Sonntag, 29. April 2012

Predigt über 2. Kor 4,16-18 am 29. April 2012

Liebe Gemeinde, „Darum verzagen wir nicht“ oder in der Luther-Übersetzung: „darum werden wir nicht müde“ - es ist eine starke Behauptung des Paulus, mit der unser heutiger Predigttext beginnt. Hat dieser Paulus denn gar keine Ahnung von all den vielen Dingen, die uns so oft müde und verzagt machen? Manche von uns könnten wohl ein Lied davon singen, dass das Leben uns manchmal ganz schön müde und verzagt machen kann. Mütter und Väter, die versuchen Familie, Beruf, Hobbies und Freundschaften irgendwie zu vereinbaren und es in allen Bereichen möglichst gut machen wollen und darunter leiden, dass sie immer wieder an Grenzen stossen, merken, dass vieles zu kurz kommt und das Gefühl haben, nicht allem gerecht werden zu können. Manch einer und manch eine erlebt heute den Alltag wie einen Hochseilakt, bei dem man jederzeit aus der Balance geraten und abstürzen kann. Und manch einer verliert auch sein Gleichgewicht und stürzt. Es kann müde und verzagt machen, wenn man immer wieder äusseren Anforderungen gerecht werden will, ob sie nun von der Familie kommen, von Modetrends, von dem, was MAN tut, von Vorgesetzten im Beruf oder von dem, was wir selber für nötig halten und irgendwann vor der Frage steht, welchen Sinn das alles macht. Und manch einen macht es auch müde, immer wieder nach aussen als ein Anderer erscheinen zu müssen, als der für den er sich selber hält, scheinbar verbergen zu müssen, wie einem wirklich zumute ist. „Wir spielen alle Theater“ heisst ein Buch, das im englischen Original schon vor über 50 Jahren erschienen ist und dessen Titel vermutlich heute mehr denn je seine Gültigkeit hat. Wie viele Menschen sind ständig bemüht, ihr Image aufrechtzuerhalten und zahlen dafür einen hohen Preis, weil sie innerlich immer einsamer werden. Es kann müde und verzagt machen, wenn einem das, worauf man gebaut hat, genommen wird oder unter den Händen zerrinnt - weil vielleicht ein lieber Mensch stirbt, eine Partnerschaft oder eine ganz wichtige Freundschaft zerbricht oder auch einfach nur das, woran man bisher geglaubt hat, plötzlich fraglich wird. Und manche macht es auch müde und verzagt, wenn sie spüren, wie die körperlichen Kräfte oder die geistigen Fähigkeiten allmählich abnehmen und die Spuren des Alters sich zeigen, Krankheiten und Gebrechen häufiger werden und vielleicht eines nach dem anderen kommt und manchmal kaum Zeit bleibt, wieder einmal Lebensmut und Zuversicht zu entwickeln. „Darum verzagen wir nicht“, „darum werden wir nicht müde“ - es ist wirklich eine starke und gar nicht selbstverständliche Behauptung, die Paulus da macht. Seine Begründung mag auf den ersten Blick einleuchten, aber sie löst auch wieder Fragen aus: „Wenn auch unser äusserer Mensch verbraucht wird, so wird doch unser innerer Mensch von Tag zu Tag erneuert.“ Dass unsere Kräfte mit dem Älterwerden abnehmen, das ist eine Erfahrung, die wir alle teilen. Aber wird der innere Mensch automatisch von Tag zu Tag erneuert? Und sind wir heute nicht oft viel mehr damit beschäftigt, den Verbrauch und Verfall des äusseren Menschen aufzuhalten als damit, den inneren Menschen zu erneuern? Und stimmt diese einfache Gegenüberstellung von äusserem und innerem Menschen überhaupt? Zumindest würde ich dieser einfachen Gegenüberstellung gerne einen Satz der Theresa von Avila entgegenhalten: „Tu deinem Leib etwas Gutes, damit deine Seele Lust hat, darin zu wohnen.