihm die Tür auf und, welche Überraschung. Er legt sich einen Schurz an und bedient seine Dienerschaft. Das Fest geht weiter und die Diener sind die Bedienten.
Am Toten- und Ewigkeitssonntag dürfen wir dieses Gleichnis hören als Gleichnis für unsere Trauer. Wenn wir in Trauer sind, mag es uns manchmal auch so vorkommen, als stünde das Leben still, als sei Gott ganz weit weg. Und die Zeit zieht sich in die Länge. Immer wieder überkommt uns die Trauer. Trotzdem, sagt uns das Gleichnis: Seid bereit, wenn das Leben bei euch anklopft. Rechnet damit, dass die Hoffnung und die Freude in euer Leben zurückkehren. Unser Herr kommt und er kommt nicht als Herr, der sich bedienen lässt, sondern er kommt, um unsere Tränen abzuwischen, uns den Tisch zu decken, uns den Becher mit Wein einzuschenken. Sein Kommen können wir nicht herbeizwingen oder beschleunigen, aber bereit sein können wir, aus der Hoffnung auf sein Kommen zu leben und geduldig zu warten. Denn ein glücklicher Mensch ist nicht der, der keine Trauer und keinen Schmerz kennt. Ein glücklicher Mensch ist im biblischen Denken derjenige, der in Trauer und Schmerz nicht ohne Hoffnung ist und der daran glaubt und daran festhalten kann, dass am Ende das Leben steht, dass – wie lange es auch dauern mag – Jesus Christus kommt und uns dient.
Auch im anderen Gleichnis geht es um einen Herrn, der abwesend ist, unterwegs auf einer langen Reise. Er setzt einen Verwalter ein über seine Güter. Was hat nun ein kluger und treuer Verwalter zu tun? Wir würden wohl erwarten, dass er die Güter seines Herrn gewinnbringend einsetzen, sie vermehren soll. Denn das Kapital muss ja Rendite bringen. Aber die Beschreibung im Gleichnis ist eine andere, sie ist überraschend: Der kluge und treue Verwalter ist der, der den Leuten zur rechten Zeit gibt, was sie brauchen. Der kluge und treue Verwalter ist nicht der, der Besitz anhäuft, sondern der, der austeilt. Der ist ein glücklicher Mensch. Am Ende des Gleichnisses taucht auch die andere Möglichkeit auf, dass der Verwalter überfordert ist und von seinem Auftrag abkommt. Weil der Herr solange ausbleibt fängt er an, das Personal zu drangsalieren, wird gewalttätig und säuft. In dieser krassen Schilderung führt uns das Gleichnis die Möglichkeit eines verfehlten Lebens vor Augen. Von einem solchen Leben, das nur um sich selber kreist, das gierig den eigenen Vorteil sucht und anderen Gewalt antut, von einem solchen Leben bleibt am Ende wirklich nichts. Doch selbst dann, denke ich, sollten wir diesem Urteil nicht das letzte Wort lassen. Denn auch einem verfehlten Leben leuchtet die Möglichkeit der göttlichen Vergebung. Wir sollten darauf hoffen, dass durch Jesus Christus alles Leben heil werden kann.
Wer sind wir und wozu leben wir? Was bleibt am Ende? Und gibt es eine Hoffnung, die dem Tod standhält, die über das Ende unseres irdischen Lebens hinausreicht? Wir sind wie die Knechte, die auf ihren Herrn warten und bereit sind für das Leben, wenn er anklopft. Wir sind Verwalterinnen und Verwalter, Mitarbeiterinnen Gottes, deren Auftrag es ist, auszuteilen und weiterzugeben. Denn was bleibt, das ist das, was wir einander gegeben haben, was bleibt ist die Liebe, die sich verschenkt. Was bleibt, ist die Hoffnung, dass wir dereinst die Bruchstücke unseres Lebens als ganzes sehen dürfen. In diesem Vertrauen wollen wir unsere Verstorbenen loslassen, sie in Gottes Hand geben. In diesem Vertrauen können wir auch unserem eigenen Sterben getrost entgegengehen. In diesem Vertrauen können wir leben und das unsere tun, austeilen und weiter geben, was wir empfangen haben – aus Gottes Hand und durch die Menschen, die uns begegnen und durch die, die nicht mehr bei uns sind. Amen.
