Montag, 30. Mai 2011

Predigt zu Joh 21,1-14 vom 22. Mai 2011

Liebe Gemeinde!
Sie war 32 Jahre alt und eine aufgestellte Frau. Sie führte eine glückliche Ehe und fühlte sich von ihrem Mann geliebt und unterstützt. Gemeinsam freuten sie sich über ihre drei Kinder. Thomas war gerade in die Schule gekommen, Tamara im Kindergarten und im Sommer sollte es bei Tobias dann auch losgehen mit dem Kindergarten. Beruflich hatte ihr Mann eine befriedigende Arbeit und eine halbwegs sichere Stelle und sie selbst arbeitete noch Teilzeit und genoss es, ihren Beruf weiter auszuüben und den Kontakt mit den Kolleginnen und Kollegen zu haben. Sie war gerne Mutter, aber sie brauchte auch ihren Beruf, diese ganz andere Beanspruchung. 32 Jahre war sie alt und eine glückliche Frau.
Doch dann kam dieser 3. April. Es war ein herrlicher Frühlingstag. Er wollte nur eine kurze Spritztour mit seinem Töff machen. Doch er blieb länger als erwartet aus und sie fing an, sich Sorgen zu machen. Und dann kamen sie und überbrachten die schreckliche Nachricht. Ein Autofahrer hatte ihm die Vorfahrt genommen und er war auf der Stelle tot gewesen. Fassungslos stand sie den beiden Polizisten gegenüber. Sie brachte kein Wort mehr heraus, konnte zuerst gar nicht weinen, wollte es nicht wahrhaben. Erst allmählich realisierte sie, was wirklich geschehen war.
In der ersten Zeit hatte sie viel Unterstützung und sie liess es sich auch gerne gefallen. Ihre Welt war zusammengebrochen und niemand erwartete von ihr, dass sie einfach funktionierte wie bisher. Ständig war jemand da, der ihr Hilfe anbot oder zuhörte oder mit ihr Erinnerungen austauschte von früher. Aber mit der Zeit, so dachte sie, sollte die alte Energie und Tatkraft wieder zurückkehren. Man kann ja nicht ewig trauern. Klar, sie wusste, dass es nicht mehr werden würde wie früher. Aber zumindest sie wollte wieder ganz die Alte werden, dass war sie sich und ihm und ihren Kindern schuldig. Und dieses Gefühl „Ich muss“, das wurde immer mehr zu einem ungeheuren Druck. Sie wartete auf den Tag, an dem der Schalter wie umgekippt wäre, ihre Energie und Tatkraft zurückkehrte, sie die alte Leichtigkeit wieder spüren könnte.
Im Gespräch mit einem guten Freund sagte sie: „Weißt du, was mich am meisten deprimiert, das ist diese bleierne Schwere, dass ich manchmal einfach nicht mag und mir noch die kleinsten und alltäglichsten Dinge so ungeheuer viel Kraft brauchen. Ich spüre keine Energie, keine Kraft in mir. Alles braucht so viel Zeit und es fällt mir oft schwer mich aufzuraffen, etwas anzupacken oder zu unternehmen. Und ich habe das Gefühl, dass mir nichts mehr wirklich gelingt. Und wenn mir etwas gelingt, dann habe ich oft sogar Mühe, mich wirklich daran zu freuen. Sehnsüchtig warte ich auf den Tag, an dem ich wieder die alte Kraft und Lebensenergie habe und manchmal zweifle ich daran, ob dieser Tag jemals kommt.“
„Ich denke“, antwortete er, „dass ich dich ganz gut verstehen kann. Vor einigen Jahren als es in unserer Ehe so schwierig geworden ist, ging es mir ähnlich. Ich weiss natürlich, dass meine Ehekrise nicht zu vergleichen ist mit dem, was du durchgemacht hast. Und wir haben wieder einen gemeinsamen Weg gefunden und dein Mann ist tot und wird nie wieder zurückkehren. Aber was du beschrieben hast, das habe ich in dieser Zeit auch erlebt, diese bleierne Schwere, die sich über alles legt. Auch ich habe den Tag herbeigesehnt, wo mir einfach alles wieder so leicht von der Hand geht wie früher. Ich war total verunsichert. Was war ich noch wert? Ich war wütend auf Marianne, weil sie mich ständig kritisierte und zugleich nahm mir ihre Kritik jegliches Selbstvertrauen. Ich war wie gelähmt und erstarrt. Alles schien so hoffnungslos.“
„Genau so fühle ich mich auch oft. Und ich glaube, es tut mir gut, wenn ich das von dir höre. Manchmal fange ich ja wirklich an zu zweifeln, ob meine Reaktion noch normal ist. Wenn’s dir genau so gegangen ist, fühle ich mich weniger allein. Aber Mühe macht mir diese Situation trotzdem.“
„Klar. Sie ist ja auch furchtbar. Ich habe in jener Zeit in einem Gottesdienst die Geschichte gehört, wie Jesus seinen Freunden nach Ostern am See Tiberias erschienen ist. Ich weiss nicht mehr, was der Pfarrer gepredigt hat, aber ich weiss noch genau, wie mir durch den Kopf gegangen ist: mir geht es doch genau so wie diesen Fischern, bei allem Bemühen bleiben meine Netze leer. Meine Arbeit ist zäh und geht mir nicht von der Hand und mit Marianne komme ich nicht vom Fleck. Ach, sässe doch bei mir auch einer wie Jesus am See und zeigte mir, wo ich meine Netze auswerfen soll. Ein wunderbares Gelingen all dessen was ich tue, das wäre es, was ich bräuchte. Aber wer erlebt heute schon Wunder. Und genau an jenem Abend sagte Marianne zu mir: entweder unternehmen wir etwas oder es ist aus zwischen uns; dieses Schweigen, dieses Misstrauen halte ich nicht mehr aus. Heute würde ich sagen, dass das für mich so etwas war wie die Begegnung der Fischer mit dem am Seeufer sitzenden Jesus. Dieser Eklat hat mich gelehrt, meine Netze anders auszuwerfen, nicht zuzudecken, im Stillen oder halblaut zu murren, Dinge lieber nicht ansprechen oder wahrhaben zu wollen. Es war ein mühsamer und schmerzhafter Weg. Es war nicht einfach alles wie von Zauberhand weggeblasen und es hätte genau so gut mit einer Trennung enden können. Aber ich glaube, selbst dann wäre ich heute froh über jenen Abend, weil er der entscheidende Anstoss zur Klarheit war und mir mit einem Schlag gezeigt hat, wie viel Energie die vorherige Situation gekostet hat.“
„Wenn du die Geschichte von Jesus am See Tiberias erzählst, dann wird mir noch etwas anderes klar: weder sollen wir auf ein Wunder warten, dass mit einem Mal alle Schwere von uns nimmt, noch können wir den Zeitpunkt, wo sich unsere Netze füllen, herbeizwingen. Wir können nur geduldig warten und mit offenen Augen durch die Welt gehen. Und wahrscheinlich braucht es viel eher den Blick für die kleinen Erfolgserlebnisse, die kleinen Schritte auf dem Weg zu neuer Kraft und Lebensenergie. Wenn wir nur auf das grosse Wunder warten, verpassen wir die kleinen alltäglichen Wunder.“
„Übrigens: Am Ende der Geschichte essen die Jünger mit Jesus. Sie teilen das Brot und die Fische. Auch das erinnert mich daran, wie oft ich schon dadurch neue Kraft und Lebensenergie bekommen habe, dass ich mit anderen bei Tisch gesessen bin oder mit ihnen geredet oder gesungen habe. Es ist für uns wirklich nicht gut, wenn wir alleine sind und alles mit uns selber ausmachen.“
„Wahrscheinlich ist es wirklich so: wir brauchen Vertrauen in die Menschen und wir brauchen Vertrauen in Gott – und beides können wir nicht erzwingen. Die Jünger haben gemerkt, dass Jesus, den sie für tot gehalten haben, bei ihnen ist, dass sie nicht allein sind. Und dieses Vertrauen, dass ich nicht allein bin, das brauche ich auch. Dann kann ich auch die leeren Netze, die lähmende Müdigkeit aushalten und hoffen und vertrauen, „dass Gott den Müden Kraft gibt und Stärke genug den Unvermögenden und dass die auf den Herrn harren, neue Kraft kriegen, dass sie auffahren mit Flügeln wie Adler, dass sie laufen und nicht matt werden, dass sie wandeln und nicht müde werden“. Das ist überhaupt einer meiner Lieblingsverse aus der Bibel. Nur vergesse ich ihn manchmal, wenn ich mich so müde fühle.“

Die Geschichte und das Gespräch habe ich natürlich frei erfunden. Aber vielleicht entdecken sie Erfahrungen und Gefühle daraus bei sich selbst wieder. Und ich denke, dass auch unsere Auferstehungsgeschichten heute sich wie damals bei den Jüngern mitten im Alltag abspielen, da wo wir gefangen sind in unseren Enttäuschungen, in schmerzlichen Erfahrungen, in lähmender Müdigkeit und wo wir plötzlich ahnen: er ist da und er zeigt uns, wo wir unsere Netze auswerfen können, wo sich Wege für uns auftun, die wir bisher gar nicht gesehen haben. Es sind die kleinen Auferstehungsgeschichten im Alltag, die uns Mut machen, wenn wir sie denn wahrnehmen und die uns mit neuer Kraft erfüllen. Und manchmal dürfen wir entdecken, dass aus dem was zerbrochen und verloren ist, etwas Neues hervorwachsen kann. Erzwingen lässt es sich nicht, aber hoffen und glauben und geduldig erwarten. Darum bitten wir Gott, dass er sich uns zeigen möge in den erfolgreichen und in den erfolglosen Fischzügen unseres Lebens und in uns den Glauben und das Vertrauen stärke, die wir vielleicht schon verloren geglaubt haben. Amen.

