Liebe Gemeinde,
stellen sie sich vor, eine junge Frau aus unserer Zeit, nennen wir sie Ruth, hätte die Gelegenheit, den Evangelisten Lukas zu seiner Passionsgeschichte zu befragen. Welche Fragen hätte sie wohl und was würde sie Lukas über unsere Zeit erzählen? Ich möchte es einfach einmal ausprobieren:
Ruth: Lukas, ich habe die Passionsgeschichte schon oft gehört. Aber immer noch erschrecke ich darüber, was sie Jesus angetan haben. Wie grausam Menschen doch sein können. Er hat ja niemand etwas zuleide getan. Im Gegenteil, er hat den Menschen geholfen und Mut gemacht. Und dann ist er in die Mühlen der Politik geraten, ein unschuldiges Opfer.
Lukas: Es ist gut, Ruth, wenn du darüber erschrickst. Denn viele gewöhnen sich erschreckend schnell an den Anblick des Leides. Zahllose Menschen sind ja zu meiner Zeit gefoltert und getötet worden, Schuldige und Unschuldige. Ich möchte, dass Menschen sich berühren lassen von diesem Leiden Jesu, dass sie hinsehen und Mitgefühl haben und zwar nicht nur weil es Jesus ist, sondern weil da ein Gerechter leidet. Wer auf Jesu Kreuz ehrfürchtig blickt, weil es Jesus ist, der da leidet, aber an den Kreuzen der anderen Menschen achtlos vorbeigeht, der hat nicht begriffen, was Gott uns sagen will.
Ruth: Bist du deshalb so zurückhaltend mit den Ehrentiteln für Jesus und nennst ihn kaum einmal Sohn Gottes oder Christus oder Auserwählter, und wenn, dann meist aus dem Munde der Spötter?
Lukas: Ja, das stimmt. Diese Titel sind ja alle nicht falsch. Im Glauben erkennen wir Jesus als Sohn Gottes, als Christus, als unseren Erlöser. Aber alles hängt für mich davon ab, dass wir in ihm zuerst einmal den Menschen sehen und auch wenn er für uns mehr ist als einfach ein Mensch, bleibt er doch auch dies, ein Mensch, ein Mensch der leidet, ein Mensch, der zu Mitgefühl und Zuwendung fähig ist und der Mitgefühl und Zuwendung braucht, ein Mensch aus Fleisch und Blut. Mit der Menschlichkeit fängt alles an und ohne Menschlichkeit, ohne die Menschlichkeit Jesu und unsere Menschlichkeit gibt es keinen christlichen Glauben.
Ruth: Und darum sagt auch der römische Hauptmann bei dir am Ende nur: dieser ist ein frommer Mensch gewesen. Bei Markus sagt er ja: dieser ist Gottes Sohn gewesen. Ist „frommer Mensch“ nicht ein bisschen wenig für Jesus?
Lukas: Weisst du, weder Markus noch ich standen damals unter dem Kreuz. Wir können nur weitererzählen, was man uns berichtet hat und was uns eingeleuchtet hat. Meine Grundüberzeugung, meine Glaubenseinsicht ist: Wer Gott erkennen will, der darf den Menschen nicht aus dem Blick verlieren. „Sohn Gottes“ aus dem Munde eines römischen Hauptmanns, das lässt mich an den Kaiser denken, der sich ja als Sohn Gottes feiern liess. Manche von uns sind dafür gestorben, dass sie sich an dieser Gotteslästerung nicht beteiligen wollten. Aber wenn wir Gott in Jesus erkennen sollen, dann steht mir das Bild des gekreuzigten Menschen vor Augen, des leidenden Gerechten. Dieser Anblick berührt mich, erfüllt mich selbst mit Mitgefühl und Anteilnahme – am Geschick Jesu, aber auch am Geschick all der Menschen, die leiden müssen, die ein Kreuz zu tragen haben. „Ein frommer Mensch“, das ist sicher nicht alles, was man über Jesus sagen kann, aber wer mit den grossen Worten beginnt, vergisst allzu leicht die kleinen, alltäglichen Dinge. Und unseren Glauben können wir gar nicht anders leben als in der kleinen Münze alltäglicher Anteilnahme, Fürsorge und Liebe.
Ruth: Das leuchtet mir ein, Lukas, und Jesus hat uns ja mit seinem ganzen Leben und noch in seinem Sterben diese Menschlichkeit vorgelebt. Wie er noch am Kreuz für die eintritt, die ihm dieses Leid zufügen: „Vater, vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun.“ – das ist schon überwältigend. Ich denke, auch wir wissen manchmal nicht, was wir tun. Wir wollen das Gute und tun das Böse. Wir meinen, einfach unsere Pflicht zu tun und richten damit Unheil an. Wir machen immer wieder die gleichen Fehler, weil wir nicht aus unserer Haut können. Da tut es gut zu wissen: Jesus tritt selbst für die ein, die ihn ans Kreuz schlagen. Wie sollte er dann nicht auch für uns eintreten? Und er stellt dabei nicht einmal Vorbedingungen.
Lukas: Ja, Ruth, das ist das Grossartige und Befreiende. Jesus liebt die Menschen, bedingungslos, und diese Liebe kann Menschen verändern, weil sie befreit sind von dem Druck, sich ständig zu rechtfertigen, ihre Schuld, ihre Fehler zu verbergen. Das sehen wir an dem einen Mitgekreuzigten und an dem Hauptmann. Einer der Mitgekreuzigten erkennt und bekennt, dass er schuldig ist, aber er versinkt nicht in Gram über seine Schuld, sondern traut sich, Jesus um Beistand zu bitten. Er glaubt, dass der, der im Sterben bitten kann „Vater, vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun“, auch ihm beistehen und vergeben kann. Und er irrt sich nicht. „Heute wirst du mit mir im Paradiese sein“, antwortet Jesus ihm. Und auch der Hauptmann kommt zu seiner Einsicht, weil er die Grösse und Menschlichkeit Jesu wahrnimmt und sich davon berühren lässt.
Ruth: Die beiden Mitgekreuzigten reagieren ja grundverschieden. Der eine erkennt seine Schuld und wendet sich hilfesuchend an Jesus, der andere flüchtet sich in Zynismus und Spott. Er schlägt sich auf die Seite derer, die immer einen brauchen, den sie klein machen und demütigen können. Für ihn scheint das eigene Leid erträglicher, wenn er es spottend und zynisch übertünchen kann. Ganz anders der andere. Er spürt, dass ihm da ein barmherziger Mensch begegnet, einer demgegenüber er nicht den Starken spielen muss, einer, der ein Herz für ihn hat, der auch ihm Erbarmen schenkt. Jesus strahlt noch in seinem Leiden Liebe aus, grenzenlose Liebe. Wie gerne wäre ich auch zu solcher Liebe fähig, im Kleinen, in meinem Alltag. Denn ich weiss ja, dass die Liebe menschlicher macht. Es ist mir schon manchmal passiert, dass meine Kinder etwas angestellt haben und ich wütend und aufgeregt gefragt habe: „Wer war das schon wieder.“ und entweder betretenes Schweigen geerntet habe oder das alte Spiel: Der war’s. Nein die war’s.“ Und fast jedes Mal, wenn es mir gelungen ist, erst einmal tief durchzuatmen und ich meine Kinder in den Arm genommen habe und ihnen ehrlich sagen konnte: „Ich habe euch ganz fest lieb.“ Dann hat wie von selbst eines gesagt: „Es tut mir leid. Ich war’s.“ Weil dann das Vertrauen da ist: es mag zwar schlimm sein, was ich angestellt habe, aber nichts ist so schlimm, dass mich Mama nicht mehr lieb hat. Und dieser Jesus, der noch am Kreuz sagt: „Vater, vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun“, dieser Jesus kann in uns dieses kindliche Vertrauen wecken, dass wir uns nicht mehr verstecken müssen, sondern zu unserer Verantwortung stehen können, für das, was wir tun und unterlassen. Und dieses Vertrauen ist eine grosse Befreiung. Ich glaube, Erlösung ist dafür kein zu grosses Wort.
Lukas: Dein Beispiel finde ich schön. Es trifft für mich gut, was Jesus für uns getan hat. Er liebt uns und er ist dieser Liebe treu – treu bis in seinen Tod. Diese Liebe macht uns frei. Sie macht uns frei, uns selber im Licht seiner Liebe zu sehen, so wie wir sind und doch geliebt. Und dann können wir auch unsere Mitmenschen in diesem Licht sehen und die Barmherzigkeit, die wir erfahren haben, weitergeben.
Ruth: Ich habe mich immer schwer getan damit, dass Gott seinen Sohn geopfert haben soll für unsere Schuld. Jetzt merke ich, dass es nicht darum geht, dass Gott ein blutiges Opfer braucht, sondern dass wir Menschen auf diese bedingungslose Liebe angewiesen sind, die Jesus uns gezeigt hat und an der er festgehalten hat auch dann noch, als sie ihn ans Kreuz geführt hat. Gott fordert nicht diesen Tod, er erduldet ihn eher – aus Liebe. Und er überwindet ihn an Ostern. Wir sollen auf das Kreuz blicken und uns zur Menschlichkeit bewegen lassen. Wir können Verantwortung übernehmen und müssen Schuld nicht verdrängen. Aber wir dürfen uns auch Gottes Erbarmen gefallen lassen und unseren Mitmenschen Güte und Barmherzigkeit erweisen. Und wir dürfen an das Leben glauben, daran, dass Gott Leben schenkt, das den Tod überwindet.
Lukas: Ja, Ruth, aus diesem Vertrauen dürfen wir leben. Dieses Vertrauen spricht auch aus Jesu letzten Worten: „Vater, in deine Hände befehle ich meinen Geist.“ Wer Gottes Liebe vertraut im Leben, im Leiden und im Sterben, der hat auf keinen Sand gebaut, der kann menschlich leben und Menschlichkeit weitergeben. In Jesu Kreuz steht uns vor Augen, zu welcher Unmenschlichkeit wir fähig sind, sehen wir all die Kreuze auf dieser Welt. Aber in Jesu Kreuz erkennen wir Gottes befreiende Liebe und Menschlichkeit. Amen.
Donnerstag, 21. April 2011
Freitag, 8. April 2011
Predigt zu 1. Mose 22,1-13 (Isaaks Opferung) am 10. April 2011
Liebe Gemeinde,
„Man muss Gott mehr gehorchen als den Menschen.“ Diesem Satz aus der Apostelgeschichte wird unter uns wohl kaum jemand widersprechen. Wer Gott vertraut, der versucht, seinem Willen entsprechend zu leben. Und das kann auch in den Widerspruch zu menschlichen Erwartungen, vielleicht sogar zu Gesetzen führen. Dieser Satz und damit verbunden die ganze jüdisch-christliche Glaubenstradition hat beispielsweise einen Dietrich Bonhoeffer in den Widerstand gegen die nationalsozialistische Gewaltherrschaft, gegen Hitler geführt. In Zeiten der Glaubensverfolgung hat er Menschen befähigt ihr Freiheit und ihr Leben aufs Spiel zu setzen, um ihren Glauben ausüben, Gott gehorsam sein zu können. Diese Glaubenseinsicht hat Menschen dazu geführt, Flüchtlinge zu verstecken. Sie hat in der ehemaligen DDR und anderen Ländern Osteuropas einiges beigetragen zum Ende des kommunistischen Systems. Es ist ein wichtiger, ein befreiender Satz, der Zivilcourage vermittelt.
Und doch: wenn ich den heutigen Predigttext höre, die Geschichte von der Opferung Isaaks, dann geht mir dieser Satz nicht mehr so einfach über die Lippen. Und ich hoffe sehr, dass auch sie immer noch zumindest ein wenig über diese Geschichte erschrecken. Was ist das für ein Gott, der von Abraham fordert, seinen einzigen Sohn eigenhändig zu töten, um ihn so Gott zu opfern? Und auch wenn wir sagen können, dass Gott ja nur den Gehorsam des Abraham auf die Probe stellen wollte – die Frage bleibt: Was ist das für ein Gott, der mit Abraham und Isaak ein solch grausames Spiel treibt? Und darf man Abraham loben dafür, dass er sich auf dieses grausame Spiel einlässt, dass er scheinbar ohne Widerspruch bereit ist, bis zum Äussersten zu gehen? Ist er damit für uns ein Vorbild des Glaubens? Gegen Ende des Predigttextes heisst es: „Lege deine Hand nicht an den Knaben und tu ihm nichts; denn nun weiss ich, dass du Gott fürchtest und hast deines einzigen Sohnes nicht verschont um meinetwillen.“ Der Verfasser unseres Predigttextes scheint den blinden Gehorsam des Abraham lobenswert zu finden. Aber bei mir bleiben die Zweifel. Ich muss bei diesem Text immer wieder an einen Film denken, den ich in meiner Jugendzeit gesehen habe. Er hiess „Das Abraham - ein Versuch“ und hatte das Milgram-Experiment zur Grundlage, das in den 60er Jahren des letzten Jahrhunderts durchgeführt wurde. In diesem Film wurde den Versuchspersonen gesagt, es sei ihre Aufgabe, einer Person in einem anderen Raum für begangene Fehler Stromstösse zu verabreichen. Sie wurden auch darauf aufmerksam gemacht, ab welcher Stärke diese Stromstösse tödlich sein können. Erschreckend viele gingen – sogar ohne grosse Ermunterung – bis zu sehr hohen Dosen, nicht wenige verabreichten tödliche Dosen. Natürlich wurden diese Stromstösse nicht wirklich verabreicht. Aber – so fragte ich mich: Wenn schon die Autorität eines wissenschaftlichen Experiments Menschen zu solcher Grausamkeit befähigt, wie sieht es dann erst aus, wenn sie glauben für Volk und Vaterland oder gar für ihren Gott, ihre Religion Menschen zu opfern? Wozu kann Gehorsam führen? Und ist Gehorsam wirklich eine Tugend oder doch eher eine der fürchterlichsten Untugenden? Als Deutscher dachte ich dabei natürlich an die Grausamkeiten deutscher Soldaten in zwei Weltkriegen, an das Morden im Namen von Volk, Rasse und Vaterland, in einer Armee, die strikt nach dem Muster von Befehl und Gehorsam aufgebaut war. Aber ich denke heute auch an Eltern in Palästina, die stolz sind auf ihre Söhne und Töchter, die sich im Namen Allahs als Selbstmordattentäter in die Luft sprengen und viele Menschen mit in den Tod reissen. Und leider bietet auch die Geschichte des Christentums zahlreiche Beispiele solch äusserst fragwürdigen, unmenschlichen Gehorsams in den Kreuzzügen oder Hexenverfolgungen.
Ich denke aber auch an Formen vermeintlich christlicher Erziehung, die vor noch nicht allzu langer Zeit gang und gäbe waren. Ich denke an Kinder, für die Gebet und Schläge zusammengehörten wie der Deckel auf den Topf. Ich denke an Kinder, die unter diesen Schlägen gelitten haben oder unter seelischen Qualen, weil sie nie so sein durften wie sie waren, weil sie den Ansprüchen nie genügen konnten, weil ihnen immer ihre Fehler vorgehalten wurden.
Aber es sind nicht nur Beispiele von früher oder aus der islamischen Welt, an die ich denke. Ich denke an Soldaten, die vorsichtig gesagt, in ein Umfeld hineingeworfen werden, das Vorkommnisse wie die Folterungen im Gefängnis von Abu Ghraib möglich macht oder an kaum erwachsene Soldaten, die in Situationen kommen, wo es scheinbar besser ist, erst einmal zu schiessen und erst dann zu überprüfen, ob es sich tatsächlich um einen Feind handelt. Und gehören in diesen Zusammenhang nicht auch die Opfer, die wir den Göttern Leistung und Konkurrenz bringen, Kinder und Erwachsene, die dem Leistungsdruck nicht gewachsen sind, die Beruhigungs- oder Aufputschmittel brauchen, um dem Druck standzuhalten?
Nein, Gehorsam ist keine Tugend und blinden Gehorsam fordern nur die falschen Götzen. Davon bin ich überzeugt und wollte der Verfasser der Abrahamsgeschichte blinden Gehorsam als Glaubenstugend darstellen, so würde ich ihm entschlossen widersprechen. Glaube ohne Einsicht, ohne die Stimme des Herzens und des Gewissens droht immer unmenschlich zu werden.