Sonntag, 18. September 2011
Predigt zu 1. Thess 1,2-10 vom 18. September 2011
Liebe Gemeinde,
Gott sei Dank, dass es euch gibt! Mit diesem ebenso kurzen wie vielleicht für manche überraschenden Satz möchte ich die Botschaft unseres heutigen Predigttextes zusammenfassen. Denn das ist es, was Paulus ganz zu Beginn des 1. Thess der Gemeinde zu sagen hat. Es ist der älteste überlieferte Brief des Paulus und damit die älteste Schrift des NT überhaupt. Und ich möchte sie einladen, diesen Text, diese Botschaft auch auf sich selber zu beziehen. In den Worten des Paulus: „Wir danken Gott allezeit für euch alle und gedenken euer in unserm Gebet und denken ohne Unterlass vor Gott, unserm Vater, an euer Werk im Glauben und an eure Arbeit in der Liebe und an eure Geduld in der Hoffnung auf unsern Herrn Jesus Christus.“
Gott sei Dank, dass es euch gibt! Wie gut tut ein solcher Satz, wenn wir ihn wirklich hören und auf uns beziehen können. Wie gut tut ein solcher Satz gerade uns, die wir doch eher gewohnt sind, darüber zu jammern, dass wir so wenige sind und so viele sich für die Kirche kaum mehr interessieren. Nein, Paulus fängt nicht mit dem an, was sein sollte und der Klage über tatsächliche Defizite. Er fängt nicht an mit Forderungen und Vorschriften. Am Anfang steht schlicht und einfach der Dank für das, was ist. Ich glaube, es ist genau diese Haltung, die wertschätzen und dankbar sein kann für das, was schon da ist, was an Glauben und Engagement wahrnehmbar ist, die unseren Predigttext so ansteckend, so ermutigend macht. Und ich bin überzeugt, dass es uns gut tun würde, wenn wir uns mehr in dieser Haltung der Dankbarkeit und Wertschätzung einüben würden.
Damit meine ich überhaupt nicht, dass wir uns eine rosarote Brille aufsetzen sollten oder gar dass Kritik unerwünscht wäre – ganz im Gegenteil. Aber was ich meine ist dies: natürlich wäre es schön, wenn unsere Kirche bis auf den letzten Platz besetzt wäre, aber ich freue mich, dass sie da sind und wir gemeinsam feiern, uns von Gottes Wort ansprechen und ermutigen lassen dürfen, miteinander singen und beten. Und ich freue mich über die Frauen und Männer, die sich in unserer Kirchgemeinde an den verschiedensten Orten und in unterschiedlichsten Funktionen engagieren. Denken sie nur an den gestrigen Bettagslauf, der ohne eine grosse Zahl von Helferinnen und Helfern gar nicht möglich wäre. Ich bin dankbar dafür, dass ich Menschen begegnen darf, für die der Glaube Halt und Zuversicht in schwierigsten Lebenssituationen ist. Und wie schön ist es, dass Menschen aneinander Anteil nehmen, sich gegenseitig besuchen, voneinander wissen, was den anderen beschäftigt und bedrückt. Da begegnet mir vielfach eine ganz praktische Frömmigkeit, die sich in schlichter Mitmenschlichkeit zeigt und ohne grosse Worte auskommt. Ja, es stimmt: Gott sei Dank, dass es euch gibt.
Gott sei Dank! schreibt Paulus. Gott – und nicht einfach den Christinnen und Christen in Thessaloniki. Und das ist gewiss keine Einschränkung oder Relativierung des Danks. Viel eher ist es eine Steigerung. Gott sei Dank – das heisst wohl auch, ihr seid all das nicht aus eigener Kraft und Leistung. Aber es heisst vor allem: ihr seid eine Gabe, ein Geschenk Gottes füreinander und für die Welt in der ihr lebt, jeder und jede an seinem und ihrem Ort. In Menschen, die ihren Glauben ganz praktisch in ihrem Alltag zu leben versuchen – mit all ihren Fragen und Zweifeln, mit all ihren menschlichen Begrenzungen, in euch wirkt und schafft Gott heute sein Werk. Und da spielt jeder und jede eine wichtige und unersetzbare Rolle.
Gott sei Dank – das erinnert uns aber auch daran, dass all unser Tun ausgerichtet bleiben muss auf den, der der Grund unseres Glaubens ist, auf den Gott, der uns in Jesus Christus begegnet.