Konfirmationspredigt zu 1. Mose 9,12-17 am 29. Mai 2011

Predigt zu 1. Mose 9,12-17: Im Zeichen des Regenbogens
Liebe Konfirmandinnen und Konfirmanden, liebe Gemeinde!
Die Geschichte, zu der der Predigttext für eure Konf gehört, kennt ihr vermutlich alle. Neben der Weihnachtsgeschichte und der Geschichte mit dem angebissenen Apfel (und da meine ich natürlich nicht das Markensymbol) ist sie eine der bekanntesten Bibelgeschichten und einigen von euch wohl im Kinderzimmer begegnet. Bestimmt haben nämlich einige eine Arche gehabt und darauf die vielen farbigen Tierfiguren hin- und herbewegt.

Die Sintflutgeschichte ist ja eigentlich eine ziemlich verrückte und auch grausame Geschichte. Sie spielt mit der Idee, dass Gott genug haben könnte von den Menschen und setzt diese Idee ins Bild. Sie erzählt von einem Gott, der sagt: Ihr baut soviel Mist. Ich habe genug von euch - und der dann die ganze schöne Schöpfung einfach in den Fluten absaufen lässt. Oder zumindest beinahe. Denn da ist noch dieser Noah, der mitten auf dem Festland eine Arche baut - und dank dieser Arche geht die Geschichte weiter. Die Sintflutgeschichte spielt mit dieser Idee - und zeigt doch am Ende, dass Gott ganz anders ist. Am Ende sagt Gott: „Solange die Erde steht, soll nicht aufhören Saat und Ernte, Frost und Hitze, Sommer und Winter, Tag und Nacht.“ Und wie zur Bekräftigung heisst es dann:
1. Mose 9,12-17 lesen

Immer wenn wir einen Regenbogen am Himmel sehen, soll uns das daran erinnern, dass Gott es gut mit uns meint und zu uns steht, was auch immer geschieht. Das ist der Horizont, in dem wir leben. Ein Gott, der uns liebt und der Ja zu uns sagt und der eben nicht kleinlich unsere Leistungen belohnt und unsere Fehler bestraft. Ein Gott, der uns zeigt, dass wir uns an unseren Leistungen freuen dürfen und dass es toll ist, etwas leisten zu können - ganz unabhängig davon, welchen Lohn das bringt. Ein Gott, der uns aufrichtet und hilft, wenn wir Fehler machen, statt uns Moralpredigten zu halten und Strafen anzudrohen - selbst wenn wir tatsächlich an unseren Fehlern selber schuld sind. Das Zeichen des Regenbogens ist ein Zeichen der Grosszügigkeit und der Treue, ein Zeichen der Liebe Gottes, die sich durch nichts erschüttern lässt.

Ihr, liebe Konfirmandinnen und Konfirmanden, habt uns vorhin erzählt, was ihr mit dem Horizont verbindet. Euch ist klar - und das war auch in euren Beiträgen spürbar -, dass unser Horizont immer abhängig ist von dem Ort, an dem wir stehen. Ganz offensichtlich in der Natur, aber auch im übertragenen Sinn. So war in euren Beiträgen immer wieder vom Schulabschluss und der bevorstehenden Lehre die Rede. Das prägt momentan euren Horizont ganz entscheidend. Und trotzdem ist da ja noch viel mehr. Da sind die Eltern, eure Familie, mit denen ihr einen neuen Weg finden müsst, jetzt, wo ihr noch nicht selbständige Erwachsene, aber auch nicht mehr einfach Kinder seid. Da sind die Freundschaften, die für euch wichtig sind und die manchmal schön und manchmal schwierig sind. Ihr macht Erfahrungen mit der Liebe, mit Beziehungen - beglückende und enttäuschende. Ihr müsst euren Platz in der Clique und unter den Kollegen finden, euch aneinander messen. Und nicht immer geht das ohne Abstürze und schwierige Erfahrungen. Ihr müsst ein gesundes Selbstvertrauen entwickeln - auch wenn sich immer jemand findet, der schöner, klüger, beliebter, geschickter oder was auch immer ist. Und ihr müsst Bescheidenheit lernen und Rücksichtnahme in den Bereichen, wo ihr etwas besonders gut könnt. So zentral Schulabschluss und Lehre für euch sind - sie sind doch auch jetzt nicht euer ganzes Leben.

Unser Horizont ist immer von unserem Standort im Leben abhängig. Das ist einfach so. Wichtig ist nur, dass wir das nicht vergessen und plötzlich meinen, das Leben sei einfach so, wie wir es momentan sehen und was wir sehen, sei schon alles, was von Bedeutung ist. So banal das klingt, so schwierig ist es oft. Denn das heisst ja, dass wir lernen müssen, die Dinge auch mit den Augen der anderen zu sehen und damit wir das können, müssen wir uns zuerst einmal für den Horizont der anderen interessieren - gerade auch für die, die ganz andere Dinge sehen als wir oder dieselben Dinge ganz anders. Diese Toleranz und Neugier ist nicht immer einfach. Wie oft nehmen wir Fremdes zuerst einmal als Bedrohung unserer gewohnten Sichtweisen wahr statt als Erweiterung unseres Horizonts - in unserem alltäglichen Leben und in der grossen Politik. Und wir bemerken dabei gar nicht, wie ängstlich wir werden und wie wir dabei ärmer werden und Stillstand statt Lebendigkeit bewirken.

Um einen weiteren Horizont zu bekommen, braucht es Vertrauen. Wenn ich hinter meinem Horizont nur Bedrohungen und Gefahren wittere, werde ich kaum den Mut haben, den Weg dorthin beherzt zu gehen. Wenn ich den anderen vor allem misstrauisch begegne, werden sie mir kaum neue Horizonte öffnen können, weil ich dazu ja zuerst einmal auf etwas vertrauen, etwas Glauben schenken muss, was ich selber noch nicht sehen kann. Das habt ihr ja auch selbst schon vorhin gesagt, dass wir in unserem Leben immer wieder auf Menschen angewiesen sind, denen wir vertrauen können. Wir finden sie - hoffentlich - in der Familie und unter Kollegen. Aber wir müssen auch immer wieder neu Vertrauen wagen gegenüber Menschen, denen wir neu begegnen - trotz Enttäuschungen, die unvermeidlich dazu gehören.

Oft reden wir von einem weiten Horizont, wenn jemand viel weiss. Das ist nicht falsch und ich kann euch nur ermutigen, euch um Wissen und Kenntnisse zu bemühen, euch nicht nur ausbilden zu lassen, sondern auch weiterzubilden und euch auch für Dinge zu interessieren, die nicht unmittelbar zu eurer Ausbildung gehören. Aber viel wichtiger noch finde ich etwas anderes. Es gibt nämlich Menschen, die wissen unheimlich viel, sind hervorragend ausgebildet und haben es ziemlich weit gebracht. Und trotzdem ist ihr Horizont eingeschränkt, weil sie nur sich selber und den eigenen Nutzen und Vorteil sehen. Und das finde ich eigentlich die tragischste Einschränkung unseres Horizonts. Wenn wir alles danach beurteilen, was es uns bringt oder ob wir es müssen oder was dabei herausspringt, dann sind wir wirklich arm dran. Weil es nämlich zu den beglückendsten Erfahrungen im Leben gehört, wenn ich spüre, dass jemand für mich einfach so da ist und mir hilft, mich unterstützt und wenn ich spüre, dass ich selber jemandem etwas Gutes tun kann. Und ich bin überzeugt, wenn ihr jemandem wirklich eine Freude machen könnt, dann ist es euch völlig egal, ob ihr etwas dafür bekommt oder nicht. Die gute Erfahrung, die Freude des anderen ist der grösste Lohn. Mit das grösste Glück im Leben ist es, anderen etwas zu geben ohne zu fragen, ob sie es auch verdient haben und was ich dafür bekomme und wenn ich etwas Gutes erfahre, ohne dass der andere auf den ersten Blick etwas davon hat.