Was aber bleibt uns von dieser Geschichte ausser dem Widerspruch gegen die Forderung blinden Gehorsams. Zuerst einmal bleibt mir der Schrecken und das Mitgefühl. Drei lange Tage sind die beiden unterwegs. Zuhause bleibt die Mutter, Sarah. Sie weiss wohl kaum, was Abraham wirklich vorhat, womit er in seinem Herzen und seinen Gedanken ringt. Hätte sie es gewusst, was hätte sie getan? Hätte sie versucht ihn von diesem Weg abzubringen oder sich selbst als Opfer angeboten? Oder wäre sie zumindest mitgegangen? Sie hätte wohl kaum ihren Sohn einfach so ziehen lassen und sie hätte wohl jede Minute genutzt, das grausame Schicksal abzuwenden. Drei lange Tage – und meistens Schweigen. Wenn wir versuchen uns das vorzustellen, dann ist es wirklich kaum auszuhalten. Diese Sprachlosigkeit, weil Ohnmacht und Hilflosigkeit so gross sind, dass man keine Worte mehr findet. Weil Menschen nicht mehr wissen, woran sie miteinander sind, ob sie einander noch vertrauen können. Wenn die Fragen keine Antwort mehr finden. Das sind Situationen, die uns vielleicht nicht mehr so ganz unvertraut sind. Nein, Abraham war kein dumpfer Tyrann und Isaak kein Dummkopf. Abraham muss furchtbar gelitten haben und Isaak hat das Schweigen zu deuten gewusst als Vorzeichen einer furchtbaren Bedrohung. Das ist für mich das erste: das Mitleiden an diesem bedrohlichen Schweigen und die Ohnmacht, die richtigen Worte zu finden und die Sprachlosigkeit zu überwinden. Aber zugleich ist noch etwas anders da. Trotz aller Ohnmacht und Sprachlosigkeit. Abraham ist bei seinem Sohn Isaak. Er geht mit ihm Schritt für Schritt und ich bin mir sicher, bis ganz am Ende hofft und betet er, dass es noch einen anderen Weg geben möge, dass das Leben seines Sohnes verschont bleibt. Wir mögen ihm seine Sprachlosigkeit und Hilflosigkeit vorwerfen – zurecht – aber er ist da. Er lässt Isaak nicht allein. Und am Ende hat er Augen und Ohren für den Ausweg, den Gott ihm zeigt. Das ist das zweite: Mitgehen, auch wenn es kaum zu ertragen ist, die Hoffnung niemals aufgeben und Augen haben für die neuen Wege, die Gott uns zeigt. Das dritte aber ist das gute Ende: Gott will keine Menschenopfer, nicht das Opfer Isaaks, nicht die Opfer, die wir heute bringen und die wir manchmal gar nicht mehr als solche bemerken. Gott will das Leben und nicht den Tod.
In der Schriftlesung aus dem Joh heisst es: Es ist besser für euch, ein Mensch sterbe für das Volk, als dass das ganze Volk verderbe. Auch hier diese tödliche Opferlogik, die in ihrem nüchternen Kalkül gar nicht mehr wahrnimmt, wie unmenschlich sie ist. Aber dieses Mal taucht kein rettender Widder auf. Jesus wird tatsächlich geopfert – von Menschen im Interesse der Ordnung, der Religion, der Interessen der Mächtigen. Sehen wir die beiden Texte nebeneinander, dann müssen wir erkennen: nicht Gott will das Menschenopfer, wir Menschen sind es, die einander opfern und darüber sollten wir erschrecken.
Wir stehen kurz vor der Karwoche und dem Osterfest. Und in einem gewissen Sinn ist die Geschichte des Leidens und der Auferweckung Jesu auch eine Antwort auf die Fragen der Isaak-Geschichte. Da heisst es nicht mehr „dass du Gott fürchtest und hast deines einzigen Sohnes nicht verschont um meinetwillen“, sondern umgekehrt, dass Gott uns so sehr liebt, dass er seines einzigen Sohnes nicht verschont hat und ihn dahingegeben hat um unsretwillen. Nein, Gott will keine Menschenopfer. Er gibt sein eigenes hin, für uns. Er gibt Jesus in die Hände der Menschen. Aber Jesu Tod, der Tod aller, die leiden müssen und sterben, das ist nicht Gottes letztes Wort. Das letzte Wort ist die Osterbotschaft, das neue Leben, das den Tod überwindet, die Liebe, die aufblüht zu neuem Leben. Wer dieser Botschaft glaubt, der muss sich nicht mehr fürchten vor einem unbarmherzigen Gott, der blinden Gehorsam und Menschenopfer fordert. Wer dieser Botschaft vertraut, der wird sich wohl noch manches Mal fragen, warum ihm Gott Schweres zumutet, Leid und Gewissenskonflikte, aber er darf darauf vertrauen, dass Gott das Leben will, dass Gott Liebe ist und dass Gott mit uns geht, wohin unser Weg auch führen mag.
Und die Geschichte Abrahams und Isaaks leitet uns nicht an zu blindem Gehorsam, sondern will uns immer wieder zu der Bitte des Unser Vater führen: „Und führe uns nicht in Versuchung!“ Amen.
„Man muss Gott mehr gehorchen als den Menschen.“ Diesem Satz aus der Apostelgeschichte wird unter uns wohl kaum jemand widersprechen. Wer Gott vertraut, der versucht, seinem Willen entsprechend zu leben. Und das kann auch in den Widerspruch zu menschlichen Erwartungen, vielleicht sogar zu Gesetzen führen. Dieser Satz und damit verbunden die ganze jüdisch-christliche Glaubenstradition hat beispielsweise einen Dietrich Bonhoeffer in den Widerstand gegen die nationalsozialistische Gewaltherrschaft, gegen Hitler geführt. In Zeiten der Glaubensverfolgung hat er Menschen befähigt ihr Freiheit und ihr Leben aufs Spiel zu setzen, um ihren Glauben ausüben, Gott gehorsam sein zu können. Diese Glaubenseinsicht hat Menschen dazu geführt, Flüchtlinge zu verstecken. Sie hat in der ehemaligen DDR und anderen Ländern Osteuropas einiges beigetragen zum Ende des kommunistischen Systems. Es ist ein wichtiger, ein befreiender Satz, der Zivilcourage vermittelt.
Und doch: wenn ich den heutigen Predigttext höre, die Geschichte von der Opferung Isaaks, dann geht mir dieser Satz nicht mehr so einfach über die Lippen. Und ich hoffe sehr, dass auch sie immer noch zumindest ein wenig über diese Geschichte erschrecken. Was ist das für ein Gott, der von Abraham fordert, seinen einzigen Sohn eigenhändig zu töten, um ihn so Gott zu opfern? Und auch wenn wir sagen können, dass Gott ja nur den Gehorsam des Abraham auf die Probe stellen wollte – die Frage bleibt: Was ist das für ein Gott, der mit Abraham und Isaak ein solch grausames Spiel treibt? Und darf man Abraham loben dafür, dass er sich auf dieses grausame Spiel einlässt, dass er scheinbar ohne Widerspruch bereit ist, bis zum Äussersten zu gehen? Ist er damit für uns ein Vorbild des Glaubens? Gegen Ende des Predigttextes heisst es: „Lege deine Hand nicht an den Knaben und tu ihm nichts; denn nun weiss ich, dass du Gott fürchtest und hast deines einzigen Sohnes nicht verschont um meinetwillen.“ Der Verfasser unseres Predigttextes scheint den blinden Gehorsam des Abraham lobenswert zu finden. Aber bei mir bleiben die Zweifel. Ich muss bei diesem Text immer wieder an einen Film denken, den ich in meiner Jugendzeit gesehen habe. Er hiess „Das Abraham - ein Versuch“ und hatte das Milgram-Experiment zur Grundlage, das in den 60er Jahren des letzten Jahrhunderts durchgeführt wurde. In diesem Film wurde den Versuchspersonen gesagt, es sei ihre Aufgabe, einer Person in einem anderen Raum für begangene Fehler Stromstösse zu verabreichen. Sie wurden auch darauf aufmerksam gemacht, ab welcher Stärke diese Stromstösse tödlich sein können. Erschreckend viele gingen – sogar ohne grosse Ermunterung – bis zu sehr hohen Dosen, nicht wenige verabreichten tödliche Dosen. Natürlich wurden diese Stromstösse nicht wirklich verabreicht. Aber – so fragte ich mich: Wenn schon die Autorität eines wissenschaftlichen Experiments Menschen zu solcher Grausamkeit befähigt, wie sieht es dann erst aus, wenn sie glauben für Volk und Vaterland oder gar für ihren Gott, ihre Religion Menschen zu opfern? Wozu kann Gehorsam führen? Und ist Gehorsam wirklich eine Tugend oder doch eher eine der fürchterlichsten Untugenden? Als Deutscher dachte ich dabei natürlich an die Grausamkeiten deutscher Soldaten in zwei Weltkriegen, an das Morden im Namen von Volk, Rasse und Vaterland, in einer Armee, die strikt nach dem Muster von Befehl und Gehorsam aufgebaut war. Aber ich denke heute auch an Eltern in Palästina, die stolz sind auf ihre Söhne und Töchter, die sich im Namen Allahs als Selbstmordattentäter in die Luft sprengen und viele Menschen mit in den Tod reissen. Und leider bietet auch die Geschichte des Christentums zahlreiche Beispiele solch äusserst fragwürdigen, unmenschlichen Gehorsams in den Kreuzzügen oder Hexenverfolgungen.
Ich denke aber auch an Formen vermeintlich christlicher Erziehung, die vor noch nicht allzu langer Zeit gang und gäbe waren. Ich denke an Kinder, für die Gebet und Schläge zusammengehörten wie der Deckel auf den Topf. Ich denke an Kinder, die unter diesen Schlägen gelitten haben oder unter seelischen Qualen, weil sie nie so sein durften wie sie waren, weil sie den Ansprüchen nie genügen konnten, weil ihnen immer ihre Fehler vorgehalten wurden.
Aber es sind nicht nur Beispiele von früher oder aus der islamischen Welt, an die ich denke. Ich denke an Soldaten, die vorsichtig gesagt, in ein Umfeld hineingeworfen werden, das Vorkommnisse wie die Folterungen im Gefängnis von Abu Ghraib möglich macht oder an kaum erwachsene Soldaten, die in Situationen kommen, wo es scheinbar besser ist, erst einmal zu schiessen und erst dann zu überprüfen, ob es sich tatsächlich um einen Feind handelt. Und gehören in diesen Zusammenhang nicht auch die Opfer, die wir den Göttern Leistung und Konkurrenz bringen, Kinder und Erwachsene, die dem Leistungsdruck nicht gewachsen sind, die Beruhigungs- oder Aufputschmittel brauchen, um dem Druck standzuhalten?
Nein, Gehorsam ist keine Tugend und blinden Gehorsam fordern nur die falschen Götzen. Davon bin ich überzeugt und wollte der Verfasser der Abrahamsgeschichte blinden Gehorsam als Glaubenstugend darstellen, so würde ich ihm entschlossen widersprechen. Glaube ohne Einsicht, ohne die Stimme des Herzens und des Gewissens droht immer unmenschlich zu werden.
Was aber bleibt uns von dieser Geschichte ausser dem Widerspruch gegen die Forderung blinden Gehorsams. Zuerst einmal bleibt mir der Schrecken und das Mitgefühl. Drei lange Tage sind die beiden unterwegs. Zuhause bleibt die Mutter, Sarah. Sie weiss wohl kaum, was Abraham wirklich vorhat, womit er in seinem Herzen und seinen Gedanken ringt. Hätte sie es gewusst, was hätte sie getan? Hätte sie versucht ihn von diesem Weg abzubringen oder sich selbst als Opfer angeboten? Oder wäre sie zumindest mitgegangen? Sie hätte wohl kaum ihren Sohn einfach so ziehen lassen und sie hätte wohl jede Minute genutzt, das grausame Schicksal abzuwenden. Drei lange Tage – und meistens Schweigen. Wenn wir versuchen uns das vorzustellen, dann ist es wirklich kaum auszuhalten. Diese Sprachlosigkeit, weil Ohnmacht und Hilflosigkeit so gross sind, dass man keine Worte mehr findet. Weil Menschen nicht mehr wissen, woran sie miteinander sind, ob sie einander noch vertrauen können. Wenn die Fragen keine Antwort mehr finden. Das sind Situationen, die uns vielleicht nicht mehr so ganz unvertraut sind. Nein, Abraham war kein dumpfer Tyrann und Isaak kein Dummkopf. Abraham muss furchtbar gelitten haben und Isaak hat das Schweigen zu deuten gewusst als Vorzeichen einer furchtbaren Bedrohung. Das ist für mich das erste: das Mitleiden an diesem bedrohlichen Schweigen und die Ohnmacht, die richtigen Worte zu finden und die Sprachlosigkeit zu überwinden. Aber zugleich ist noch etwas anders da. Trotz aller Ohnmacht und Sprachlosigkeit. Abraham ist bei seinem Sohn Isaak. Er geht mit ihm Schritt für Schritt und ich bin mir sicher, bis ganz am Ende hofft und betet er, dass es noch einen anderen Weg geben möge, dass das Leben seines Sohnes verschont bleibt. Wir mögen ihm seine Sprachlosigkeit und Hilflosigkeit vorwerfen – zurecht – aber er ist da. Er lässt Isaak nicht allein. Und am Ende hat er Augen und Ohren für den Ausweg, den Gott ihm zeigt. Das ist das zweite: Mitgehen, auch wenn es kaum zu ertragen ist, die Hoffnung niemals aufgeben und Augen haben für die neuen Wege, die Gott uns zeigt. Das dritte aber ist das gute Ende: Gott will keine Menschenopfer, nicht das Opfer Isaaks, nicht die Opfer, die wir heute bringen und die wir manchmal gar nicht mehr als solche bemerken. Gott will das Leben und nicht den Tod.
In der Schriftlesung aus dem Joh heisst es: Es ist besser für euch, ein Mensch sterbe für das Volk, als dass das ganze Volk verderbe. Auch hier diese tödliche Opferlogik, die in ihrem nüchternen Kalkül gar nicht mehr wahrnimmt, wie unmenschlich sie ist. Aber dieses Mal taucht kein rettender Widder auf. Jesus wird tatsächlich geopfert – von Menschen im Interesse der Ordnung, der Religion, der Interessen der Mächtigen. Sehen wir die beiden Texte nebeneinander, dann müssen wir erkennen: nicht Gott will das Menschenopfer, wir Menschen sind es, die einander opfern und darüber sollten wir erschrecken.
Wir stehen kurz vor der Karwoche und dem Osterfest. Und in einem gewissen Sinn ist die Geschichte des Leidens und der Auferweckung Jesu auch eine Antwort auf die Fragen der Isaak-Geschichte. Da heisst es nicht mehr „dass du Gott fürchtest und hast deines einzigen Sohnes nicht verschont um meinetwillen“, sondern umgekehrt, dass Gott uns so sehr liebt, dass er seines einzigen Sohnes nicht verschont hat und ihn dahingegeben hat um unsretwillen. Nein, Gott will keine Menschenopfer. Er gibt sein eigenes hin, für uns. Er gibt Jesus in die Hände der Menschen. Aber Jesu Tod, der Tod aller, die leiden müssen und sterben, das ist nicht Gottes letztes Wort. Das letzte Wort ist die Osterbotschaft, das neue Leben, das den Tod überwindet, die Liebe, die aufblüht zu neuem Leben. Wer dieser Botschaft glaubt, der muss sich nicht mehr fürchten vor einem unbarmherzigen Gott, der blinden Gehorsam und Menschenopfer fordert. Wer dieser Botschaft vertraut, der wird sich wohl noch manches Mal fragen, warum ihm Gott Schweres zumutet, Leid und Gewissenskonflikte, aber er darf darauf vertrauen, dass Gott das Leben will, dass Gott Liebe ist und dass Gott mit uns geht, wohin unser Weg auch führen mag.
Und die Geschichte Abrahams und Isaaks leitet uns nicht an zu blindem Gehorsam, sondern will uns immer wieder zu der Bitte des Unser Vater führen: „Und führe uns nicht in Versuchung!“ Amen.