Gott sei Dank, dass es euch gibt! schreibt Paulus - und dann erzählt er den Thessalonichern die Geschichte ihres Glaubens: wir wissen, schreibt er, und meint damit auch: Wisst ihr noch? Und diese kleine, unscheinbare Frage ist so wichtig. Aus jeder Ehe kennen wir das, wie wichtig es ist, sich von Zeit zu Zeit zu erzählen, wie das am Anfang gewesen ist, wie die gemeinsame Liebesgeschichte begonnen hat. Oder einander zu erinnern, was der andere einem in dieser oder jener Situation bedeutet hat, von schönen gemeinsamen Erlebnissen und beglückenden Erfahrungen. „Weisst du noch?“ - diese Frage meint nicht ein nostalgisches Schwelgen in der Vergangenheit, sondern die beglückende Entdeckung, dass es so vieles gibt, was uns verbindet. Diese Frage von Zeit zu Zeit hilft uns, einander und vor allem das Gemeinsame und Verbindende nicht aus dem Blick zu verlieren. Im Glauben ist es eigentlich genauso. Weisst du noch, wie damals das Gebet deiner Mutter am Bett dich in Frieden hat einschlafen lassen? Weisst du noch, welche Menschen für dich vorbildlich im Glauben waren? Erinnerst Du dich noch daran, wo dein Glaube dich durch eine schwierige Zeit hindurch getragen hat? Spürst du noch die Dankbarkeit, die dich bei einem Sonnenuntergang oder auf einem Berggipfel erfüllt hat, dieses Gefühl, dass du all dies einer wunderbaren Schöpferkraft zu verdanken hast? Ich bin überzeugt, für jeden und jede von uns gibt es solche Erinnerungen in unserer Glaubensgeschichte, Erinnerungen, die uns helfen könne, das Wesentliche nicht aus dem Blick zu verlieren.
Gott sei Dank, dass es euch gibt! Wir feiern heute den Eidgenössischen Dank-, Buss und Bettag. Er soll ein Tag des Innehaltens und Nachdenkens über den Weg unserer Gesellschaft sein. Er soll uns daran erinnern, dass in einer Gesellschaft mit verschiedenen Kulturen, Konfessionen und Religionen, mit unterschiedlichsten Werthaltungen und Weltanschauungen ein Bewusstsein entstehen oder erhalten bleiben muss, dass das Verbindende stärker ist als die Erfahrung des Trennenden. Gerade wenn wir die Vielfalt achten und schätzen, ist es wichtig, dass diese Vielfalt nicht zu einem beziehungslosen Nebeneinander wird oder gar zu einem unversöhnlichen Gegeneinander. Ich bin überzeugt, dass gerade in dieser Haltung, die Vielfalt zu schätzen und zugleich immer wieder beharrlich das Gemeinsame und Verbindende zu suchen, ein wesentlicher Beitrag unserer christlichen Kirchen zum Wohl unserer Gesellschaft liegt.
Paulus schreibt: „Wir denken ohne Unterlass vor Gott, unserm Vater, an euer Werk im Glauben und an eure Arbeit in der Liebe und an eure Geduld in der Hoffnung auf unsern Herrn Jesus Christus.“ Es ist der berühmte Dreiklang von Glaube, Hoffnung und Liebe. Aber er wird erläutert: Es ist tätiger Glaube, eine Liebe, die sich einsetzt und eine geduldige Hoffnung. Solchen Glaube, solche Liebe und solche Hoffnung gibt es auch unter uns an vielen Orten und auf vielfältige Weise. Menschen, die sich daran orientieren, sind ein Segen für unsere Gesellschaft. Sie halten die Erinnerung wach, dass es noch auf etwas anderes ankommt als auf Erfolg und Profit. Sie lassen uns nicht vergessen, dass die Menschlichkeit einer Gesellschaft sich nicht zuletzt daran bemisst, wie sie mit den Schwachen und weniger Leistungsfähigen umgeht. Sie rufen uns in Erinnerung, dass jeder Mensch eine Gabe Gottes ist und eine menschenwürdige Behandlung verdient.
Gott sei Dank, dass es euch gibt! Unser Predigttext lädt ein zur Dankbarkeit für das Geschenk des Glaubens, für all die Menschen, die ihren Glauben in tätiger Liebe, in ihrem alltäglichen Engagement leben. Er lädt ein zur Freude an der Kirche. Es ist wichtig – auch für unsere säkulare Gesellschaft, dass die Stimmen des Glaubens nicht verstummen, die Erinnerung daran, dass wir Gott verantwortlich sind für unser Handeln, dass wir uns aber auch von Gott getragen und geführt wissen dürfen. Es ist gut, dass die Kirchentüren offen stehen für Menschen mit ihren Fragen und ihren Sorgen. Es ist unverzichtbar, dass in den Kirchen unzählige Menschen sich freiwillig engagieren und damit einen wesentlichen Beitrag zum Wohl der Gesellschaft leisten. Und deshalb noch einmal: Gott sei Dank, dass es euch gibt! Amen.