Und noch ein letztes - und damit kehre ich auch wieder zum Regenbogen zurück. Was wir sehen können, was sichtbar in unserem Horizont liegt, das ist nur die Aussenseite unseres Lebens - und auch davon nur ein Teil. Wenn es nicht mehr gäbe als das sichtbare und beweisbare wären wir arm dran. Ich zumindest bin überzeugt, dass wir in unserem Leben ein Grundvertrauen brauchen, dass das Leben gut ist und dass, was auch immer auf uns zukommt, ein Ja über unserem Leben steht. Für dieses Ja in unserem Leben steht Gott, steht der Regenbogen in unserem Predigttext. Er steht für die Zusage Gottes, dass er uns niemals fallen lässt, was auch immer wir tun und was uns auch widerfahren mag. Jeder und jede von uns ist für Gott wichtig, niemanden lässt er im Stich.

Ich wünsche euch, liebe Konfirmandinnen und Konfirmanden, dass ihr im Horizont des Regenbogens euren Weg gehen könnt - mit dem Vertrauen, dass Gott euch Menschen schenkt, die es gut mit euch meinen, dass auch hinter dem Horizont sich für euch immer wieder neue Wege auftun und ihr auch nach Enttäuschungen und Rückschlägen wieder aufstehen könnt. Ich wünsche euch, dass ihr selbst auch anderen neue Horizonte eröffnen, für andere dasein und für sie einstehen, ihnen Freude schenken könnt. Und ich wünsche euch das Vertrauen, dass Gott eure Schritte begleitet und immer wieder einen Weg für euch weiss. Amen.

Donnerstag, 21. April 2011

Karfreitagspredigt zu Luk 23,33-49 am 22. April 2011

Liebe Gemeinde,
stellen sie sich vor, eine junge Frau aus unserer Zeit, nennen wir sie Ruth, hätte die Gelegenheit, den Evangelisten Lukas zu seiner Passionsgeschichte zu befragen. Welche Fragen hätte sie wohl und was würde sie Lukas über unsere Zeit erzählen? Ich möchte es einfach einmal ausprobieren:

Ruth: Lukas, ich habe die Passionsgeschichte schon oft gehört. Aber immer noch erschrecke ich darüber, was sie Jesus angetan haben. Wie grausam Menschen doch sein können. Er hat ja niemand etwas zuleide getan. Im Gegenteil, er hat den Menschen geholfen und Mut gemacht. Und dann ist er in die Mühlen der Politik geraten, ein unschuldiges Opfer.

Lukas: Es ist gut, Ruth, wenn du darüber erschrickst. Denn viele gewöhnen sich erschreckend schnell an den Anblick des Leides. Zahllose Menschen sind ja zu meiner Zeit gefoltert und getötet worden, Schuldige und Unschuldige. Ich möchte, dass Menschen sich berühren lassen von diesem Leiden Jesu, dass sie hinsehen und Mitgefühl haben und zwar nicht nur weil es Jesus ist, sondern weil da ein Gerechter leidet. Wer auf Jesu Kreuz ehrfürchtig blickt, weil es Jesus ist, der da leidet, aber an den Kreuzen der anderen Menschen achtlos vorbeigeht, der hat nicht begriffen, was Gott uns sagen will.

Ruth: Bist du deshalb so zurückhaltend mit den Ehrentiteln für Jesus und nennst ihn kaum einmal Sohn Gottes oder Christus oder Auserwählter, und wenn, dann meist aus dem Munde der Spötter?

Lukas: Ja, das stimmt. Diese Titel sind ja alle nicht falsch. Im Glauben erkennen wir Jesus als Sohn Gottes, als Christus, als unseren Erlöser. Aber alles hängt für mich davon ab, dass wir in ihm zuerst einmal den Menschen sehen und auch wenn er für uns mehr ist als einfach ein Mensch, bleibt er doch auch dies, ein Mensch, ein Mensch der leidet, ein Mensch, der zu Mitgefühl und Zuwendung fähig ist und der Mitgefühl und Zuwendung braucht, ein Mensch aus Fleisch und Blut. Mit der Menschlichkeit fängt alles an und ohne Menschlichkeit, ohne die Menschlichkeit Jesu und unsere Menschlichkeit gibt es keinen christlichen Glauben.

Ruth: Und darum sagt auch der römische Hauptmann bei dir am Ende nur: dieser ist ein frommer Mensch gewesen. Bei Markus sagt er ja: dieser ist Gottes Sohn gewesen. Ist „frommer Mensch“ nicht ein bisschen wenig für Jesus?

Lukas: Weisst du, weder Markus noch ich standen damals unter dem Kreuz. Wir können nur weitererzählen, was man uns berichtet hat und was uns eingeleuchtet hat. Meine Grundüberzeugung, meine Glaubenseinsicht ist: Wer Gott erkennen will, der darf den Menschen nicht aus dem Blick verlieren. „Sohn Gottes“ aus dem Munde eines römischen Hauptmanns, das lässt mich an den Kaiser denken, der sich ja als Sohn Gottes feiern liess. Manche von uns sind dafür gestorben, dass sie sich an dieser Gotteslästerung nicht beteiligen wollten. Aber wenn wir Gott in Jesus erkennen sollen, dann steht mir das Bild des gekreuzigten Menschen vor Augen, des leidenden Gerechten. Dieser Anblick berührt mich, erfüllt mich selbst mit Mitgefühl und Anteilnahme – am Geschick Jesu, aber auch am Geschick all der Menschen, die leiden müssen, die ein Kreuz zu tragen haben. „Ein frommer Mensch“, das ist sicher nicht alles, was man über Jesus sagen kann, aber wer mit den grossen Worten beginnt, vergisst allzu leicht die kleinen, alltäglichen Dinge. Und unseren Glauben können wir gar nicht anders leben als in der kleinen Münze alltäglicher Anteilnahme, Fürsorge und Liebe.

Ruth: Das leuchtet mir ein, Lukas, und Jesus hat uns ja mit seinem ganzen Leben und noch in seinem Sterben diese Menschlichkeit vorgelebt. Wie er noch am Kreuz für die eintritt, die ihm dieses Leid zufügen: „Vater, vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun.“ – das ist schon überwältigend. Ich denke, auch wir wissen manchmal nicht, was wir tun. Wir wollen das Gute und tun das Böse. Wir meinen, einfach unsere Pflicht zu tun und richten damit Unheil an. Wir machen immer wieder die gleichen Fehler, weil wir nicht aus unserer Haut können. Da tut es gut zu wissen: Jesus tritt selbst für die ein, die ihn ans Kreuz schlagen. Wie sollte er dann nicht auch für uns eintreten? Und er stellt dabei nicht einmal Vorbedingungen.

Lukas: Ja, Ruth, das ist das Grossartige und Befreiende. Jesus liebt die Menschen, bedingungslos, und diese Liebe kann Menschen verändern, weil sie befreit sind von dem Druck, sich ständig zu rechtfertigen, ihre Schuld, ihre Fehler zu verbergen. Das sehen wir an dem einen Mitgekreuzigten und an dem Hauptmann. Einer der Mitgekreuzigten erkennt und bekennt, dass er schuldig ist, aber er versinkt nicht in Gram über seine Schuld, sondern traut sich, Jesus um Beistand zu bitten. Er glaubt, dass der, der im Sterben bitten kann „Vater, vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun“, auch ihm beistehen und vergeben kann. Und er irrt sich nicht. „Heute wirst du mit mir im Paradiese sein“, antwortet Jesus ihm. Und auch der Hauptmann kommt zu seiner Einsicht, weil er die Grösse und Menschlichkeit Jesu wahrnimmt und sich davon berühren lässt.

Ruth: Die beiden Mitgekreuzigten reagieren ja grundverschieden. Der eine erkennt seine Schuld und wendet sich hilfesuchend an Jesus, der andere flüchtet sich in Zynismus und Spott. Er schlägt sich auf die Seite derer, die immer einen brauchen, den sie klein machen und demütigen können. Für ihn scheint das eigene Leid erträglicher, wenn er es spottend und zynisch übertünchen kann. Ganz anders der andere. Er spürt, dass ihm da ein barmherziger Mensch begegnet, einer demgegenüber er nicht den Starken spielen muss, einer, der ein Herz für ihn hat, der auch ihm Erbarmen schenkt. Jesus strahlt noch in seinem Leiden Liebe aus, grenzenlose Liebe. Wie gerne wäre ich auch zu solcher Liebe fähig, im Kleinen, in meinem Alltag. Denn ich weiss ja, dass die Liebe menschlicher macht. Es ist mir schon manchmal passiert, dass meine Kinder etwas angestellt haben und ich wütend und aufgeregt gefragt habe: „Wer war das schon wieder.“ und entweder betretenes Schweigen geerntet habe oder das alte Spiel: Der war’s. Nein die war’s.“ Und fast jedes Mal, wenn es mir gelungen ist, erst einmal tief durchzuatmen und ich meine Kinder in den Arm genommen habe und ihnen ehrlich sagen konnte: „Ich habe euch ganz fest lieb.“ Dann hat wie von selbst eines gesagt: „Es tut mir leid. Ich war’s.“ Weil dann das Vertrauen da ist: es mag zwar schlimm sein, was ich angestellt habe, aber nichts ist so schlimm, dass mich Mama nicht mehr lieb hat. Und dieser Jesus, der noch am Kreuz sagt: „Vater, vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun“, dieser Jesus kann in uns dieses kindliche Vertrauen wecken, dass wir uns nicht mehr verstecken müssen, sondern zu unserer Verantwortung stehen können, für das, was wir tun und unterlassen. Und dieses Vertrauen ist eine grosse Befreiung. Ich glaube, Erlösung ist dafür kein zu grosses Wort.