Samstag, 2. April 2011
Predigt über Markus 12,41-44
Liebe Gemeinde,
als Paulus für seine Kollekte für die Armen in Jerusalem wirbt, schreibt er den Korinthern (2. Kor 9,7): „Einen fröhlichen Geber hat Gott lieb.“ Und hätte er die Geschichte gekannt, vielleicht hätte er den Korinthern dann ja noch unseren heutigen Predigttext erzählt. Denn hier geht es um eine fröhliche Geberin, die ganz selbstverständlich gibt, obwohl sie nicht weiss, wovon sie danach leben soll.
Zuerst einmal sehen wir Jesus, wie er sich reichlich indiskret verhält. Er setzt sich einfach gegenüber vom Opferstock und sieht zu wie und was die Leute opfern. So etwas tut man ja eigentlich nicht. Oder hätten sie es vielleicht gern, wenn nachher am Ausgang jemand sässe und genau beobachtete, wie viel sie in den Opferstock einlegen? Mag sein, dass man zu Jesu Zeiten in Gelddingen etwas weniger diskret war als heute bei uns in der Schweiz. Aber natürlich geht es in der Geschichte auch um etwas ganz anderes. Jesus beobachtet, wie die Leute Geld einlegen und manche der Wohlhabenden zeigen sich sehr grosszügig. Und dann kommt diese arme Witwe. Zwei der kleinsten Münzen, die es gibt, legt sie ein. Das ist so gut wie nichts – aber es ist alles, was sie hat. Und darum lobt Jesus ihr Tun: „Diese arme Witwe hat mehr in den Gotteskasten gelegt als alle, die etwas eingelegt haben. Denn sie haben alle etwas von ihrem Überfluss eingelegt; diese aber hat von ihrer Armut ihre ganze Habe eingelegt, alles, was sie zum Leben hatte.“
Ich denke mir, dass diese Frau, hätte sie Jesu Worte mit angehört, vielleicht eher peinlich berührt gewesen wäre. Sie hat ja ihre zwei Scherflein nicht gegeben, um als Beispiel besonderer Frömmigkeit zu dienen, sich Jesu Lob zu verdienen. Sie hat wahrscheinlich nicht einmal das Gefühl gehabt, etwas Besonderes zu tun. Für sie war es die selbstverständlichste Sache der Welt. Sie geht zum Gotteshaus und sie trägt etwas zum Opfer bei. Das gehört sich so und das tut sie gern. Aber ich denke, dass sie sich ihrer Armut auch nicht schämt. Sie gehört dazu und sie ist nicht weniger wert als all die anderen. Und ich glaube, dass genau diese innere Haltung Jesus beeindruckt hat. In all ihrer Armut, mit all ihren Sorgen um das tägliche Brot, ist sie eine fröhliche Geberin. Jesus hält nicht viel von Spendenranglisten, die nur auf die grossen Zahlen achten. Aber ich bin mir sicher, dass er die Grosszügigkeit der anderen Opfernden auch nicht schlecht machen oder klein reden will. Nein, nicht erst wenn es einem selber weh tut, bekommen Gaben einen Wert. Einen fröhlichen Geber hat Gott lieb. Aber eben auch eine fröhliche Geberin, die zwar wenig gibt, aber dies von Herzen.
Ich verstehe diese kleine Geschichte als ein Loblied auf die alltägliche, wie selbstverständlich gelebte Frömmigkeit, ein Loblied auf die Grosszügigkeit, zu der Menschen fähig sind und auf die Sorglosigkeit, die sich ganz Gott anvertraut. Diese Geschichte steht in einer Linie mit Jesu Wort in der Bergpredigt: „Sorget euch nicht um den morgigen Tag.“ Dort sind es die Lilien auf dem Felde und die Vögel unter dem Himmel, die uns als Vorbild vor Augen geführt werden. Oder ich denke an die Witwe von Zarepta – ebenfalls eine arme Witwe – die mit dem letzten was sie hat sich und ihrem sterbenskranken Sohn eine kleine Mahlzeit bereiten möchte, bevor sie sich dann mit dem Tod abfinden will. Der Prophet Elia begegnet dieser Frau und bittet sie, zuerst ihm etwas zu essen zu bringen und verheisst ihr: „Das Mehl im Topf soll nicht verzehrt werden, und dem Ölkrug soll nichts mangeln bis auf den Tag, an dem der HERR regnen lassen wird auf Erden.“
Wenn ich an die Witwe und ihre zwei Scherflein denke, dann kommen mir Menschen in den Sinn, die heute ganz selbstverständlich ihren Glauben leben, eine stille und bescheidene Frömmigkeit, dann denke ich an Menschen, die ihren Beitrag leisten an die Sammlungen von BfA oder zu den sonntäglichen Kollekten. Ich denke an Menschen, die Zeit einsetzen für Menschen in ihrer Nachbarschaft. Ich denke auch an die vielen, die sich in unserer Kirchgemeinde freiwillig und ehrenamtlich engagieren. Auch hier gilt: es kommt nicht auf die Grösse der Spende, den Umfang des Einsatzes an. Eine fröhliche Geberin, einen fröhlichen Geber hat Gott lieb. Es muss nichts Grosses, nichts Besonderes, nichts Aussergewöhnliches sein. Wichtig ist, dass es von Herzen kommt und ich bin dankbar für jedes Engagement, jedes Zeichen der Liebe, des Mitdenkens, der Unterstützung für unsere Kirchgemeinde, für unser Gemeinwesen.
Ja es gibt auch unter uns solche armen Witwen, im wörtlichen und im übertragenen Sinn, Menschen, die im Stillen glauben, grosszügig sind, etwas von dem, was sie haben, materiell, aber auch an Zeit oder Fähigkeiten, an andere weitergeben, ohne davon viel Aufhebens zu machen. Es gibt Menschen, die ihre Betagten Angehörigen zuhause pflegen und die diese zeitaufwendige und oft kräftezehrende Aufgabe mit viel Liebe und Einfühlungsvermögen leisten und ihren Angehörigen gerne diesen Dienst erweisen. Es gibt die Menschen, die immer wissen, wenn jemand krank oder einsam ist und die sich auf den Weg machen, um diese Menschen zu besuchen. Es gibt die, die anderen etwas abnehmen, einen Einkauf, einen Botengang, eine kleine Arbeit und vieles andere mehr. Andere widmen sich in ihrer Freizeit dem Samariterverein, der Feuerwehr, den Landfrauen oder kulturellen Vereinen und tragen etwas dazu bei, dass es sich bei uns gut leben lässt. Diesen guten Geistern, die meist im Verborgenen wirken, gilt Jesu Loblied auf die arme Witwe. Ohne sie wäre unser Leben viel ärmer, unsere Welt um einiges kälter. Sie zu achten und ihrem Vorbild zu folgen, das ist es, was Jesus uns nahe legen will.
Möge Gott uns Augen schenken, die das Gute sehen, das unter uns geschieht und möge er unsere Herzen und unsere Hände frei machen für das Gute, das wir tun können und möge er jedem von uns auch etwas vom Selbstbewusstsein dieser Witwe schenken, die so selbstverständlich und aufrecht das Ihre tut und von ihrem grossen Vertrauen, das sich darauf verlässt, dass ihr Gott schon für sie sorgen wird, seien die täglichen Sorgen auch noch so gross. Amen.
als Paulus für seine Kollekte für die Armen in Jerusalem wirbt, schreibt er den Korinthern (2. Kor 9,7): „Einen fröhlichen Geber hat Gott lieb.“ Und hätte er die Geschichte gekannt, vielleicht hätte er den Korinthern dann ja noch unseren heutigen Predigttext erzählt. Denn hier geht es um eine fröhliche Geberin, die ganz selbstverständlich gibt, obwohl sie nicht weiss, wovon sie danach leben soll.
Zuerst einmal sehen wir Jesus, wie er sich reichlich indiskret verhält. Er setzt sich einfach gegenüber vom Opferstock und sieht zu wie und was die Leute opfern. So etwas tut man ja eigentlich nicht. Oder hätten sie es vielleicht gern, wenn nachher am Ausgang jemand sässe und genau beobachtete, wie viel sie in den Opferstock einlegen? Mag sein, dass man zu Jesu Zeiten in Gelddingen etwas weniger diskret war als heute bei uns in der Schweiz. Aber natürlich geht es in der Geschichte auch um etwas ganz anderes. Jesus beobachtet, wie die Leute Geld einlegen und manche der Wohlhabenden zeigen sich sehr grosszügig. Und dann kommt diese arme Witwe. Zwei der kleinsten Münzen, die es gibt, legt sie ein. Das ist so gut wie nichts – aber es ist alles, was sie hat. Und darum lobt Jesus ihr Tun: „Diese arme Witwe hat mehr in den Gotteskasten gelegt als alle, die etwas eingelegt haben. Denn sie haben alle etwas von ihrem Überfluss eingelegt; diese aber hat von ihrer Armut ihre ganze Habe eingelegt, alles, was sie zum Leben hatte.“
Ich denke mir, dass diese Frau, hätte sie Jesu Worte mit angehört, vielleicht eher peinlich berührt gewesen wäre. Sie hat ja ihre zwei Scherflein nicht gegeben, um als Beispiel besonderer Frömmigkeit zu dienen, sich Jesu Lob zu verdienen. Sie hat wahrscheinlich nicht einmal das Gefühl gehabt, etwas Besonderes zu tun. Für sie war es die selbstverständlichste Sache der Welt. Sie geht zum Gotteshaus und sie trägt etwas zum Opfer bei. Das gehört sich so und das tut sie gern. Aber ich denke, dass sie sich ihrer Armut auch nicht schämt. Sie gehört dazu und sie ist nicht weniger wert als all die anderen. Und ich glaube, dass genau diese innere Haltung Jesus beeindruckt hat. In all ihrer Armut, mit all ihren Sorgen um das tägliche Brot, ist sie eine fröhliche Geberin. Jesus hält nicht viel von Spendenranglisten, die nur auf die grossen Zahlen achten. Aber ich bin mir sicher, dass er die Grosszügigkeit der anderen Opfernden auch nicht schlecht machen oder klein reden will. Nein, nicht erst wenn es einem selber weh tut, bekommen Gaben einen Wert. Einen fröhlichen Geber hat Gott lieb. Aber eben auch eine fröhliche Geberin, die zwar wenig gibt, aber dies von Herzen.
Ich verstehe diese kleine Geschichte als ein Loblied auf die alltägliche, wie selbstverständlich gelebte Frömmigkeit, ein Loblied auf die Grosszügigkeit, zu der Menschen fähig sind und auf die Sorglosigkeit, die sich ganz Gott anvertraut. Diese Geschichte steht in einer Linie mit Jesu Wort in der Bergpredigt: „Sorget euch nicht um den morgigen Tag.“ Dort sind es die Lilien auf dem Felde und die Vögel unter dem Himmel, die uns als Vorbild vor Augen geführt werden. Oder ich denke an die Witwe von Zarepta – ebenfalls eine arme Witwe – die mit dem letzten was sie hat sich und ihrem sterbenskranken Sohn eine kleine Mahlzeit bereiten möchte, bevor sie sich dann mit dem Tod abfinden will. Der Prophet Elia begegnet dieser Frau und bittet sie, zuerst ihm etwas zu essen zu bringen und verheisst ihr: „Das Mehl im Topf soll nicht verzehrt werden, und dem Ölkrug soll nichts mangeln bis auf den Tag, an dem der HERR regnen lassen wird auf Erden.“
Wenn ich an die Witwe und ihre zwei Scherflein denke, dann kommen mir Menschen in den Sinn, die heute ganz selbstverständlich ihren Glauben leben, eine stille und bescheidene Frömmigkeit, dann denke ich an Menschen, die ihren Beitrag leisten an die Sammlungen von BfA oder zu den sonntäglichen Kollekten. Ich denke an Menschen, die Zeit einsetzen für Menschen in ihrer Nachbarschaft. Ich denke auch an die vielen, die sich in unserer Kirchgemeinde freiwillig und ehrenamtlich engagieren. Auch hier gilt: es kommt nicht auf die Grösse der Spende, den Umfang des Einsatzes an. Eine fröhliche Geberin, einen fröhlichen Geber hat Gott lieb. Es muss nichts Grosses, nichts Besonderes, nichts Aussergewöhnliches sein. Wichtig ist, dass es von Herzen kommt und ich bin dankbar für jedes Engagement, jedes Zeichen der Liebe, des Mitdenkens, der Unterstützung für unsere Kirchgemeinde, für unser Gemeinwesen.
Ja es gibt auch unter uns solche armen Witwen, im wörtlichen und im übertragenen Sinn, Menschen, die im Stillen glauben, grosszügig sind, etwas von dem, was sie haben, materiell, aber auch an Zeit oder Fähigkeiten, an andere weitergeben, ohne davon viel Aufhebens zu machen. Es gibt Menschen, die ihre Betagten Angehörigen zuhause pflegen und die diese zeitaufwendige und oft kräftezehrende Aufgabe mit viel Liebe und Einfühlungsvermögen leisten und ihren Angehörigen gerne diesen Dienst erweisen. Es gibt die Menschen, die immer wissen, wenn jemand krank oder einsam ist und die sich auf den Weg machen, um diese Menschen zu besuchen. Es gibt die, die anderen etwas abnehmen, einen Einkauf, einen Botengang, eine kleine Arbeit und vieles andere mehr. Andere widmen sich in ihrer Freizeit dem Samariterverein, der Feuerwehr, den Landfrauen oder kulturellen Vereinen und tragen etwas dazu bei, dass es sich bei uns gut leben lässt. Diesen guten Geistern, die meist im Verborgenen wirken, gilt Jesu Loblied auf die arme Witwe. Ohne sie wäre unser Leben viel ärmer, unsere Welt um einiges kälter. Sie zu achten und ihrem Vorbild zu folgen, das ist es, was Jesus uns nahe legen will.
Möge Gott uns Augen schenken, die das Gute sehen, das unter uns geschieht und möge er unsere Herzen und unsere Hände frei machen für das Gute, das wir tun können und möge er jedem von uns auch etwas vom Selbstbewusstsein dieser Witwe schenken, die so selbstverständlich und aufrecht das Ihre tut und von ihrem grossen Vertrauen, das sich darauf verlässt, dass ihr Gott schon für sie sorgen wird, seien die täglichen Sorgen auch noch so gross. Amen.
Samstag, 26. Februar 2011
Predigt über Markus 4,26-29 am Sonntag, 27. Februar 2011
Liebe Gemeinde,
„ums Reich Gottes geht es also in diesem Gleichnis“, sagt der Pfarrer, „ums Reich Gottes, das ganz von alleine kommt, ohne unser Zutun. Es liegt nicht an uns, ob das Reich Gottes wächst und gedeiht, sondern Gott allein lässt es wachsen. Was uns bleibt, ist nur, es wahrzunehmen, es dankbar anzunehmen. So wie der Bauer in dem Gleichnis, der in aller Ruhe und Gelassenheit schläft und aufsteht, Nacht um Nacht und Tag um Tag und geduldig wartet bis die Frucht herangereift ist.“
„Ach, immer diese salbungsvollen Sprüche“, fällt ihm seine Kollegin ins Wort. „das mag ja theologisch alles richtig sein, aber irgendwie kann ich es nicht mehr hören. Ihr predigt euren Gemeinden Gelassenheit und dass das Reich Gottes von ganz alleine kommt – und bei der nächsten Pfarrkonferenz führt ihr euch wieder auf, wie die Säulen der Kirche und klagt, wie ihr alles machen müsst und nicht mehr wisst, wo ihr die Zeit für alles hernehmen sollt. Ihr werdet wieder neue Konzepte entwickeln, um die Kirche auf Vordermann zu bringen. Seht euch doch nur einmal das PfarrerInnenleitbild unserer Kirche an, was man da alles können und machen sollte. Und ich als Frau soll dann alles machen, was von meinen männlichen Kollegen schon immer gemacht wurde und die Frauenarbeit und die Kinderarbeit noch dazu. Und noch mehr Besuche, weil Frauen das ja besonders gut können. Wo bleibt denn da die Gelassenheit.“
„Da haben wir’s mal wieder“ mischt sich da ein junger Mann ins Gespräch, „Pfarrer und Bauern klagen immer – nur dass die Bauern die harten Zeiten tatsächlich in ihrem Portemonnaie spüren und die Pfarrer – bisher – eher an ihrem gekränkten Stolz, als ob ihr Applaus, ihre Anerkennung die Ernte wäre auf die es im Reich Gottes ankommt.“ Mit Mühe schlucken der Pfarrer und die Pfarrerin ihre Empörung hinunter. Es geht ihnen doch wirklich um die Gemeinde und es macht sie traurig, wenn die Botschaft so wenig Echo findet. Aber irgendwie stimmt es ja auch, dass sie sich manchmal zu wenig anerkannt fühlen für ihre Mühen.