Gott sei Dank, dass es euch gibt! Mit diesem ebenso kurzen wie vielleicht für manche überraschenden Satz möchte ich die Botschaft unseres heutigen Predigttextes zusammenfassen. Denn das ist es, was Paulus ganz zu Beginn des 1. Thess der Gemeinde zu sagen hat. Es ist der älteste überlieferte Brief des Paulus und damit die älteste Schrift des NT überhaupt. Und ich möchte sie einladen, diesen Text, diese Botschaft auch auf sich selber zu beziehen. In den Worten des Paulus: „Wir danken Gott allezeit für euch alle und gedenken euer in unserm Gebet und denken ohne Unterlass vor Gott, unserm Vater, an euer Werk im Glauben und an eure Arbeit in der Liebe und an eure Geduld in der Hoffnung auf unsern Herrn Jesus Christus.“
Gott sei Dank, dass es euch gibt! Wie gut tut ein solcher Satz, wenn wir ihn wirklich hören und auf uns beziehen können. Wie gut tut ein solcher Satz gerade uns, die wir doch eher gewohnt sind, darüber zu jammern, dass wir so wenige sind und so viele sich für die Kirche kaum mehr interessieren. Nein, Paulus fängt nicht mit dem an, was sein sollte und der Klage über tatsächliche Defizite. Er fängt nicht an mit Forderungen und Vorschriften. Am Anfang steht schlicht und einfach der Dank für das, was ist. Ich glaube, es ist genau diese Haltung, die wertschätzen und dankbar sein kann für das, was schon da ist, was an Glauben und Engagement wahrnehmbar ist, die unseren Predigttext so ansteckend, so ermutigend macht. Und ich bin überzeugt, dass es uns gut tun würde, wenn wir uns mehr in dieser Haltung der Dankbarkeit und Wertschätzung einüben würden.
Damit meine ich überhaupt nicht, dass wir uns eine rosarote Brille aufsetzen sollten oder gar dass Kritik unerwünscht wäre – ganz im Gegenteil. Aber was ich meine ist dies: natürlich wäre es schön, wenn unsere Kirche bis auf den letzten Platz besetzt wäre, aber ich freue mich, dass sie da sind und wir gemeinsam feiern, uns von Gottes Wort ansprechen und ermutigen lassen dürfen, miteinander singen und beten. Und ich freue mich über die Frauen und Männer, die sich in unserer Kirchgemeinde an den verschiedensten Orten und in unterschiedlichsten Funktionen engagieren. Denken sie nur an den gestrigen Bettagslauf, der ohne eine grosse Zahl von Helferinnen und Helfern gar nicht möglich wäre. Ich bin dankbar dafür, dass ich Menschen begegnen darf, für die der Glaube Halt und Zuversicht in schwierigsten Lebenssituationen ist. Und wie schön ist es, dass Menschen aneinander Anteil nehmen, sich gegenseitig besuchen, voneinander wissen, was den anderen beschäftigt und bedrückt. Da begegnet mir vielfach eine ganz praktische Frömmigkeit, die sich in schlichter Mitmenschlichkeit zeigt und ohne grosse Worte auskommt. Ja, es stimmt: Gott sei Dank, dass es euch gibt.
Gott sei Dank! schreibt Paulus. Gott – und nicht einfach den Christinnen und Christen in Thessaloniki. Und das ist gewiss keine Einschränkung oder Relativierung des Danks. Viel eher ist es eine Steigerung. Gott sei Dank – das heisst wohl auch, ihr seid all das nicht aus eigener Kraft und Leistung. Aber es heisst vor allem: ihr seid eine Gabe, ein Geschenk Gottes füreinander und für die Welt in der ihr lebt, jeder und jede an seinem und ihrem Ort. In Menschen, die ihren Glauben ganz praktisch in ihrem Alltag zu leben versuchen – mit all ihren Fragen und Zweifeln, mit all ihren menschlichen Begrenzungen, in euch wirkt und schafft Gott heute sein Werk. Und da spielt jeder und jede eine wichtige und unersetzbare Rolle.
Gott sei Dank – das erinnert uns aber auch daran, dass all unser Tun ausgerichtet bleiben muss auf den, der der Grund unseres Glaubens ist, auf den Gott, der uns in Jesus Christus begegnet.