Lukas: Dein Beispiel finde ich schön. Es trifft für mich gut, was Jesus für uns getan hat. Er liebt uns und er ist dieser Liebe treu – treu bis in seinen Tod. Diese Liebe macht uns frei. Sie macht uns frei, uns selber im Licht seiner Liebe zu sehen, so wie wir sind und doch geliebt. Und dann können wir auch unsere Mitmenschen in diesem Licht sehen und die Barmherzigkeit, die wir erfahren haben, weitergeben.

Ruth: Ich habe mich immer schwer getan damit, dass Gott seinen Sohn geopfert haben soll für unsere Schuld. Jetzt merke ich, dass es nicht darum geht, dass Gott ein blutiges Opfer braucht, sondern dass wir Menschen auf diese bedingungslose Liebe angewiesen sind, die Jesus uns gezeigt hat und an der er festgehalten hat auch dann noch, als sie ihn ans Kreuz geführt hat. Gott fordert nicht diesen Tod, er erduldet ihn eher – aus Liebe. Und er überwindet ihn an Ostern. Wir sollen auf das Kreuz blicken und uns zur Menschlichkeit bewegen lassen. Wir können Verantwortung übernehmen und müssen Schuld nicht verdrängen. Aber wir dürfen uns auch Gottes Erbarmen gefallen lassen und unseren Mitmenschen Güte und Barmherzigkeit erweisen. Und wir dürfen an das Leben glauben, daran, dass Gott Leben schenkt, das den Tod überwindet.

Lukas: Ja, Ruth, aus diesem Vertrauen dürfen wir leben. Dieses Vertrauen spricht auch aus Jesu letzten Worten: „Vater, in deine Hände befehle ich meinen Geist.“ Wer Gottes Liebe vertraut im Leben, im Leiden und im Sterben, der hat auf keinen Sand gebaut, der kann menschlich leben und Menschlichkeit weitergeben. In Jesu Kreuz steht uns vor Augen, zu welcher Unmenschlichkeit wir fähig sind, sehen wir all die Kreuze auf dieser Welt. Aber in Jesu Kreuz erkennen wir Gottes befreiende Liebe und Menschlichkeit. Amen.

Freitag, 8. April 2011

Predigt zu 1. Mose 22,1-13 (Isaaks Opferung) am 10. April 2011

Liebe Gemeinde,
„Man muss Gott mehr gehorchen als den Menschen.“ Diesem Satz aus der Apostelgeschichte wird unter uns wohl kaum jemand widersprechen. Wer Gott vertraut, der versucht, seinem Willen entsprechend zu leben. Und das kann auch in den Widerspruch zu menschlichen Erwartungen, vielleicht sogar zu Gesetzen führen. Dieser Satz und damit verbunden die ganze jüdisch-christliche Glaubenstradition hat beispielsweise einen Dietrich Bonhoeffer in den Widerstand gegen die nationalsozialistische Gewaltherrschaft, gegen Hitler geführt. In Zeiten der Glaubensverfolgung hat er Menschen befähigt ihr Freiheit und ihr Leben aufs Spiel zu setzen, um ihren Glauben ausüben, Gott gehorsam sein zu können. Diese Glaubenseinsicht hat Menschen dazu geführt, Flüchtlinge zu verstecken. Sie hat in der ehemaligen DDR und anderen Ländern Osteuropas einiges beigetragen zum Ende des kommunistischen Systems. Es ist ein wichtiger, ein befreiender Satz, der Zivilcourage vermittelt.
Und doch: wenn ich den heutigen Predigttext höre, die Geschichte von der Opferung Isaaks, dann geht mir dieser Satz nicht mehr so einfach über die Lippen. Und ich hoffe sehr, dass auch sie immer noch zumindest ein wenig über diese Geschichte erschrecken. Was ist das für ein Gott, der von Abraham fordert, seinen einzigen Sohn eigenhändig zu töten, um ihn so Gott zu opfern? Und auch wenn wir sagen können, dass Gott ja nur den Gehorsam des Abraham auf die Probe stellen wollte – die Frage bleibt: Was ist das für ein Gott, der mit Abraham und Isaak ein solch grausames Spiel treibt? Und darf man Abraham loben dafür, dass er sich auf dieses grausame Spiel einlässt, dass er scheinbar ohne Widerspruch bereit ist, bis zum Äussersten zu gehen? Ist er damit für uns ein Vorbild des Glaubens? Gegen Ende des Predigttextes heisst es: „Lege deine Hand nicht an den Knaben und tu ihm nichts; denn nun weiss ich, dass du Gott fürchtest und hast deines einzigen Sohnes nicht verschont um meinetwillen.“ Der Verfasser unseres Predigttextes scheint den blinden Gehorsam des Abraham lobenswert zu finden. Aber bei mir bleiben die Zweifel. Ich muss bei diesem Text immer wieder an einen Film denken, den ich in meiner Jugendzeit gesehen habe. Er hiess „Das Abraham - ein Versuch“ und hatte das Milgram-Experiment zur Grundlage, das in den 60er Jahren des letzten Jahrhunderts durchgeführt wurde. In diesem Film wurde den Versuchspersonen gesagt, es sei ihre Aufgabe, einer Person in einem anderen Raum für begangene Fehler Stromstösse zu verabreichen. Sie wurden auch darauf aufmerksam gemacht, ab welcher Stärke diese Stromstösse tödlich sein können. Erschreckend viele gingen – sogar ohne grosse Ermunterung – bis zu sehr hohen Dosen, nicht wenige verabreichten tödliche Dosen. Natürlich wurden diese Stromstösse nicht wirklich verabreicht. Aber – so fragte ich mich: Wenn schon die Autorität eines wissenschaftlichen Experiments Menschen zu solcher Grausamkeit befähigt, wie sieht es dann erst aus, wenn sie glauben für Volk und Vaterland oder gar für ihren Gott, ihre Religion Menschen zu opfern? Wozu kann Gehorsam führen? Und ist Gehorsam wirklich eine Tugend oder doch eher eine der fürchterlichsten Untugenden? Als Deutscher dachte ich dabei natürlich an die Grausamkeiten deutscher Soldaten in zwei Weltkriegen, an das Morden im Namen von Volk, Rasse und Vaterland, in einer Armee, die strikt nach dem Muster von Befehl und Gehorsam aufgebaut war. Aber ich denke heute auch an Eltern in Palästina, die stolz sind auf ihre Söhne und Töchter, die sich im Namen Allahs als Selbstmordattentäter in die Luft sprengen und viele Menschen mit in den Tod reissen. Und leider bietet auch die Geschichte des Christentums zahlreiche Beispiele solch äusserst fragwürdigen, unmenschlichen Gehorsams in den Kreuzzügen oder Hexenverfolgungen.