„Und ausserdem“, fährt der junge Mann fort, „ausserdem geht das Gleichnis für mich gar nicht auf. Wenn Gott derjenige ist, der für das Wachsen und Reifen sorgt, wie der Herr Pfarrer so schön gesagt hat, wer sät dann den Samen aus? Manchmal habe ich richtig Lust, die Geschichte umzudrehen. Dann ist Gott für mich der Sämann, der den Samen ausstreut. aber dann überlässt er uns die Arbeit. Jetzt ist es an uns, dass der Same auch aufgeht, dass die Ernte heranreift. Mir wird in der Kirche sowieso zu viel von Gelassenheit und Geschehenlassen geredet. Mir hat immer die Geschichte von Brecht gefallen, wie die stumme Kathrin trommelt und Alarm schlägt, während die frommen Dorfbewohner beten und sich ihrem Schicksal ergeben. Ich wünsche mir eine Kirche, die kämpft für das Reich Gottes, die aufschreit, wenn die Wirtschaft Menschen opfert, wenn das soziale Netz zerschnitten, das Asylrecht kaputtgemacht wird. Von selbst wächst doch nur die Ungerechtigkeit, der Unfrieden, die Gewalt. Wir müssen nicht auf das Reich Gottes warten, sondern es selber in die Hand nehmen.“
„Junger Freund, ihr Tatendrang in Ehren“. Ein älterer Herr hat das Wort ergriffen. „Aber hören sie auf einen Mann mit langer Lebenserfahrung. Ich habe im vergangenen Jahrhundert erlebt, wie Menschen ungestüm versucht haben, ihre Ideale umzusetzen, die Menschen zu ihrem Glück zu zwingen. Das hat immer Unheil gebracht und Gewalt und ich denke nicht nur, weil es die falschen Ideale waren, sondern weil man die Menschen auch zu ihrem Besten nicht zwingen kann. Denken sie nur, wie auch die Kirchen in ihrer Geschichte – vermeintlich um Christi willen – Gewalt gesät haben. Sie haben schon Recht. Eine Kirche, die zum Unrecht schweigt, ist zu nichts nütze. Und die Hände in den Schoss legen und alles dem lieben Gott anzuvertrauen ist nicht fromm, sondern faul und bequem. Aber wir haben nicht alles in der Hand und Aktivismus und Eifer sind längst nicht immer die besten Ratgeber. Mir hat immer der alte benediktinische Leitspruch geholfen: Ora et Labora – Bete und Arbeite. Ich denke, nur wenn wir beides können, finden wir ein gesundes Mass in unserem Leben. Und christliche Weisheit wäre dann wohl, zu erkennen, was unsere Aufgabe ist, wo es anzupacken gilt und zu merken, wo wir innehalten, die Dinge Gott überlassen müssen und wir mit unserem Machen-Wollen eher Schaden anrichten. Sie kennen ja vielleicht die Geschichte von dem Bauern, dem die Pflanzen nicht schnell genug wachsen und der jeden Tag ein wenig daran zieht, um das Wachstum zu beschleunigen. Auf jeden Fall können sie sich sicher denken, was dabei herauskommt.“
Eine Frau, die bisher stumm zugehört hat, erhebt zögerlich ihre Stimme: „Ich bin ja nur ein altes Mueti. Aber wissen sie: mir hat dieses Gleichnis schon viel geholfen. Damals, als ich mit 20 meinen Mann Kurt geheiratet habe, da freute ich mich, mit ihm gemeinsam eine Existenz aufzubauen, eine Familie zu haben mit 3 oder 4 Kindern, später einmal den elterlichen Hof zu übernehmen. Zwei Fehlgeburten haben mich dann ziemlich mitgenommen und bei der nächsten Schwangerschaft habe ich vom ersten bis zum letzten Tag Angst gehabt. Wird es dieses Mal gut gehen? Wird unser Kind behindert sein? Und hätte ich dazu die Kraft? Vor den Fehlgeburten war ich eine zuversichtliche, gelassene Frau. Aber jetzt. Die, die mir ständig gesagt haben, ich müsse nur mehr Gottvertrauen haben, die hätte ich auf den Mond schiessen können. Wie gross war unsere Erleichterung, als das erste Kind, unser Fritz, gesund war. Und Theres und Anni nachher auch. Ich habe noch manchmal mit Gott gehadert, dass er uns die beiden ersten Kinder genommen hat, bevor wir sie überhaupt hatten. Aber dann habe ich auch immer wieder gespürt: es ist wie es ist. Es gibt Dinge, die hast du nicht in der Hand. Und vielleicht ist es ja auch besser so. In dem Gleichnis hat es der Bauer ja letztlich auch nicht in der Hand, ob die Ernte reif wird. Aber wenn es soweit ist, kann er die Ernte einfahren und dankbar dafür sein. Auf dem Weg dahin aber braucht er Geduld. Und die habe ich auch gebraucht und gelassen war ich auch nicht immer. Oder später, wie habe ich mir da Sorgen gemacht um meine Kinder. Alles habe ich versucht, ihnen eine gute Mutter zu sein. Nein, die Hände habe ich da gewiss nicht in den Schoss gelegt. Und als der Fritz dann noch in der Schule solche Probleme hatte, schlechte Noten, Schwänzen, Prügeleien mit anderen, da habe ich mir Vorwürfe gemacht. Was habe ich falsch gemacht? Bis ich eingesehen habe: meine Besorgtheit, meine Angst, sie hilft mir und sie hilft Fritz nicht. Ich kann nur dasein, versuchen in mir selbst die nötige Ruhe zu finden, Verständnis zeigen, Grenzen setzen und geduldig warten, wie sich die Dinge entwickeln. Alles sorgen, alles Grämen macht mich letztlich nur kaputt und hilft niemandem. Und ich glaube, da habe ich auch gespürt, wie das damals gemeint war bei der Taufe: Siehe, ich bin bei dir alle Tage bis an der Welt Ende. Ich war nicht allein. Da war einer, der auch noch auf meine Kinder aufpasste und der auch auf mich aufpasste und mir ab und zu ins Ohr flüsterte: Hab keine Angst, lass ihnen Zeit, ich bin da. Auch in meiner Ehe hat es natürlich schwierige Zeiten gegeben, nicht zuletzt wegen den Kindern. Ein paar Mal war ich nahe davor, alles hinzuschmeissen. Wie oft habe ich meinen Mann ändern wollen. Wie oft habe ich mir vorgenommen, mich selber zu ändern. Bis ich gemerkt habe: wir können nur so miteinander leben wie wir sind oder gar nicht. Der ständige Druck, einander zu dem zu machen, den wir gerne hätten, der bringt uns nur weiter auseinander. Eben wachsen lassen und Geduld haben. Ich glaube, von dem Moment an ist es mir viel besser gegangen. Ich habe wieder bei ihm und bei mir die guten Seiten sehen können und wir haben einander das auch gesagt. Es hat Zeit gebraucht, aber wir haben dank unserer Geduld auch ernten können, was da gereift ist. Und das Gleichnis ist mir dann noch einmal wichtig geworden, als ich vor einigen Jahren an Krebs erkrankt bin. Da habe ich gedacht: Nun hast du drei Kinder grossgezogen, auf dem Bauernhof mitgearbeitet und wie oft bist du todmüde gewesen. Und jetzt, wo du die Dinge etwas ruhiger angehen könntest, mit Kurt etwas unternehmen, da kommt diese Krankheit. Womit habe ich das verdient? Aber es wurde mir auch bewusst, dass ich mit all meinem Hadern den Verlauf der Krankheit nicht aufhalten konnte? Gegen die Krankheit ankämpfen, ja – ohne Hoffnung und Lebenswillen gibt es wohl keine Heilung, aber ich habe es trotzdem nicht in der Hand. Ich muss es nehmen, wie es kommt. Und hoffen und vertrauen, dass Gott bei mir ist und mir genügend Kraft gibt, wie immer sich die Dinge entwickeln. Zur Zeit geht es mir recht gut und ich bin dankbar dafür. Aber ich glaube, ich bin inzwischen auch so weit, dass ich es akzeptieren könnte, wenn es zu Ende geht. Ich glaube nämlich, dass Gott weiss, was für mich das Beste ist und mich erwartet.
Das Reich Gottes liegt wirklich nicht in unserer Hand. Das bedeutet noch lange nicht, die Hände in den Schoss zu legen. Aber ich denke, wir sollten uns auch nicht zu wichtig nehmen. Und vor allem Geduld lernen und unterscheiden können, was unsere Sache ist und wo wir die Dinge besser dem lieben Gott anvertrauen, weil all unser Sorgen und Planen letztlich nutzlos ist. Und wissen sie, man kann sogar den Moment verpassen wo die Ernte reif ist, wenn man das, was gut und gelungen ist gar nicht mehr sieht vor lauter Sorgen und Klagen. Wissen sie, für mich war das Reich Gottes da, als Fritz seinen Lehrabschluss gefeiert hat. Oder als Theres mir bei ihrer Heirat gesagt hat, wie sehr sie mir dankbar ist für ihre schöne Kindheit. Oder als Anni nach der Trennung von ihrem Mann zu mir gekommen ist und gesagt hat. Bei euch kann ich wieder Ruhe finden und neu anfangen, weil ich weiss, dass ihr mich versteht und mir keine Vorwürfe macht. Oder als wir unsere Goldene Hochzeit gefeiert haben und Kurt mir gesagt hat, dass er stolz auf mich ist und froh ist, dass wir auch die schweren Zeiten miteinander durchgestanden haben.“
Eine Weile ist es stille im Raum. Dann meint eine junge Frau: „Danke für das, was sie uns da erzählt haben. Vielleicht wird es in meinem Leben ganz anders laufen. Man kann ja nicht aus seiner Haut. Aber ich hoffe, dass ich dann ab und zu an sie denke und geduldig und gelassen mein Leben in die Hand nehmen kann, wo das nötig ist, dass ich mich aber auch dem Leben und meinem Gott überlassen kann im Vertrauen, dass er schon weiss, was gut für mich ist.
Und er sprach: Mit dem Reich Gottes ist es so, wie wenn ein Mensch Samen aufs Land wirft und schläft und aufsteht, Nacht und Tag; und der Same geht auf und wächst - er weiß nicht, wie. Denn von selbst bringt die Erde Frucht, zuerst den Halm, danach die Ähre, danach den vollen Weizen in der Ähre. Wenn sie aber die Frucht gebracht hat, so schickt er alsbald die Sichel hin; denn die Ernte ist da.
Amen.
„ums Reich Gottes geht es also in diesem Gleichnis“, sagt der Pfarrer, „ums Reich Gottes, das ganz von alleine kommt, ohne unser Zutun. Es liegt nicht an uns, ob das Reich Gottes wächst und gedeiht, sondern Gott allein lässt es wachsen. Was uns bleibt, ist nur, es wahrzunehmen, es dankbar anzunehmen. So wie der Bauer in dem Gleichnis, der in aller Ruhe und Gelassenheit schläft und aufsteht, Nacht um Nacht und Tag um Tag und geduldig wartet bis die Frucht herangereift ist.“
„Ach, immer diese salbungsvollen Sprüche“, fällt ihm seine Kollegin ins Wort. „das mag ja theologisch alles richtig sein, aber irgendwie kann ich es nicht mehr hören. Ihr predigt euren Gemeinden Gelassenheit und dass das Reich Gottes von ganz alleine kommt – und bei der nächsten Pfarrkonferenz führt ihr euch wieder auf, wie die Säulen der Kirche und klagt, wie ihr alles machen müsst und nicht mehr wisst, wo ihr die Zeit für alles hernehmen sollt. Ihr werdet wieder neue Konzepte entwickeln, um die Kirche auf Vordermann zu bringen. Seht euch doch nur einmal das PfarrerInnenleitbild unserer Kirche an, was man da alles können und machen sollte. Und ich als Frau soll dann alles machen, was von meinen männlichen Kollegen schon immer gemacht wurde und die Frauenarbeit und die Kinderarbeit noch dazu. Und noch mehr Besuche, weil Frauen das ja besonders gut können. Wo bleibt denn da die Gelassenheit.“
„Da haben wir’s mal wieder“ mischt sich da ein junger Mann ins Gespräch, „Pfarrer und Bauern klagen immer – nur dass die Bauern die harten Zeiten tatsächlich in ihrem Portemonnaie spüren und die Pfarrer – bisher – eher an ihrem gekränkten Stolz, als ob ihr Applaus, ihre Anerkennung die Ernte wäre auf die es im Reich Gottes ankommt.“ Mit Mühe schlucken der Pfarrer und die Pfarrerin ihre Empörung hinunter. Es geht ihnen doch wirklich um die Gemeinde und es macht sie traurig, wenn die Botschaft so wenig Echo findet. Aber irgendwie stimmt es ja auch, dass sie sich manchmal zu wenig anerkannt fühlen für ihre Mühen.