Gott sei Dank, dass es euch gibt! schreibt Paulus - und dann erzählt er den Thessalonichern die Geschichte ihres Glaubens: wir wissen, schreibt er, und meint damit auch: Wisst ihr noch? Und diese kleine, unscheinbare Frage ist so wichtig. Aus jeder Ehe kennen wir das, wie wichtig es ist, sich von Zeit zu Zeit zu erzählen, wie das am Anfang gewesen ist, wie die gemeinsame Liebesgeschichte begonnen hat. Oder einander zu erinnern, was der andere einem in dieser oder jener Situation bedeutet hat, von schönen gemeinsamen Erlebnissen und beglückenden Erfahrungen. „Weisst du noch?“ - diese Frage meint nicht ein nostalgisches Schwelgen in der Vergangenheit, sondern die beglückende Entdeckung, dass es so vieles gibt, was uns verbindet. Diese Frage von Zeit zu Zeit hilft uns, einander und vor allem das Gemeinsame und Verbindende nicht aus dem Blick zu verlieren. Im Glauben ist es eigentlich genauso. Weisst du noch, wie damals das Gebet deiner Mutter am Bett dich in Frieden hat einschlafen lassen? Weisst du noch, welche Menschen für dich vorbildlich im Glauben waren? Erinnerst Du dich noch daran, wo dein Glaube dich durch eine schwierige Zeit hindurch getragen hat? Spürst du noch die Dankbarkeit, die dich bei einem Sonnenuntergang oder auf einem Berggipfel erfüllt hat, dieses Gefühl, dass du all dies einer wunderbaren Schöpferkraft zu verdanken hast? Ich bin überzeugt, für jeden und jede von uns gibt es solche Erinnerungen in unserer Glaubensgeschichte, Erinnerungen, die uns helfen könne, das Wesentliche nicht aus dem Blick zu verlieren.
Gott sei Dank, dass es euch gibt! Wir feiern heute den Eidgenössischen Dank-, Buss und Bettag. Er soll ein Tag des Innehaltens und Nachdenkens über den Weg unserer Gesellschaft sein. Er soll uns daran erinnern, dass in einer Gesellschaft mit verschiedenen Kulturen, Konfessionen und Religionen, mit unterschiedlichsten Werthaltungen und Weltanschauungen ein Bewusstsein entstehen oder erhalten bleiben muss, dass das Verbindende stärker ist als die Erfahrung des Trennenden. Gerade wenn wir die Vielfalt achten und schätzen, ist es wichtig, dass diese Vielfalt nicht zu einem beziehungslosen Nebeneinander wird oder gar zu einem unversöhnlichen Gegeneinander. Ich bin überzeugt, dass gerade in dieser Haltung, die Vielfalt zu schätzen und zugleich immer wieder beharrlich das Gemeinsame und Verbindende zu suchen, ein wesentlicher Beitrag unserer christlichen Kirchen zum Wohl unserer Gesellschaft liegt.
Paulus schreibt: „Wir denken ohne Unterlass vor Gott, unserm Vater, an euer Werk im Glauben und an eure Arbeit in der Liebe und an eure Geduld in der Hoffnung auf unsern Herrn Jesus Christus.“ Es ist der berühmte Dreiklang von Glaube, Hoffnung und Liebe. Aber er wird erläutert: Es ist tätiger Glaube, eine Liebe, die sich einsetzt und eine geduldige Hoffnung. Solchen Glaube, solche Liebe und solche Hoffnung gibt es auch unter uns an vielen Orten und auf vielfältige Weise. Menschen, die sich daran orientieren, sind ein Segen für unsere Gesellschaft. Sie halten die Erinnerung wach, dass es noch auf etwas anderes ankommt als auf Erfolg und Profit. Sie lassen uns nicht vergessen, dass die Menschlichkeit einer Gesellschaft sich nicht zuletzt daran bemisst, wie sie mit den Schwachen und weniger Leistungsfähigen umgeht. Sie rufen uns in Erinnerung, dass jeder Mensch eine Gabe Gottes ist und eine menschenwürdige Behandlung verdient.
Gott sei Dank, dass es euch gibt! Unser Predigttext lädt ein zur Dankbarkeit für das Geschenk des Glaubens, für all die Menschen, die ihren Glauben in tätiger Liebe, in ihrem alltäglichen Engagement leben. Er lädt ein zur Freude an der Kirche. Es ist wichtig – auch für unsere säkulare Gesellschaft, dass die Stimmen des Glaubens nicht verstummen, die Erinnerung daran, dass wir Gott verantwortlich sind für unser Handeln, dass wir uns aber auch von Gott getragen und geführt wissen dürfen. Es ist gut, dass die Kirchentüren offen stehen für Menschen mit ihren Fragen und ihren Sorgen. Es ist unverzichtbar, dass in den Kirchen unzählige Menschen sich freiwillig engagieren und damit einen wesentlichen Beitrag zum Wohl der Gesellschaft leisten. Und deshalb noch einmal: Gott sei Dank, dass es euch gibt! Amen.
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