Ich denke aber auch an Formen vermeintlich christlicher Erziehung, die vor noch nicht allzu langer Zeit gang und gäbe waren. Ich denke an Kinder, für die Gebet und Schläge zusammengehörten wie der Deckel auf den Topf. Ich denke an Kinder, die unter diesen Schlägen gelitten haben oder unter seelischen Qualen, weil sie nie so sein durften wie sie waren, weil sie den Ansprüchen nie genügen konnten, weil ihnen immer ihre Fehler vorgehalten wurden.
Aber es sind nicht nur Beispiele von früher oder aus der islamischen Welt, an die ich denke. Ich denke an Soldaten, die vorsichtig gesagt, in ein Umfeld hineingeworfen werden, das Vorkommnisse wie die Folterungen im Gefängnis von Abu Ghraib möglich macht oder an kaum erwachsene Soldaten, die in Situationen kommen, wo es scheinbar besser ist, erst einmal zu schiessen und erst dann zu überprüfen, ob es sich tatsächlich um einen Feind handelt. Und gehören in diesen Zusammenhang nicht auch die Opfer, die wir den Göttern Leistung und Konkurrenz bringen, Kinder und Erwachsene, die dem Leistungsdruck nicht gewachsen sind, die Beruhigungs- oder Aufputschmittel brauchen, um dem Druck standzuhalten?
Nein, Gehorsam ist keine Tugend und blinden Gehorsam fordern nur die falschen Götzen. Davon bin ich überzeugt und wollte der Verfasser der Abrahamsgeschichte blinden Gehorsam als Glaubenstugend darstellen, so würde ich ihm entschlossen widersprechen. Glaube ohne Einsicht, ohne die Stimme des Herzens und des Gewissens droht immer unmenschlich zu werden.
Was aber bleibt uns von dieser Geschichte ausser dem Widerspruch gegen die Forderung blinden Gehorsams. Zuerst einmal bleibt mir der Schrecken und das Mitgefühl. Drei lange Tage sind die beiden unterwegs. Zuhause bleibt die Mutter, Sarah. Sie weiss wohl kaum, was Abraham wirklich vorhat, womit er in seinem Herzen und seinen Gedanken ringt. Hätte sie es gewusst, was hätte sie getan? Hätte sie versucht ihn von diesem Weg abzubringen oder sich selbst als Opfer angeboten? Oder wäre sie zumindest mitgegangen? Sie hätte wohl kaum ihren Sohn einfach so ziehen lassen und sie hätte wohl jede Minute genutzt, das grausame Schicksal abzuwenden. Drei lange Tage – und meistens Schweigen. Wenn wir versuchen uns das vorzustellen, dann ist es wirklich kaum auszuhalten. Diese Sprachlosigkeit, weil Ohnmacht und Hilflosigkeit so gross sind, dass man keine Worte mehr findet. Weil Menschen nicht mehr wissen, woran sie miteinander sind, ob sie einander noch vertrauen können. Wenn die Fragen keine Antwort mehr finden. Das sind Situationen, die uns vielleicht nicht mehr so ganz unvertraut sind. Nein, Abraham war kein dumpfer Tyrann und Isaak kein Dummkopf. Abraham muss furchtbar gelitten haben und Isaak hat das Schweigen zu deuten gewusst als Vorzeichen einer furchtbaren Bedrohung. Das ist für mich das erste: das Mitleiden an diesem bedrohlichen Schweigen und die Ohnmacht, die richtigen Worte zu finden und die Sprachlosigkeit zu überwinden. Aber zugleich ist noch etwas anders da. Trotz aller Ohnmacht und Sprachlosigkeit. Abraham ist bei seinem Sohn Isaak. Er geht mit ihm Schritt für Schritt und ich bin mir sicher, bis ganz am Ende hofft und betet er, dass es noch einen anderen Weg geben möge, dass das Leben seines Sohnes verschont bleibt. Wir mögen ihm seine Sprachlosigkeit und Hilflosigkeit vorwerfen – zurecht – aber er ist da. Er lässt Isaak nicht allein. Und am Ende hat er Augen und Ohren für den Ausweg, den Gott ihm zeigt. Das ist das zweite: Mitgehen, auch wenn es kaum zu ertragen ist, die Hoffnung niemals aufgeben und Augen haben für die neuen Wege, die Gott uns zeigt. Das dritte aber ist das gute Ende: Gott will keine Menschenopfer, nicht das Opfer Isaaks, nicht die Opfer, die wir heute bringen und die wir manchmal gar nicht mehr als solche bemerken. Gott will das Leben und nicht den Tod.
In der Schriftlesung aus dem Joh heisst es: Es ist besser für euch, ein Mensch sterbe für das Volk, als dass das ganze Volk verderbe. Auch hier diese tödliche Opferlogik, die in ihrem nüchternen Kalkül gar nicht mehr wahrnimmt, wie unmenschlich sie ist. Aber dieses Mal taucht kein rettender Widder auf. Jesus wird tatsächlich geopfert – von Menschen im Interesse der Ordnung, der Religion, der Interessen der Mächtigen. Sehen wir die beiden Texte nebeneinander, dann müssen wir erkennen: nicht Gott will das Menschenopfer, wir Menschen sind es, die einander opfern und darüber sollten wir erschrecken.
Wir stehen kurz vor der Karwoche und dem Osterfest. Und in einem gewissen Sinn ist die Geschichte des Leidens und der Auferweckung Jesu auch eine Antwort auf die Fragen der Isaak-Geschichte. Da heisst es nicht mehr „dass du Gott fürchtest und hast deines einzigen Sohnes nicht verschont um meinetwillen“, sondern umgekehrt, dass Gott uns so sehr liebt, dass er seines einzigen Sohnes nicht verschont hat und ihn dahingegeben hat um unsretwillen. Nein, Gott will keine Menschenopfer. Er gibt sein eigenes hin, für uns. Er gibt Jesus in die Hände der Menschen. Aber Jesu Tod, der Tod aller, die leiden müssen und sterben, das ist nicht Gottes letztes Wort. Das letzte Wort ist die Osterbotschaft, das neue Leben, das den Tod überwindet, die Liebe, die aufblüht zu neuem Leben. Wer dieser Botschaft glaubt, der muss sich nicht mehr fürchten vor einem unbarmherzigen Gott, der blinden Gehorsam und Menschenopfer fordert. Wer dieser Botschaft vertraut, der wird sich wohl noch manches Mal fragen, warum ihm Gott Schweres zumutet, Leid und Gewissenskonflikte, aber er darf darauf vertrauen, dass Gott das Leben will, dass Gott Liebe ist und dass Gott mit uns geht, wohin unser Weg auch führen mag.
Und die Geschichte Abrahams und Isaaks leitet uns nicht an zu blindem Gehorsam, sondern will uns immer wieder zu der Bitte des Unser Vater führen: „Und führe uns nicht in Versuchung!“ Amen.