„Und ausserdem“, fährt der junge Mann fort, „ausserdem geht das Gleichnis für mich gar nicht auf. Wenn Gott derjenige ist, der für das Wachsen und Reifen sorgt, wie der Herr Pfarrer so schön gesagt hat, wer sät dann den Samen aus? Manchmal habe ich richtig Lust, die Geschichte umzudrehen. Dann ist Gott für mich der Sämann, der den Samen ausstreut. aber dann überlässt er uns die Arbeit. Jetzt ist es an uns, dass der Same auch aufgeht, dass die Ernte heranreift. Mir wird in der Kirche sowieso zu viel von Gelassenheit und Geschehenlassen geredet. Mir hat immer die Geschichte von Brecht gefallen, wie die stumme Kathrin trommelt und Alarm schlägt, während die frommen Dorfbewohner beten und sich ihrem Schicksal ergeben. Ich wünsche mir eine Kirche, die kämpft für das Reich Gottes, die aufschreit, wenn die Wirtschaft Menschen opfert, wenn das soziale Netz zerschnitten, das Asylrecht kaputtgemacht wird. Von selbst wächst doch nur die Ungerechtigkeit, der Unfrieden, die Gewalt. Wir müssen nicht auf das Reich Gottes warten, sondern es selber in die Hand nehmen.“
„Junger Freund, ihr Tatendrang in Ehren“. Ein älterer Herr hat das Wort ergriffen. „Aber hören sie auf einen Mann mit langer Lebenserfahrung. Ich habe im vergangenen Jahrhundert erlebt, wie Menschen ungestüm versucht haben, ihre Ideale umzusetzen, die Menschen zu ihrem Glück zu zwingen. Das hat immer Unheil gebracht und Gewalt und ich denke nicht nur, weil es die falschen Ideale waren, sondern weil man die Menschen auch zu ihrem Besten nicht zwingen kann. Denken sie nur, wie auch die Kirchen in ihrer Geschichte – vermeintlich um Christi willen – Gewalt gesät haben. Sie haben schon Recht. Eine Kirche, die zum Unrecht schweigt, ist zu nichts nütze. Und die Hände in den Schoss legen und alles dem lieben Gott anzuvertrauen ist nicht fromm, sondern faul und bequem. Aber wir haben nicht alles in der Hand und Aktivismus und Eifer sind längst nicht immer die besten Ratgeber. Mir hat immer der alte benediktinische Leitspruch geholfen: Ora et Labora – Bete und Arbeite. Ich denke, nur wenn wir beides können, finden wir ein gesundes Mass in unserem Leben. Und christliche Weisheit wäre dann wohl, zu erkennen, was unsere Aufgabe ist, wo es anzupacken gilt und zu merken, wo wir innehalten, die Dinge Gott überlassen müssen und wir mit unserem Machen-Wollen eher Schaden anrichten. Sie kennen ja vielleicht die Geschichte von dem Bauern, dem die Pflanzen nicht schnell genug wachsen und der jeden Tag ein wenig daran zieht, um das Wachstum zu beschleunigen. Auf jeden Fall können sie sich sicher denken, was dabei herauskommt.“
Eine Frau, die bisher stumm zugehört hat, erhebt zögerlich ihre Stimme: „Ich bin ja nur ein altes Mueti. Aber wissen sie: mir hat dieses Gleichnis schon viel geholfen. Damals, als ich mit 20 meinen Mann Kurt geheiratet habe, da freute ich mich, mit ihm gemeinsam eine Existenz aufzubauen, eine Familie zu haben mit 3 oder 4 Kindern, später einmal den elterlichen Hof zu übernehmen. Zwei Fehlgeburten haben mich dann ziemlich mitgenommen und bei der nächsten Schwangerschaft habe ich vom ersten bis zum letzten Tag Angst gehabt. Wird es dieses Mal gut gehen? Wird unser Kind behindert sein? Und hätte ich dazu die Kraft? Vor den Fehlgeburten war ich eine zuversichtliche, gelassene Frau. Aber jetzt. Die, die mir ständig gesagt haben, ich müsse nur mehr Gottvertrauen haben, die hätte ich auf den Mond schiessen können. Wie gross war unsere Erleichterung, als das erste Kind, unser Fritz, gesund war. Und Theres und Anni nachher auch. Ich habe noch manchmal mit Gott gehadert, dass er uns die beiden ersten Kinder genommen hat, bevor wir sie überhaupt hatten. Aber dann habe ich auch immer wieder gespürt: es ist wie es ist. Es gibt Dinge, die hast du nicht in der Hand. Und vielleicht ist es ja auch besser so. In dem Gleichnis hat es der Bauer ja letztlich auch nicht in der Hand, ob die Ernte reif wird. Aber wenn es soweit ist, kann er die Ernte einfahren und dankbar dafür sein. Auf dem Weg dahin aber braucht er Geduld. Und die habe ich auch gebraucht und gelassen war ich auch nicht immer. Oder später, wie habe ich mir da Sorgen gemacht um meine Kinder. Alles habe ich versucht, ihnen eine gute Mutter zu sein. Nein, die Hände habe ich da gewiss nicht in den Schoss gelegt. Und als der Fritz dann noch in der Schule solche Probleme hatte, schlechte Noten, Schwänzen, Prügeleien mit anderen, da habe ich mir Vorwürfe gemacht. Was habe ich falsch gemacht? Bis ich eingesehen habe: meine Besorgtheit, meine Angst, sie hilft mir und sie hilft Fritz nicht. Ich kann nur dasein, versuchen in mir selbst die nötige Ruhe zu finden, Verständnis zeigen, Grenzen setzen und geduldig warten, wie sich die Dinge entwickeln. Alles sorgen, alles Grämen macht mich letztlich nur kaputt und hilft niemandem. Und ich glaube, da habe ich auch gespürt, wie das damals gemeint war bei der Taufe: Siehe, ich bin bei dir alle Tage bis an der Welt Ende. Ich war nicht allein. Da war einer, der auch noch auf meine Kinder aufpasste und der auch auf mich aufpasste und mir ab und zu ins Ohr flüsterte: Hab keine Angst, lass ihnen Zeit, ich bin da. Auch in meiner Ehe hat es natürlich schwierige Zeiten gegeben, nicht zuletzt wegen den Kindern. Ein paar Mal war ich nahe davor, alles hinzuschmeissen. Wie oft habe ich meinen Mann ändern wollen. Wie oft habe ich mir vorgenommen, mich selber zu ändern. Bis ich gemerkt habe: wir können nur so miteinander leben wie wir sind oder gar nicht. Der ständige Druck, einander zu dem zu machen, den wir gerne hätten, der bringt uns nur weiter auseinander. Eben wachsen lassen und Geduld haben. Ich glaube, von dem Moment an ist es mir viel besser gegangen. Ich habe wieder bei ihm und bei mir die guten Seiten sehen können und wir haben einander das auch gesagt. Es hat Zeit gebraucht, aber wir haben dank unserer Geduld auch ernten können, was da gereift ist. Und das Gleichnis ist mir dann noch einmal wichtig geworden, als ich vor einigen Jahren an Krebs erkrankt bin. Da habe ich gedacht: Nun hast du drei Kinder grossgezogen, auf dem Bauernhof mitgearbeitet und wie oft bist du todmüde gewesen. Und jetzt, wo du die Dinge etwas ruhiger angehen könntest, mit Kurt etwas unternehmen, da kommt diese Krankheit. Womit habe ich das verdient? Aber es wurde mir auch bewusst, dass ich mit all meinem Hadern den Verlauf der Krankheit nicht aufhalten konnte? Gegen die Krankheit ankämpfen, ja – ohne Hoffnung und Lebenswillen gibt es wohl keine Heilung, aber ich habe es trotzdem nicht in der Hand. Ich muss es nehmen, wie es kommt. Und hoffen und vertrauen, dass Gott bei mir ist und mir genügend Kraft gibt, wie immer sich die Dinge entwickeln. Zur Zeit geht es mir recht gut und ich bin dankbar dafür. Aber ich glaube, ich bin inzwischen auch so weit, dass ich es akzeptieren könnte, wenn es zu Ende geht. Ich glaube nämlich, dass Gott weiss, was für mich das Beste ist und mich erwartet.
Das Reich Gottes liegt wirklich nicht in unserer Hand. Das bedeutet noch lange nicht, die Hände in den Schoss zu legen. Aber ich denke, wir sollten uns auch nicht zu wichtig nehmen. Und vor allem Geduld lernen und unterscheiden können, was unsere Sache ist und wo wir die Dinge besser dem lieben Gott anvertrauen, weil all unser Sorgen und Planen letztlich nutzlos ist. Und wissen sie, man kann sogar den Moment verpassen wo die Ernte reif ist, wenn man das, was gut und gelungen ist gar nicht mehr sieht vor lauter Sorgen und Klagen. Wissen sie, für mich war das Reich Gottes da, als Fritz seinen Lehrabschluss gefeiert hat. Oder als Theres mir bei ihrer Heirat gesagt hat, wie sehr sie mir dankbar ist für ihre schöne Kindheit. Oder als Anni nach der Trennung von ihrem Mann zu mir gekommen ist und gesagt hat. Bei euch kann ich wieder Ruhe finden und neu anfangen, weil ich weiss, dass ihr mich versteht und mir keine Vorwürfe macht. Oder als wir unsere Goldene Hochzeit gefeiert haben und Kurt mir gesagt hat, dass er stolz auf mich ist und froh ist, dass wir auch die schweren Zeiten miteinander durchgestanden haben.“
Eine Weile ist es stille im Raum. Dann meint eine junge Frau: „Danke für das, was sie uns da erzählt haben. Vielleicht wird es in meinem Leben ganz anders laufen. Man kann ja nicht aus seiner Haut. Aber ich hoffe, dass ich dann ab und zu an sie denke und geduldig und gelassen mein Leben in die Hand nehmen kann, wo das nötig ist, dass ich mich aber auch dem Leben und meinem Gott überlassen kann im Vertrauen, dass er schon weiss, was gut für mich ist.
Und er sprach: Mit dem Reich Gottes ist es so, wie wenn ein Mensch Samen aufs Land wirft und schläft und aufsteht, Nacht und Tag; und der Same geht auf und wächst - er weiß nicht, wie. Denn von selbst bringt die Erde Frucht, zuerst den Halm, danach die Ähre, danach den vollen Weizen in der Ähre. Wenn sie aber die Frucht gebracht hat, so schickt er alsbald die Sichel hin; denn die Ernte ist da.
Amen.
Samstag, 12. Februar 2011
Predigt zu 2. Mose 3,1-10 am 13. Februar 2011
Liebe Gemeinde,
in dem wunderbaren Film Jentl von und mit Barbara Streisand sagt ein Rabbi: „Wir suchen unsere Studenten nicht nur nach den Antworten aus, die sie geben, sondern vor allem nach den FRAGEN, die sie stellen.“ Ein Satz, der wunderbar passt zu unserem heutigen Predigttext, zur Geschichte von Mose am brennenden Dornbusch. Fast möchte ich sagen: Gott sucht sich seine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter auch nicht nach ihren klugen Antworten oder ihren vorweisbaren Leistungen aus, sondern nach den Fragen, die sie stellen.
Mose stellt Fragen. Gleich drei. Warum verbrennt der Dornbusch nicht? Wer bin ich? Was ist dein Name? Er fragt nach der Welt, die er wahrnimmt, nach sich selbst und nach Gott. Und es wäre gewiss nicht wenig, wenn der heutige Predigttext auch uns zum Fragen verführen, das Fragen lehren würde. Mit drei Geschichten antwortet der Text auf die Fragen des Mose: mit der Dornbusch-Sage, mit der Berufung des Mose und mit der Offenbarung des Namens Gottes.
Aber der Reihe nach. Wer ist überhaupt dieser Mose? Wie kommt er dazu, so zu fragen?
Mose geht seiner alltäglichen Arbeit nach? Er hütet die Schafe Jitros seines Schwiegervaters. Er ist ein einfacher Hirte, der geduldig und demütig seine Pflicht tut. Und einer, der an seiner Vergangenheit zu tragen hat, denn einst in Ägypten hat er im Zorn einen Aufseher erschlagen. Er ist aber auch einer, den das Unrecht berührt, der nicht einfach zusehen kann, wenn Menschen leiden und geplagt werden.
Er treibt die Schafe über die Steppe hinaus. Vermutlich, will er im vertrauten Gebiet kein Futter für die Schafe finden kann. Aber diese kleine Bemerkung ist, denke ich, sehr wichtig. Denn Mose verlässt hier das ihm vertraute Gebiet. Er geht zu weit, überschreitet eine Grenze.
Das Gewohnte verlassen – vielleicht ist das die erste Voraussetzung, um das Fragen zu lernen. Damit meine ich nicht die äusserlich weiten Wege oder die spektakulären Erlebnisse. Mose geht ja nur ein paar Schritte über das Gewohnte hinaus. Und heute können wir tausende von Kilometern reisen ohne auch im Geringsten das Gewohnte zu verlassen. Oder wir können aus einer Arbeit, aus einer Beziehung, aus einem Umfeld ausbrechen, ohne dass wir uns selber, unsere Denkgewohnheiten, unsere Sichtweisen ernsthaft in Frage stellen, weil es ja immer nur die bösen Anderen sind, die uns das Leben schwer machen.
Das Gewohnte verlassen – oft ist das etwas, was uns in unserem Leben widerfährt, womit wir plötzlich konfrontiert werden. Es kann eine Krankheit sein, die uns aus der Bahn wirft, die uns plötzlich zwingt, unser Leben neu zu ordnen. Gerade eine Krankheit, die ja zuerst einmal als Katastrophe über die Betroffenen hereinbricht, kann für viele ein Anstoss sein, anzuhalten, sich neu zu fragen, was ihnen wichtig ist, worauf es ankommt. Sie kann dazu führen, bewusster auf die Menschen zu achten, die mich umgeben, die mir wichtig sind. Oder bewusster wahrzunehmen, an was ich mich freue, was mir kostbar ist, was ich bisher immer aufgeschoben habe. Oder einem Menschen zu sagen, wofür ich ihm dankbar bin. Oder auch neu nach Gott zu fragen, nach dem unbegreiflichen, nach dem liebenden, nach dem segnenden Gott. Nach dem, dessen Name heisst: Ich bin da.
Das Gewohnte verlassen – das bedeutet vor allem eine Veränderung unseres Blicks. Es heisst, dass wir zulassen und wahrnehmen, dass da noch mehr ist als wir gewohnt sind zu sehen. Mose geht über die Steppe hinaus und sieht einen Dornbusch, der brennt und doch nicht verbrennt.
Hinsehen, anhalten, staunen – und dann hingehen, langsam und behutsam. Das sind die nächsten Schritte des Mose. Er nimmt sich die Zeit, hinzusehen. Er geht nicht achtlos vorüber. Er tut das Ganze nicht als Einbildung oder lächerliches Schauspiel ab. Aber er stürzt sich auch nicht darauf, wie auf eine billige Sensation. Er sieht hin, hält an und staunt. Und er geht hin und fragt: Was ist das? Und vielleicht schon da: Was hat das für mich zu bedeuten?
Und er ist achtsam! Er achtet auf die Stimme, die ihn anruft und antwortet: „Hier bin ich!“ Er achtet auf die Stimme, die ihn zurückhält, die ihn auffordert, den nötigen Abstand zu behalten. Er kann sich dieser wunderbaren Erscheinung nicht einfach bemächtigen. „Zieh deine Schuhe von deinen Füssen, denn der Ort, darauf du stehst, ist heiliges Land!“ Ein grossartiger Satz. Aufforderung zur Ehrfurcht vor dem Leben, zur Achtsamkeit gegenüber allem, was uns begegnet. Denn jeder Augenblick und jeder Ort in unserem Leben kann für uns zu einem heiligen Boden werden, jeder Mensch ein Engel, ein Bote Gottes sein. Auch Mose stösst ja mitten im Alltag seines Hirtendaseins auf diesen heiligen Boden, auf dieses Feuer, das ihn zu einem Fragenden werden lässt, den Gott brauchen kann.
So wird die Begegnung mit dem Feuer für Mose der Ort seiner Berufung. Er, der Flüchtling und Hirtenjunge, soll Gottes Volk aus der ägyptischen Sklaverei befreien. Mose winkt angesichts der grossen Aufgabe nicht einfach ab, aber er stürzt sich auch nicht aus Übermut darauf. Er fragt jetzt: Wer bin ich? Aus dem Innehalten und Staunen, aus der Achtsamkeit auf das, was uns begegnet, kann die Klarheit erwachsen, was für uns wichtig, was unsere Aufgabe, unser Weg ist – wahrscheinlich nicht für das ganze Leben, aber hier und jetzt, für die nächste Zeit, die Situation, in der wir stehen. Unsere Aufgaben mögen wohl kaum so gross und gewaltig sein wie die des Mose. Aber jede Aufgabe hat ihre eigene Würde und es kommt darauf an, dass wir sie erkennen und Klarheit gewinnen über das, was unser Weg ist. Gott will nicht von uns, dass wir Mose oder Jesus nacheifern, sondern, dass wir uns selber sind, denn gerade so kann er uns brauchen.
Gottes Antwort auf die Frage des Mose ist ein Versprechen: Ich will mit dir sein. Und weil ich mit dir bin, kannst du diesen Weg gehen. Vertrau mir, dann wirst du erfahren, dass du diesen Weg auch gehen kannst.
Aber Mose ist noch nicht zufrieden. Er hat wohl vernommen, dass der, der da mit ihm redet, der Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs ist, der Gott seiner Väter. Aber das genügt ihm nicht. Damit jedoch hört sein Fragen nicht auf. Was ist dein Name? fragt er. Die Antworten der Tradition, der Gott Abrahams und Isaaks und Jakobs, sie sind nicht wertlos, sie lassen ihn überhaupt erst weiterfragen. Aber sie genügen ihm nicht. Er will es genauer wissen. Wer bist du für mich und für meine Generation? So können wir vielleicht die Frage nach dem Namen verstehen. Bist du nur der Gott der Väter oder auch mein und unser Gott?
Und die Antwort, die Mose erhält, sie ist Rätsel und Lösung zugleich. „Ich bin, der ich sein werde. Ich-bin-da ist mein Name.“ Aber mit dieser Antwort kann Mose weitergehen. Dieser Name ist eine Verheissung, ein Versprechen. Und er zeigt auch: jede Generation, jeder Mensch muss seine eigenen Erfahrungen mit Gott machen. Die Erfahrungen der Väter und Mütter im Glauben, das Wort der Schrift, all das kann uns auf die Spur bringen, die Fragen wecken, uns in Frage stellen, aber glauben können wir nur selber, nur das Vertrauen, das Gott uns ins Herz gelegt hat, hilft uns wirklich. Die Klarheit über das, was unsere Aufgabe ist, die Begegnung mit unserem Gott, das Vertrauen, dass er mit uns geht, wohin wir auch gehen – all das kann nur bei uns selber wachsen. Da gibt es keine allgemeingültigen Antworten. Das kann uns niemand abnehmen. Aber ich bin überzeugt: helfen und ermutigen können wir uns dabei. Ohne Gemeinschaft können wir nicht leben. Aber nur wenn wir aus der Gemeinschaft heraustreten, werden wir unseren eigenen Weg finden – um dann wieder zurückzukehren und unseren Beitrag zu leisten für das Leben, das wir miteinander teilen.