“ Es stimmt eben nicht, dass es auf das Äussere und Sichtbare nicht ankommt und dass wir uns nur um das Innere und Unsichtbare zu kümmern hätten. Wenn wir unserem Körper etwas Gutes tun, uns um unser äusserliches Wohlbefinden kümmern, dann sind das keine unnötigen Nebensächlichkeiten, sondern es kann durchaus eine Art sein, wie wir unsere Dankbarkeit dafür zeigen, dass Gott uns - um mit Paulus zu sprechen - dieses irdische Gefäss geschenkt hat, damit wir so Sorge dazu tragen, dass unsere Seele Lust hat, darin zu wohnen. Trotzdem macht Paulus uns auf etwas Wichtiges aufmerksam. Es kommt auf die Erneuerung unseres inneren Menschen an. Auch Paulus weiss sehr wohl darum, wie sehr einem das Leben manchmal müde machen kann. Er hat erfahren, wie manches, was er aufgebaut hat, wieder in Frage gestellt wurde - gerade in der korinthischen Gemeinde. Er hat erlebt, wie sein ganzes bisheriges Leben auf einmal seinen Sinn und seinen Wert verloren hat, weil er als Verfolger der christlichen Gemeinde mit Eifer einen Irrweg verfolgt hatte. Sein Weg als Apostel und Gemeindegründer war mit kräfteraubenden Reisen und Entbehrungen, mit Anfeindungen und Misserfolgen, zeitweise mit Gefangenschaft verbunden. Und zu alledem musste er als Stotterer Spott ertragen und wurde immer wieder von epileptischen Anfällen geplagt. Für ihn war es wichtig auf das Unsichbare zu schauen und nicht nur auf das Sichtbare. Seine Leiden und Entbehrungen verloren für ihn an Gewicht und Bedeutung, weil er sie im Lichte der Leiden Christi und mit der Hoffnung auf die unendliche Fülle sehen konnte, die Christus verheissen hat. Das war sein innerer Kompass, daran richtete er seinen inneren Menschen aus. Sich immer wieder in diesem Vertrauen zu bestärken, darin sieht Paulus die tägliche Erneuerung des inneren Menschen. Für mich ist dieses Bild vom inneren Kompass hilfreich als Bild für das, was Paulus mit der Erneuerung des inneren Menschen meint. Einen inneren Kompass brauchen wir, damit wir in unserem Leben nicht die Richtung verlieren und uns immer wieder neu auf das Wesentliche konzentrieren können. Dazu brauchen wir nicht so sehr gute Ratschläge und Lebensweisheiten von der Stange, sondern viel eher die Ermutigung: nimm dir die Zeit und die Ruhe, darauf zu achten, was dir in deinem Leben wirklich wichtig ist. Stürze dich dabei nicht auf das Erstbeste und Naheliegende, sondern versuche weiter zu schauen. Vertraue auch nicht allein auf das Sichtbare, sondern schaue über das hinaus, was vor Augen liegt. Wo es uns geschenkt wird, „hinüber“ zu sehen, unser Leben gewissermassen mit den Augen Gottes zu sehen, als ein Leben, das in Gottes Hand steht, kann sich eine heitere Gelassenheit entwickeln, die uns hilft, nicht müde oder verzagt zu werden. Was ich damit meine, kann ich nicht schöner und treffender ausdrücken als in den Worten des Kabarettisten Hans-Dieter Hüsch: Ich bin vergnügt, erlöst, befreit. Gott nahm in seine Hände meine Zeit, mein Fühlen, Denken, Hören, Sagen, mein Triumphieren und Verzagen, das Elend und die Zärtlichkeit. Was macht, dass ich so fröhlich bin in meinem kleinen Reich. Ich sing und tanze her und hin vom Kindbett bis zur Leich. Was macht, dass ich so furchtlos bin an vielen dunklen Tagen. Es kommt ein Geist in meinen Sinn, will mich durchs Leben tragen. Was macht, dass ich so unbeschwert und mich kein Trübsal hält, weil mich mein Gott das Lachen lehrt wohl über alle Welt. Solch heitere Gelassenheit, weil wir darauf vertrauen dürfen, dass unser Leben in Gottes Hand steht, kann ein innerer Kompass für unser Leben sein. Und weil wir nicht alles von diesem Leben erwarten müssen und weil auch nicht alles auf uns ankommt, können wir hier und jetzt das uns Mögliche tun und uns immer wieder neu auf das Wesentliche konzentrieren. Das müssen keine grossen Dinge sein. Noch einmal möchte ich dazu Hanns Dieter Hüsch zitieren. Vor Jahren beendete er seine Auftritte mit einer kurzen Zugabe als Schlusspunkt: Ich sah einen Mann mit seiner Frau Beide schon älter Die Frau war blind Der Mann konnte sehen Er fütterte sie Das ist alles Hüsch schloss mit einem Gute Nacht. Ich mit einem Amen.

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