Samstag, 2. April 2011

Predigt über Markus 12,41-44

Liebe Gemeinde,
als Paulus für seine Kollekte für die Armen in Jerusalem wirbt, schreibt er den Korinthern (2. Kor 9,7): „Einen fröhlichen Geber hat Gott lieb.“ Und hätte er die Geschichte gekannt, vielleicht hätte er den Korinthern dann ja noch unseren heutigen Predigttext erzählt. Denn hier geht es um eine fröhliche Geberin, die ganz selbstverständlich gibt, obwohl sie nicht weiss, wovon sie danach leben soll.
Zuerst einmal sehen wir Jesus, wie er sich reichlich indiskret verhält. Er setzt sich einfach gegenüber vom Opferstock und sieht zu wie und was die Leute opfern. So etwas tut man ja eigentlich nicht. Oder hätten sie es vielleicht gern, wenn nachher am Ausgang jemand sässe und genau beobachtete, wie viel sie in den Opferstock einlegen? Mag sein, dass man zu Jesu Zeiten in Gelddingen etwas weniger diskret war als heute bei uns in der Schweiz. Aber natürlich geht es in der Geschichte auch um etwas ganz anderes. Jesus beobachtet, wie die Leute Geld einlegen und manche der Wohlhabenden zeigen sich sehr grosszügig. Und dann kommt diese arme Witwe. Zwei der kleinsten Münzen, die es gibt, legt sie ein. Das ist so gut wie nichts – aber es ist alles, was sie hat. Und darum lobt Jesus ihr Tun: „Diese arme Witwe hat mehr in den Gotteskasten gelegt als alle, die etwas eingelegt haben. Denn sie haben alle etwas von ihrem Überfluss eingelegt; diese aber hat von ihrer Armut ihre ganze Habe eingelegt, alles, was sie zum Leben hatte.“
Ich denke mir, dass diese Frau, hätte sie Jesu Worte mit angehört, vielleicht eher peinlich berührt gewesen wäre. Sie hat ja ihre zwei Scherflein nicht gegeben, um als Beispiel besonderer Frömmigkeit zu dienen, sich Jesu Lob zu verdienen. Sie hat wahrscheinlich nicht einmal das Gefühl gehabt, etwas Besonderes zu tun. Für sie war es die selbstverständlichste Sache der Welt. Sie geht zum Gotteshaus und sie trägt etwas zum Opfer bei. Das gehört sich so und das tut sie gern. Aber ich denke, dass sie sich ihrer Armut auch nicht schämt. Sie gehört dazu und sie ist nicht weniger wert als all die anderen. Und ich glaube, dass genau diese innere Haltung Jesus beeindruckt hat. In all ihrer Armut, mit all ihren Sorgen um das tägliche Brot, ist sie eine fröhliche Geberin. Jesus hält nicht viel von Spendenranglisten, die nur auf die grossen Zahlen achten. Aber ich bin mir sicher, dass er die Grosszügigkeit der anderen Opfernden auch nicht schlecht machen oder klein reden will. Nein, nicht erst wenn es einem selber weh tut, bekommen Gaben einen Wert. Einen fröhlichen Geber hat Gott lieb. Aber eben auch eine fröhliche Geberin, die zwar wenig gibt, aber dies von Herzen.
Ich verstehe diese kleine Geschichte als ein Loblied auf die alltägliche, wie selbstverständlich gelebte Frömmigkeit, ein Loblied auf die Grosszügigkeit, zu der Menschen fähig sind und auf die Sorglosigkeit, die sich ganz Gott anvertraut. Diese Geschichte steht in einer Linie mit Jesu Wort in der Bergpredigt: „Sorget euch nicht um den morgigen Tag.“ Dort sind es die Lilien auf dem Felde und die Vögel unter dem Himmel, die uns als Vorbild vor Augen geführt werden. Oder ich denke an die Witwe von Zarepta – ebenfalls eine arme Witwe – die mit dem letzten was sie hat sich und ihrem sterbenskranken Sohn eine kleine Mahlzeit bereiten möchte, bevor sie sich dann mit dem Tod abfinden will. Der Prophet Elia begegnet dieser Frau und bittet sie, zuerst ihm etwas zu essen zu bringen und verheisst ihr: „Das Mehl im Topf soll nicht verzehrt werden, und dem Ölkrug soll nichts mangeln bis auf den Tag, an dem der HERR regnen lassen wird auf Erden.“
Wenn ich an die Witwe und ihre zwei Scherflein denke, dann kommen mir Menschen in den Sinn, die heute ganz selbstverständlich ihren Glauben leben, eine stille und bescheidene Frömmigkeit, dann denke ich an Menschen, die ihren Beitrag leisten an die Sammlungen von BfA oder zu den sonntäglichen Kollekten. Ich denke an Menschen, die Zeit einsetzen für Menschen in ihrer Nachbarschaft. Ich denke auch an die vielen, die sich in unserer Kirchgemeinde freiwillig und ehrenamtlich engagieren. Auch hier gilt: es kommt nicht auf die Grösse der Spende, den Umfang des Einsatzes an. Eine fröhliche Geberin, einen fröhlichen Geber hat Gott lieb. Es muss nichts Grosses, nichts Besonderes, nichts Aussergewöhnliches sein. Wichtig ist, dass es von Herzen kommt und ich bin dankbar für jedes Engagement, jedes Zeichen der Liebe, des Mitdenkens, der Unterstützung für unsere Kirchgemeinde, für unser Gemeinwesen.
Ja es gibt auch unter uns solche armen Witwen, im wörtlichen und im übertragenen Sinn, Menschen, die im Stillen glauben, grosszügig sind, etwas von dem, was sie haben, materiell, aber auch an Zeit oder Fähigkeiten, an andere weitergeben, ohne davon viel Aufhebens zu machen. Es gibt Menschen, die ihre Betagten Angehörigen zuhause pflegen und die diese zeitaufwendige und oft kräftezehrende Aufgabe mit viel Liebe und Einfühlungsvermögen leisten und ihren Angehörigen gerne diesen Dienst erweisen. Es gibt die Menschen, die immer wissen, wenn jemand krank oder einsam ist und die sich auf den Weg machen, um diese Menschen zu besuchen. Es gibt die, die anderen etwas abnehmen, einen Einkauf, einen Botengang, eine kleine Arbeit und vieles andere mehr. Andere widmen sich in ihrer Freizeit dem Samariterverein, der Feuerwehr, den Landfrauen oder kulturellen Vereinen und tragen etwas dazu bei, dass es sich bei uns gut leben lässt. Diesen guten Geistern, die meist im Verborgenen wirken, gilt Jesu Loblied auf die arme Witwe. Ohne sie wäre unser Leben viel ärmer, unsere Welt um einiges kälter. Sie zu achten und ihrem Vorbild zu folgen, das ist es, was Jesus uns nahe legen will.
Möge Gott uns Augen schenken, die das Gute sehen, das unter uns geschieht und möge er unsere Herzen und unsere Hände frei machen für das Gute, das wir tun können und möge er jedem von uns auch etwas vom Selbstbewusstsein dieser Witwe schenken, die so selbstverständlich und aufrecht das Ihre tut und von ihrem grossen Vertrauen, das sich darauf verlässt, dass ihr Gott schon für sie sorgen wird, seien die täglichen Sorgen auch noch so gross. Amen.