Mose ist ein Fragender und ich wünsche mir, dass er auch uns zum Fragen verführt. Kein Ort, kein Ereignis in unserem Leben ist zu belanglos um nicht ein ernsthaftes Suchen und Fragen auslösen zu können. Es kommt darauf an, dass wir uns berühren lassen, offen bleiben und nicht immer alles schon vorher wissen. Der Gott aber, der uns fragen lässt, der hat einen Namen: „Ich bin da. Ich gehe mit dir. Auch auf Umwegen und Irrwegen. Auch wenn du nicht weiter weißt. Auch wenn du glücklich bist und alles wie am Schnürchen läuft, auch wenn scheinbar gar nichts mehr geht. Ich bin da. Ich lasse dich nicht im Stich.“ Amen.
in dem wunderbaren Film Jentl von und mit Barbara Streisand sagt ein Rabbi: „Wir suchen unsere Studenten nicht nur nach den Antworten aus, die sie geben, sondern vor allem nach den FRAGEN, die sie stellen.“ Ein Satz, der wunderbar passt zu unserem heutigen Predigttext, zur Geschichte von Mose am brennenden Dornbusch. Fast möchte ich sagen: Gott sucht sich seine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter auch nicht nach ihren klugen Antworten oder ihren vorweisbaren Leistungen aus, sondern nach den Fragen, die sie stellen.
Mose stellt Fragen. Gleich drei. Warum verbrennt der Dornbusch nicht? Wer bin ich? Was ist dein Name? Er fragt nach der Welt, die er wahrnimmt, nach sich selbst und nach Gott. Und es wäre gewiss nicht wenig, wenn der heutige Predigttext auch uns zum Fragen verführen, das Fragen lehren würde. Mit drei Geschichten antwortet der Text auf die Fragen des Mose: mit der Dornbusch-Sage, mit der Berufung des Mose und mit der Offenbarung des Namens Gottes.
Aber der Reihe nach. Wer ist überhaupt dieser Mose? Wie kommt er dazu, so zu fragen?
Mose geht seiner alltäglichen Arbeit nach? Er hütet die Schafe Jitros seines Schwiegervaters. Er ist ein einfacher Hirte, der geduldig und demütig seine Pflicht tut. Und einer, der an seiner Vergangenheit zu tragen hat, denn einst in Ägypten hat er im Zorn einen Aufseher erschlagen. Er ist aber auch einer, den das Unrecht berührt, der nicht einfach zusehen kann, wenn Menschen leiden und geplagt werden.
Er treibt die Schafe über die Steppe hinaus. Vermutlich, will er im vertrauten Gebiet kein Futter für die Schafe finden kann. Aber diese kleine Bemerkung ist, denke ich, sehr wichtig. Denn Mose verlässt hier das ihm vertraute Gebiet. Er geht zu weit, überschreitet eine Grenze.
Das Gewohnte verlassen – vielleicht ist das die erste Voraussetzung, um das Fragen zu lernen. Damit meine ich nicht die äusserlich weiten Wege oder die spektakulären Erlebnisse. Mose geht ja nur ein paar Schritte über das Gewohnte hinaus. Und heute können wir tausende von Kilometern reisen ohne auch im Geringsten das Gewohnte zu verlassen. Oder wir können aus einer Arbeit, aus einer Beziehung, aus einem Umfeld ausbrechen, ohne dass wir uns selber, unsere Denkgewohnheiten, unsere Sichtweisen ernsthaft in Frage stellen, weil es ja immer nur die bösen Anderen sind, die uns das Leben schwer machen.
Das Gewohnte verlassen – oft ist das etwas, was uns in unserem Leben widerfährt, womit wir plötzlich konfrontiert werden. Es kann eine Krankheit sein, die uns aus der Bahn wirft, die uns plötzlich zwingt, unser Leben neu zu ordnen. Gerade eine Krankheit, die ja zuerst einmal als Katastrophe über die Betroffenen hereinbricht, kann für viele ein Anstoss sein, anzuhalten, sich neu zu fragen, was ihnen wichtig ist, worauf es ankommt. Sie kann dazu führen, bewusster auf die Menschen zu achten, die mich umgeben, die mir wichtig sind. Oder bewusster wahrzunehmen, an was ich mich freue, was mir kostbar ist, was ich bisher immer aufgeschoben habe. Oder einem Menschen zu sagen, wofür ich ihm dankbar bin. Oder auch neu nach Gott zu fragen, nach dem unbegreiflichen, nach dem liebenden, nach dem segnenden Gott. Nach dem, dessen Name heisst: Ich bin da.
Das Gewohnte verlassen – das bedeutet vor allem eine Veränderung unseres Blicks. Es heisst, dass wir zulassen und wahrnehmen, dass da noch mehr ist als wir gewohnt sind zu sehen. Mose geht über die Steppe hinaus und sieht einen Dornbusch, der brennt und doch nicht verbrennt.
Hinsehen, anhalten, staunen – und dann hingehen, langsam und behutsam. Das sind die nächsten Schritte des Mose. Er nimmt sich die Zeit, hinzusehen. Er geht nicht achtlos vorüber. Er tut das Ganze nicht als Einbildung oder lächerliches Schauspiel ab. Aber er stürzt sich auch nicht darauf, wie auf eine billige Sensation. Er sieht hin, hält an und staunt. Und er geht hin und fragt: Was ist das? Und vielleicht schon da: Was hat das für mich zu bedeuten?
Und er ist achtsam! Er achtet auf die Stimme, die ihn anruft und antwortet: „Hier bin ich!“ Er achtet auf die Stimme, die ihn zurückhält, die ihn auffordert, den nötigen Abstand zu behalten. Er kann sich dieser wunderbaren Erscheinung nicht einfach bemächtigen. „Zieh deine Schuhe von deinen Füssen, denn der Ort, darauf du stehst, ist heiliges Land!“ Ein grossartiger Satz. Aufforderung zur Ehrfurcht vor dem Leben, zur Achtsamkeit gegenüber allem, was uns begegnet. Denn jeder Augenblick und jeder Ort in unserem Leben kann für uns zu einem heiligen Boden werden, jeder Mensch ein Engel, ein Bote Gottes sein. Auch Mose stösst ja mitten im Alltag seines Hirtendaseins auf diesen heiligen Boden, auf dieses Feuer, das ihn zu einem Fragenden werden lässt, den Gott brauchen kann.
So wird die Begegnung mit dem Feuer für Mose der Ort seiner Berufung. Er, der Flüchtling und Hirtenjunge, soll Gottes Volk aus der ägyptischen Sklaverei befreien. Mose winkt angesichts der grossen Aufgabe nicht einfach ab, aber er stürzt sich auch nicht aus Übermut darauf. Er fragt jetzt: Wer bin ich? Aus dem Innehalten und Staunen, aus der Achtsamkeit auf das, was uns begegnet, kann die Klarheit erwachsen, was für uns wichtig, was unsere Aufgabe, unser Weg ist – wahrscheinlich nicht für das ganze Leben, aber hier und jetzt, für die nächste Zeit, die Situation, in der wir stehen. Unsere Aufgaben mögen wohl kaum so gross und gewaltig sein wie die des Mose. Aber jede Aufgabe hat ihre eigene Würde und es kommt darauf an, dass wir sie erkennen und Klarheit gewinnen über das, was unser Weg ist. Gott will nicht von uns, dass wir Mose oder Jesus nacheifern, sondern, dass wir uns selber sind, denn gerade so kann er uns brauchen.
Gottes Antwort auf die Frage des Mose ist ein Versprechen: Ich will mit dir sein. Und weil ich mit dir bin, kannst du diesen Weg gehen. Vertrau mir, dann wirst du erfahren, dass du diesen Weg auch gehen kannst.
Aber Mose ist noch nicht zufrieden. Er hat wohl vernommen, dass der, der da mit ihm redet, der Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs ist, der Gott seiner Väter. Aber das genügt ihm nicht. Damit jedoch hört sein Fragen nicht auf. Was ist dein Name? fragt er. Die Antworten der Tradition, der Gott Abrahams und Isaaks und Jakobs, sie sind nicht wertlos, sie lassen ihn überhaupt erst weiterfragen. Aber sie genügen ihm nicht. Er will es genauer wissen. Wer bist du für mich und für meine Generation? So können wir vielleicht die Frage nach dem Namen verstehen. Bist du nur der Gott der Väter oder auch mein und unser Gott?
Und die Antwort, die Mose erhält, sie ist Rätsel und Lösung zugleich. „Ich bin, der ich sein werde. Ich-bin-da ist mein Name.“ Aber mit dieser Antwort kann Mose weitergehen. Dieser Name ist eine Verheissung, ein Versprechen. Und er zeigt auch: jede Generation, jeder Mensch muss seine eigenen Erfahrungen mit Gott machen. Die Erfahrungen der Väter und Mütter im Glauben, das Wort der Schrift, all das kann uns auf die Spur bringen, die Fragen wecken, uns in Frage stellen, aber glauben können wir nur selber, nur das Vertrauen, das Gott uns ins Herz gelegt hat, hilft uns wirklich. Die Klarheit über das, was unsere Aufgabe ist, die Begegnung mit unserem Gott, das Vertrauen, dass er mit uns geht, wohin wir auch gehen – all das kann nur bei uns selber wachsen. Da gibt es keine allgemeingültigen Antworten. Das kann uns niemand abnehmen. Aber ich bin überzeugt: helfen und ermutigen können wir uns dabei. Ohne Gemeinschaft können wir nicht leben. Aber nur wenn wir aus der Gemeinschaft heraustreten, werden wir unseren eigenen Weg finden – um dann wieder zurückzukehren und unseren Beitrag zu leisten für das Leben, das wir miteinander teilen.
Mose ist ein Fragender und ich wünsche mir, dass er auch uns zum Fragen verführt. Kein Ort, kein Ereignis in unserem Leben ist zu belanglos um nicht ein ernsthaftes Suchen und Fragen auslösen zu können. Es kommt darauf an, dass wir uns berühren lassen, offen bleiben und nicht immer alles schon vorher wissen. Der Gott aber, der uns fragen lässt, der hat einen Namen: „Ich bin da. Ich gehe mit dir. Auch auf Umwegen und Irrwegen. Auch wenn du nicht weiter weißt. Auch wenn du glücklich bist und alles wie am Schnürchen läuft, auch wenn scheinbar gar nichts mehr geht. Ich bin da. Ich lasse dich nicht im Stich.“ Amen.
Samstag, 29. Januar 2011
Predigt über Matthäus 14,22-33 am Sonntag, 30. Januar 2011
Liebe Mitchristen,
sie war 48 Jahre alt, als plötzlich die Schmerzen im Kopf auftauchten. Das geht schon vorüber dachte sie zuerst und kümmerte sich weiter um ihre Familie und ging ihrer Arbeit nach. Aber die Schmerzen blieben und schliesslich ging sie doch zum Arzt. Sie war am Boden zerstört, als sie die Diagnose erfuhr. Ein Gehirntumor hatte sich in ihrem Kopf eingenistet. Eine Operation war unumgänglich, die Heilungschancen völlig offen. In ihrem Leben hatte sie schon manche Herausforderung gemeistert. sie war es gewohnt, sich mit Schwierigkeiten auseinanderzusetzen und sie zu bewältigen. Aber jetzt nützten ihr all ihre erlernten Fähigkeiten und ihre zupackende Art nur wenig. Wie würde sie damit zurechtkommen? Würde sie die Kraft finden, den vor ihr liegenden Weg zu gehen? Wer würde ihr beistehen, den Weg mit ihr gehen? Würde sie die Hilflosigkeit der anderen und ihre eigene Hilflosigkeit ertragen?
Die nächste Zeit war ein Wechselbad der Gefühle. Es gab Tage, da war sie felsenfest überzeugt, dass sie das Leben geniessen und sich selber treu bleiben würde. Sie fühlte sich stark und dem gewachsen, was auf sie zukommen sollte. Aber dann gab es auch Tage tiefster Verzweiflung. Sie fühlte sich von allen guten Geistern verlassen, war müde und kraftlos. Manchmal haderte sie damit, dass sie ihren Liebsten zur Last falle mit ihren Launen und eine Zumutung für die anderen sei. Und manchmal haderte sie damit, dass niemand begreife, wie ihr zumute sei. Es gab Tage, da lebte sie in der tiefen Gewissheit, dass ihr Glaube sie auch durch diese schwere Zeit hindurchtragen würde. Aber dann gab es auch die Momente, in denen sie das Gefühl hatte, völlig allein und von Gott verlassen zu sein. Dann konnte weder sie selbst noch irgendjemand anderes sie davon überzeugen, dass Gott doch immer noch für sie da sei. Da versank sie ganz und gar in ihrem Elend.
Die Geschichte dieser Frau habe ich erfunden, aber es gibt tagtäglich solche Geschichten. Eine niederschmetternde Arztdiagnose, ein berufliches oder privates Ereignis, durch das ein Leben aus dem Gleichgewicht gerät und heftige Stürme einen Menschen ins Wanken bringen. Und so dürfen wir den Sturm, in den die Jünger Jesu auf dem See Genezareth geraten, als ein Bild sehen für die Stürme, in die unser Leben geraten kann. Dann sitzen wir mit den Jüngern im Boot und versuchen, den Wellen zu trotzen. Den Jüngern auf dem See Genezareth erscheint eine Gestalt, die sie zunächst für ein Gespenst halten und ihre Angst wird noch grösser. Es ist Jesus. Sie erkennen ihn an seinen Worten: „Seid getrost, ich bin es. Fürchtet euch nicht!“ Sie erkennen die vertraute Stimme und wissen nun, dass sie keine Gespenster fürchten müssen. In der Gegenwart Jesu gewinnen sie neuen Mut und mit neuer Zuversicht trotzen sie den Wellen.
Wenn wir mit den Stürmen unseres Lebens zu kämpfen haben, sehnen wir uns da nicht manchmal auch nach dieser Stimme Jesu, die uns sagt: „Seid getrost, ich bin es. Fürchtet euch nicht!“, nach einer inneren Gewissheit, dass wir nicht allein und verloren sind, sondern auf göttliche Hilfe und Kraft vertrauen dürfen? Eine Stimme, die uns mit Zuversicht erfüllt und in uns das Vertrauen weckt, dass wir in den Stürmen nicht untergehen werden. Unser heutiger Predigttext will uns dazu ermutigen, immer wieder neu auf die Stimme Jesu zu hören, diese Stimme, die uns Lebensmut schenkt und die Angst von uns nimmt. Sie will uns stärken in dem Vertrauen, dass Gott uns in den Stürmen und Wellen unseres Lebens nicht im Stich lässt.
Wieviel Vertrauen, ja wieviel Wagemut diese Stimme wecken kann, zeigt die Geschichte an Petrus. Er verliert nicht nur die Angst, das Schiff könnte kentern. Er wird geradezu tollkühn und sagt zu Jesus: „Wenn du es bist, so heisse mich über das Wasser zu dir kommen.“ Und Jesus bringt ihn nicht von dieser verrückten Idee ab, sondern sagt einfach „Komm!“Und tatsächlich - das Wasser trägt ihn.
Sollten wir uns nicht gelegentlich von diesem Wagemut des Petrus anstecken lassen, es einfach wagen mit solchem Gottvertrauen und daraus erwachsendem Selbstvertrauen? Sind wir nicht allzu oft viel zu ängstlich und bewegen uns auf abgesicherten Wegen - oder bewegen uns gar nicht mehr, wenn wir keinen gebahnten Weg, keine sichere Strasse mehr sehen? Statt über die Grenzen zu klagen, mit denen wir zu kämpfen haben oder die Gefahren an die Wand zu malen, einfach losgehen, etwas Neues wagen, sich mit Gottes Hilfe etwas zutrauen …
Petrus geht los, den Blick fest auf Jesus gerichtet - und tatsächlich, das Wasser trägt ihn. Es trägt ihn, bis er wieder den Wind beachtet - und augenblicklich bricht sein Vertrauen ein. Er bekommt es mit der Angst zu tun und beginnt zu sinken. Wo vorher noch grenzenloser Wagemut und grenzenloses Vertrauen war, da ist plötzlich nur noch Panik und nackte Angst.