Samstag, 26. Februar 2011

Predigt über Markus 4,26-29 am Sonntag, 27. Februar 2011

Liebe Gemeinde,
„ums Reich Gottes geht es also in diesem Gleichnis“, sagt der Pfarrer, „ums Reich Gottes, das ganz von alleine kommt, ohne unser Zutun. Es liegt nicht an uns, ob das Reich Gottes wächst und gedeiht, sondern Gott allein lässt es wachsen. Was uns bleibt, ist nur, es wahrzunehmen, es dankbar anzunehmen. So wie der Bauer in dem Gleichnis, der in aller Ruhe und Gelassenheit schläft und aufsteht, Nacht um Nacht und Tag um Tag und geduldig wartet bis die Frucht herangereift ist.“
„Ach, immer diese salbungsvollen Sprüche“, fällt ihm seine Kollegin ins Wort. „das mag ja theologisch alles richtig sein, aber irgendwie kann ich es nicht mehr hören. Ihr predigt euren Gemeinden Gelassenheit und dass das Reich Gottes von ganz alleine kommt – und bei der nächsten Pfarrkonferenz führt ihr euch wieder auf, wie die Säulen der Kirche und klagt, wie ihr alles machen müsst und nicht mehr wisst, wo ihr die Zeit für alles hernehmen sollt. Ihr werdet wieder neue Konzepte entwickeln, um die Kirche auf Vordermann zu bringen. Seht euch doch nur einmal das PfarrerInnenleitbild unserer Kirche an, was man da alles können und machen sollte. Und ich als Frau soll dann alles machen, was von meinen männlichen Kollegen schon immer gemacht wurde und die Frauenarbeit und die Kinderarbeit noch dazu. Und noch mehr Besuche, weil Frauen das ja besonders gut können. Wo bleibt denn da die Gelassenheit.“
„Da haben wir’s mal wieder“ mischt sich da ein junger Mann ins Gespräch, „Pfarrer und Bauern klagen immer – nur dass die Bauern die harten Zeiten tatsächlich in ihrem Portemonnaie spüren und die Pfarrer – bisher – eher an ihrem gekränkten Stolz, als ob ihr Applaus, ihre Anerkennung die Ernte wäre auf die es im Reich Gottes ankommt.“ Mit Mühe schlucken der Pfarrer und die Pfarrerin ihre Empörung hinunter. Es geht ihnen doch wirklich um die Gemeinde und es macht sie traurig, wenn die Botschaft so wenig Echo findet. Aber irgendwie stimmt es ja auch, dass sie sich manchmal zu wenig anerkannt fühlen für ihre Mühen.
„Und ausserdem“, fährt der junge Mann fort, „ausserdem geht das Gleichnis für mich gar nicht auf. Wenn Gott derjenige ist, der für das Wachsen und Reifen sorgt, wie der Herr Pfarrer so schön gesagt hat, wer sät dann den Samen aus? Manchmal habe ich richtig Lust, die Geschichte umzudrehen. Dann ist Gott für mich der Sämann, der den Samen ausstreut. aber dann überlässt er uns die Arbeit. Jetzt ist es an uns, dass der Same auch aufgeht, dass die Ernte heranreift. Mir wird in der Kirche sowieso zu viel von Gelassenheit und Geschehenlassen geredet. Mir hat immer die Geschichte von Brecht gefallen, wie die stumme Kathrin trommelt und Alarm schlägt, während die frommen Dorfbewohner beten und sich ihrem Schicksal ergeben. Ich wünsche mir eine Kirche, die kämpft für das Reich Gottes, die aufschreit, wenn die Wirtschaft Menschen opfert, wenn das soziale Netz zerschnitten, das Asylrecht kaputtgemacht wird. Von selbst wächst doch nur die Ungerechtigkeit, der Unfrieden, die Gewalt. Wir müssen nicht auf das Reich Gottes warten, sondern es selber in die Hand nehmen.“
„Junger Freund, ihr Tatendrang in Ehren“. Ein älterer Herr hat das Wort ergriffen. „Aber hören sie auf einen Mann mit langer Lebenserfahrung. Ich habe im vergangenen Jahrhundert erlebt, wie Menschen ungestüm versucht haben, ihre Ideale umzusetzen, die Menschen zu ihrem Glück zu zwingen. Das hat immer Unheil gebracht und Gewalt und ich denke nicht nur, weil es die falschen Ideale waren, sondern weil man die Menschen auch zu ihrem Besten nicht zwingen kann. Denken sie nur, wie auch die Kirchen in ihrer Geschichte – vermeintlich um Christi willen – Gewalt gesät haben. Sie haben schon Recht. Eine Kirche, die zum Unrecht schweigt, ist zu nichts nütze. Und die Hände in den Schoss legen und alles dem lieben Gott anzuvertrauen ist nicht fromm, sondern faul und bequem. Aber wir haben nicht alles in der Hand und Aktivismus und Eifer sind längst nicht immer die besten Ratgeber. Mir hat immer der alte benediktinische Leitspruch geholfen: Ora et Labora – Bete und Arbeite. Ich denke, nur wenn wir beides können, finden wir ein gesundes Mass in unserem Leben. Und christliche Weisheit wäre dann wohl, zu erkennen, was unsere Aufgabe ist, wo es anzupacken gilt und zu merken, wo wir innehalten, die Dinge Gott überlassen müssen und wir mit unserem Machen-Wollen eher Schaden anrichten. Sie kennen ja vielleicht die Geschichte von dem Bauern, dem die Pflanzen nicht schnell genug wachsen und der jeden Tag ein wenig daran zieht, um das Wachstum zu beschleunigen. Auf jeden Fall können sie sich sicher denken, was dabei herauskommt.“
Eine Frau, die bisher stumm zugehört hat, erhebt zögerlich ihre Stimme: „Ich bin ja nur ein altes Mueti. Aber wissen sie: mir hat dieses Gleichnis schon viel geholfen. Damals, als ich mit 20 meinen Mann Kurt geheiratet habe, da freute ich mich, mit ihm gemeinsam eine Existenz aufzubauen, eine Familie zu haben mit 3 oder 4 Kindern, später einmal den elterlichen Hof zu übernehmen. Zwei Fehlgeburten haben mich dann ziemlich mitgenommen und bei der nächsten Schwangerschaft habe ich vom ersten bis zum letzten Tag Angst gehabt. Wird es dieses Mal gut gehen? Wird unser Kind behindert sein? Und hätte ich dazu die Kraft? Vor den Fehlgeburten war ich eine zuversichtliche, gelassene Frau. Aber jetzt. Die, die mir ständig gesagt haben, ich müsse nur mehr Gottvertrauen haben, die hätte ich auf den Mond schiessen können. Wie gross war unsere Erleichterung, als das erste Kind, unser Fritz, gesund war. Und Theres und Anni nachher auch. Ich habe noch manchmal mit Gott gehadert, dass er uns die beiden ersten Kinder genommen hat, bevor wir sie überhaupt hatten. Aber dann habe ich auch immer wieder gespürt: es ist wie es ist. Es gibt Dinge, die hast du nicht in der Hand. Und vielleicht ist es ja auch besser so. In dem Gleichnis hat es der Bauer ja letztlich auch nicht in der Hand, ob die Ernte reif wird. Aber wenn es soweit ist, kann er die Ernte einfahren und dankbar dafür sein. Auf dem Weg dahin aber braucht er Geduld. Und die habe ich auch gebraucht und gelassen war ich auch nicht immer. Oder später, wie habe ich mir da Sorgen gemacht um meine Kinder. Alles habe ich versucht, ihnen eine gute Mutter zu sein. Nein, die Hände habe ich da gewiss nicht in den Schoss gelegt. Und als der Fritz dann noch in der Schule solche Probleme hatte, schlechte Noten, Schwänzen, Prügeleien mit anderen, da habe ich mir Vorwürfe gemacht. Was habe ich falsch gemacht? Bis ich eingesehen habe: meine Besorgtheit, meine Angst, sie hilft mir und sie hilft Fritz nicht. Ich kann nur dasein, versuchen in mir selbst die nötige Ruhe zu finden, Verständnis zeigen, Grenzen setzen und geduldig warten, wie sich die Dinge entwickeln. Alles sorgen, alles Grämen macht mich letztlich nur kaputt und hilft niemandem. Und ich glaube, da habe ich auch gespürt, wie das damals gemeint war bei der Taufe: Siehe, ich bin bei dir alle Tage bis an der Welt Ende. Ich war nicht allein. Da war einer, der auch noch auf meine Kinder aufpasste und der auch auf mich aufpasste und mir ab und zu ins Ohr flüsterte: Hab keine Angst, lass ihnen Zeit, ich bin da. Auch in meiner Ehe hat es natürlich schwierige Zeiten gegeben, nicht zuletzt wegen den Kindern. Ein paar Mal war ich nahe davor, alles hinzuschmeissen. Wie oft habe ich meinen Mann ändern wollen. Wie oft habe ich mir vorgenommen, mich selber zu ändern. Bis ich gemerkt habe: wir können nur so miteinander leben wie wir sind oder gar nicht. Der ständige Druck, einander zu dem zu machen, den wir gerne hätten, der bringt uns nur weiter auseinander. Eben wachsen lassen und Geduld haben. Ich glaube, von dem Moment an ist es mir viel besser gegangen. Ich habe wieder bei ihm und bei mir die guten Seiten sehen können und wir haben einander das auch gesagt. Es hat Zeit gebraucht, aber wir haben dank unserer Geduld auch ernten können, was da gereift ist. Und das Gleichnis ist mir dann noch einmal wichtig geworden, als ich vor einigen Jahren an Krebs erkrankt bin. Da habe ich gedacht: Nun hast du drei Kinder grossgezogen, auf dem Bauernhof mitgearbeitet und wie oft bist du todmüde gewesen. Und jetzt, wo du die Dinge etwas ruhiger angehen könntest, mit Kurt etwas unternehmen, da kommt diese Krankheit. Womit habe ich das verdient? Aber es wurde mir auch bewusst, dass ich mit all meinem Hadern den Verlauf der Krankheit nicht aufhalten konnte? Gegen die Krankheit ankämpfen, ja – ohne Hoffnung und Lebenswillen gibt es wohl keine Heilung, aber ich habe es trotzdem nicht in der Hand. Ich muss es nehmen, wie es kommt. Und hoffen und vertrauen, dass Gott bei mir ist und mir genügend Kraft gibt, wie immer sich die Dinge entwickeln. Zur Zeit geht es mir recht gut und ich bin dankbar dafür. Aber ich glaube, ich bin inzwischen auch so weit, dass ich es akzeptieren könnte, wenn es zu Ende geht. Ich glaube nämlich, dass Gott weiss, was für mich das Beste ist und mich erwartet.
Das Reich Gottes liegt wirklich nicht in unserer Hand. Das bedeutet noch lange nicht, die Hände in den Schoss zu legen. Aber ich denke, wir sollten uns auch nicht zu wichtig nehmen. Und vor allem Geduld lernen und unterscheiden können, was unsere Sache ist und wo wir die Dinge besser dem lieben Gott anvertrauen, weil all unser Sorgen und Planen letztlich nutzlos ist. Und wissen sie, man kann sogar den Moment verpassen wo die Ernte reif ist, wenn man das, was gut und gelungen ist gar nicht mehr sieht vor lauter Sorgen und Klagen. Wissen sie, für mich war das Reich Gottes da, als Fritz seinen Lehrabschluss gefeiert hat. Oder als Theres mir bei ihrer Heirat gesagt hat, wie sehr sie mir dankbar ist für ihre schöne Kindheit. Oder als Anni nach der Trennung von ihrem Mann zu mir gekommen ist und gesagt hat. Bei euch kann ich wieder Ruhe finden und neu anfangen, weil ich weiss, dass ihr mich versteht und mir keine Vorwürfe macht. Oder als wir unsere Goldene Hochzeit gefeiert haben und Kurt mir gesagt hat, dass er stolz auf mich ist und froh ist, dass wir auch die schweren Zeiten miteinander durchgestanden haben.“
Eine Weile ist es stille im Raum. Dann meint eine junge Frau: „Danke für das, was sie uns da erzählt haben. Vielleicht wird es in meinem Leben ganz anders laufen. Man kann ja nicht aus seiner Haut. Aber ich hoffe, dass ich dann ab und zu an sie denke und geduldig und gelassen mein Leben in die Hand nehmen kann, wo das nötig ist, dass ich mich aber auch dem Leben und meinem Gott überlassen kann im Vertrauen, dass er schon weiss, was gut für mich ist.
Und er sprach: Mit dem Reich Gottes ist es so, wie wenn ein Mensch Samen aufs Land wirft und schläft und aufsteht, Nacht und Tag; und der Same geht auf und wächst - er weiß nicht, wie. Denn von selbst bringt die Erde Frucht, zuerst den Halm, danach die Ähre, danach den vollen Weizen in der Ähre. Wenn sie aber die Frucht gebracht hat, so schickt er alsbald die Sichel hin; denn die Ernte ist da.
Amen.