Vielleicht kennen sie auch solche Situationen, wo der Mut und das Vertrauen sie plötzlich verlassen haben. Sobald wir den Wind und die Wellen sehen und uns davon verunsichern lassen, schmilzt unser Vertrauen wie Wachs in der Sonne dahin. Dagegen sind wir oft ziemlich machtlos. Hätte Petrus nicht einfach den Blick fest auf Jesus richten müssen? Dann wäre er wohl nicht untergegangen - so könnten wir sagen. Und manchmal bekommen ja auch wir das zu hören. Du musst den Blick nur fest auf Jesus gerichtet haben, du musst nur Gottvertrauen haben, dann lässt er dich auch nicht im Stich. Das ist im Grunde nicht falsch - und doch stimmt es einfach nicht. Denn Gottvertrauen ist keine Vernunftentscheidung, keine Willensleistung. Petrus kann einfach nicht anders. Der Wind und die Wellen haben sein Denken und Fühlen in Besitz genommen. Das hat er nicht im Griff.
Dramatisch ist der Vertrauensverlust, den Petrus hier erlebt. Aber er vermag noch zu rufen: „Herr, rette mich.“ Und Jesus streckt seine Hand aus und hält ihn. So wie er zuvor den Wagemut und das Vertrauen bei Petrus geweckt hat, so rettet er ihn nun davor, in den Wellen zu versinken.
Es gibt auch bei uns diese Momente, wo aller Wagemut uns verlässt und alle Gewissheit, alles Vertrauen dahinschwinden. Solche Erfahrungen bleiben uns nicht erspart. Aber wie Petrus bleibt uns dann der Ruf nach der Hand, die uns zu halten vermag, wenn wir den Halt verloren haben.
Wie ein Freund nimmt Jesus den Petrus bei der Hand. „Du Kleingläubiger“, sagt er zu ihm, „warum hast du gezweifelt.“ Aber ich stelle mir die Stimme Jesu dabei nicht vorwurfsvoll, sondern eher wohlwollend und mitfühlend vor. Er weiss um die Ängste und die Ohnmacht des Petrus in seiner Lage. Als ob er ihm sagen wollte: „Ich verstehe, dass dich der Mut verlassen hat und du angefangen hast zu zweifeln. Aber du sollst wissen, dass du eigentlich keinen Grund dazu hast, weil ich da bin und dich niemals im Stich lasse.
Jesus macht Petrus und auch uns unsere Ängste und Zweifel nicht zum Vorwurf. Aber er erinnert uns daran, dass wir keine Angst haben müssen, weil seine Hand uns hält. Und er zeigt uns, dass wir nicht nur auf seine rettende Hand vertrauen dürfen, sondern auch auf die Kraft und den Mut, die er in uns freizusetzen vermag. Jesus möchte nicht nur, dass Petrus ihm zutraut, ihn vor dem Versinken zu retten. Er möchte auch, dass er sich zutraut - aus der Kraft, die Jesus in ihm geweckt hat - selber über das Wasser zu gehen.
Auch in uns möchte Jesus nicht nur Vertrauen in seine rettende Hand, sondern auch ein Selbstvertrauen wecken, dass uns die kraft gibt, auch in schwierigen Situationen unseren Weg zu gehen und uns nicht zu schnell von den Wellen und Stürmen entmutigen zu lassen. Wenn ihr sinkt, dann bin ich da - das ist Jesu Botschaft an uns -, aber ich traue euch zu, auf eigenen Füssen zu stehen und euren Weg kraftvoll zu gehen.
Und wie könnten wir die Geschichte nun der krebskranken Frau erzählen, die am Beginn der Predigt stand? Vielleicht wird sie sich verstanden fühlen im Wechselbad ihrer Gefühle, in den Anfällen von Ohnmacht und Verzweiflung, die nicht ausbleiben. Aber hoffentlich wird sie ihr auch Mut machen, sich aufs Wasser hinauszuwagen, nicht nur die Dinge zu sehen, die sie verliert, sondern die Möglichkeiten zu nutzen, die ihr zur Verfügung stehen. Hoffentlich wird sie nicht nur befürchten anderen zur Last zu fallen, sondern auch Hilfe dankbar annehmen und sich freuen können an dem, was sie den anderen geben kann. Ich würde ihr wünschen, dass sie ihr Zusammensein mit anderen nicht immer unter dem Schatten ihrer Krankheit sieht und manchmal die Krankheit sogar ganz vergessen kann. Aber ich würde ihr auch wünschen, dass sie in den Momenten, wo sie alle Kraft und aller Mut verlassen, sich tragen und fallen lassen kann - in die Hände ihrer Mitmenschen und in die Hände Gottes.
Amen.
sie war 48 Jahre alt, als plötzlich die Schmerzen im Kopf auftauchten. Das geht schon vorüber dachte sie zuerst und kümmerte sich weiter um ihre Familie und ging ihrer Arbeit nach. Aber die Schmerzen blieben und schliesslich ging sie doch zum Arzt. Sie war am Boden zerstört, als sie die Diagnose erfuhr. Ein Gehirntumor hatte sich in ihrem Kopf eingenistet. Eine Operation war unumgänglich, die Heilungschancen völlig offen. In ihrem Leben hatte sie schon manche Herausforderung gemeistert. sie war es gewohnt, sich mit Schwierigkeiten auseinanderzusetzen und sie zu bewältigen. Aber jetzt nützten ihr all ihre erlernten Fähigkeiten und ihre zupackende Art nur wenig. Wie würde sie damit zurechtkommen? Würde sie die Kraft finden, den vor ihr liegenden Weg zu gehen? Wer würde ihr beistehen, den Weg mit ihr gehen? Würde sie die Hilflosigkeit der anderen und ihre eigene Hilflosigkeit ertragen?
Die nächste Zeit war ein Wechselbad der Gefühle. Es gab Tage, da war sie felsenfest überzeugt, dass sie das Leben geniessen und sich selber treu bleiben würde. Sie fühlte sich stark und dem gewachsen, was auf sie zukommen sollte. Aber dann gab es auch Tage tiefster Verzweiflung. Sie fühlte sich von allen guten Geistern verlassen, war müde und kraftlos. Manchmal haderte sie damit, dass sie ihren Liebsten zur Last falle mit ihren Launen und eine Zumutung für die anderen sei. Und manchmal haderte sie damit, dass niemand begreife, wie ihr zumute sei. Es gab Tage, da lebte sie in der tiefen Gewissheit, dass ihr Glaube sie auch durch diese schwere Zeit hindurchtragen würde. Aber dann gab es auch die Momente, in denen sie das Gefühl hatte, völlig allein und von Gott verlassen zu sein. Dann konnte weder sie selbst noch irgendjemand anderes sie davon überzeugen, dass Gott doch immer noch für sie da sei. Da versank sie ganz und gar in ihrem Elend.
Die Geschichte dieser Frau habe ich erfunden, aber es gibt tagtäglich solche Geschichten. Eine niederschmetternde Arztdiagnose, ein berufliches oder privates Ereignis, durch das ein Leben aus dem Gleichgewicht gerät und heftige Stürme einen Menschen ins Wanken bringen. Und so dürfen wir den Sturm, in den die Jünger Jesu auf dem See Genezareth geraten, als ein Bild sehen für die Stürme, in die unser Leben geraten kann. Dann sitzen wir mit den Jüngern im Boot und versuchen, den Wellen zu trotzen. Den Jüngern auf dem See Genezareth erscheint eine Gestalt, die sie zunächst für ein Gespenst halten und ihre Angst wird noch grösser. Es ist Jesus. Sie erkennen ihn an seinen Worten: „Seid getrost, ich bin es. Fürchtet euch nicht!“ Sie erkennen die vertraute Stimme und wissen nun, dass sie keine Gespenster fürchten müssen. In der Gegenwart Jesu gewinnen sie neuen Mut und mit neuer Zuversicht trotzen sie den Wellen.
Wenn wir mit den Stürmen unseres Lebens zu kämpfen haben, sehnen wir uns da nicht manchmal auch nach dieser Stimme Jesu, die uns sagt: „Seid getrost, ich bin es. Fürchtet euch nicht!“, nach einer inneren Gewissheit, dass wir nicht allein und verloren sind, sondern auf göttliche Hilfe und Kraft vertrauen dürfen? Eine Stimme, die uns mit Zuversicht erfüllt und in uns das Vertrauen weckt, dass wir in den Stürmen nicht untergehen werden. Unser heutiger Predigttext will uns dazu ermutigen, immer wieder neu auf die Stimme Jesu zu hören, diese Stimme, die uns Lebensmut schenkt und die Angst von uns nimmt. Sie will uns stärken in dem Vertrauen, dass Gott uns in den Stürmen und Wellen unseres Lebens nicht im Stich lässt.
Wieviel Vertrauen, ja wieviel Wagemut diese Stimme wecken kann, zeigt die Geschichte an Petrus. Er verliert nicht nur die Angst, das Schiff könnte kentern. Er wird geradezu tollkühn und sagt zu Jesus: „Wenn du es bist, so heisse mich über das Wasser zu dir kommen.“ Und Jesus bringt ihn nicht von dieser verrückten Idee ab, sondern sagt einfach „Komm!“Und tatsächlich - das Wasser trägt ihn.
Sollten wir uns nicht gelegentlich von diesem Wagemut des Petrus anstecken lassen, es einfach wagen mit solchem Gottvertrauen und daraus erwachsendem Selbstvertrauen? Sind wir nicht allzu oft viel zu ängstlich und bewegen uns auf abgesicherten Wegen - oder bewegen uns gar nicht mehr, wenn wir keinen gebahnten Weg, keine sichere Strasse mehr sehen? Statt über die Grenzen zu klagen, mit denen wir zu kämpfen haben oder die Gefahren an die Wand zu malen, einfach losgehen, etwas Neues wagen, sich mit Gottes Hilfe etwas zutrauen …
Petrus geht los, den Blick fest auf Jesus gerichtet - und tatsächlich, das Wasser trägt ihn. Es trägt ihn, bis er wieder den Wind beachtet - und augenblicklich bricht sein Vertrauen ein. Er bekommt es mit der Angst zu tun und beginnt zu sinken. Wo vorher noch grenzenloser Wagemut und grenzenloses Vertrauen war, da ist plötzlich nur noch Panik und nackte Angst.
Vielleicht kennen sie auch solche Situationen, wo der Mut und das Vertrauen sie plötzlich verlassen haben. Sobald wir den Wind und die Wellen sehen und uns davon verunsichern lassen, schmilzt unser Vertrauen wie Wachs in der Sonne dahin. Dagegen sind wir oft ziemlich machtlos. Hätte Petrus nicht einfach den Blick fest auf Jesus richten müssen? Dann wäre er wohl nicht untergegangen - so könnten wir sagen. Und manchmal bekommen ja auch wir das zu hören. Du musst den Blick nur fest auf Jesus gerichtet haben, du musst nur Gottvertrauen haben, dann lässt er dich auch nicht im Stich. Das ist im Grunde nicht falsch - und doch stimmt es einfach nicht. Denn Gottvertrauen ist keine Vernunftentscheidung, keine Willensleistung. Petrus kann einfach nicht anders. Der Wind und die Wellen haben sein Denken und Fühlen in Besitz genommen. Das hat er nicht im Griff.
Dramatisch ist der Vertrauensverlust, den Petrus hier erlebt. Aber er vermag noch zu rufen: „Herr, rette mich.“ Und Jesus streckt seine Hand aus und hält ihn. So wie er zuvor den Wagemut und das Vertrauen bei Petrus geweckt hat, so rettet er ihn nun davor, in den Wellen zu versinken.
Es gibt auch bei uns diese Momente, wo aller Wagemut uns verlässt und alle Gewissheit, alles Vertrauen dahinschwinden. Solche Erfahrungen bleiben uns nicht erspart. Aber wie Petrus bleibt uns dann der Ruf nach der Hand, die uns zu halten vermag, wenn wir den Halt verloren haben.
Wie ein Freund nimmt Jesus den Petrus bei der Hand. „Du Kleingläubiger“, sagt er zu ihm, „warum hast du gezweifelt.“ Aber ich stelle mir die Stimme Jesu dabei nicht vorwurfsvoll, sondern eher wohlwollend und mitfühlend vor. Er weiss um die Ängste und die Ohnmacht des Petrus in seiner Lage. Als ob er ihm sagen wollte: „Ich verstehe, dass dich der Mut verlassen hat und du angefangen hast zu zweifeln. Aber du sollst wissen, dass du eigentlich keinen Grund dazu hast, weil ich da bin und dich niemals im Stich lasse.
Jesus macht Petrus und auch uns unsere Ängste und Zweifel nicht zum Vorwurf. Aber er erinnert uns daran, dass wir keine Angst haben müssen, weil seine Hand uns hält. Und er zeigt uns, dass wir nicht nur auf seine rettende Hand vertrauen dürfen, sondern auch auf die Kraft und den Mut, die er in uns freizusetzen vermag. Jesus möchte nicht nur, dass Petrus ihm zutraut, ihn vor dem Versinken zu retten. Er möchte auch, dass er sich zutraut - aus der Kraft, die Jesus in ihm geweckt hat - selber über das Wasser zu gehen.
Auch in uns möchte Jesus nicht nur Vertrauen in seine rettende Hand, sondern auch ein Selbstvertrauen wecken, dass uns die kraft gibt, auch in schwierigen Situationen unseren Weg zu gehen und uns nicht zu schnell von den Wellen und Stürmen entmutigen zu lassen. Wenn ihr sinkt, dann bin ich da - das ist Jesu Botschaft an uns -, aber ich traue euch zu, auf eigenen Füssen zu stehen und euren Weg kraftvoll zu gehen.
Und wie könnten wir die Geschichte nun der krebskranken Frau erzählen, die am Beginn der Predigt stand? Vielleicht wird sie sich verstanden fühlen im Wechselbad ihrer Gefühle, in den Anfällen von Ohnmacht und Verzweiflung, die nicht ausbleiben. Aber hoffentlich wird sie ihr auch Mut machen, sich aufs Wasser hinauszuwagen, nicht nur die Dinge zu sehen, die sie verliert, sondern die Möglichkeiten zu nutzen, die ihr zur Verfügung stehen. Hoffentlich wird sie nicht nur befürchten anderen zur Last zu fallen, sondern auch Hilfe dankbar annehmen und sich freuen können an dem, was sie den anderen geben kann. Ich würde ihr wünschen, dass sie ihr Zusammensein mit anderen nicht immer unter dem Schatten ihrer Krankheit sieht und manchmal die Krankheit sogar ganz vergessen kann. Aber ich würde ihr auch wünschen, dass sie in den Momenten, wo sie alle Kraft und aller Mut verlassen, sich tragen und fallen lassen kann - in die Hände ihrer Mitmenschen und in die Hände Gottes.
Amen.