Samstag, 12. Februar 2011

Predigt zu 2. Mose 3,1-10 am 13. Februar 2011

Liebe Gemeinde,
in dem wunderbaren Film Jentl von und mit Barbara Streisand sagt ein Rabbi: „Wir suchen unsere Studenten nicht nur nach den Antworten aus, die sie geben, sondern vor allem nach den FRAGEN, die sie stellen.“ Ein Satz, der wunderbar passt zu unserem heutigen Predigttext, zur Geschichte von Mose am brennenden Dornbusch. Fast möchte ich sagen: Gott sucht sich seine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter auch nicht nach ihren klugen Antworten oder ihren vorweisbaren Leistungen aus, sondern nach den Fragen, die sie stellen.
Mose stellt Fragen. Gleich drei. Warum verbrennt der Dornbusch nicht? Wer bin ich? Was ist dein Name? Er fragt nach der Welt, die er wahrnimmt, nach sich selbst und nach Gott. Und es wäre gewiss nicht wenig, wenn der heutige Predigttext auch uns zum Fragen verführen, das Fragen lehren würde. Mit drei Geschichten antwortet der Text auf die Fragen des Mose: mit der Dornbusch-Sage, mit der Berufung des Mose und mit der Offenbarung des Namens Gottes.
Aber der Reihe nach. Wer ist überhaupt dieser Mose? Wie kommt er dazu, so zu fragen?
Mose geht seiner alltäglichen Arbeit nach? Er hütet die Schafe Jitros seines Schwiegervaters. Er ist ein einfacher Hirte, der geduldig und demütig seine Pflicht tut. Und einer, der an seiner Vergangenheit zu tragen hat, denn einst in Ägypten hat er im Zorn einen Aufseher erschlagen. Er ist aber auch einer, den das Unrecht berührt, der nicht einfach zusehen kann, wenn Menschen leiden und geplagt werden.
Er treibt die Schafe über die Steppe hinaus. Vermutlich, will er im vertrauten Gebiet kein Futter für die Schafe finden kann. Aber diese kleine Bemerkung ist, denke ich, sehr wichtig. Denn Mose verlässt hier das ihm vertraute Gebiet. Er geht zu weit, überschreitet eine Grenze.
Das Gewohnte verlassen – vielleicht ist das die erste Voraussetzung, um das Fragen zu lernen. Damit meine ich nicht die äusserlich weiten Wege oder die spektakulären Erlebnisse. Mose geht ja nur ein paar Schritte über das Gewohnte hinaus. Und heute können wir tausende von Kilometern reisen ohne auch im Geringsten das Gewohnte zu verlassen. Oder wir können aus einer Arbeit, aus einer Beziehung, aus einem Umfeld ausbrechen, ohne dass wir uns selber, unsere Denkgewohnheiten, unsere Sichtweisen ernsthaft in Frage stellen, weil es ja immer nur die bösen Anderen sind, die uns das Leben schwer machen.
Das Gewohnte verlassen – oft ist das etwas, was uns in unserem Leben widerfährt, womit wir plötzlich konfrontiert werden. Es kann eine Krankheit sein, die uns aus der Bahn wirft, die uns plötzlich zwingt, unser Leben neu zu ordnen. Gerade eine Krankheit, die ja zuerst einmal als Katastrophe über die Betroffenen hereinbricht, kann für viele ein Anstoss sein, anzuhalten, sich neu zu fragen, was ihnen wichtig ist, worauf es ankommt. Sie kann dazu führen, bewusster auf die Menschen zu achten, die mich umgeben, die mir wichtig sind. Oder bewusster wahrzunehmen, an was ich mich freue, was mir kostbar ist, was ich bisher immer aufgeschoben habe. Oder einem Menschen zu sagen, wofür ich ihm dankbar bin. Oder auch neu nach Gott zu fragen, nach dem unbegreiflichen, nach dem liebenden, nach dem segnenden Gott. Nach dem, dessen Name heisst: Ich bin da.
Das Gewohnte verlassen – das bedeutet vor allem eine Veränderung unseres Blicks. Es heisst, dass wir zulassen und wahrnehmen, dass da noch mehr ist als wir gewohnt sind zu sehen. Mose geht über die Steppe hinaus und sieht einen Dornbusch, der brennt und doch nicht verbrennt.
Hinsehen, anhalten, staunen – und dann hingehen, langsam und behutsam. Das sind die nächsten Schritte des Mose. Er nimmt sich die Zeit, hinzusehen. Er geht nicht achtlos vorüber. Er tut das Ganze nicht als Einbildung oder lächerliches Schauspiel ab. Aber er stürzt sich auch nicht darauf, wie auf eine billige Sensation. Er sieht hin, hält an und staunt. Und er geht hin und fragt: Was ist das? Und vielleicht schon da: Was hat das für mich zu bedeuten?
Und er ist achtsam! Er achtet auf die Stimme, die ihn anruft und antwortet: „Hier bin ich!“ Er achtet auf die Stimme, die ihn zurückhält, die ihn auffordert, den nötigen Abstand zu behalten. Er kann sich dieser wunderbaren Erscheinung nicht einfach bemächtigen. „Zieh deine Schuhe von deinen Füssen, denn der Ort, darauf du stehst, ist heiliges Land!“ Ein grossartiger Satz. Aufforderung zur Ehrfurcht vor dem Leben, zur Achtsamkeit gegenüber allem, was uns begegnet. Denn jeder Augenblick und jeder Ort in unserem Leben kann für uns zu einem heiligen Boden werden, jeder Mensch ein Engel, ein Bote Gottes sein. Auch Mose stösst ja mitten im Alltag seines Hirtendaseins auf diesen heiligen Boden, auf dieses Feuer, das ihn zu einem Fragenden werden lässt, den Gott brauchen kann.
So wird die Begegnung mit dem Feuer für Mose der Ort seiner Berufung. Er, der Flüchtling und Hirtenjunge, soll Gottes Volk aus der ägyptischen Sklaverei befreien. Mose winkt angesichts der grossen Aufgabe nicht einfach ab, aber er stürzt sich auch nicht aus Übermut darauf. Er fragt jetzt: Wer bin ich? Aus dem Innehalten und Staunen, aus der Achtsamkeit auf das, was uns begegnet, kann die Klarheit erwachsen, was für uns wichtig, was unsere Aufgabe, unser Weg ist – wahrscheinlich nicht für das ganze Leben, aber hier und jetzt, für die nächste Zeit, die Situation, in der wir stehen. Unsere Aufgaben mögen wohl kaum so gross und gewaltig sein wie die des Mose. Aber jede Aufgabe hat ihre eigene Würde und es kommt darauf an, dass wir sie erkennen und Klarheit gewinnen über das, was unser Weg ist. Gott will nicht von uns, dass wir Mose oder Jesus nacheifern, sondern, dass wir uns selber sind, denn gerade so kann er uns brauchen.
Gottes Antwort auf die Frage des Mose ist ein Versprechen: Ich will mit dir sein. Und weil ich mit dir bin, kannst du diesen Weg gehen. Vertrau mir, dann wirst du erfahren, dass du diesen Weg auch gehen kannst.
Aber Mose ist noch nicht zufrieden. Er hat wohl vernommen, dass der, der da mit ihm redet, der Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs ist, der Gott seiner Väter. Aber das genügt ihm nicht. Damit jedoch hört sein Fragen nicht auf. Was ist dein Name? fragt er. Die Antworten der Tradition, der Gott Abrahams und Isaaks und Jakobs, sie sind nicht wertlos, sie lassen ihn überhaupt erst weiterfragen. Aber sie genügen ihm nicht. Er will es genauer wissen. Wer bist du für mich und für meine Generation? So können wir vielleicht die Frage nach dem Namen verstehen. Bist du nur der Gott der Väter oder auch mein und unser Gott?
Und die Antwort, die Mose erhält, sie ist Rätsel und Lösung zugleich. „Ich bin, der ich sein werde. Ich-bin-da ist mein Name.“ Aber mit dieser Antwort kann Mose weitergehen. Dieser Name ist eine Verheissung, ein Versprechen. Und er zeigt auch: jede Generation, jeder Mensch muss seine eigenen Erfahrungen mit Gott machen. Die Erfahrungen der Väter und Mütter im Glauben, das Wort der Schrift, all das kann uns auf die Spur bringen, die Fragen wecken, uns in Frage stellen, aber glauben können wir nur selber, nur das Vertrauen, das Gott uns ins Herz gelegt hat, hilft uns wirklich. Die Klarheit über das, was unsere Aufgabe ist, die Begegnung mit unserem Gott, das Vertrauen, dass er mit uns geht, wohin wir auch gehen – all das kann nur bei uns selber wachsen. Da gibt es keine allgemeingültigen Antworten. Das kann uns niemand abnehmen. Aber ich bin überzeugt: helfen und ermutigen können wir uns dabei. Ohne Gemeinschaft können wir nicht leben. Aber nur wenn wir aus der Gemeinschaft heraustreten, werden wir unseren eigenen Weg finden – um dann wieder zurückzukehren und unseren Beitrag zu leisten für das Leben, das wir miteinander teilen.
Mose ist ein Fragender und ich wünsche mir, dass er auch uns zum Fragen verführt. Kein Ort, kein Ereignis in unserem Leben ist zu belanglos um nicht ein ernsthaftes Suchen und Fragen auslösen zu können. Es kommt darauf an, dass wir uns berühren lassen, offen bleiben und nicht immer alles schon vorher wissen. Der Gott aber, der uns fragen lässt, der hat einen Namen: „Ich bin da. Ich gehe mit dir. Auch auf Umwegen und Irrwegen. Auch wenn du nicht weiter weißt. Auch wenn du glücklich bist und alles wie am Schnürchen läuft, auch wenn scheinbar gar nichts mehr geht. Ich bin da. Ich lasse dich nicht im Stich.“ Amen.