Samstag, 8. Januar 2011
Predigt zu Matthäus 4, 12-17 am 9. Januar 2011
Liebe Gemeinde,
die Weihnachtstage sind vorüber, das neue Jahr hat begonnen, auch der Dreikönigstag liegt hinter uns. Der heutige Predigttext mutet uns einen ziemlichen Sprung zu - vom Kind in der Krippe zu dem jungen Mann Jesus am Beginn seiner öffentlichen Wirksamkeit. Die Worte aus dem Jesajabuch vom Volk, das in der Finsternis sass und ein grosses Licht gesehen hat, schlagen die Brücke zwischen den alten Verheissungen zu dem Stern über Bethlehem, dem Kind in der Krippe und dem jungen Mann Jesus. Aber nun ist er eben nicht mehr ein „holder Knabe im lockigen Haar“, sondern ein Bussprediger, der den Menschen zuruft: „Kehrt um! Denn nahe gekommen ist das Himmelreich.“
Mit diesem Umkehrruf tritt Jesus in die Fussstapfen Johannes des Täufers. Können Sie sich das vorstellen, dass Jesus einmal ein Teenager oder junger Erwachsener war, der ein Vorbild, ein Idol hatte, das ihn faszinierte und dem er nacheiferte. So befremdlich für manchen diese Vorstellung sein mag - so ähnlich muss es wohl gewesen sein. Der heranwachsende Jesus hat von Johannes dem Täufer gehört, der alles hinter sich gelassen hat und, wie man sich erzählte, nur mit einem Kamelhaarmantel bekleidet in der judäischen Wüste lebte, sich von Heuschrecken und wildem Honig ernährte und die Menschen zur Umkehr rief. Dieser Johannes kannte offenbar keine Furcht und keinen falschen Respekt vor den Autoritäten seiner Zeit, nicht vor den Pharisäern und Schriftgelehrten und auch nicht vor dem König Herodes. Kompromisslos, konsequent und entschieden war er und erfüllt von einer tiefen Frömmigkeit. Jesus ist ihm auch begegnet und wir können uns vielleicht sogar vorstellen, wie sehr diese Radikalität und Furchtlosigkeit den jungen Mann Jesus fasziniert haben mag. Viele Bibelforscher vermuten sogar, dass Jesus eine Zeitlang zum Kreis Johannes des Täufers gehört haben könnte. Ja, wir dürfen uns Jesus von Nazareth als einen jungen Mann auf der Suche nach sich selbst vorstellen, als einen der sich nicht damit zufrieden gab, in die Fussstapfen seines Vaters zu treten und die Dinge einfach so zu nehmen wie sie nun einmal sind. Wir dürfen uns vorstellen, dass er nicht bereit war, die römische Herrschaft einfach so hinzunehmen und ihn der Prunk des Herodes und die Macht der Schriftgelehrten empörten und er sich nicht so leicht damit abfinden wollte, dass es Oben und Unten, arm und reich gab, als sei dies ein gottgegebenes Schicksal. Er sehnte sich nach einem Leben, das sich radikal an Gott ausrichtete und in dem er einen Sinn sehen konnte. Johannes verkörperte für ihn einen solchen radikalen und alternativen Lebensstil, die Frömmigkeit, die er suchte.
Es muss für Jesus eine furchtbare Nachricht gewesen sein, als er davon hörte, dass Johannes von Herodes verhaftet worden war - und später ja sogar hingerichtet wurde. Und es ist durchaus möglich, dass die Empörung über dieses Unrecht und das Bedürfnis, die Botschaft des Johannes auf seine Weise weiter zu tragen, ein wichtiger Impuls zu Jesu öffentlichem Auftreten gewesen ist. Auf jeden Fall ist es genau die Botschaft des Johannes, die uns hier in den Worten Jesu entgegentritt. Es ist genau diese Botschaft und doch ist sie anders - oder wird sie anders im Laufe der Wirksamkeit Jesu. Denn Jesu Umkehrruf ist durchdrungen und getragen von der Erfahrung eines liebenden Vaters, der selbst in seinem Zorn noch bedingungslos liebt und barmherzig ist. Der Gott, in dessen Namen Jesus zur Umkehr ruft, ist und bleibt der Vater, der sein Kind, das sich von ihm losgesagt hat, bei seiner Rückkehr wieder in die Arme schliesst, der offene Türen und ein weites Herz hat. Jesu Umkehrruf ist der Ruf dessen, der die Sünderin vor den Gerechten in Schutz nimmt und sie davor bewahrt, dass diese mit Steinen auf sie werfen. Jesu Umkehrruf ist nicht weniger radikal, aber er ist getragen von einem Wohlwollen und einer bedingungslosen Liebe, die einlädt und aufatmen lässt. Nicht der Drohfinger, nicht die Angstmacherei steht hinter diesem Umkehrruf, sondern die Einladung zu einem Leben, dass sich an diesem liebenden und barmherzigen Gott ausrichtet und diese Liebe und Barmherzigkeit weitergibt.
„Kehrt um! Denn nahe gekommen ist das Himmelreich.“ Aus dem Munde Jesu ist das keine Drohung, sondern eine andere, bessere Lebensmöglichkeit, eine Einladung und eine Verheissung. Für viele ist das Wort Umkehr - oder Busse, wie es in früheren Übersetzungen hiess - mit Selbstzerknirschung, sich zu Boden werfen und ein schlechtes Gewissen haben verbunden. All das ist auch nicht grundsätzlich falsch, aber dennoch geht es zuerst um etwas anderes. Metanoeite bedeutet „den Sinn ändern“, „sich neu ausrichten“, „in eine neue Richtung gehen“. Wer aber die Richtung ändert, der tut dies, um den richtigen Weg zu finden. Und genau darum geht es ja - den richtigen Weg zu finden, den Weg zu einem Leben, das Sinn macht oder biblisch gesprochen, zu einem Leben, so wie Gott uns gewollt hat, wie Gott es für uns vorgesehen hat.
Ich bin überzeugt, dass es uns gut tut, wenn wir uns von Zeit zu Zeit fragen, ob das Leben, das wir führen, der richtige Weg ist. Wir sollten uns fragen, wie unser Leben im Lichte des Himmelreichs aussieht. Sind die Ziele, die wir so selbstverständlich verfolgen, wirklich die Ziele, für die es sich zu kämpfen lohnt? Gibt es in unserem Leben überhaupt noch etwas, für das zu kämpfen sich lohnt? Wonach streben wir, was treibt uns um, was raubt uns den Schlaf? Und sind all diese Dinge wirklich die entscheidenden im Leben? Wer oder was bleibt auf der Strecke, wenn wir einfach unbeirrt in dieselbe Richtung weitergehen? Wenn wir innehalten, umkehren, einmal in eine andere Richtung blicken - was sehen wir dann? Vielleicht tauchen dann Menschen in unserem Blickfeld auf, die wir übersehen haben. Oder wir erkennen plötzlich, dass es nicht nur den Weg für uns gibt, den wir bisher unbedingt gehen wollten. Mag sein, dass wir Glück und Erfüllung plötzlich an einem ganz anderen Ort entdecken als wir bisher vermuteten. Die Wege, die wir gehen werden, wenn wir Jesu Ruf zur Umkehr hören, werden unterschiedliche Wege sein. Es gibt nicht den einen Weg für alle, weil jeder nur für sich selbst diesen Ruf hören kann. Aber es werden Wege sein, bei denen wir uns weniger um uns selber drehen, weil wir erkennen, dass wir unser Leben nicht uns selber und unseren Leistungen verdanken, sondern unser Leben als Geschenk Gottes empfangen dürfen. Und es werden Wege sein, die uns zu anderen führen und uns mit anderen verbinden, weil Gott uns nicht als einsame Glückssucher gedacht hat, sondern als Menschen, die miteinander leben und füreinander da sind, aneinander Anteil nehmen und sich miteinander freuen und Lasten gemeinsam tragen. Weil niemand für sich alleine glücklich sein kann, weil Leben auf Kosten der anderen uns nicht erfüllen kann.
„Kehrt um! Denn nahe gekommen ist das Himmelreich.“ Dieser Ruf Jesu führt uns in die Nähe des liebenden und barmherzigen Gottes, des Vaters Jesu Christi. Dieser Ruf ist eine Einladung zum Leben und ein Weckruf, innezuhalten und die festgefahrenen und ausgetretenen Pfade unseres Lebens zu überdenken. Wo ist es für mich jetzt an der Zeit umzukehren und Lebenswege zu überdenken? Wen habe ich aus den Augen verloren und wer ist bei meinem bisherigen Weg auf der Strecke geblieben oder droht, auf der Strecke zu bleiben? Möge Gott uns helfen, die Wege zu entdecken, die wir gehen können und die uns erfüllen und zueinander führen. Amen.
die Weihnachtstage sind vorüber, das neue Jahr hat begonnen, auch der Dreikönigstag liegt hinter uns. Der heutige Predigttext mutet uns einen ziemlichen Sprung zu - vom Kind in der Krippe zu dem jungen Mann Jesus am Beginn seiner öffentlichen Wirksamkeit. Die Worte aus dem Jesajabuch vom Volk, das in der Finsternis sass und ein grosses Licht gesehen hat, schlagen die Brücke zwischen den alten Verheissungen zu dem Stern über Bethlehem, dem Kind in der Krippe und dem jungen Mann Jesus. Aber nun ist er eben nicht mehr ein „holder Knabe im lockigen Haar“, sondern ein Bussprediger, der den Menschen zuruft: „Kehrt um! Denn nahe gekommen ist das Himmelreich.“
Mit diesem Umkehrruf tritt Jesus in die Fussstapfen Johannes des Täufers. Können Sie sich das vorstellen, dass Jesus einmal ein Teenager oder junger Erwachsener war, der ein Vorbild, ein Idol hatte, das ihn faszinierte und dem er nacheiferte. So befremdlich für manchen diese Vorstellung sein mag - so ähnlich muss es wohl gewesen sein. Der heranwachsende Jesus hat von Johannes dem Täufer gehört, der alles hinter sich gelassen hat und, wie man sich erzählte, nur mit einem Kamelhaarmantel bekleidet in der judäischen Wüste lebte, sich von Heuschrecken und wildem Honig ernährte und die Menschen zur Umkehr rief. Dieser Johannes kannte offenbar keine Furcht und keinen falschen Respekt vor den Autoritäten seiner Zeit, nicht vor den Pharisäern und Schriftgelehrten und auch nicht vor dem König Herodes. Kompromisslos, konsequent und entschieden war er und erfüllt von einer tiefen Frömmigkeit. Jesus ist ihm auch begegnet und wir können uns vielleicht sogar vorstellen, wie sehr diese Radikalität und Furchtlosigkeit den jungen Mann Jesus fasziniert haben mag. Viele Bibelforscher vermuten sogar, dass Jesus eine Zeitlang zum Kreis Johannes des Täufers gehört haben könnte. Ja, wir dürfen uns Jesus von Nazareth als einen jungen Mann auf der Suche nach sich selbst vorstellen, als einen der sich nicht damit zufrieden gab, in die Fussstapfen seines Vaters zu treten und die Dinge einfach so zu nehmen wie sie nun einmal sind. Wir dürfen uns vorstellen, dass er nicht bereit war, die römische Herrschaft einfach so hinzunehmen und ihn der Prunk des Herodes und die Macht der Schriftgelehrten empörten und er sich nicht so leicht damit abfinden wollte, dass es Oben und Unten, arm und reich gab, als sei dies ein gottgegebenes Schicksal. Er sehnte sich nach einem Leben, das sich radikal an Gott ausrichtete und in dem er einen Sinn sehen konnte. Johannes verkörperte für ihn einen solchen radikalen und alternativen Lebensstil, die Frömmigkeit, die er suchte.
Es muss für Jesus eine furchtbare Nachricht gewesen sein, als er davon hörte, dass Johannes von Herodes verhaftet worden war - und später ja sogar hingerichtet wurde. Und es ist durchaus möglich, dass die Empörung über dieses Unrecht und das Bedürfnis, die Botschaft des Johannes auf seine Weise weiter zu tragen, ein wichtiger Impuls zu Jesu öffentlichem Auftreten gewesen ist. Auf jeden Fall ist es genau die Botschaft des Johannes, die uns hier in den Worten Jesu entgegentritt. Es ist genau diese Botschaft und doch ist sie anders - oder wird sie anders im Laufe der Wirksamkeit Jesu. Denn Jesu Umkehrruf ist durchdrungen und getragen von der Erfahrung eines liebenden Vaters, der selbst in seinem Zorn noch bedingungslos liebt und barmherzig ist. Der Gott, in dessen Namen Jesus zur Umkehr ruft, ist und bleibt der Vater, der sein Kind, das sich von ihm losgesagt hat, bei seiner Rückkehr wieder in die Arme schliesst, der offene Türen und ein weites Herz hat. Jesu Umkehrruf ist der Ruf dessen, der die Sünderin vor den Gerechten in Schutz nimmt und sie davor bewahrt, dass diese mit Steinen auf sie werfen. Jesu Umkehrruf ist nicht weniger radikal, aber er ist getragen von einem Wohlwollen und einer bedingungslosen Liebe, die einlädt und aufatmen lässt. Nicht der Drohfinger, nicht die Angstmacherei steht hinter diesem Umkehrruf, sondern die Einladung zu einem Leben, dass sich an diesem liebenden und barmherzigen Gott ausrichtet und diese Liebe und Barmherzigkeit weitergibt.
„Kehrt um! Denn nahe gekommen ist das Himmelreich.“ Aus dem Munde Jesu ist das keine Drohung, sondern eine andere, bessere Lebensmöglichkeit, eine Einladung und eine Verheissung. Für viele ist das Wort Umkehr - oder Busse, wie es in früheren Übersetzungen hiess - mit Selbstzerknirschung, sich zu Boden werfen und ein schlechtes Gewissen haben verbunden. All das ist auch nicht grundsätzlich falsch, aber dennoch geht es zuerst um etwas anderes. Metanoeite bedeutet „den Sinn ändern“, „sich neu ausrichten“, „in eine neue Richtung gehen“. Wer aber die Richtung ändert, der tut dies, um den richtigen Weg zu finden. Und genau darum geht es ja - den richtigen Weg zu finden, den Weg zu einem Leben, das Sinn macht oder biblisch gesprochen, zu einem Leben, so wie Gott uns gewollt hat, wie Gott es für uns vorgesehen hat.
Ich bin überzeugt, dass es uns gut tut, wenn wir uns von Zeit zu Zeit fragen, ob das Leben, das wir führen, der richtige Weg ist. Wir sollten uns fragen, wie unser Leben im Lichte des Himmelreichs aussieht. Sind die Ziele, die wir so selbstverständlich verfolgen, wirklich die Ziele, für die es sich zu kämpfen lohnt? Gibt es in unserem Leben überhaupt noch etwas, für das zu kämpfen sich lohnt? Wonach streben wir, was treibt uns um, was raubt uns den Schlaf? Und sind all diese Dinge wirklich die entscheidenden im Leben? Wer oder was bleibt auf der Strecke, wenn wir einfach unbeirrt in dieselbe Richtung weitergehen? Wenn wir innehalten, umkehren, einmal in eine andere Richtung blicken - was sehen wir dann? Vielleicht tauchen dann Menschen in unserem Blickfeld auf, die wir übersehen haben. Oder wir erkennen plötzlich, dass es nicht nur den Weg für uns gibt, den wir bisher unbedingt gehen wollten. Mag sein, dass wir Glück und Erfüllung plötzlich an einem ganz anderen Ort entdecken als wir bisher vermuteten. Die Wege, die wir gehen werden, wenn wir Jesu Ruf zur Umkehr hören, werden unterschiedliche Wege sein. Es gibt nicht den einen Weg für alle, weil jeder nur für sich selbst diesen Ruf hören kann. Aber es werden Wege sein, bei denen wir uns weniger um uns selber drehen, weil wir erkennen, dass wir unser Leben nicht uns selber und unseren Leistungen verdanken, sondern unser Leben als Geschenk Gottes empfangen dürfen. Und es werden Wege sein, die uns zu anderen führen und uns mit anderen verbinden, weil Gott uns nicht als einsame Glückssucher gedacht hat, sondern als Menschen, die miteinander leben und füreinander da sind, aneinander Anteil nehmen und sich miteinander freuen und Lasten gemeinsam tragen. Weil niemand für sich alleine glücklich sein kann, weil Leben auf Kosten der anderen uns nicht erfüllen kann.
„Kehrt um! Denn nahe gekommen ist das Himmelreich.“ Dieser Ruf Jesu führt uns in die Nähe des liebenden und barmherzigen Gottes, des Vaters Jesu Christi. Dieser Ruf ist eine Einladung zum Leben und ein Weckruf, innezuhalten und die festgefahrenen und ausgetretenen Pfade unseres Lebens zu überdenken. Wo ist es für mich jetzt an der Zeit umzukehren und Lebenswege zu überdenken? Wen habe ich aus den Augen verloren und wer ist bei meinem bisherigen Weg auf der Strecke geblieben oder droht, auf der Strecke zu bleiben? Möge Gott uns helfen, die Wege zu entdecken, die wir gehen können und die uns erfüllen und zueinander führen. Amen.
Abonnieren
Posts (Atom)